Norm
Arbeitsgerichtsgesetz §2Kopf
SZ 26/270
Spruch
Der Mangel einer Gewerbeberechtigung des beklagten Agenten ist für die Zuständigkeitsfrage nicht entscheidend, wenn das vorhandene Maß von persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung nicht annehmen läßt.
Entscheidung vom 11. November 1953, 2 Ob 750/53.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Für den gegebenen Fall hat das Erstgericht festgestellt, daß der Kläger auf Grund einer mündlichen Vereinbarung mit dem Gesellschafter M. als Vertreter der klagenden Partei für den Wiener Platz tätig war, daß ihm eine Provision von 5% des erzielten Nettofakturenbetrages sowie eine Netzkarte zugesagt wurden, daß ein Betrag von 500 S im Monat a conto seiner Provision vereinbart war, ohne daß eine fixe Mindestprovision zugesichert worden wäre, daß der Beklagte eine Liste von alten Kunden, sonst jedoch keine bindenden Vorschriften erhielt, daß keine bestimmten Fristen und Termine zur Berichterstattung vereinbart wurden, daß dem Beklagten vielmehr gesagt wurde, er solle möglichst oft Bericht erstatten. Der Beklagte war an keine bestimmte Dienstzeit gebunden und in den Betrieb der klagenden Partei keineswegs so fest eingegliedert, wie es bei einem Angestellten zu sein pflegt. Der Beklagte wurde nach den weiteren Feststellungen des Erstgerichtes bei seiner Tätigkeit mit Wissen der klagenden Partei von seiner Gattin unterstützt, die einen Teil des Wiener Platzes bearbeitete und eine Zeitlang von der klagenden Partei auch eine Netzkarte erhielt. Der Beklagte war nicht zwangsversichert, dies deshalb, weil er von der klagenden Partei immer als freier Provisionsvertreter behandelt wurde, und nicht deshalb, damit der klagenden Partei die Bezahlung eines Betrages von 130 S im Monat erspart bliebe. Das Erstgericht hat schließlich als erwiesen angenommen, daß die Behauptungen der klagenden Partei, daß der Beklagte seine Vertretertätigkeit auch auf andere Firmen erstreckt hat, nicht erwiesen werden konnten; wohl aber wurde festgestellt, daß der Beklagte einmal den Angestellten der klagenden Partei Schals zum Kauf bzw. dem Vertreter H. zur Mitnahme in die Provinz angeboten hat.
Das Erstgericht hat auf Grund dieses Sachverhaltes die Zuständigkeit derordentlichen Gerichte bejaht und die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit demnach verworfen.
Das Rekursgericht hat die sachliche Unzuständigkeit der ordentlichen Gerichte und die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ausgesprochen und die Klage zurückgewiesen. Nach Ansicht des Rekursgerichtes spricht der Mangel einer Gewerbeberechtigung auf Seite des Beklagten wesentlich gegen das Eingehen eines Agenturvertrages zwischen den Parteien. Bei Abgang bestimmter Weisungen für die Verrichtung der Tätigkeit des Beklagten seien nach § 1153 ABGB. oder § 6 Abs. 1 AngG. die den Umständen nach angemessenen Dienste bzw. die durch den Ortsgebrauch bestimmten Dienste zu leisten. Weder der Umstand, daß der Beklagte möglichst oft Bericht erstatten sollte, noch die Tatsache, daß der Beklagte bei Verrichtung der Tätigkeit von seiner Gattin unterstützt wurde, spreche schlechthin für den Abschluß eines Agenturvertrages. Für einen solchen seien keine hinreichenden Anhaltspunkte vorhanden, sodaß der Beklagte wegen wirtschaftlicher Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnlicher Beschäftigter anzusehen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei Folge und stellte den erstgerichtlichen Beschluß wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das unterscheidende Moment, das den Handelsagenten von dem Angestellten gegen Provision oder von Personen unterscheidet, die im Sinne des § 2 ArbGerG. als arbeitnehmerähnliche Beschäftigte anzusehen sind, ist die persönliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Handelsagenten. Mag der Handelsagent auch an gewisse allgemeine Weisungen des Geschäftsherrn gebunden sein, so ist er doch nicht in den Organismus des Unternehmens des Prinzipals eingeordnet, bei Ausübung seiner Tätigkeit und Einteilung der Arbeit im allgemeinen freizügig und nicht an bestimmte Geschäfts- oder Arbeitsstunden gebunden, er hat vielmehr eine selbständige Stellung mit eigenem Unternehmerrisiko.
Die vom Erstgericht festgestellten entscheidenden Einzelheiten, das ist der Abgang bestimmter Weisungen für die Tätigkeit des Beklagten, das Fehlen bestimmter Fristen und Termine für die Berichterstattung, die Tatsache, daß der Beklagte, an keine Dienstzeit gebunden und in den Betrieb der klagenden Partei nicht eingeordnet, sich seine Arbeit- und Zeiteinteilung frei von Weisungen des Prinzipals nach eigenem Ermessen gestalten konnte, daß er sich durch seine Gattin in den Dienstleistungen vertreten lassen konnte, in Verbindung mit der Tatsache, daß der Beklagte nicht behauptet hat, es sei ihm eine anderweitige Erwerbstätigkeit untersagt gewesen, beweisen jenes Maß von persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit mit selbständiger Entschlußmöglichkeit, daß von einer arbeitnehmerähnlichen Beschäftigung des Beklagten nicht gesprochen werden kann. Daß der Beklagte keine Gewerbeberechtigung gehabt hat, ist nicht entscheidend. Die Bestimmungen der §§ 1153 ABGB. und 6 Abs. 1 AngG. können nicht unabhängig von dem Inhalt des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrages herangezogen werden. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes wurde der Beklagte als Vertreter engagiert, sodaß nach den Umständen, unter denen das Vertragsverhältnis zustandekam, nur das Handelsagentengesetz zur Anwendung kommen kann (vgl. auch 1 Ob 467/51).
Dem Revisionsrekurs wurde daher Folge gegeben und in Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichtes der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt.
Anmerkung
Z26270Schlagworte
Arbeitnehmerähnliche Beschäftigung, Arbeitnehmereigenschaft Gewerbeberechtigung, Arbeitsgericht, Gewerbeberechtigung, Beschäftigung, Arbeitnehmerähnliche, Handelsagent, Arbeitsgericht, Unabhängigkeit, wirtschaftliche -, Zuständigkeit, ArbeitsgerichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1953:0020OB00750.53.1111.000Dokumentnummer
JJT_19531111_OGH0002_0020OB00750_5300000_000