TE OGH 1953/12/9 1Ob933/53

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Veröffentlicht am 09.12.1953
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Norm

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §819
Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung §16 Abs1
Handelsgesetzbuch §15
Handelsgesetzbuch §115
Handelsgesetzbuch §131
Handelsgesetzbuch §346

Kopf

SZ 26/297

Spruch

Zum Abhandlungsprovisorium nach dem Tode des vertretungsbefugten Gesellschafters.

Entscheidung vom 9. Dezember 1953, 1 Ob 933/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:

Handelsgericht Wien.

Text

Georg J. und der Beklagte waren Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft der Firma "F.", Großhandel mit Nahrungs- und Genußmittel J. & Co. in Wien, Georg J. ist gestorben. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes kam es zwischen einem Teil der Erben und dem Beklagten zu einer Besprechung, die die Fortführung des genannten Unternehmens zum Gegenstand hatte. Bei dieser Gelegenheit wurde vereinbart, daß die erblasserische Tochter Claudia J. die verlassenschaftsbehördliche Genehmigung zur Besorgung und Verwaltung desNachlasses erwirke und insbesondere die Ermächtigung, gemeinsam mit dem Beklagten zum Handelsregister anzumelden, daß die Gesellschaft während der Verlassenschaft nach Georg J. durch die Genannte selbständig vertreten werde. Die erwähnte Ermächtigung wurde vom Verlassenschaftsgericht erteilt. Der Beklagte weigerte sich aber, das Registergesuch zu unterschreiben.

Das Erstgericht hat nicht als erwiesen erachtet, daß der Beklagte die Verpflichtung zur Unterfertigung des Gesuches nur gegen Abgabe der Erklärung übernommen habe, daß er für alle Ansprüche, die gegen ihn aus seiner Beteiligung an der Firma "F." erhoben werden sollten, klags- und schadlos gehalten werde. Es hat den Beklagten antragsgemäß für schuldig erklärt, die getroffene Vereinbarung auf Bestellung der Claudia J. zur Geschäftsführerin der Firma "F." für die Dauer der Verlassenschaftsabhandlung nach Georg J. zuzuhalten und die hiezu notwendigen Erklärungen in der gesetzlich vorgeschriebenen Form binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Das Berufungsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und gab in Abänderung des angefochtenen Urteils der Klage unter gleichzeitiger Korrektur des Wortlautes des Klagebegehrens statt.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Weder das AHGB. noch das nunmehr geltende HGB. nehmen Rücksicht auf die besondere Gestaltung des Abhandlungsrechtes in Österreich. Beide Gesetze haben nicht beachtet, daß sich nach österreichischem Recht zwischen Erblasser und Erben gewissermaßen ein Zwischenstadium einschiebt. Auch Art. 7 Nr. 17 Abs. 1 der 4. EVzHGB., der die Besonderheit des österreichischen Abhandlungsrechts berücksichtigt, übergeht das Schicksal der Vertretungsbefugnis des verstorbenen Gesellschafters. Die österreichische Praxis hat die Lücke durch das sogenannte Abhandlungsprovisorium geschlossen. Es wird als zulässig angesehen, daß für die Dauer der Abhandlung und bis zur endgültigen Regelung der Nachfolger in ein Unternehmen die vorläufige Vertretungsbefugnis der oder einer der Personen eingetragen wird, der die Besorgung und Benützung der Verlassenschaft nach § 810 ABGB. überlassen ist, um ersichtlich zu machen, wem jetzt die Vertretungsbefugnis des verstorbenen Einzelkaufmanns oder Gesellschafters zusteht. Es ist nach dem Vorbringen der Klage klar, daß der klagende Nachlaß behauptet, sich mit dem überlebenden Gesellschafter über die Eintragung einer solchen provisorischen Vertretung geeinigt zu haben und daß die Klage die der Einigung entsprechende Eintragung erzwingen will. Gegenüber dem erwähnten, in Österreich unentbehrlichen, Handelsgewohnheitsrecht kann dem § 40 Handelsregisterverordnung eine derogierende Wirkung nicht zuerkannt werden. Das Berufungsgericht hat sich also zu Unrecht zur Begründung der Abweisung darauf berufen, daß weder das Handelsgesetzbuch noch die Handelsregisterverfügung eine Eintragung der begehrten Art kennen.

Richtig ist, daß der Ausdruck "Geschäftsführer", der zwar nicht im Klagsvorbringen, aber im Klagebegehren gebraucht wird, Anlaß zu Bedenken gibt. Denn das Recht des Handelsgesetzbuches unterscheidet zwischen der Vertretungsbefugnis nach außen und der Geschäftsführung im Innenverhältnis. Trotz dieser schon dem ABGB. eigenen Unterscheidung hat das GesmbHG. den Ausdruck "Geschäftsführer" für die nach außen vertretungsbefugten Organe gewählt. Wenn nicht der Rechtssprache des HGB., so ist doch der Rechtssprache des österreichischen Rechtes und insbesondere des Handelsregisterrechtes die Verbindung der Vertretungsbefugnis mit dem Ausdruck "Geschäftsführer" nicht fremd. Es kann also an der Verwendung des Ausdruckes "Geschäftsführer" im Klagebegehren ein Anstoß nicht genommen werden, der das Klagebegehren als völlig ungeeignet erscheinen ließe. Doch wird der Ausdruck, dessen beabsichtigte Bedeutung nach dem Klagebegehren außer Zweifel steht, durch den richtigen zu ersetzen sein. Unter Berücksichtigung des § 16 HGB. wäre der Urteilsspruch also dahin zu formulieren gewesen, daß der Beklagte schuldig ist, bei der Anmeldung mitzuwirken, daß Claudia J. die Vertretungsbefugnis des verstorbenen Gesellschafters Georg J. für die Dauer der Abhandlung ausübt.

Das Berufungsgericht verkennt allerdings auch die materiellrechtlichen Bestimmungen, die beim Tode eines Gesellschafters gelten. Die Heranziehung des § 138 HGB. ist zunächst verfehlt, weil diese Anordnung nur dann gilt, wenn die Wirksamkeit des § 131 Z. 4 bis 6 HGB. durch die Bestimmung des Gesellschaftsvertrages aufgehoben ist, daß die Gesellschaft unter den überlebenden Gesellschaftern fortgesetzt werden soll. Eine solche Vereinbarung wurde nicht behauptet und kann bei einer nur aus zwei Gesellschaftern bestehenden Gesellschaft gar nicht in Frage kommen. Das Berufungsgericht kommt auch schließlich zu dem richtigen, aber aus § 131 Z. 4 HGB. abzuleitenden Ergebnis, daß der Tod des Gesellschafters Georg J. die Auflösung der Gesellschaft bedeutete. Damit hört aber, ganz abgesehen von den besonderen Bestimmungen des § 137 Abs. 1 letzter Satz HGB., die Gesellschaft noch nicht auf zu bestehen, sie tritt vielmehr aus dem Zustand einer werbenden Gesellschaft bis zur vollen Verteilung des Vermögens in den Zustand einer abwickelnden Gesellschaft. Abwickler der Gesellschaft sind die Gesellschafter. Mehrere Erben eines Gesellschafters haben einen Vertreter zu bestellen (§ 146 HGB.). Es müßte also die Eintragung der Frau J. schon als solche Vertreterin der Erben nach Georg J. bei der Abwicklung zulässig sein. Für das Abwicklungsstadium kommen nach § 156 HGB. die Bestimmungen des zweiten und dritten Teiles zur Anwendung, insbesondere also auch die Bestimmung des § 109 HGB., daß die Gesellschafter das Innenverhältnis frei regeln können. Sie können also auch statt abzuwickeln, ausdrücklich oder stillschweigend eine Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses vereinbaren, ohne daß es darum erforderlich wäre, die Auflösung der Gesellschaft und ihre Neubegründung ins Handelsregister einzutragen. Nur für den Fall der Auflösung der Gesellschaft infolge Konkurses der Gesellschaft gelten die besonderen Bestimmungen des § 144 HGB., der einen Beschluß, die Gesellschaft fortzusetzen, nur unter besonderen Voraussetzungen zuläßt. Die Vereinbarung, daß für einen verstorbenen Gesellschafter ein Erbe vorläufig die Vertretungsbefugnis des Gesellschafters ausüben und daß dies eingetragen werden soll, enthält in sich auch als notwendige Voraussetzung die Vereinbarung, das Gesellschaftsverhältnis wenigstens bis zur Beendigung der Abhandlung fortzusetzen. Die abhandlungsbehördliche Genehmigung, die in Streit stehende Eintragung zu erwirken, enthält so auch notwendig die abhandlungsbehördliche Genehmigung zur vorläufigen Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses. Es bestehen also auch die vom Berufungsgericht herangezogenen und die in der Berufung sonst geltend gemachten materiellrechtlichen Bedenken gegen die Anmeldung nicht, an der der Beklagte mitwirken soll. Insbesondere kann der Beklagte auch nicht einwenden, daß die Vereinbarung nicht von allen Erben abgeschlossen wurde. Denn durch die vom Bezirksgericht genehmigte Teilnahme an der vorliegenden Klage haben die abwesenden Erben die Vereinbarung wenigstens nachträglich genehmigt.

Anmerkung

Z26297

Schlagworte

Abhandlungsprovisorium, offene Handelsgesellschaft, Alleinvertretungsbefugter Gesellschafter, Abhandlungsprovisorium, Gesellschafter, alleinvertretungsbefugter -, Abhandlungsprovisorium, Offene Handelsgesellschaft, Abhandlungsprovisorium, Tod des alleinvertretungsbefugten Gesellschafters, Abhandlungsprovisorium, Vertretungsbefugnis, Abhandlungsprovisorium

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00933.53.1209.000

Dokumentnummer

JJT_19531209_OGH0002_0010OB00933_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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