Norm
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §472Kopf
SZ 26/289
Spruch
Zur Frage der Ersitzung von Wegdienstbarkeiten am gemeinschaftlichen Eigentum.
Entscheidung vom 2. Dezember 1953, 1 Ob 595/53.
I. Instanz: Bezirksgericht Kitzbühel; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Die Kläger beantragten, festzustellen, daß dem Beklagten kein Recht zustehe, über die Grundparzelle 1346/7, Grundbuch Go., der Kläger zu gehen, sowie dem Beklagten zu untersagen, in Zukunft über diese Grundparzelle zu gehen, ferner ihm zu gebieten, den Zaun an der Grenze zwischen Grundparzelle 1346/10 und Grundparzelle 1346/7 wieder zu schließen. Sie bringen vor, der Beklagte gehe seit einiger Zeit aus Bequemlichkeitsgrunden von seiner Grundparzelle 1346/10 über ihre Grundparzelle 1346/7 zur Grundparzelle 1948 (öffentlicher Weg). Die Behauptung des Beklagten, ein Wegerecht ersessen zu haben, sei unrichtig. Anläßlich eines Agrarverfahrens wegen Teilung der Weide im Jahre 1929 sei ein Wegerecht zugunsten des Beklagten nicht aufgenommen worden. Überdies gehe der Beklagte keineswegs länger als 30 Jahre über den Grund der Kläger.
Der Beklagte beantragt Abweisung des Klagebegehrens. Er wendet ein, es handle sich um einen der vielen Fußsteige im Gemeindegebiet von Go., die seit undenklichen Zeiten von allen Bewohnern von Go. und auch Ausflüglern und Touristen begangen werden. Aus Anlaß der Teilung der R.Weide sei ausdrücklich vereinbart worden, daß diese alten kleinen Wege belassen werden.
Das Erstgericht erkannte gemäß dem Klagebegehren. Es ging davon aus, daß die vom Beklagten als ersessen behauptete Grunddienstbarkeit, über die klägerische Grundparzelle 1346/7 gehen zu dürfen, durch das 1929 beendete Agrarteilungsverfahren erloschen sei. Die Weide in Go. sei eine im Gemeinschaftseigentum vieler gestandene Liegenschaft gewesen, die durch die Regulierung in zahlreiche kleine nunmehr im Eigentum einzelner Personen stehende Liegenschaften umgewandelt worden sei. Die Grundparzellen 1346/7 und 10 seien aus dieser Weide hervorgegangen und im Regulierungsverfahren den Rechtsvorgängern der Parteien zugewiesen worden. Unter den in der Entscheidung der Agrarbehörde vom 29. März 1929 aufgezählten Eigentümern scheinen auch die Besitzvorgänger der beiden Prozeßparteien auf, nämlich zu 6 "R. zu A." (Kläger) und zu 7 "G. zu P." (Beklagter). Welches rechtliche Schicksal die mit den regulierten P.-Parzellen zusammenhängenden grundbücherlichen Rechte und Lasten erlitten haben, gehe aus Punkt 4 der Regulierungsentscheidung hervor: Sie seien alle erloschen, wie dies dem Sinn und Zweck jener Vorschriften entspreche, die sich mit dem unter dem Begriff agrarische Operationen zusammengefaßten Maßnahmen befassen. Wenn schon alle grundbücherlichen Rechte und Lasten erloschen seien, könne vernünftigerweise daran nicht mehr gezweifelt werden, daß umso gewisser das ins öffentliche Buch nicht eingetragen gewesene Gehrecht des Beklagten über die Parzelle des Klägers 1346/7 weggefallen sei. Unter den aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten im Teilungsverfahren neu begrundeten Grunddienstbarkeiten scheine dieses Wegerecht nicht auf. Wie aus der Originalmappe augenfällig zu ersehen sei, hätte eine wirtschaftliche Notwendigkeit für das streitige Gehrecht auch gar nicht nachgewiesen werden können, weil "für die Vorbesitzer des Beklagten vom Haus Bauparzelle 166 der Zugang über Grundparzelle 1346/7 zum Weg 1948 ohne Beschwernis entlang dem Weg 1950 zu erreichen" sei. Das im Agrarverfahren erzielte Ergebnis sei ins Grundbuch übertragen worden. Wie alle gewonnenen Parzellen, seien auch die Parzellen 1346/7 und 1346/10 lastenfrei abgeschrieben und den Vorbesitzern der heutigen Prozeßparteien zugeschrieben worden. Da das vom Beklagten behauptete Gehrecht 1929 erloschen sei und seither 30 Jahre noch nicht verstrichen seien, könne sich der Beklagte auf Ersitzung dieses Gehrechtes gegenüber den Klägern nicht mit Erfolg berufen. Den Klägern sei der Beweis der Freiheit ihres Eigentums von der eingewendeten Ersitzungsdienstbarkeit gelungen.
Infolge Berufung des Beklagten hob das Berufungsgericht das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es sei zunächst zu prüfen, ob der Beklagte, wie die Kläger behaupten, erst seit 1930 über die Parzelle gehe. Falls dies zutreffe, sei dem Klagebegehren schon deswegen Folge zu geben, weil die behauptete Ersitzung mangels Zeitablaufs nicht vollendet sein könne. In zweiter Linie sei zu prüfen, ob, wie der Beklagte behaupte, die Aufrechterhaltung aller alten Wege im Agrarverfahren vereinbart worden sei. Die Bejahung dieser Frage müsse zur Abweisung des Klagebegehrens führen. Letzten Endes komme zwar eine Ersitzung des Wegerechtes durch die Rechtsvorgänger des Beklagten an derteilweise eigenen Sache nicht in Betracht, wohl aber sei zu prüfen, ob ein von der Gemeinde ersessenes Wegerecht vorliege. Ein solches Wegerecht wäre durch die 1929 durchgeführte Spezialteilung nicht erloschen. Vor allem sehe § 5 Abs. 2 des Tiroler Landesgesetzes vom 19. Juni 1909, LGBl. Nr. 61, den Fortbestand der Rechte aus einer bereits vollendeten Ersitzung vor. Ferner können dritte Personen, die nicht zu den Teilgenossen gehören (§§ 26, 31), also hauptsächlich Träger von Servitutsrechten, Reallasten, Pfandrechten usw., zur Wahrung ihrer Rechte zwar an dem Agrarverfahren teilnehmen, aber die Teilung oder Regulierung durch ihren Einspruch nicht hindern. Ihre Rechte seien, soweit sie bücherlich eingetragen seien, auf die gebildeten Abfindungsgrundstücke zu übertragen, ausgenommen Grunddienstbarkeiten, welche infolge einer Teilung dem herrschenden Grundstück entbehrlich geworden seien und ohne Anspruch auf Entschädigung entfallen. Aus dem Zusammenhang dieser Bestimmungen sei zu schließen, daß von den Grunddienstbarkeiten nur die grundbücherlich eingetragenen, durch die Teilung aber wirtschaftlich entbehrlich gewordenen entfallen. Da die wirtschaftliche Entbehrlichkeit der Prüfung und Entscheidung durch die Agrarbehörde bedürfe, hätte sie und der Wegfall des Rechts von ihr ausgesprochen werden müssen. Wegservituten, die sich als Feldservituten darstellen, bedürfen in Tirol der Eintragung im Grundbuch nicht, wenn sie durch Ersitzung erworben seien. Nur wenn eine so begrundete Servitut dieser Art, die einer dritten Person zustehe, im Teilungsverfahren erfaßt und als wirtschaftlich entbehrlich beschieden werde (§ 32 Abs. 2), sei sie erloschen. Der Erstrichter habe aber hiezu festgestellt, daß nur die grundbücherlich eingetragenen Rechte und Lasten, die im Punkt IV des Generalaktes der Agrarbehörde bezeichnet sind, für erloschen erklärt worden seien. Sein darüber hinausgehender rechtlicher Schluß, es ergebe sich daraus umso eher, daß die ersessenen grundbücherlich nicht eingetragenen Grunddienstbarkeiten untergegangen seien, werde vom Berufungsgericht nicht geteilt. Sei also das vom Beklagten behauptete Wegerecht der Gemeinde Go. erworben worden, so sei der Bestand dieses Rechtes durch das Agrarverfahren nicht berührt worden.
Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes liegt der Rekurs der klagendenParteien vor.
Der Rekurs ist nicht begrundet.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:
Es ist ihm allerdings zuzugeben, daß es nicht angeht, dem Erstgericht in erster Linie die Prüfung aufzutragen, ob der Beklagte erst seit 1930 über die gegenständliche Parzelle gehe. Wenn auch in diesem Fall die Ersitzung zu verneinen wäre, so muß doch dem Erstgericht überlassen werden, in welcher Reihenfolge es sein Verfahren abführen will und ob es nicht auf einem anderen, allenfalls kürzeren Weg dazu kommen kann, die Sache zur Endentscheidung reif zu machen. Für das Ergebnis des Rekurses ist aber mit dieser Erkenntnis nichts gewonnen, weil es, wie die weitere Begründung ergibt, bei der Aufhebung des Ersturteils und bei der Rückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht bleiben muß.
Nicht beigestimmt werden kann dem Rekurs, wenn er Beweiserhebungen zur Behauptung des Beklagten, die Aufrechterhaltung aller alten Wege sei im Agrarverfahren vereinbart worden, für unerheblich hält. Daß eine ausdrückliche Vereinbarung der Aufrechterhaltung der alten Wege, die neben, um oder über das Ergebnis des Agrarverfahrens hinaus stattgefunden hätte, verbindlich wäre, ist nicht zu bezweifeln. Die Ergebnisse der vom Beklagten angebotenen Beweise können nicht - wie dies der Rekurs im Ergebnis tut - vorweggenommen werden. Die Festlegung solcher Felddienstbarkeiten hätte auch nicht der Eintragung ins Grundbuch bedurft (Art. I Ges. v. 17. März 1897, RGBl. Nr. 77).
Hinsichtlich der Frage, ob ersessene und nicht eingetragene Wegerechte durch das Agrarverfahren beeinflußt wurden, ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, daß eine bereits vollendete Ersitzung durch die Teilung grundsätzlich nicht berührt wurde (§ 5 Abs. 2 Ges. v. 19. Juni 1909, LGBl. f. Tirol Nr. 61). Eine Ausnahme besteht für Grunddienstbarkeiten überhaupt, also auch für ersessene Grunddienstbarkeiten, welche infolge einer Teilung dem herrschenden Grundstück entbehrlich werden und ohne Anspruch auf Entschädigung entfallen (§ 32 l.c.). Daß dies im vorliegenden Fall im Teilungsverfahren ausgesprochen worden wäre, ist nicht behauptet worden.
Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die Ersitzung eines Wegerechtes durch den Beklagten oder seine Rechtsvorgänger zur Zeit des ungeteilten Bestandes der Weide nicht in Betracht kommt. Dabei kann allerdings die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Ersitzung in eigener Sache möglich sei, auf sich beruhen (Ehrenzweig, Sachenrecht, S. 337, 343; Klang, in Klang,
2. Aufl. zu § 480, S. 550 f.; GlU. 14.977, 15.007; GlUNF. 1215), weil die Rechtsvorgänger des Beklagten schon infolge ihres Miteigentumsrechts zur Benützung der Weide berechtigt waren und keinerlei Behauptungen und Beweise in der Richtung vorgebracht sind, daß sie den Weg nicht in Ausübung des Miteigentumsrechtes, sondern in der kundgegebenen Absicht, ein Alleinrecht auszuüben, benützt hätten.
Mit unzureichenden Gründen bekämpft der Rekurs schließlich auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß geprüft werden müsse, ob der Weg nicht als Gemeindeweg ersessen worden sei. Die Tatsachenbehauptungen des Beklagten reichen hiefür, wie die obige Wiedergabe ergibt, aus. Daß eine bereits vollendete Ersitzung durch das Agrarverfahren unberührt geblieben wäre, ist schon oben dargelegt. Aber auch die Meinung, daß die Kläger mangels Eintragung einer Dienstbarkeit im Grundbuch gemäß § 1500 ABGB. lastenfrei erworben hätten, weil es sich nicht um eine eintragungsfreie Felddienstbarkeit handeln könne, trifft nicht zu, weil infolge der weiteren Duldung der Ausübung der Dienstbarkeit die Ersitzung nicht unterbrochen worden wäre (Klang, in Klang, 2. Aufl. zu § 480, S. 560; GlUNF. 7720).
Dem unbegrundeten Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Anmerkung
Z26289Schlagworte
Dienstbarkeit, Ersitzung an gemeinschaftlichem Eigentum, Eigentumsgemeinschaft, Ersitzung von Wegservituten, Ersitzung von Wegservituten an gemeinschaftlichem Eigentum, Servitut, Ersitzung, Wegdienstbarkeiten, Ersitzung an gemeinschaftlichem EigentumEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00595.53.1202.000Dokumentnummer
JJT_19531202_OGH0002_0010OB00595_5300000_000