Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Kuch als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten Dr. Fellner sowie die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hohenecker, Dr. Schuster und Dr. Kralik als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz T*****, vertreten durch Dr. Franz Zamponi, Rechtsanwalt, Linz, Spittelwiese 13, wider die beklagte Partei Österreichische I***** reg.Gen.mbH, *****, vertreten durch Dr. Johann Rotter, Rechtsanwalt, Ried im Innkreis, Roßmarkt 1, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens, infolge 1) Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 15. Oktober 1954, GZ R 90/54-11, womit die Bestätigung der Vollstreckbarkeit seines Beschlusses vom 21. September 1954, GZ R 90/54-9, aufgehoben wurde,
2) Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss desselben Gerichtes vom 21. September 1954, GZ R 90/54-9, womit ihre Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
I) Dem Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss vom 15. 10. 1954 wird
nicht Folge gegeben.
Die Rekurswerberin hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen. II) Dem Rekurs des Klägers gegen den Beschluss vom 21. 9. 1954 wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird aufgetragen, über die Wiederaufnahmsklage eine Tagsatzung anzuberaumen.
Die Rekurskosten des Klägers werden als Verfahrenskosten zu behandeln sein.
Text
Begründung:
In der auf § 530 Z 7 ZPO gestützten und am 5. 2. 1954 beim Kreisgericht Ried im Innkreis eingebrachten und am 13. 2. 1954 ergänzten Wiederaufnahmsklage bringt der Kläger vor, dass er nach Beendigung des Vorprozesses des Bezirksgerichtes Braunau am Inn C 121/51, nämlich am 14. 1. 1954 und 6. 2. 1954 Beweise aufgefunden habe, deren Benützung im Vorprozess eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Die Zeugin Erich L*****, Josef S*****, Friedrich G***** und Irmtraut B*****, verehelichte F*****, hätten nämlich neu angegeben, dass ein Aktenvermerk vom Oktober 1948 bestanden habe, nach dem der Kläger schon von diesem Zeitpunkt an und nicht erst auf Grund des Schreibens der Beklagten vom 16. 3. 1949 berechtigt gewesen sei, auflaufende Instandhaltungskosten seines Personenkraftwagens der Beklagten aufzurechnen. Es habe auch eine schriftliche Betriebsorganisation des Lagerhauses Ranshofen bestanden, nach der nicht der Kläger, wie im Vorprozess angenommen worden sei, sondern die einzelnen Abteilungssachbearbeiter für ihr Sachgebiet voll verantwortlich gewesen seien. Schließlich habe auch ein Aktenvermerk vom 17. oder 18. 9. 1949 bestanden, der den Brief der Beklagten vom 15. 9. 1949 und den Aktenvermerk vom 9. 9. 1949, auf welche Urkunden sich die Gerichte im Vorprozess gestützt hätten, als gegenstandslos erklärt habe.
Das gemäß § 532 Abs 2 ZPO für die Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage zuständige Kreisgericht Ried im Innkreis als früheres Berufungsgericht (OGH-E vom 28. 4. 1954, 1 Ob 322/54) wies die Klage gemäß § 538 Abs 1 ZPO zurück, da sie zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet sei. Voraussetzung einer auf § 530 Z 7 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage sei, dass der Kläger ohne sein Verschulden erst nach dem Schluss der Verhandlung im Vorprozess in Kenntnis von Urkunden gelange und diese früher zu benützen ohne jedes Verschulden nicht in der Lage gewesen sei. Der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen schon im früheren Rechtsstreit von der Existenz der drei Urkunden gewusst. Es wäre nach der Ansicht des Kreisgerichtes Ried im Innkreis seine Sache gewesen, die Beklagte, die das Vorhandensein der Urkunden bestritten habe, durch das Urkundeneditionsverfahren nach den §§ 303 ff ZPO zur Herausgabe zu zwingen. Es handle sich also nicht um das Auffinden neuer Beweismittel oder eine erst jetzt eingetretene Benützungsmöglichkeit.
Am 14. 10. 1954 beurkundete das Kreisgericht Ried im Innkreis die Rechtskraft seines Beschlusses, hob diese Bestätigung aber mit dem zweiten jetzt angefochtenen Beschluss vom 15. 10. 1954 gemäß § 7 Abs 3 EO als irrig auf, weil übersehen worden sei, dass der beim Erstgericht (Bezirksgericht Braunau am Inn) vom Kläger am 12. 10. 1954 eingebrachte Rekurs gegen die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage nach dem Judikat 58 neu beim angeführten Gericht einzubringen und rechtzeitig gewesen sei.
Gegen den Beschluss vom 15. 10. 1954 richtet sich der Rekurs der Beklagten, gegen den vom 21. 9. 1954 der Rekurs des Klägers. Nur das zweite Rechtsmittel ist begründet, das erstere hingegen nicht.
I) Das Kreisgericht Ried im Innkreis war entgegen der Meinung der Beklagten befugt, nach § 7 Abs 3 EO die von ihm irrtümlich erteilte Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung zu beheben. Denn zur Erlassung eins derartigen Beschlusses ist grundsätzlich dasjenige Gericht berufen, von dem die zugrunde liegende Entscheidung ausgegangen ist. Für das Verfahren nach § 7 Abs 3 EO haben die Grundsätze zu gelten, die auf den Rechtsstreit anzuwenden waren, in dem die Entscheidung ergangen ist. Irrtümlich war die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 14. 10. 1954 deshalb, weil der Beschluss vom 21. 9. 1954 dem Kläger am 28. 9. 1954 zugestellt und dessen Rekurs am 12. 10. 1954 an das Bezirksgericht Braunau am Inn zeitgerecht zur Post gegeben wurde. Der Zweifel der Beklagten, ob der Kläger seinen Rekurs gegen den Beschluss vom 21. 9. 1954 nicht richtigerweise beim Kreisgericht Ried im Innkreis hätte einbringen sollen, ist unberechtigt. Denn nach dem Judikat 58 neu sind Rechtsmittel gegen alle im Verfahren über eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage ergehenden Entscheidungen bei dem Gericht einzubringen, das im Vorprozess in erster Instanz eingeschritten ist, auch wenn das Berufungsgericht des Vorprozesses in erster Instanz entschieden und selbst die Zustellung seiner Entscheidung verfügt hat. Auf das weitere nicht zum Rekursgegenstand gehörende Vorbringen der Beklagten braucht bei der dargestellten eindeutigen Rechtslage nicht eingegangen zu werden.
Rechtliche Beurteilung
Dem Rekurs der Beklagten war der Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Rekurskosten beruht auf den §§ 40 und 50
ZPO.
II) Was den Rekurs des Klägers gegen den Beschluss vom 21. 9. 1954 betrifft, handelt es sich nach dessen Vorbringen in der Wiederaufnahmsklage nicht um neue Tatsachen. Denn er gibt zu, von der Existenz der Aktenvermerke vom Oktober 1948 und 17. oder 18. September 1949 und der Betriebsorganisation des Lagerhauses Ranshofen schon im Vorprozess gewusst zu haben. Der Kläger will aber dartun, dass er das Vorhandensein der drei Urkunden nunmehr durch die eingangs angeführten Zeugen beweisen könne, dass er also neue Beweismittel aufgefunden habe. Diese Behauptung kann nicht mit dem Hinweis darauf abgetan werden, dass der Kläger denselben Erfolg wie durch die Vernehmung der beantragten Zeugen schon im Vorprozess durch das von ihm zu beantragende Urkundeneditionsverfahren nach §§ 303 ff ZPO hätte erreichen können. Im früheren Rechtsstreit hat nämlich die Beklagte, in deren Händen sich die Urkunden befunden hätten und noch befinden sollen, diese nicht vorgelegt und nach der Behauptung des Klägers deren Vorhandensein geleugnet. Der Erfolg des Editionsverfahrens wäre zweifelhaft gewesen, weil sich die Beklagte trotz ihrer Eidespflicht nach § 307 Abs 1 ZPO auf den Standpunkt stellen konnte, vom Bestehen der drei Urkunden nichts zu wissen oder sie nicht aufzufinden. Davon, dass die vom Kläger angebotenen Beweismittel nicht als neu anzusehen seien, wie das Berufungsgericht angenommen hat, könnte nur dann gesprochen werden, wenn schon nach der Aktenlage eindeutig feststünde, dass der Kläger den Urkundenbeweis schon im Vorprozess hätte führen können. Dies ist mit Rücksicht auf die Unsicherheit des Ergebnisses eines allfällig eingeleiteten Editionsverfahrens und die Unwahrscheinlichkeit der Vorlage durch die abstreitende Beklagte zu verneinen (vgl ihre Erklärung bei der Streitverhandlung vom 24. 10. 1952, C 121/51-55, dass nunmehr sämtliche Unterlagen gelegt seien, S 341 unten). Die jetzt ins Treffen geführten Beweismittel sind insoferne neu, als der Kläger behauptet, durch sie erstmalig in die Lage versetzt zu sein, den Nachweis des Bestehens der drei Urkunden und deren Inhalts zu erbringen, was ihm mit Rücksicht auf die Weigerung der Beklagten und das Fehlen ausreichender anderer Beweismittel bisher nicht möglich gewesen sei. Es kann nicht geleugnet werden, dass der Nachweis des Inhalts der Urkunden an sich geeignet sein könnte, im Vorprozess, der von einer anderen Beweislage aus beurteilt wurde, eine abweichende für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen. Über diese Eignung wird freilich erst das Berufungsgericht schlüssig zu werden haben. Jedenfalls muss aber davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger auf einen gesetzlichen Wiederaufnahmsgrund (§ 530 Z 7 ZPO) gestützt hat. Wenn weiter bedacht wird, dass die Wiederaufnahmsklage nach der Behauptung des Klägers innerhalb der gesetzlichen Frist eines Monates erhoben wurde, liegt kein Grund vor, die Klage schon im Vorverfahren nach § 538 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Dem Rekurs des Klägers musste daher Folge gegeben, der Beschluss des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 21. 9. 1954 behoben und diesem aufgetragen werden, über die Wiederaufnahmsklage eine Tagsatzung anzuberaumen.
Die Entscheidung über die Rekurskosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E73443 1Ob858.54European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1954:0010OB00858.54.1110.000Dokumentnummer
JJT_19541110_OGH0002_0010OB00858_5400000_000