TE OGH 1955/9/6 4Ob146/55

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Veröffentlicht am 06.09.1955
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Norm

Angestelltengesetz §17 Abs7
Kunstakademiegesetz §§1 ff

Kopf

SZ 28/195

Spruch

Studien an einer Kunstakademie sind nicht Hochschulstudien (§ 17 Abs. 7 AngG.).

Entscheidung vom 6. September 1955, 4 Ob 146/55.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht gab der Klage, die auf Bezahlung der Kündigungsentschädigung für 12 Werktage in den Dienstjahren 1952/53 und 1953/54 in der Gesamthöhe von 437 S 04 g gerichtet ist, statt. Die Klägerin habe in den Jahren 1945-1950 an der Akademie für angewandte Kunst in Wien studiert und das Abschlußdiplom erlangt. Bei dieser Akademie handle es sich nach dem Kunstakademiegesetz vom 30. Juni 1948, BGBl. Nr. 168, um einen Schultyp sui generis, der nicht Hochschule im technischen Sinne sei. Die Unterrichtsanstalt habe aber doch den Status einer Hochschule, was sich aus ihrer Organisation, dem Studiengang, vor allem aber daraus ergebe, daß die Schüler nach der Ablegung einer künstlerischen Reifeprüfung, als Kunsthochschüler zugelassen seien, die zur Österreichischen Hochschülerschaft gehörten (§ 1 Abs. 1 des Hochschülerschaftsgesetzes vom 12. Juli 1950, BGBl. Nr. 174). Außerdem erhielten die Kunsthochschüler nach der Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen ein akademisches Diplom. Die Studien der Klägerin an der Akademie für angewandte Kunst müßten daher als Hochschulstudien im Sinne des § 17 Abs. 7 AngG. angesehen und bei der Berechnung des Urlaubes berücksichtigt werden. Ihr stunden daher für das erste und zweite Dienstjahr bei der Beklagten je 18 Werktage Urlaub zu. Da ihr aber unbestrittenermaßen nur je 12 Werktage eingeräumt worden seien und die Gewährung der Urlaubsdifferenz verweigert worden sei, habe sie Anspruch auf die Kündigungsentschädigung in der außer Streit gestellten Höhe des Klagsbetrages.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die Klage abgewiesen wurde. Es sei zwar unerheblich, ob es richtig sei, wie die Beklagte behauptet habe, daß das Kunststudium der Klägerin für deren Beschäftigung als qualifizierte Bürohilfskraft bei der Beklagten ohne Bedeutung sei, denn die Einrechnung der Hochschulstudien in die für den Urlaub maßgebende Dienstzeit nach § 17 Abs. 7 AngG. setze den Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Hochschulstudium nicht voraus. Streitentscheidend sei aber die Frage, ob es sich bei den von der Klägerin zurückgelegten Studien um Hochschulstudien handle. Die Akademie für angewandte Kunst bezwecke nach dem Kunstakademiegesetz die Ausbildung der künstlerischen Fähigkeit von der mittleren bis zur höchsten Stufe und die Vermittlung fachwissenschaftlicher Kenntnisse auf dem Gebiete der Kunst. Ihr Leiter führe den Titel eines Präsidenten der Akademie für angewandte Kunst. Der Unterricht werde von Hochschulprofessoren, vertragsmäßig bestellten Lehrern und Lehrbeauftragten versehen. Die Schüler der Akademie seien Kunstschüler, die, sofern sie die künstlerische Reifeprüfung ablegten, Kunsthochschüler würden. Kunstschüler, die diese Reifeprüfung nicht ablegten, erhielten ein Abgangszeugnis. Kunsthochschüler hätten nach der Ablegung einer Abschlußprüfung Anspruch auf ein Diplomzeugnis. Nach dem Hochschülerschaftsgesetz bildeten die ordentlichen Hörer österreichischer Staatsbürgerschaft an den österreichischen Hochschulen und die Kunsthochschüler österreichischer Staatsbürgerschaft an den Kunstakademien in ihrer Gesamtheit die Österreichische Hochschülerschaft. Dieser letztere Umstand sowie die Bezeichnung der Kunstschüler, die die künstlerische Reifeprüfung ablegten, könnten nach der Meinung des Berufungsgerichtes die Meinung aufkommen lassen, daß es sich bei der Akademie für angewandte Kunst um eine Hochschule handle. Aus Nr. 569 und 647 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, V. GP., ergebe sich aber, daß der Gesetzgeber trotz dieser äußeren Merkmale, wie der Bezeichnung als Kunsthochschüler und deren Zugehörigkeit zur Österreichischen Hochschülerschaft, bei der Schaffung der Akademie nicht an eine Hochschule im eigentlichen Sinn gedacht habe. In diesen Berichten werde darauf hingewiesen, daß die Akademie in der nationalsozialistischen Zeit zu einer Reichshochschule erhoben worden sei, daß sie aber 1945 diesen Hochschulcharakter verloren und sich damals die Frage aufgedrängt habe, ob dieses Institut wieder in den Stand von künstlerischen Schulen eigenen Ranges zurückgeführt werden solle oder ob sie als österreichische Hochschule weiterzuführen sei. Nachdem gegen den Hochschulcharakter besonders von der Akademie der bildenden Künste Einwände erhoben worden seien, habe man sich entschlossen, davon abzusehen und der Akademie für angewandte Kunst einen Status zu verleihen, der zwischen Mittelschule und Hochschule eine Mittelstellung einnehme. Hiedurch sei der Akademie nur ein hochschulähnlicher Charakter erhalten worden, ohne daß sie aber Hochschule geworden wäre. Aus den Grundsätzen über das Lehrziel der Akademie, aber auch aus ihrer Organisation und der Erleichterung der Voraussetzungen für den Besuch gegenüber den Universitäten und sonstigen Hochschulen, ergebe sich, daß es dem Gesetzgeber auch gelungen sei, in der Akademie für angewandte Kunst einen Schultypus zu schaffen, der zwar äußere Merkmale einer Hochschule aufweise, sich aber in seinen Grundzügen von einer Hochschule wesentlich unterscheide. Diese rein äußerlichen Merkmale genügten nach der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht, um den Angestellten die Anrechnung von Studienzeiten an dieser Akademie nach § 17 Abs. 7 AngG. zu ermöglichen. Diese Gesetzesstelle bedeute einen Schutz für diejenigen Angestellten, die durch ihre Hochschulstudien erst später als andere in das Erwerbsleben einträten. Da das Studium an der Akademie für angewandte Kunst keine abgeschlossene Mittelschulbildung voraussetze und nicht das Ausmaß der Studienzeit an einer Universität oder Hochschule erreichen müsse, bedürften die Absolventen der Akademie auch nicht des Schutzes des § 17 Abs. 7 AngG.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klagerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Umstand, daß die Akademie für angewandte Kunst während der nationalsozialistischen Zeit den Rang einer Reichshochschule erlangt hat, spielt für die Frage, welchen Charakter diese Schule seit dem Jahre 1945 hat, keine Rolle. Denn durch die 16. Kundmachung über die Aufhebung von Rechtsvorschriften des Deutschen Reiches (StGBl. Nr. 75/1945) ist mit Wirkung vom 28. Mai 1945 festgestellt worden, daß alle von den deutschen Behörden in Angelegenheiten des Hochschulwesens erlassenen Gesetze, Verordnungen und Erlässe außer Kraft getreten und die früheren österreichischen Vorschriften wieder wirksam geworden sind. Es kann auch keine Rolle spielen, daß das Studium an der Reichshochschule für angewandte Kunst als Hochschulstudium zu werten wäre, da nur der jeweilige, zur Zeit des Studiums geltende Gesetzesstand maßgebend sein kann. Der Status der Kunstakademien ist dann durch das Kunstakademiegesetz vom 30. Juni 1948, BGBl. Nr. 168, und die Organisationsstatute (vgl. BGBl. Nr. 241/1949) festgelegt worden. Wie das Berufungsgericht richtig ausgeführt hat, handelt es sich bei den Kunstakademien um Schulen eigener Art, die eine Mittelstellung zwischen Mittel- und Hochschulen einnehmen. Würde es sich bei den Akademien um wirkliche Hochschulen und beim Studium an ihnen um ein vollwertiges Hochschulstudium handeln, wäre es für den Gesetzgeber nahe gelegen, diese Bezeichnung im Kunstakademiegesetz zu verwenden. Der Umstand, daß nach § 4 des Gesetzes auch Hochschulprofessoren an den Akademien tätig werden können und daß die Kunstschüler nach der Ablegung der künstlerischen Reifeprüfung an der Akademie als Kunsthochschüler bezeichnet werden (§ 6), bedeutet nichts anderes, als daß diese von der mittleren zur höchsten Stufe der künstlerischen Ausbildung an der Akademie (vgl. § 1 Abs. 1 zweiter Satz) gelangt sind und Professoren von Hochschulen vortragen können. Dadurch wird aber die Lehranstalt nicht zur Hochschule. Ebensowenig ist es für den Rang der Schule von wesentlicher Bedeutung, daß die Kunsthochschüler als Mitglieder der Österreichischen Hochschülerschaft nach § 1 des Hochschülerschaftsgesetzes vom 12. Juli 1950, BGBl. Nr. 174, zugelassen werden.

Damit sollte den Kunsthochschülern ein Maß von Selbstverwaltung eingeräumt werden, wie sie an den Hochschulen gewahrt wird, ohne aber ihr Studium in den Rang eines Hochschulstudiums zu erhöhen. Dementsprechend unterscheidet das erwähnte Gesetz im § 1 Abs. 1 auch ausdrücklich zwischen den "österreichischen Hochschulen" und den "österreichischen Kunstakademien". Wie sich aus § 9 Abs. 6 des Kunstakademiegesetzes in der Fassung der Novelle vom 30. Juni 1954, BGBl. Nr. 177, ergibt, finden die für Hochschüler jeweils geltenden Disziplinarvorschriften nur "sinngemäß" und nicht direkt Anwendung. Wenngleich die erwähnte Kunstakademiegesetz-Novelle 1954 erst nach dem Abschluß der Studien der Klägerin erlassen worden ist, bedeutet sie doch nur die ausdrückliche Festlegung eines schon vorher bestehenden Rechtszustandes. Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang, daß auch das neue Hochschul-Organisationsgesetz vom 13. Juli 1955, BGBl. Nr. 154, den Kunstakademien die Hochschulorganisation nicht zuteil werden und die Präsidenten der Kunstakademien nur in beschränktem Umfang an den Rektorenkonferenzen teilnehmen läßt (§ 68 Abs. 3). Es ist auch nicht ohne Bedeutung, daß im § 2 des Gesetzes vom 27. Jänner 1954, BGBl. Nr. 40, bei der Anführung der Akademie für angewandte Kunst in der Klammer beigefügt wurde "früher Reichshochschule für angewandte Kunst bzw. Hochschule für angewandte Kunst".

Im übrigen genügt es, auf die durchaus einleuchtenden Argumente des Berufungsgerichtes hinzuweisen.

Die Begünstigung des § 17 Abs. 7 AngG. steht nur Angestellten zu, die "Hochschulstudien", also Studien an einer Hochschule, absolviert haben. Wer, wie im vorliegenden Fall die Klägerin, an einer Kunstakademie, also einer Lehranstalt ohne ausgesprochenen Hochschulcharakter, studiert hat, kann das aus der angeführten Gesetzesstelle sich ergebende Recht der Studienanrechnung nicht geltend machen.

Anmerkung

Z28195

Schlagworte

Hochschulstudien, Kunstakademie, Kunstakademie, keine Hochschule

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0040OB00146.55.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19550906_OGH0002_0040OB00146_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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