Norm
Zivilprozeßordnung §393Kopf
SZ 26/212
Spruch
Abgrenzung zwischen Grund und Höhe des Anspruches.
Entscheidung vom 2. September 1953, 1 Ob 411/53.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Nach den Feststellungen der Untergerichte ließ die Klägerin im Jahre 1949 eine von ihr im Rahmen des Marshall-Plans in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gekaufte Spezialkopierdrehbank durch die Beklagte von New York über Triest nach K. spedieren. Auf der Fahrt nach Triest erlitt der Dampfer, auf dem die Drehbank verladen worden war, einen Maschinenschaden, der ihn manövrierunfähig machte, so daß er in den Hafen von Oran eingeschleppt werden mußte. Der Kapitän meldete "Havarie grosse" an und ließ sich vom Gericht zum Verkauf eines Teiles der Ladung ermächtigen. Der Verkauf konnte zwar abgewendet werden, doch mußte die Klägerin "Havarie grosse"- Einschüsse leisten. Die Beklagte hatte den Havarieschaden versicherungsmäßig nur in Schillingen gedeckt. Da aber der Schaden in USA-Dollar zu zahlen war, blieb ein Teil ungedeckt, denn die Schillingversicherung reichte zur Deckung des in Dollar berechneten vollen Schadens nicht aus. Die Klägerin verlangt Schadenersatz in der eingeschränkten Höhe von 153.403.63 S, weil die Beklagte die Maschine nicht mit einem outsider-Schiff hätte befördern dürfen und verpflichtet gewesen wäre, den Havarieschaden in Dollar zu versichern.
Das Erstgericht schränkte am 24. November 1950 die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und erkannte, daß die Klagsforderung dem Gründe nach nicht zu Recht bestehe (Zwischenurteil vom 30. November 1951). Infolge Berufung der Klägerin änderte das Berufungsgericht mit Urteil vom 19. März 1952 das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß der Klagsanspruch als zu Recht bestehend erkannt wurde. Diese Entscheidung wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1952 bestätigt.
Das Erstgericht setzte hierauf das Verfahren über die Höhe des Anspruchs fort. Im Schriftsatz ONr. 61 und bei der Streitverhandlung vom 12. Dezember 1952 machte die Beklagte nunmehr geltend, daß sie gemäß § 41 lit. a der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen vom 30. Juli 1947 von jeder Haftung für den von der Klägerin geltend gemachten Schaden frei sei, denn sie habe die in der angeführten Bestimmung vorgesehene Speditionsversicherung gedeckt. Außerdem sei die Haftung des Spediteurs, soweit eine solche hier überhaupt angenommen werden könne, nach § 54 lit. a Z. 2 AÖSp. auf den Betrag von 2500 S beschränkt. Die Höhe des Klagsanspruchs blieb ziffernmäßig unbestritten.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Bezahlung des Klagsbetrages von 153.403.63 S. Die Beklagte sei von ihrer Haftung nicht befreit. Es handle sich nicht um ein gewöhnliches Speditionsgeschäft, sondern um eines, das aus dem Rahmen der am Wiener Platz üblichen Geschäfte falle. Es könnten daher ebensowenig wie § 35 lit. a die §§ 39 ff. AÖSp. angewendet werden. Aber auch wenn die Spediteurbedingungen und die Speditionsversicherung als wirksam angesehen würden, müsse auf § 39 lit. c AÖSp. und § 5 Z. 1 SVS. hingewiesen werden. Nach diesen Bestimmungen sei eine Versicherung ausgeschlossen für Gefahren die durch Transportversicherung gedeckt würden, ausgenommen, daß eine ordnungsgemäße Versicherung durch fehlerhafte Maßnahmen des Spediteurs unwirksam würde. Im vorliegenden Fall sei aber die Versicherung für "Havarie grosse" nicht durch eine fehlerhafte Maßnahme des Spediteurs, sondern dadurch unwirksam geworden, daß eine Versicherung auf Dollar überhaupt nicht geschlossen worden sei. Dazu komme, daß sowohl der Haftungsausschluß nach § 41 lit. a als auch die Haftungsbeschränkung des § 54 lit. a AÖSp. den guten Sitten widerstreite. Denn sowohl die Haftungshöchstgrenze des § 54 lit. a als auch die des § 9 Z. 2 SVS. seien so niedrig, daß sie den derzeitigen Verhältnissen nicht mehr entsprächen. Im übrigen könne nach der Rechtskraft des zum Grund des Anspruchs ergangenen Urteils über den Bestand der Klagsforderung nicht mehr verhandelt und entschieden werden.
Infolge Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Endurteil. Da die Spediteurbedingungen beim vorliegenden Speditionsgeschäft nicht ausdrücklich vereinbart worden seien, müßten sie enge ausgelegt werden, soweit es sich um Haftungsbeschränkungen des Spediteurs handle. Nach § 41 lit. a AÖSp. sei der Spediteur von der Haftung für jeden durch eine von ihm abgeschlossene Speditionsversicherung gedeckten Schaden frei. Aus dem Ausdruck "Schaden", nicht "Schadensfall", sei zu schließen, daß der Spediteur trotzdem für jenen Schadensbetrag hafte, der durch die Speditionsversicherung (§ 9 Z. 2 SVS.) nicht gedeckt sei, im vorliegenden Fall für den Schaden, der die von der Versicherung bereits geleistete Summe von 25.000 S übersteige. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes gehe das schuldhafte Verhalten der Beklagten über eine "fehlerhafte Vermittlung" der Versicherung hinaus und sei daher überhaupt nicht nach den Bestimmungen der §§ 39 AÖSp. und 2 und 9 SVS. zu beurteilen. Vielmehr hafte die Beklagte unbeschränkt für den Schaden, den sie der Klägerin schuldhaft zugefügt habe. Im übrigen könne die Beklagte in diesem Verfahren nicht mehr einwenden, daß sie überhaupt nicht schadenersatzpflichtig sei. Dies ergebe sich aus der Natur des Zwischenurteils. Was die Haftungsbeschränkung des § 54 AÖSp. betreffe, habe sie die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revisionswerberin vertritt die Meinung, daß dem auf den Grund des Anspruchs eingeschränkten früheren Verfahren nur die Verschuldens-, nicht aber die Haftungsfrage untersucht worden sei. Es sei daher ohneweiters zulässig, auch nach der Rechtskraft des Zwischenurteils einzuwenden, daß das schuldhafte Verhalten der Beklagten zu keiner Haftung führe, weil die Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen eine solche ausschlössen. Diese Meinung ist abzulehnen. Wenn das Verfahren auf den Grund des Anspruchs eingeschränktwird, bedeutet dies nicht, daß nur über einzelne Voraussetzungen des Klagsanspruchs - etwa über das behauptete Verschulden - zu erkennen wäre und daß weitere Voraussetzungen grundsätzlicher Art noch im Verfahren, das über die Höhe des Anspruchs abzuführen ist, zu behandeln wären. In das Verfahren über den Grund des Anspruchs sind vielmehr sämtliche das Bestehen des Anspruches betreffenden Behauptungen der Parteien verwiesen (OHG.-E. vom 10. Dezember 1937, SZ. XIX/331, vom 23. Oktober 1934, SZ. XVI/176). Dies bezieht sich nicht nur auf das Klagsvorbringen, sondern auch auf die Einwendungen der beklagten Partei. Um den Eintritt der rechtskräftigen Feststellung des aufrechten Bestandes der Schadenersatzforderung zu verhindern, mußte die Beklagte noch vor dem Schluß der Verhandlung erster Instanz, die den Grund des Anspruchs betraf, alle ihr möglichen Einreden dazu erheben. Unselbständige, d. h. zum Klagsanspruch gehörige Einrederechte, die nicht vorgebracht wurden, werden durch das Zwischenurteil präkludiert. Da sich der Umfang der Rechtskraft eines Urteils nur nach dem Klagsanspruch und nicht nach den den von der beklagten Partei tatsächlich erhobenen Einwendungen richtet, ist diese - um unliebsame Rechtskraftwirkungen zu vermeiden - genötigt, die Sache genau zu untersuchen und alle ihr zu diesem Zeitpunkt möglichen Einwendungen vorzubringen. Die Beklagte hat sich im ersten Rechtsgang auf den Haftungsausschluß nach § 41 lit. a AÖSp. nicht berufen. Sie hat zwar bei der Streitverhandlung vom 24. November 1950 an die Sachverständigen die Frage gestellt, ob auf das Geschäft die Bestimmungen der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen Anwendung fänden, und hat bei der Streitverhandlung vom 30. November 1951 vorgebracht, es seien als Vertragsinhalt ausschließlich die österreichischen Speditionsbedingungen dem Vertrag zugrunde gelegt worden. Mit dieser Erwähnung der Spediteurbedingungen wurde jedoch eine auf eine bestimmte Vorschrift dieser Bedingungen gestützte und daher überhaupt erst in ihrer Tragweite erkennbare Einwendung gegen den Klagsanspruch nicht erhoben. Im übrigen wäre die Einwendung jedenfalls dadurch abgeschnitten, daß das Zwischenurteil in Rechtskraft erwachsen ist, mag auf die Einwendung auch nicht Rücksicht genommen worden sein. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, das Zwischenurteil in der zweiten Instanz aus diesem Gründe anzufechten. Die Beklagte hat ihre Einwendung eingebüßt und kann ihre Unterlassung in dem nur der Feststellung der Höhe des Anspruchs gewidmeten zweiten Rechtsgang nicht mehr nachholen. Es braucht daher die Frage nicht geprüft zu werden, ob der von der Beklagten nunmehr behauptete Haftungsausschluß überhaupt anzunehmen wäre.
Nicht anders steht es mit der Einwendung der Beklagten, ihre Haftung sei, sofern sie überhaupt besteht, nach § 54 lit. a Z. 2 AÖSp. mit dem Betrag von 2500 S begrenzt. Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf den "Betrag" des Anspruchs, wie ihn § 393 Abs. 1 ZPO. im Auge hat. Sie bedeutet vielmehr, daß über einen bestimmten Ersatzbetrag hinaus keine Haftung der Beklagten bestehe. Es handelt sich daher um einen teilweisen Haftungsausschluß und damit um eine Frage des Gründes des Anspruchs (Rosenberg Lehrbuch des dt. ZPR.[6], S. 232 f., Schönke, Lehrbuch des ZPR.[7], S. 293, Stein - Jonas, Kommentar zur DZPO.[18], § 304, S. 3). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese grundsätzliche Haftungsbeschränkung auf die Erreichung einer bestimmten Höchstsumme oder etwa darauf zurückzuführen ist, daß ein Mitverschulden des Klägers die Schadenersatzpflicht des Beklagten beschränkt. So wie über das Mitverschulden im ersten Teil des Verfahrens zu entscheiden ist, kann auch die Frage, ob der Anspruch eine betragsmäßige Höchstgrenze hat, nicht dem Verfahren über die Höhe des Anspruchs vorbehalten werden (OGH.-E. vom 18. Feber 1948, SZ. XXI/70, vom 4. Dezember 1935, AnwZ. 1936, S. 136, vom 6. April 1921, SZ. III/39, DRG.-E. vom 10. Feber 1930, LZ. Sp. 888, vom 1. Oktober 1924, LZ. 1925, Sp. 42, DBGH.-E. vom 1. Juni 1950, IV, S. 194). Die Beklagte hat ihre Einwendung nach § 54 lit. a Z. 2 AÖSp. erst im zweiten Rechtsgang zur Geltung gebracht, als ihr diese Möglichkeit infolge der Rechtskraft des Zwischenurteils bereits abgeschnitten war.
Da die maßgebenden Einwendungen der Beklagten gegen das Ausmaß ihrer Haftung hinfällig sind, brauchte auf die meritorischen Ausführungen der Revisionsschrift nicht eingegangen zu werden. Es ergibt sich, daß die Untergerichte der Klägerin den ganzen eingeklagten Betrag, dessen Höhe ziffermäßig nicht strittig ist, mit Recht zugesprochen haben. Weiterer Beweiserhebungen bedurfte es nicht.
Anmerkung
Z26212Schlagworte
Anspruch, Grund und Höhe, Grund des Anspruches, Höhe des Anspruches, Urteil, ZwischenurteilEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00411.53.0902.000Dokumentnummer
JJT_19530902_OGH0002_0010OB00411_5300000_000