Norm
ABGB §1162Kopf
SZ 28/2
Spruch
Hat auch nur eines der Mitglieder einer engagierten Kapelle einen Entlassungsgrund gesetzt, so kann die ganze Kapelle entlassen werden, wenn kein vollwertiger Ersatz für das schuldige Mitglied der Kapelle beschafft werden kann.
Entscheidung vom 11. Jänner 1955, 4 Ob 120/54.
I. Instanz: Arbeitsgericht Feldkirch; II. Instanz: Landesgericht Feldkirch.
Text
Der beklagte Cafetier hat mit dem schriftlichen Dienstvertrag vom 1. Mai 1951 Josef N. als Kapellenleiter mit drei Musikern für die Zeit vom 1. Juni 1951 bis 15. Dezember 1951 in dem von ihm betriebenen Cafe L. angestellt. Darin verpflichtete er sich dem N. gegenüber zur Bezahlung einer Nettomonatsgage von 6500 S sowie zur Leistung freier Verpflegung und freier Unterkunft für ihn und die übrigen Mitglieder der Kapelle. Sämtliche Musiker einschließlich des Kapellenleiters wurden vom Beklagten bei der Gebietskrankenkasse in Dornbirn angemeldet und erhielten ihren Gehalt vom Beklagten mit Verrechnung auf Lohnstreifen ausbezahlt. Die Aufteilung auf die einzelnen Spieler geschah in der Weise, daß der Gruppenleiter 2000 S, die übrigen Musiker je 1500 S monatlich erhielten.
In der Klage behaupten die Kläger, daß sie am 3. Juli 1951 der Beklagte ohne hinreichenden Grund entlassen habe, weshalb sie das Entgelt für 5 1/2 Monate, Entschädigung für freie Tage, Urlaubsentgelt, Ersatz für entgangene Verpflegung und in diesem Sinne Verurteilung des Beklagten begehren. Die Forderungen werden von Josef N. mit einem Betrag von 18.000 S 58 g, von den übrigen Musikern mit je 18.478 S 04 g beziffert.
Der Klagsanspruch des Rudolf St. ist durch Vergleich erledigt worden, während jener des Josef N. vom Arbeitsgericht mit Endurteil rechtskräftig abgewiesen worden ist. Hinsichtlich der Ansprüche der noch verbliebenen Kläger Franz B. und Georg G. ist mit Zwischenurteil des Arbeitsgerichtes festgestellt worden, daß diese Ansprüche dem Gründe nach zu Recht bestehen. Das Berufungsgericht hat das Zwischenurteil des Arbeitsgerichtes bestätigt und damit der Berufung des Beklagten den Erfolg versagt.
Über Revision der Beklagten wurde das Klagebegehren des Franz B. und des Georg G. vom Obersten Gerichtshof abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In den der Rechtsrüge vorbehaltenen Ausführungen macht die Revision geltend, daß es sich im gegenständlichen Falle hinsichtlich der Musiker außer Josef N. als Kapellenleiter und Vertragskontrahenten um einen Dienstverschaffungsvertrag handle. Falle der Kapellenleiter aus oder müsse er wegen seines ungehörigen Verhaltens entlassen werden, so falle mit ihm die ganze Kapelle, weil ohne Kapellmeister, der gleichzeitig das Hauptinstrument, Violine, spiele, eine Kapelle gar nicht denkbar sei, zumal da keiner der anderen Musiker seine Rolle hätte übernehmen können. Eine Musikkapelle stelle eine unzerreißbare Einheit dar, und fehle die Violine, dann sei der Vertrag nicht eingehalten, weil die Kapelle aus vier Mann bestehen müsse. Aus Verschulden des Kapellenleiters und teilweise auch der übrigen Musiker sei die Kapelle nicht mehr brauchbar gewesen. Die Musiker treffe deshalb ein Mitverschulden, weil sie auf den Kapellenleiter nicht den nötigen Einfluß genommen hätten. Sache der Restkapelle bei Ausfall des Kapellenleiters wäre es gewesen, sich mit dem Beklagten wegen Beschaffung eines anderen geeigneten Kapellmeisters ins Einvernehmen zu setzen. Dies sei aber nicht geschehen. Die Kläger hätten genau so gut wie der Beklagte gewußt, daß zur Hauptsaison ein einzelner Kapellenleiter nur schwer oder überhaupt nicht zu finden sei. Wenn schon das Berufungsgericht annehme, daß die ganze Kapelle vom Beklagten angestellt wurde, dann habe der Rest der Kapelle die unweigerliche Verpflichtung, den Vertrag einzuhalten und, wenn er dies nicht könne, den Vertrag als aufgelöst zu betrachten. Wenn die Kläger glaubten, einen Schaden zu haben, so könnten sie sich nur an den Schuldtragenden, Josef N., halten nicht aber an den Beklagten. Es sei daher verfehlt, den Beklagten für die Nichtbeschaffung des Ersatzes eines Kapellenleiters verantwortlich zu machen. Selbst wenn die Kläger als angestellt anzusehen wären, habe ihre Entlassung automatisch eintreten müssen, weil sie zur Darbietung einer vertragsmäßigen Musik nicht fähig gewesen seien. Da der Beklagte nur mit Josef N. den Vertrag abgeschlossen habe, und zwar hinsichtlich der Restmitglieder einen Dienstverschaffungsvertrag, so fehle den übrigen Musikern die Aktiv- und dem Beklagten die Passivklagslegitimation.
Das angefochtene Urteil hat als erwiesen angenommen, daß der Beklagte N. als Kapellenleiter und drei Musiker für eine gewisse Zeit zur Darbietung entsprechender Musik in seinem Unternehmen engagiert hat, daß als Kontrahenten im schriftlichen Vertrag zwar nur der Beklagte und Josef N. genannt sind und den Vertrag unterschrieben haben, daß aber nicht nur für N. ein monatlicher Nettobezug von 2000 S, sondern auch für die drei Musiker ein solcher von je 1500 S neben freier Station vereinbart worden ist, der Beklagte alle Mitglieder der Kapelle bei der Krankenkasse angemeldet und die Lohnauszahlung an jeden einzelnen vorgenommen hat. Die Angabe des Beklagten, daß dies nur aus Gefälligkeit geschehen sei, hat ihm das Berufungsgericht nicht geglaubt. Unangefochten ist ferner festgestellt worden, daß Punkt 9 des schriftlichen Vertrages auf den geltenden Kollektivvertrag Bezug nimmt und darunter der Kollektivvertrag zwischen dem Verband der Konzertlokalbesitzer und aller Veranstalter Österreichs einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Angestellten der freien Berufe, Sektion Musiker, andererseits zu verstehen ist, der auch für alle jene Engagements außerhalb Wiens, die unter schriftlicher Berufung auf den geltenden Kollektivvertrag abgeschlossen wurden, gilt. Wenn das angefochtene Urteil aus diesen Feststellungen in Verbindung mit § 5 Z. 1 des Kollektivvertrages rechtlich folgert, daß die noch im Streit befindlichen Kläger in einem Dienstverhältnis zum Beklagten und nicht zu Josef N. standen, so unterliegt dieser Rechtsschluß keinem Bedenken.
Das ist aber für die Entscheidung nicht von Bedeutung.
Gruppenarbeitsverträge können gegenüber allen Mitkontrahenten gelöst werden, wenn die vereinbarte Arbeitsleistung durch das Verhalten auch nur eines der in der Gruppe vereinigten Arbeitnehmer nicht erbracht werden kann. Hat auch nur eines der Gruppenarbeitsmitglieder einen Entlassungsgrund gesetzt, so kann die ganze Gruppe entlassen werden, wofern sie nicht einen vollwertigen Ersatz beizustellen in der Lage ist. Wenn der Kapellmeister einer Kapelle entlassen wird, so kann die Kapelle, da sie keinen Leiter besitzt, nicht weiter beschäftigt werden. Aus der Leistungsverbundenheit der Orchestermitglieder folgt, daß die Einzelarbeitsverträge auch hinsichtlich ihrer Beendigung voneinander abhängig sind. Da im vorliegenden Fall gar nicht behauptet wird, daß die Orchestermitglieder auch nur versucht hätten, für den entlassenen Dirigenten einen vollwertigen Ersatz anzubieten, so müssen sie es sich gefallen lassen, daß auch ihr Dienstverhältnis als aufgelöst angesehen wird.
Das Klagebegehren war daher abzuweisen.
Anmerkung
Z28002Schlagworte
Entlassung Gruppenarbeitsvertrag, Gruppenarbeitsvertrag, EntlassungsgrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1955:0040OB00120.54.0111.000Dokumentnummer
JJT_19550111_OGH0002_0040OB00120_5400000_000