Norm
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §889Kopf
SZ 26/18
Spruch
Beim Rückgriff eines nach § 1302 ABGB. solidarisch verurteilten Beschädigers gegen einen Mitverpflichteten kommt § 896 ABGB. zur Anwendung.
Entscheidung vom 21. Jänner 1953, 1 Ob 29/53.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Josefa D. wurde rechtskräftig verurteilt, an Franz L. den Betrag von S 7336.94 s. A. als Ersatz jenes Schadens zu leisten, den dieser durch Denunziation während des nationalsozialistischen Regimes erlitten hatte. Franz L. hatte nämlich eine defaitistische Äußerung gemacht und war deswegen vom Sondergericht zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt und von seiner Dienstbehörde als Oberpostschaffner aus dem Dienst entfernt worden. Laut den Feststellungen im Verfahren des Kreisgerichtes P. aus dem Jahre 1947 in der Streitsache des Franz L. gegen Josefa D. wegen Schadenersatzes war der Blockwart der NSDAP. Josef M., der die Anzeige gegen Franz L. erstattete, unmittelbar an der Denunziation beteiligt; Josefa D. aber hatte M. gedrängt, diese Anzeige zu erstatten.
Im gegenständlichen Verfahren will Josefa D., welche die Forderung des Franz L. berichtigt hat, Regreß gegenüber der Erbin des Josef M., der Beklagten Hermine M., nehmen. Sie hat vorgebracht, daß sich das Verhältnis des Verschuldens bei der Erstattung der Anzeige gegen Franz L. nicht bestimmen lasse, so daß die Haftung der Beklagten mit der Klägerin zumindest zu gleichen Teilen angenommen werden müsse. Sie hat demgemäß von der Beklagten den Ersatz der Hälfte jenes Betrages, zu dessen Zahlung an Franz L. sie verurteilt worden war und den sie auch bezahlt hatte, verlangt.
Das Erstgericht ist zum Ergebnis gekommen, daß die Klägerin einen namhaften Einfluß auf Josef M. ausgeübt habe und somit an dem dem Franz L. zugefügten Schaden auch mitschuldig geworden sei; Josef M. als Anzeiger des Franz L. sei ebenso schuldig an dessen Schaden wie die Klägerin als Anstifterin; nach der Sachlage müßten jedem der beiden die gesamten Schadensfolgen angelastet werden; ein gemeinsames vorsätzliches Verschulden liege vor und Solidarhaftung sei gegeben; der Beklagten als Rechtsnachfolgerin des Josef M. sei daher die Hälfte des Schadens aufzulasten und der Regreßanspruch der Klägerin in dieser Höhe als zu Recht bestehend anzusehen. Demgemäß hat das Erstgericht die Beklagte verurteilt, der Klägerin den Betrag von 3668.47 S samt 4% Zinsen ab 8. Mai 1952 zu bezahlen, das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 2837.37 S samt 4% Zinsen ab Klagstag abgewiesen und die Kosten gegeneinander aufgehoben.
Der Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben, dagegen der Berufung der Beklagten teilweise stattgegeben und die Beklagte bloß zur Zahlung des Betrages von 2445.65 S samt 4% Zinsen ab 8. Feber 1952 an die Klägerin verurteilt, das Mehrbegehren in Ansehung des Betrages von 4060.19 S samt 4% Zinsen seit 8. Feber 1952 aber abgewiesen. Zugleich ist die Klägerin schuldig erkannt worden, der Beklagten ein Viertel der Prozeßkosten erster Instanz sowie der Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen. Das Berufungsgericht hat die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen und unter Hinweis auf die Lehre Wolffs (in Klangs Kommentar, 2. Aufl.) ausgeführt, daß der Rückgriffsanspruch nach § 1302 ABGB. keineswegs immer auf einen Kopfteilgehe. Der Regreßanspruch könne vielmehr mit Rücksicht auf den verschiedenen Grad der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens im Verhalten der einzelnen Schadenersatzpflichtigen auch einen größeren oder geringeren Anteil an dem Schadenersatze zum Gegenstand haben. Es entspreche im vorliegenden Falle der Billigkeit, daß die Klägerin zwei Drittel des Schadens weiterhin selbst trage, während für das letzte Drittel die Beklagte als Erbin nach Josef M. aufkommen müsse.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes hat die Klägerin Revision erhoben und dieses Urteil insoweit angefochten, als das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes abgeändert hat, also in Ansehung des Betrages von 1222.82 S, nämlich 3668.47 S weniger 2445.65 S. Als Revisionsgrunde sind Aktenwidrigkeit (§ 503 Z. 3 ZPO.) sowie unrichtige rechtliche Beurteilung (§ 503 Z. 4 ZPO.) geltend gemacht worden.
Der Revision wurde nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Unter dem Revisionsgrunde nach § 503 Z. 3 ZPO. wird gerügt, daß das Berufungsgericht "behauptet" habe, daß die Klägerin der treibende Teil bei Erstattung der Anzeige gewesen sei und daß M. (in der Revision heißt es dafür offensichtlich irrtümlich L.) durch die besondere Aktivität der Klägerin dazu gedrängt worden sei. Unter Anführung einer Reihe von Umständen, deren Vorbringen zum größten Teil gegen das im Rechtsmittelverfahren bestehende Neuerungsverbot verstößt, worauf die Revisionsgegnerin zutreffend hinweist, macht die Revisionswerberin demgegenüber geltend, daß der wirkliche Grund für M., die Anzeige gegen L. zu erstatten, die Hoffnung gewesen sei, trotz seines wehrpflichtigen Alters und seiner Tauglichkeit zum Wehrdienst u.k.-gestellt zu bleiben, wenn er sich bei der Kreisleitung der NSDAP. beliebt mache. Die gerügte Aktenwidrigkeit ist aber nicht gegeben. Denn beide Vorinstanzen haben festgestellt, daß die Klägerin dem M. zwar nicht damit gedroht habe, ihn selbst anzuzeigen, wenn er (M.) den L. nicht denunziere, daß aber die Klägerin auf M. einen namhaften Einfluß in der Richtung ausgeübt habe, daß er L. anzeigen solle, und daß sich M. als Anzeiger selbst nicht wohl gefühlt und für den Fall der Unterlassung der Anzeige Unannehmlichkeiten befürchtet habe. Darauf muß bei der Beurteilung des Vorbringens in der Revision hinsichtlich der behaupteten Aktenwidrigkeit Bedacht genommen werden. Die Revisionswerberin läßt in ihrem Vorbringen aber auch das Ergebnis des Vorprozesses des Kreisgerichtes P., dessen Akten Gegenstand der Beweisaufnahme im vorliegenden Rechtsstreite gewesen sind, durchaus unberücksichtigt. In diesem Vorprozeß haben alle Instanzen darauf hingewiesen, daß es Josefa D. gewesen sei, die M. gedrängt habe, die Anzeige zu erstatten; der Umstand, daß sie ihm gedroht habe, sie werde, wenn er die Anzeige nicht erstatte, dies selbst tun, könne keinesfalls als eine nicht ernst zu nehmende Unmutsäußerung aufgefaßt werden; M. als Parteifunktionär habe schwere Unannehmlichkeiten für sich besorgen müssen, wenn ihm Josefa D. mit der Anzeige zuvorkäme; gerade als Parteifunktionär habe er die Pflicht zur Anzeige gehabt. Wenn also das Berufungsgericht ausgeführt hat, daß zwar M. die Anzeige gegen L. erstattet habe, jedoch durch die besondere Aktivität der Klägerin dazu gedrängt worden sei und daß der treibende Teil bei der Erstattung der Anzeige nicht M., sondern die Klägerin gewesen sei, deren Verhalten viel verwerflicher gewesen sei als das seine, weil sie mangels einer Stellung als Hoheitsträgerin der NSDAP. sowie auch als Frau noch viel weniger als M. Anlaß dazu gehabt hätte, sich an politischen Gehässigkeiten zu beteiligen, dann stehen diese Ausführungen des Berufungsgerichtes mit der Aktenlage durchaus in Übereinstimmung. Im übrigen ist zu bemerken, daß es sich dabei im wesentlichen um Schlußfolgerungen des Berufungsgerichtes gehandelt hat, die der Anfechtung aus dem Revisionsgrunde des § 503 Z. 3 ZPO. überhauptnicht unterliegen.
Es kommt aber auch der Rechtsrüge der Revision (§ 503 Z. 4 ZPO.) keine Berechtigung zu. Die Revisionswerberin führt dazu aus, daß die schädigende Tat einzig und allein in der Anzeige liege, die von allen zu verantworten sei, die daran mitgewirkt hätten, oder durch Anstiftung, Bestärkung in der Absicht, anzuzeigen, oder dergleichen schuldig geworden seien; in diesem Falle sei der Regreß nach Anteilen zu nehmen, die nach Köpfen zu bemessen seien; nur dann, wenn ein Mitschuldiger wegen Zahlungsunfähigkeit oder aus anderen Gründen ausfalle, könne sich der Kopfanteil der übrigen erhöhen; die vom Berufungsgerichte vorgenommene Aufteilung, wonach die Klägerin zwei Drittel des Schadens treffen, die Beklagte aber nur ein Drittel, sei rechtlich verfehlt.
Dieser Ansicht kann nicht beigepflichtet werden. Maßgeblich ist die Bestimmung des § 1302 ABGB. nach welcher unter den einem Dritten aus einer Schadenszufügung solidarisch haftenden Teilnehmern demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat der Rückersatz gegen die übrigen vorbehalten bleibt. Wo Gesamthaftung vorliegt, steht der Rückgriffsanspruch zu; das gesetzlich begrundete Ausgleichungsverhältnis beruht auf der gemeinsamen Schadenersatzpflicht gegenüber dem Verletzten und hat das Bestehen dieser Pflicht zur unerläßlichen Voraussetzung (vgl. Egon Weiß, Der Rückgriff im Schadenersatzrecht, JBl. 1947, S. 529 ff.). Bezüglich der Höhe des Regreßanspruches in diesem Falle enthält § 1302 ABGB. keine Bestimmung. Es kommt daher die Vorschrift des § 896 ABGB. zur Anwendung, worin der Regreß sowohl im Falle der vertragsmäßigen wie auch in jenem der gesetzlichen Korrealität geregelt ist (Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, S. 104, sowie GlUNF. 1910). Gemäß § 896 ABGB. ist ein Mitschuldner zur ungeteilten Hand, welcher die ganze Schuld aus dem Seinigen abgetragen hat, berechtigt, auch ohne geschehene Rechtsabtretung von den übrigen der Ersatz, u. zw., wenn kein anderes besonderes Verhältnis unter ihnen besteht, zu gleichen Teilen zu fordern. Die Entscheidung hängt also von der Beantwortung der Frage ab, ob nach den Feststellungen der Untergerichte ein besonderes Verhältnis unter den Parteien im Sinne dieser Gesetzesbestimmung anzunehmen ist oder nicht. Das Berufungsgericht hat dies bejaht, das Erstgericht - allerdings nicht ausdrücklich - verneint. Der Ansicht des Berufungsgerichtes ist beizupflichten, weil sie der Besonderheit dieses Falles eher gerecht wird als die vom Erstgerichte gefällte Entscheidung. Alle Erwägungen, welche das Berufungsgericht bei Abwägung des Grades des Verschuldens der beiden Teilnehmer an der Franz L. schädigenden Handlung angestellt hat, sind zutreffend. Der höhere Grad des Verschuldens der Klägerin gegenüber der Schuld des Josef M. begrundet das in § 896 ABGB. vorgesehene besondere Verhältnis unter den dem L. verpflichteten Mitschuldnern zur ungeteilten Hand. Die gegenüber M. überwiegend schuldige Klägerin trifft im Innenverhältnis, das im vorliegenden Rechtsstreite zur Erörterung steht, die größere Ersatzpflicht als M. bzw. dessen Erbin, die Beklagte, so daß der Entscheidung des Strafgerichtes, womit die Ausgleichung im Verhältnis 2 : 1 vorgenommen wurde, beizupflichten ist (vgl. die damit übereinstimmenden Ausführungen von Egon Weiß, a. a. O., S. 532, sowie die bereits vom Berufungsgerichte bezogenen Darlegungen Wolffs in Klangs Kommentar, 2. Aufl., zu § 1303, S. 57).
Aus diesen Erwägungen war der Revision der Erfolg zu versagen.
Anmerkung
Z26018Schlagworte
Solidarhaftung, Solidarhaftung, RegreßEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00029.53.0121.000Dokumentnummer
JJT_19530121_OGH0002_0010OB00029_5300000_000