Norm
ABGB §1295 (1)Kopf
SZ 25/334
Spruch
Zur Schadensteilung bei einem Zusammenstoß zwischen Autobus und Bahn.
Entscheidung vom 30. Dezember 1952, 2 Ob 616/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Am 7. Oktober 1946 ereignete sich auf der Kreuzung der schienengleichen Übersetzung der B.-Lokalbahn mit der Bundesstraße in der Nähe der Siedlung E. ein Zusammenstoß zwischen dem dem Kläger Jakob L. gehörigen Autobus und dem fahrplanmäßigen Zug Nr. 190. Bei diesem Unfall wurden mehrere Insassen des Autobus schwer verletzt, der Autobus und die Lokomotive der B. Lokalbahn beschädigt. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Jakob L., die W. Lokalbahnen A. G. (die erstbeklagte Partei), ihren Direktor Ing. Josef U. (die zweitbeklagte Partei) und den Lokomotivführer Stefan U. (die drittbeklagte Partei) zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihm den für die Wiederherstellung des Autobus aufgewendeten Betrag von 70.153 S samt 8% Zinsen ab 1. Jänner 1947 zu ersetzen und verlangt die Feststellung, daß die Beklagten schuldig seien, ihm darüber hinaus den Schaden zu ersetzen, welcher ihm durch den am 7. Oktober 1946 erfolgten Zusammenstoß erwachsen ist. Die Haftung der erstbeklagten Partei sei nach dem Sachschadenhaftpflichtgesetz gegeben. Die Zweit- und Drittbeklagten treffe an dem Unfall auch deshalb ein Verschulden, weil der unbeschrankte Bahnübergang durch Warnzeichen und Warnlichter nicht vorschriftsmäßig gesichert gewesen sei. Da die Sicherungseinrichtungen angeblich durch Kriegseinwirkung zerstört worden seien, sei der Zweitbeklagte als der verantwortliche Leiter der W. Lokalbahnen A. G. verpflichtet gewesen, für eine anderweitige Sicherung zu sorgen. Die Warnsignale des Zuges seien unzureichend, der Zug mangelhaft beleuchtet gewesen. Die Geschwindigkeit, mit der der Zug die Kreuzung übersetzt habe, sei entgegen den erlassenen Vorschriften zu groß gewesen. Die Bezahlung der Wiederherstellungsarbeiten an dem Autobus sei dem Kläger nur durch Aufnahme eines Bankkredites möglich gewesen, für den er 8% Zinsen zu zahlen gehabt habe. Die Notwendigkeit des Feststellungsbegehrens begrundet der Kläger damit, daß durch den Unfall mehrere Personen verletzt worden seien, die Ersatzansprüche gegen ihn geltend machen würden.
Die widerklagende Partei W. Lokalbahnen A. G. bestreitet ein Verschulden des Lokomotivführers, behauptet, alle erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen zu haben und erblickt das Verschulden des Kraftwagenlenkers darin, daß er mit zu großer Geschwindigkeit ohne Beachtung der Warnkreuze und der Pfeifsignale des Lokomotivführers sich dem Bahnübergang genähert habe. Sie begehrt von dem Kläger den Ersatz des durch die Beschädigung der Lokomotive entstandenen Schadens im Betrage von 8710.82 S.
Das Erstgericht verurteilte die W. Lokalbahnen A. G. und Stefan U., dem Kläger Jakob L. den Betrag von 12.748.42 S samt 8% Zinsen seit 1. Jänner 1947 zur ungeteilten Hand zu ersetzen, die widerbeklagte Partei Jakob L. jedoch zum Ersatz des Betrages von 6097.67 S an die widerklagende Partei W. Lokalbahnen A. G. Es stellte fest, daß die beklagte Partei W. Lokalbahnen A. G. und Stefan U. zur ungeteilten Hand schuldig seien, den dem Jakob L. aus dem Verkehrsunfall entstandenen Schaden zu 30% zu ersetzen. Das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Klagebegehren und das gegen die Erst- und den Drittbeklagten gerichtete Mehrbegehren sowie das Mehrbegehren der widerklagenden Partei wies das Erstgericht ab. Das Erstgericht nahm als erwiesen an, daß Ferdinand M., der Lenker des Kraftwagens, etwa um 19 Uhr von W. abgefahren sei, um eine größere Anzahl von Messebesuchern zurück nach B. zu bringen. Während der Fahrt habe ein kräftiger Westwind geweht und es habe stark geregnet. Vor dem Bahnübergang sei der Fahrer des Kraftwagens durch ein entgegenkommendes Fahrzeug geblendet worden. Diese Blendung sei aber 150 m vor der Unfallstelle beendet gewesen. Der Kraftwagenlenker habe sich der Kreuzung mit einer Stundengeschwindigkeit von ungefähr 30 km genähert, habe jedoch die beiden Lichter der in der Gegenrichtung kommenden Lokomotive erst kurz vor dem Zusammenstoß bemerkt und vorher keine Pfeifsignale wahrgenommen. Die Lokomotive sei mit zwei brennenden Scheinwerfern ausgestattet gewesen und habe sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 10 km genähert. Der Lokomotivführer habe wiederholt Warnpfiffe abgegeben. In der Fahrtrichtung des Omnibus seien vor dem Bahnübergang in einer Entfernung von 240 m und 120 m mehrere Warnzeichen angebracht gewesen. Diese Warnzeichen seien beschädigt gewesen und hätten den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht entsprochen. Bei aufgeblendeten Scheinwerfern hätten sie aber die Nähe der Bahnüberführung erkennen lassen. Dem Kraftwagenlenker sei bekanntgewesen, daß die Straße wiederholt durch die B. Lokalbahn übersetzt werde. Da Insassen des Autobus das entgegenkommende Licht der Lokomotive 150 m vor der Bahnübersetzung gesehen hätten, müsse es dem Kraftwagenlenker zum Verschulden gerechnet werden, daß er die Lichter der Lokomotive nicht früher bemerkt habe. Ebenso sei ihm das Überhören der Pfiffe der Lokomotive als Mangel der erforderlichen Aufmerksamkeit anzulasten. Wenn er diese wegen der Wetterverhältnisse nicht habe hören können, so hätte er seine Geschwindigkeit noch mehr herabsetzen oder das Fenster des Wagens weiter öffnen müssen. Schließlich sei ihm auch noch zum Verschulden anzulasten, daß er die - wenn auch mangelhaften - Warnkreuze nicht bemerkt habe. Das Verschulden des Lokomotivführers liege darin, daß er den in der Bahnstation G. erhaltenen Vorsichtsbefehl, die Kreuzung mit nicht mehr als 5 km/h zu überfahren, nicht befolgt und mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h die Kreuzung übersetzt habe. Hingegen treffe den Zweitbeklagten kein Verschulden. Die Lichtsignale an der Kreuzung seien durch Kriegseinwirkung ausgefallen und nicht zu beschaffen gewesen. Die Bahnverwaltung habe daher die Höchstgeschwindigkeit bei der Übersetzung der Kreuzung auf 5 km/h herabgesetzt. Diese Sicherheitsvorschriften seien von der Aufsichtsbehörde genehmigt worden. Die Aufstellung eines Postens bei der Übersetzung sei nicht erforderlich gewesen, da die von der Verwaltung der W. Lokalbahnen A. G. getroffenen Sicherheitsmaßnahmen hinreichend gewesen seien. Das Erstgericht nahm den Verschuldensanteil des Kraftwagenlenkers mit 70%, den des Lokomotivführers mit 30% an.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache. Nach § 1 der im Zeitpunkt des Unfalles geltenden Verordnung BGBl. Nr. 286/33 bestimme die Eisenbahnbehörde nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse, wie Eisenbahnübergänge im Einzelfalle zu sichern seien. In den von der Eisenbahnverwaltung bis zur Instandsetzung der Warnanlage getroffenen Dienstanweisungen, die von der Aufsichtsbehörde zur Kenntnis genommen worden seien, sei die ständige Aufstellung einer Aufsichtsperson nicht vorgesehen gewesen. Die Bahnverwaltung sei ihren Verpflichtungen durch zeitgerechten Erlaß der vorgesehenen Dienstanweisungen Nr. 111 a und 167 nachgekommen. Da die erstbeklagte Partei als Lokalbahn gelte und es sich nur um einen verkehrsreichen, nicht aber unübersichtlichen Übergang gehandelt habe, habe an der Unfallstelle eine Warnkreuzanlage genügt. Der Beschädigung der Warnkreuzanlage sei durch die Herabsetzung der Geschwindigkeit genügend Rechnung getragen worden. Der Kraftwagenlenker habe wegen Mangels der gehörigen Aufmerksamkeit die beschädigten Verkehrszeichen nicht wahrgenommen. Er hätte den herannahenden Zug an seinen Lichtern und Pfeifsignalen erkennen und der Eisenbahn das Vorfahrtsrecht einräumen müssen. Das Berufungsgericht erachtete den Zuspruch von 8% Zinsen von den dem Kläger zuerkannten Betrag für gerechtfertigt. Die beklagten Parteien hätten nicht bestritten, daß vom Kläger ein Bankkredit aufgenommen worden sei, sondern lediglich behauptet, daß die Aufnahme eines Bankkredites in der angegebenen Höhe nicht notwendig gewesen sei. Da der Kläger den für den Bankkredit aufgelaufenen Spesenbetrag an die Bank schuldig geworden sei, seien die erst- und drittbeklagte Partei verpflichtet, ihm diesen weiteren Schaden zu ersetzen. Die Verteilung des Verschuldens im Verhältnis 70 : 30 sei gerechtfertigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden und widerbeklagten Partei teilweise Folge, verurteilte die W. Lokalbahnen A. G. und Stefan U. zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 31.871.31 S s. A. an Jakob L. und Jakob L. zur Zahlung von 2177.70 S s. A. an die W. Lokalbahnen A. G. und stellte fest, daß die W. Lokalbahnen A. G. und Stefan U. zur ungeteilten Hand schuldig sind, Jakob L. den aus dem Verkehrsunfall vom 7. Oktober 1946 entstandenen Schaden zu 75% zu ersetzen und wies das weitere Klagebegehren bzw. Mehrbegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Verteilung des Schadens auf mehrere an1 Unfall Beteiligte wird durch § 17 Kraftfahrzeuggesetz geregelt. Absatz 2 dieser Gesetzesstelle regelt die Verteilung des Schadens zwischen Kraftfahrzeughalter und Eisenbahnunternehmer. Pflicht und Umfang des Ersatzes sollen von den Umständen, insbesondere von der überwiegenden Verursachung abhängen. Dies bedeutet, daß einmal die allgemeine Betriebsgefahr der verschiedenen beim Zusammenstoß beteiligten Fahrzeuge, sodann etwaige, die Betriebsgefahr erhöhende Umstände, insbesondere verschuldetes oder auch unverschuldetes, aber sachwidriges Verhalten der Betriebsunternehmer oder des Kraftfahrzeugführers bei der Verursachung des Unfalles und die ursächliche Bedeutung aller dieser Umstände für den Umfang des Schadens abzuwägen und danach die Quoten der Ausgleichung zu bestimmen sind (Müller, Straßenverkehrsrecht, 16. Aufl., S. 334 ff.). Vielfach - wenn auch nicht unbestritten - wurde auch das Verschulden als erhöhte Betriebsgefahr bezeichnet (Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht, 2. Aufl., S. 213).
Die Mängel an den Warnkreuzen bedingten an und für sich eine erhöhte Betriebsgefahr auf seiten der Bahn. Bei einem Zusammenstoß ist zu beachten, daß sich die Kraft eines bewegten Körpers aus Masse und Geschwindigkeit, und zwar Masse im einfachen Verhältnis, Geschwindigkeit im Quadrat, (m.v.[2])/2 ergibt.
Die Betriebsgefahr der Bahn ist wegen ihrer Masse und der Gebundenheit an den Schienenweg, die ein Ausweichen unmöglich macht, an und für sich eine höhere. Durch die Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit wurde aber die Betriebsgefahr außerordentlich erhöht. Dem Kläger ist darin zuzustimmen, daß in dem Überschreiten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit das weit größere Verschulden erblickt werden muß. Das Revisionsgericht ist an die Feststellung, daß die Warnkreuze erkennbar waren, gebunden. Da aber die Hör- und Sichtverhältnisse ungünstig waren, so bedeutet das Übersehen der beschädigten Warnkreuze und das Überhören der Pfeifsignale einen weit geringeren Mangel an Aufmerksamkeit als das Nichteinhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit. Wegen der mangelhaften Beschaffenheit der Warnkreuze war das Einhalten der vorgeschriebenen Geschwindigkeit unbedingt erforderlich, um Unfälle zu vermeiden. Das Revisionsgericht ist daher der Meinung, daß das Verschulden des Lokomotivführers weitaus schwerer wiegt als das Verschulden des Kraftwagenlenkers. Demgemäß erscheint sowohl von dem Standpunkt der Verursachung als auch dem des Verschuldens der Beteiligten eine Aufteilung im Verhältnis von 25% zu 75% zugunsten des Klägers berechtigt.
Die Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofes vor dem Jahre 1938 hat in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, daß die Bahnverwaltung unter Umständen verpflichtet sein könne, über die von der Aufsichtsbehörde getroffenen Vorkehrungen hinaus noch weitere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, die durch die Umstände geboten seien. Diese Auffassung stieß jedoch in der Rechtslehre auf Widerspruch (vgl. Pittner, Der unbeschränkte Wegübergang in den Verkehrsrechtlichen Abhandlungen und Entscheidungen 1940, S. 65). Der Gesetzgeber habe im § 1 Abs. 3 des Gesetzes BGBl. Nr. 236/1933 einzig und allein die Aufsichtsbehörde als berufen und berechtigt erklärt, nach Maßgabe der lediglich von ihr zu beurteilenden örtlichen Verhältnisse zu entscheiden, welche Sicherungen im Einzelfall angewendet werden müßten. Eine über die aufsichtsbehördliche Anordnung hinausgehende zusätzliche Sicherung könne von der Bahn gar nicht mehr verlangt werden. Es sei dem Ermessen des Richters nicht anheimgestellt, unter gewissen, der Beweiswürdigung unterworfenen Umständen staatliche Hoheitsakte, die die Aufsichtsbehörde mit ihrer Entscheidung gesetzt habe, mittelbar als rechtswidrig zu erklären. Eine Stellungnahme zu dieser bestrittenen Frage erübrigt sich aber, weil die von der Bahnverwaltung getroffenen Vorkehrungen eine hinlängliche Sicherung dargestellt haben. Die von der Bahnverwaltung vorgeschriebene Geschwindigkeit entspricht der eines Fußgängers und bot die Gewähr, daß die Lokomotive im Falle eines drohenden Zusammenstoßes noch rechtzeitig zum Stillstand gebracht werden konnte. Die Beschränkung der Geschwindigkeit mußte daher bei Berücksichtigung des Umstandes, daß der Eisenbahnübergang nicht unübersichtlich war, den Anforderungen der Verkehrssicherheit genügen. Der Umstand, daß der Verkehr auf das linke Geleise verlegt wurde, ist für den Unfall nicht von ursächlicher Bedeutung, da die Lokomotive auf eine größere Entfernung sichtbar war. Einer besonderen Überwachung der Einhaltung der Vorschriften über die Geschwindigkeit bedurfte es nicht, weil erwiesen ist, daß der Lokomotivführer in der Station G. den Vorsichtsbefehl erhielt, eine Geschwindigkeit von 5 km bei Überquerung des Bahnüberganges einzuhalten.
Anmerkung
Z25334Schlagworte
Autobus, Schadensteilung mit Eisenbahn, Eisenbahn Schadensteilung mit Autobus, Schadenersatz Zusammenstoß zwischen Autobus und Eisenbahn, Schadensverteilung, Zusammenstoß zwischen Eisenbahn und AutobusEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00616.52.1230.000Dokumentnummer
JJT_19521230_OGH0002_0020OB00616_5200000_000