Norm
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1295Kopf
SZ 26/74
Spruch
Die Unterlassung ordentlicher Rechtsmittel gegen das ungerechtfertigte Urteil schließt weder den Entschädigungsanspruch wegen ungerechtfertigter Verurteilung aus, noch berührt dies dessen Höhe.
Entscheidung vom 18. März 1953, 1 Ob 243/53.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom13. Dezember 1948 wegen Mordes zu fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt. Er ließ dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen. Ein am 13. November 1949 von ihm eingebrachtes Gnadengesuch wurde zurückgewiesen. Am 12. Dezember 1949 überreichte er einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, den er am 30. Jänner 1950 ergänzte. Am 14. Feber 1950 hat der Oberste Gerichtshof über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erkannt, daß das oben bezeichnete Urteil das Gesetz in der Bestimmung des § 1 des Gesetzes vom 31. Dezember 1945, BGBl. Nr. 14/1946, verletze, hat das Urteil aufgehoben und den Kläger gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Mit Beschluß vom gleichen Tage hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß dem Kläger für die durch die Untersuchungshaft allenfalls erlittenenvermögensrechtlichen Nachteile ein Anspruch auf eine Entschädigung nicht zustehe, hingegen sein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für die durch die ungerechtfertigte Verurteilung allenfalls erlittenen vermögensrechtlichen Nachteile zu Recht bestehe. Infolge der am 3. Mai 1950 vom Kläger ergangenen Aufforderung zur Anerkennung eines Entschädigungsbetrages von 14.000 S für Verdienstentgang und von 30.000 S für Anwaltskosten hat das Bundesministerium für Justiz mit der dem Kläger am 11. August 1950 zugekommenen Erklärung die Verpflichtung zum Ersatze der Anwaltskosten für das Aktenstudium, für das Gnadengesuch, für den Wiederaufnahmsantrag und seine Ergänzung, für den Antrag an die Generalprokuratur auf Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (bzw. auf Wiederaufnahme gemäß § 362 StPO.) vom 2. Dezember 1949, für persönliche Besprechungen mit dem Generalprokurator und für Intervention beim Bundesminister für Justiz im Pauschalbetrag von 2000 S, außerdem die Verpflichtung zum Ersatz des Verdienstentganges im Betrage von 7690.10 S anerkannt.
Mit vorstehender Klage wird der verweigerte Entschädigungsmehrbetrag von34.309.90 S (6309.90 S Verdienstentgang und 28.000 S Anwaltskosten) geltend gemacht. Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat in Ansehung des begehrten Anwaltskostenersatzes von 28.000 S das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und die Sache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht stimmt mit dem Erstgerichte darin überein, daß eine Kostenersatzpflicht nur hinsichtlich jener Leistungen besteht, hinsichtlich deren vom Bundesminister für Justiz die Ersatzpflicht anerkannt worden ist, hält hingegen die Frage der Angemessenheit des Kostenbetrages für diese Leistungen noch nicht für ausreichend geklärt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zu dem Rekursantrag ist vorweg zu bemerken, daß im Rekurse gegen einen berufungsgerichtlichen Beschluß, der das erstrichterliche Urteil aufhebt, nicht Entscheidung in der Hauptsache begehrt werden kann.
Da das Berufungsgericht unangefochten und mit Recht die Pflicht zum Ersatze der Anwaltskosten auf jene bestimmten Leistungen beschränkt hat, hinsichtlich deren die Ersatzpflicht vom Bundesminister für Justiz anerkannt worden ist, kann keine Rede davon sein, daß mangels hinreichender Bestimmtheit der im Aufforderungsverfahren nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 2. August 1932, BGBl. Nr. 242, erhobenen Entschädigungsansprüche gemäß § 4 Abs. 2 l. c. der Rechtsweg unzulässig sei.
In Ansehung der Anerkennung der Pflicht zum Ersatz der Anwaltskosten für diese bestimmten Leistungen im Erlaß des Bundesministeriums für Justiz ("Im einzelnen werden daher die Kosten für ... zu ersetzen sein.") kann von der beklagten Partei die Ersatzpflicht dem Gründe nach auch nicht mehr bestritten werden. Abgesehen davon, ist dem Berufungsgerichte darin beizupflichten, daß die Unterlassung ordentlicher Rechtsmittel gegen das ungerechtfertigte Urteil den Entschädigungsanspruch nach dem Gesetze BGBl. Nr. 242/32 nicht unstatthaft macht. Das erwähnte Gesetz unterscheidet nicht, ob das ungerechtfertigte Urteil durch Unterlassung oder Verwerfung der ordentlichen Rechtsmittel rechtskräftig geworden ist, und es besteht bei dem besonderen öffentlichen Interesse an der Vermeidung und Behebung ungerechtfertigter Strafurteile (das u. a. aus der Berechtigung der Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten des Angeklagten, aus der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und aus der Zulässigkeit der a. o. Wiederaufnahme nach § 362 ABGB. hervorgeht) zu einer solchen Unterscheidung auch kein Grund. Die abweichende Regelung des Amtshaftungsgesetzes (§ 2 Abs. 2) ist aus dem Fehlen dieses besonderen öffentlichen Interesses zu erklären. Da die Kausalitätskette zwischen der die Haftung begrundenden ungerechtfertigten Verurteilung und dem geltend gemachten Schaden erst mit der Rechtskraft des ungerechtfertigten Urteiles zu laufen beginnt, kann von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch Unterlassung der ordentlichen Rechtsmittel keine Rede sein. Die Rekurswerberin macht mit ihren Ausführungen in Wahrheit Mitverschulden des Klägers an seiner rechtskräftigen ungerechtfertigten Verurteilung geltend, übersieht aber dabei, daß die Frage, wann ein solches Mitverschulden den Entschädigungsanspruch ausschließt, in § 1 Abs. 2 des Gesetzes BGBl. Nr. 242/32 erschöpfend geregelt ist und die beklagte Partei das Vorliegen eines den Entschädigungsanspruch ausschließenden Sachverhaltes im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht behaupten kann. Aus dieser Gesetzesstelle folgt arg. a contr. (wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat), daß das Unterlassen ordentlicher Rechtsmittel gegen das ungerechtfertige Urteil den Entschädigungsanspruch nicht ausschließt, aber auch nicht der Höhe nach berührt. Die begehrten Anwaltskosten für die Leistungen, hinsichtlich deren vom Bundesminister für Justiz die Ersatzpflicht anerkannt wurde, sind demnach als zweckmäßiger Rettungsaufwand zu ersetzen.
Dem Rekurs kann aber auch darin nicht beigepflichtet werden, daß das Berufungsgericht über den Betrag der zu ersetzenden Anwaltskosten auf Grund eigener Sachkenntnis hätte erkennen müssen. Darin, daß sich das Gericht nicht genügend Sachkenntnis zutraut, ohne Zuhilfenahme von Sachverständigen gewisse Tatsachen (oder Tatsachenzusammenhänge), wie im gegenständlichen Fall die Angemessenheit des Anwaltshonorars (§§ 1004, 1152 ABGB.), zu erkennen (zu erschließen), kann eine unrichtige rechtliche Beurteilung nicht gelegen sein. Die Angemessenheit des Entgeltes ist insofern eine Tatfrage, als sie sich nach dem für solche Leistungen redlicher- und üblicherweise berechneten Honorar richtet.
Anmerkung
Z26074Schlagworte
Entschädigung für ungerechtfertigte Verurteilung, Haftentschädigung, ungerechtfertigte Verurteilung, Rechtsmittel gegen ungerechtfertigte Verurteilung, Schadenersatz, wegen ungerechtfertigter Verurteilung, Unterlassung von Rechtsmitteln gegen ungerechtfertigtes Urteil, Urteil, ungerechtfertigtes -, Schadenersatz, Verurteilung, ungerechtfertigteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00243.53.0318.000Dokumentnummer
JJT_19530318_OGH0002_0010OB00243_5300000_000