TE OGH 1953/4/29 1Ob315/53

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Veröffentlicht am 29.04.1953
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Norm

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §163
Deutsches Bürgerliches Gesetzbuch §1717
Vierte Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §12
Jurisdiktionsnorm §1
Jurisdiktionsnorm §29
Jurisdiktionsnorm §104

Kopf

SZ 26/112

Spruch

Wenn ein österreichischer Gerichtsstand zu einer Zeit vereinbart wurde, als Österreich ein Teil des Deutschen Reiches war, behält diese Vereinbarung auch dann ihre Gültigkeit, wenn die Klage erst nach Auflösung des einheitlichen Staatsverbandes zugestellt wurde (Vaterschaftsklage eines österreichischen Kindes gegen einen deutschen Staatsangehörigen).

Entscheidung vom 29. April 1953, 1 Ob 315/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht gab der vom Beklagten erhobenen Einrede der Unzuständigkeit (richtig des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit) nicht Folge und erkannte, daß der Beklagte als Vater des von Blanka G. am 22. Juni 1944 außer der Ehe geborenen Klägers anzusehen sei und diesem einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 40 S ab 1. Juli 1947 zu bezahlen habe. Es liege eine Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien vom 19. Juli 1944 vor, mit der sich der Beklagte, der in der deutschen Bundesrepublik wohne, dem damaligen Amtsgericht Wien und nunmehrigen Bezirksgericht Innere Stadt-Wien für den vorliegenden Vaterschaftsprozeß unterworfen habe. Diese Vereinbarung sei auch nach der Wiedererrichtung der Republik Österreich aufrecht geblieben. Da die Mutter des Klägers österreichische Staatsbürgerin sei, müsse nach § 12 der Vierten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz vom 25. Oktober 1941, DRGBl. I, S. 654, inländisches materielles Recht angewendet werden. Es sei als erwiesen anzunehmen, daß der Beklagte mit der Mutter des Kindes am 25. und 26. September 1943, also innerhalb der Empfängniszeit, geschlechtlich verkehrt habe. Wenngleich diese zur selben Zeit auch mit einem anderen Mann geschlechtliche Beziehungen gehabt habe, könne mit Rücksicht auf die gesetzliche Vaterschaftsvermutung des § 163 ABGB. auf den erwiesenen Mehrverkehr nicht Bedacht genommen werden. Der Gegenbeweis gegen die Zeugung des Klägers sei dem Beklagten weder auf Grund der Blutgruppenuntersuchung noch des erbbiologisch-anthropologischen Gutachtens gelungen. Was den gefordertenUnterhaltsbetrag von 40 S monatlich betreffe, sei dieser minimal und dem festgestellten Einkommen des Beklagten angemessen.

Infolge Berufung des Angeklagten änderte des Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil nur insofern ab, als der Unterhaltsbetrag nicht ab 1. Juli 1947, sondern erst ab 1. September 1947, dem Zeitpunkt der Erlangung eines Einkommens des Beklagten, zuerkannt wurde. Im übrigen bestätigte das Berufungsgericht das Urteil. Die Gerichtsbestandsvereinbarung der Streitteile sei nicht privatrechtlicher Natur und deshalb könne ihre Wirksamkeit nachträglich nicht angefochten werden. Auch die clausula rebus sic stantibus sei auf Gerichtsstandsvereinbarungen nicht anwendbar. Die staatsrechtlichen Änderungen des Jahre 1945 hätten die Vereinbarung nicht aufgehoben. Es sei für die Beurteilung der inländischen Gerichtsbarkeit auch belanglos, ob das Urteil in dieser Sache in Deutschland anerkannt werde. In der Sache selbst billigte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstrichters.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was die Zulässigkeit der inländischen Gerichtsbarkeit betrifft, liegen übereinstimmende Entscheidungen der Untergerichte über diese prozeßhindernde Einrede vor. Mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 528 Abs. 1 ZPO. müßte die Meinung vertreten werden, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht mehr angefochten werden kann. Aber auch wenn angenommen wird, daß die Entscheidung des Berufungsgerichtes, das der Vorschrift des § 261 Abs. 3 ZPO. folgend über die Einrede nicht mit Beschluß entschieden hat, als einheitliches Urteil anzusehen sei, das nach Maßgabe des § 502 ZPO. mit Revision angefochten werden kann, könnte der Revision in dieser Richtung kein Erfolg zuteil werden.

Die Jurisdiktionsnorm enthält zwar keinen besonderen Gerichtsstand für die örtliche Zuständigkeit zur Entscheidung über Vaterschaftsklagen nach § 163 ABGB. Wenn der allein anwendbare allgemeine Gerichtsstand des Beklagten nicht im Inland liegt, fehlt es daher an einer inländischen Zuständigkeit und damit auch an der inländischen Gerichtsbarkeit in einer solchen Sache. Im vorliegenden Fall wohnt der Beklagte in Deutschland. Sein dortiger Wohnsitz könnte die Zuständigkeit eines deutschen Gerichtes (§ 12 DZPO.), nicht aber die inländische Gerichtsbarkeit begrunden.

Die Parteien haben indessen zu einer Zeit, als Österreich ein Teil des Deutschen Reiches war, eine nach § 104 ZPO. zu beurteilende Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen. Es handelt sich entgegen der Meinung des Revisionsbewerbers nicht nur um eine von ihm abgegebene einseitige Erklärung. Denn wenn die vom Kläger mit der Klage vorgelegte schriftliche Urkunde vom Bezirksjugendamt auch nicht unterfertigt wurde, ist sie doch mit "Vereinbarung" überschrieben, durch Ausfüllung eines vom Bezirksjugendamt aufgelegten und mit dessen Stempel versehenen Formulars errichtet worden und auch inhaltlich als Vereinbarung gefaßt. Die Untergerichte haben darum mit Recht angenommen, daß die Vereinbarung zustande gekommen ist. Daß die Urkunde selbst die Unterschrift des Bezirksjugendamtes nicht trägt, ist demgegenüber nicht von Belang. Sie weist trotzdem die Gerichtsstandsvereinbarung nach.

Durch diese Vereinbarung ist das an sich nicht zuständige Erstgericht zur Entscheidung über die am 28. Oktober 1944 anhängig gewordene Vaterschaftsklage zuständig gemacht worden. Die Abmachung selbst kann nicht als privatrechtlicher Vertrag aufgefaßt werden, auf den Anfechtungsgrunde des materiellen Rechts anwendbar wären. Sie ist vielmehr als eine wirksam gewordene Prozeßhandlung der Parteien im weiteren Sinne (Sperl, Vereinbarung der Zuständigkeit, S. 115) anzusehen, die nicht mehr widerrufen werden kann, sobald sie ihre auf das Prozeßverfahren berechnete Wirkung ausgeübt hat. Dies war in der vorliegenden Sache der Fall, als die Vereinbarung zur Begründung der Zuständigkeit des Erstgerichtes geführt hatte. Prozeßhandlungen vertragen grundsätzlich auch weder Bedingung noch Befristung. Der Beklagte behauptet, er habe die Vereinbarung im Jahre 1944 unter der selbstverständlichen Voraussetzung geschlossen, daß das Erstgericht ein Gericht des Deutschen Reiches bleibe, daß also keine staatsrechtliche Änderung eintrete. Abgesehen davon, daß in der Urkunde ein solcher Vorbehalt nicht enthalten ist, könnte er die Abmachung nicht außer Kraft setzen. Denn es würde sich um eine auflösende Bedingung oder eine Befristung der Vereinbarungswirkungen handeln, die abzulehnen und als nicht beigesetzt anzusehen wäre.

Die Gerichtsstandsvereinbarung vom 19. Juli 1944 blieb auch nach der staatsrechtlichen Veränderung des Jahres 1945 aufrecht, (so auch schon für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg die Entsch. des OHG. v. 14. Jänner 1919, JBl. 1919, S. 77). Die Geschäfte des früheren Amtsgerichtes Wien gingen nach §§ 1, 72 Behördenüberleitungsgesetz

v. 20. Juli 1945, StGBl. Nr. 94, auf das Bezirksgericht Innere Stadt-Wien über, das zur Fortsetzung der bereits anhängigen Prozesse befugt war, ohne daß die Voraussetzungen der Zuständigkeit neu zu prüfen gewesen wären (§ 29 erster Satz JN.). Es bestanden zu dieser Zeit auch keine gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Rechts oder völkerrechtliche Vorschriften, die die inländische Gerichtsbarkeit zur Entscheidung der vorliegenden Vaterschaftssache ausgeschlossen hätten (§ 29 zweiter Satz JN.). Die früher geschlossene und aufrecht gebliebeneGerichtsstandsvereinbarung bewirkte vielmehr über die bloße örtliche Zuständigkeit hinaus auch die inländische Gerichtsbarkeit des österreichischen Gerichtes. An diesen Überlegungen ändert sich auch nichts aus der Erwägung heraus, daß die Klage dem Beklagten erst nach der staatsrechtlichen Veränderung, nämlich am 13. April 1949, zugestellt worden ist. Denn für die Fragen der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Anbringung der Klage (Anhängigkeit) und nicht der der Klagsbehändigung (Streitanhängigkeit) maßgebend.

Es kann auch nicht eingewendet werden, daß die deutsche Bundesrepublik die in dieser Sache ergehenden Urteile nicht anerkennen könnte. Denn eine solche Anerkennung ist, wenn sie nicht ausdrücklich als Voraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit normiert ist (z. B. § 76 Abs. 3 Z. 1 JN für Ehesachen), keine Bedingung für die Entscheidung des inländischen Gerichtes (Sperl, a. a. O., S. 109, Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, 1949, S. 310).

Die Untergerichte sind mit Recht zur Überzeugung gekommen, daß die inländische Gerichtsbarkeit zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites nicht fehlt.

In der Sache selbst war - wie die Untergerichte zutreffend angenommen haben - österreichisches Recht anzuwenden. Der Beklagte konnte sich gegen die gesetzliche Vaterschaftsvermutung des § 163 ABGB. nicht mit der dem österreichischen Recht unbekannten Einrede des Mehrverkehrs der Kindesmutter, sondern nur durch den von ihm zu erbringenden Gegenbeweis gegen die Zeugung des Klägers zur Wehr setzen. In dieser Richtung vermochte weder die Untersuchung der Blutgruppen, noch das erbbiologisch-anthropologische Gutachten einen solchen Beweis herzustellen.

Was das Unterhaltsbegehren betrifft, war nach § 12 der Vierten Durchführungsverordnung zum Ehegesetz dafür so wie für die Feststellung der Vaterschaft selbst österreichisches und nicht deutsches Recht anzuwenden. Denn es handelt sich beim gesetzlichen Unterhalt um eine "dem Vater dem Kind ... gegenüber obliegende gesetzliche Verpflichtung". Die Kindesmutter war zur Zeit der Geburt des Klägers zwar deutsche Staatsbürgerin, sie gehörte aber nach ihrem Wohnsitz dem österreichischen Rechtskreis an, sodaß schon zur Zeit der Einbringung der Klage nicht deutsches, sondern österreichisches Recht anzuwenden war. Im übrigen kommt es auf den zur Zeit der Urteilsfällung geltenden Rechtszustand an (SZ. XXI/77). Der Beklagte kann sich deshalb auf die Bestimmung des § 1717 DBGB. nicht mit Erfolg berufen.

Anmerkung

Z26112

Schlagworte

Gerichtsbarkeit, Prorogation, Gerichtsstand, Prorogation, Inländische Gerichtsbarkeit, Prorogation, Prorogation, Änderung des Staatsgebietes, Vaterschaftsklage, deutscher Beklagter, Zuständigkeitsvereinbarung, Zuständigkeitsvereinbarung, Änderung des Staatsgebietes

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00315.53.0429.000

Dokumentnummer

JJT_19530429_OGH0002_0010OB00315_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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