Norm
Außerstreitgesetz §145Kopf
SZ 28/110
Spruch
Verlassenschaftsprovisorium bei der offenen Handelsgesellschaft.
Entscheidung vom 27. April 1955, 1 Ob 265/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Erblasser Walter J. war zu 60% öffentlicher Gesellschafter der Firma Walter J. OHG. und selbständig vertretungsbefugt. Weitere Gesellschafter sind seine Kinder Dr. Norbert J. und Erna M. zu je 20%. Diese beiden öffentlichen Gesellschafter sind gemeinsam oder je einer von ihnen gemeinsam mit einem Prokuristen vertretungsbefugt. Im Testament vom 28. Juli 1950 hatte Walter J. seine Gattin Margarete J. als Alleinerbin eingesetzt und seinem Sohn Dr. Norbert J. 29% und seiner Tochter Erna M. 5% seiner Gesellschaftsbeteiligung vermacht. Der der Erbin verbleibende Anteil beträgt 26%. Nach Beendigung der Verlassenschaftsabhandlung werden die Erbin Margarete J. zu 26%, Dr. Norbert J. zu 49% und Erna M. zu 25% Gesellschafter der Firma sein.
Nachdem das Erstgericht die unbedingte Erbserklärung der Witwe auf Grund des Testamentes angenommen und ihr nach § 145 AußStrG. die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen hatte, wies es den Antrag der Erbin, ein Vertretungsprovisorium für Dr. Norbert J. auf die Dauer des Verfahrens verlassenschaftsbehördlich zu genehmigen, ab. Nach § 145 AußStrG. könne die Verwaltung des Nachlasses nur einem Erben, nicht aber einem Legatar, wie es Dr. Norbert J. sei, überlassen werden. Abgesehen davon sei eine abhandlungsbehördliche Maßnahme hinsichtlich der Vertretungsbefugnis nicht nötig, weil nach dem Handelsregister ohnedies für die Vertretung der offenen Handelsgesellschaft vorgekehrt sei.
Infolge Rekurses der Erbin hob das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren zu ergänzen und sodann neuerlich zu entscheiden. Nach dem Testament trete nicht die Erbin allein, sondern eine Mehrheit von Personen in die Gesellschafterrechte des Erblassers ein. Die Erbin könne daher nicht allein die Vertretungsbefugnis regeln. Es müsse daher zunächst die zweite Legatarin Erna M. gefragt werden, ob sie der Bestellung des Dr. Norbert J. zustimme. Falls dies der Fall sein werde, könne Dr. Norbert J. die alleinige Vertretungsbefugnis übertragen werden. Andernfalls bestehe keine andere Möglichkeit, als der Erbin gemeinsam mit den beiden Legataren die gemeinsame Vertretungsbefugnis einzuräumen. Dies sei aber insofern zwecklos, als nach dem Handelsregister die Vertretung der Gesellschaft trotz des Todes des allein zeichnungsberechtigten Erblassers durch Kollektivzeichnung der übrigen Gesellschafter geregelt sei.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionsrekursen der Erbin und der Legatare nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es muß festgehalten werden, daß der Erblasser nicht der Alleininhaber der in Frage stehenden Firma, sondern nur deren öffentlicher Gesellschafter mit einem Beteiligungsverhältnis von 60% gewesen ist. Die Tätigkeit des Abhandlungsgerichtes kann sich daher von vornherein nur auf die Gesellschafterrechte des Erblassers und nicht auch auf die Gesellschaft selbst erstrecken (SZ. XXIII 316). Das Verlassenschaftsgericht wäre daher nicht befugt, die auf Grund des Gesellschaftsvertrages bestehenden Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft einseitig zu ändern und damit in die Rechte der Mitgesellschafter einzugreifen. Wohl aber kann das Verlassenschaftsgericht auf Grund seines Aufsichtsrechtes Anordnungen darüber treffen, wer an Stelle des Erblassers während der Dauer des Abhandlungsverfahrens dessen Gesellschafterrechte auszuüben habe (vgl. Art. 7 Nr. 17 der 4. EVzHGB.). Dieses Verlassenschaftsprovisorium, das dann auch zum Handelsregister anzumelden ist, betrifft daher im vorliegenden Fall nur die Frage, ob an Stelle des allein zeichnungsberechtigten Erblassers eine andere Person die Vertretungsrechte auszuüben habe (vgl. Demelius, Tod des Gesellschafters, NotZ. 1954 S. 113 ff.).
Die Erbin, der nach § 145 AußStrG. die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen worden ist, hat zwar das Recht, ein Verlassenschaftsprovisorium im angedeuteten Umfang zu beantragen. Da aber neben ihr auch zwei Legatare in die Gesellschafterrechte des Erblassers eintreten sollen, müssen auch deren Interessen gewahrt werden, wenn über den Antrag entschieden wird. Die Erbin hat daher nicht das unbedingte Recht, zu verlangen, daß gerade die Person ihres Vertrauens, und mag dies auch der eine der beiden Legatare sein, mit der Vertretung und Ausübung der Gesellschafterrechte des Erblassers betraut wird. Der Meinung der Legatarin Erna M., mit der Vertretung könnte niemals ein Legatar, sondern immer nur die Erbin betraut werden, kann nicht beigetreten werden. Mit dem Nachlaßprovisorium ist nämlich immer nur Mandeln für die Verlassenschaft und nicht kraft Erbenrechts verbunden (Demelius, Das kaufmännische Nachlaßverfahren in Österreich, S. 148 f.), eine Tätigkeit, die auch ein Nichterbe versehen kann, mag er auch im übrigen von früher her abweichende Gesellschafterrechte besitzen. Mit Rücksicht auf das rechtliche Interesse der Legatare an der vorliegenden Entscheidung muß vorher deren Stellungnahme eingeholt werden. Sie sind als Beteiligte im Verlassenschaftsverfahren anzusehen und waren als solche auch befugt, die Rekursentscheidung anzufechten.
Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes kann jedoch die Stellungnahme der Legatarin Erna M., die vom Erstgericht einzuholen sein wird, nicht dazu führen, daß der Antrag der Erbin, eine Einzelperson mit der Vertretung zu beauftragen, nur bewilligt werden könnte, wenn Erna M. ihre Zustimmung erteilt. Ihre Heranziehung zum Verfahren soll nur ermöglichen, daß das Verlassenschaftsgericht eine den Interessen aller an den Gesellschafterrechten des Erblassers Beteiligten dienende Entscheidung treffen kann. Kraft des Rechtes des Verlassenschaftsgerichtes, während des Abhandlungsverfahrens für die Beaufsichtigung des Nachlasses zu sorgen, kann es auch unter Abgehen von den Wünschen eines der Beteiligten die nach seiner Ansicht zweckmäßigste Verfügung erlassen, durch die die Ausübung der Gesellschafterrechte gewährleistet wird.
Entgegen der Meinung der Legatarin Erna M. kann nicht gesagt werden, daß ein Verlassenschaftsprovisorium nicht nötig sei, weil ohnedies auch nach dem Wegfall des Erblassers als selbständig vertretungsbefugten Gesellschafters noch immer in der Person der Legatare kollektiv zeichnungsberechtigte Gesellschafter vorhanden seien. Denn es handelt sich hier nicht um die Interessen der Gesellschaft als solcher, sondern um die des ruhenden Nachlasses, der berechtigtes Interesse haben kann, die selbständige Vertretungsbefugnis des Erblassers in irgendeiner Form gegenüber den konkurrierenden Rechten der anderen Gesellschafter durchzusetzen.
Das Erstgericht wird sein Verfahren dadurch zu ergänzen haben, daß die Legatarin beigezogen wird und die notwendigen Erhebungen, insbesondere auch die Einsicht in den Gesellschaftsvertrag, durchgeführt werden, um das Nachlaßprovisorium in der zweckmäßigsten Weise zu gestalten. Dabei wird nicht außer acht zu lassen sein, daß in die Rechte der beiden Legatare in ihrer Eigenschaft als bisherige Mitgesellschafter des Erblassers nicht eingegriffen wird. Das Verlassenschaftsgericht wird sich aber durch Einwendungen der Legatare in ihrer Eigenschaft als bisherige Mitgesellschafter von der ihm zweckmäßig erscheinenden Verfügung nicht abhalten lassen dürfen, da ja diese nicht die Gesellschaft als solche, sondern nur die 60%igen Gesellschafterrechte des Erblassers zum Gegenstand haben wird.
Über die Eintragung in das Handelsregister wird das Handelsgericht zu entscheiden haben.
Anmerkung
Z28110Schlagworte
Abhandlungsprovisorium bei der offenen Handelsgesellschaft, Handelsgesellschaft offene Verlassenschaftsprovisorium, Offene Handelsgesellschaft Verlassenschaftsprovisorium, Verlassenschaftsprovisorium bei der offenen HandelsgesellschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1955:0010OB00265.55.0427.000Dokumentnummer
JJT_19550427_OGH0002_0010OB00265_5500000_000