TE OGH 1955/9/7 3Ob393/55

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Veröffentlicht am 07.09.1955
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Norm

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §3
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §16
Versicherungsvertragsgesetz §74
Versicherungsvertragsgesetz §75

Kopf

SZ 28/199

Spruch

Bei der Insassenversicherung hat der versicherte Insasse das Recht, vom Versicherungsnehmer zu verlangen, daß er die von ihm einkassierte Versicherungssumme nach Abzug seiner Gegenforderungen dem Versicherten auch tatsächlich zukommen läßt.

Entscheidung vom 7. September 1955, 3 Ob 393/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Am 27. September 1951 hatte Ing. Franz W. jun. mit dem von ihm gelenkten Personenkraftwagen auf der Fahrt von Graz nach Wien in der Nähe von G. mit einem entgegenkommenden Lastkraftwagen einen Zusammenstoß, wodurch sowohl er selbst als auch die beiden in seinem Kraftwagen befindlichen Insassen Friedrich G. und Herbert F. (Gatte der Klägerin) getötet wurden. Ing. Franz W. jun. hat bei der W.- Versicherungsanstalt zu Pol.-Nr. 426/9273 am 2. Dezember 1948 eine Insassenunfallversicherung über die Beträge von 100.000 S bei Tod, 200.000 S bei Dauerfolgen und 5000 S für Heilungskosten abgeschlossen. Nach dem Inhalt der Insassenunfallversicherung waren die berechtigten Insassen außer angestellten Kraftfahrern und Beifahrern mit der Maßgabe versichert, daß jede einzelne der unter die Insassenversicherung fallenden Personen, welche sich zur Zeit des Unfalles im Kraftfahrzeug befindet, mit dem der Anzahl dieser Personen entsprechenden Teilbetrag der Versicherungspauschalsummen versichert ist. Da sich im Zeitpunkt des Unfalles Ing. Franz W. jun., Friedrich G. und Herbert F. im Kraftwagen als Insassen befunden haben, entfällt nach dieser Bestimmung auf jede Person ein Drittel des Pauschalbetrages von 100.000 S, somit der Betrag von 33.333 S 33 g.

Die Klägerin vertritt in der vorliegenden Klage den Standpunkt, daß ihr als Erbin nach ihrem bei dem Unfall am 27. September 1951 getöteten Gatten Herbert F. und mit Rücksicht auf das mit den übrigen Erben (mj. Kinder F.) getroffene Erbübereinkommen ein Anspruch gegenüber der beklagten Verlassenschaft nach Ing. Franz W. jun. auf Zustimmung zur Auszahlung der anteilsmäßigen Versicherungssumme aus der von Ing. Franz W. jun. abgeschlossenen Insassenunfallversicherung zustehe. Die Insassenunfallversicherung habe den selbstverständlichen Zweck, dar die Erben nach einem bei einem Autounfall um das Leben gekommenen Insassen ehestmöglich in den Besitz eines Geldbetrages kämen, der ihr weiteres Fortkommen gewährleiste. Da die beklagte Partei die Zustimmung zur Auszahlung der Versicherungssumme verweigert habe, stellt die Klägerin das Begehren, die Verlassenschaft nach dem am 27. September 1951 verstorbenen Ing. Franz W. jun. sei schuldig, in die Auszahlung des z Pol.-Nr. 426/9273 der W.-Versicherungsanstalt der Klägerin gebührenden Versicherungsbetrages von 33.333 S 33 g durch diese an die Klägerin einzuwilligen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit nachstehender Begründung ab:

Die Insassenunfallversicherung sei unbestritten von Ingenieur Franz W. jun. als Versicherungsnehmer mit der Versicherungsanstalt abgeschlossen worden. Vertragspartner sei also Ingenieur Franz W. jun., bzw. die Verlassenschaft nach diesem. Die in diesem Versicherungsvertrag Begünstigten (die namentlich nicht genannten Insassen des Personenkraftwagens) könnten daher aus diesem Vertrag selbständig Rechte weder gegen den Versicherer noch gegen den Versicherungsnehmer geltend machen. Dies ergebe sich eindeutig aus der generellen Regelung im § 3 Abs. 2 der der Insassenunfallversicherung zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB), welche Vorschrift für die Insassenunfallversicherung durch die weitere Norm des § 16 Abs. 5 ergänzt werde, wonach nur namentlich versicherte Personen ihre Versicherungsansprüche selbständig geltend machen könnten. Daraus folge, daß hinsichtlich der allgemeinen Insassenunfallversicherung ausschließlich der Versicherungsnehmer, nicht aber die nicht namentlich versicherten jeweiligen Insassen, bzw. deren Rechtsnachfolger, zur Geltendmachung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag berechtigt seien. Die Insassen bzw. ihre Rechtsnachfolger könnten daher auch nicht vom Versicherungsnehmer die Durchsetzung ihrer Ansprüche verlangen, bzw. begehren, daß der Versicherungsnehmer der Ausfolgung der Versicherungssumme durch die Versicherungsanstalt zustimme. Es sei auch der beklagten Partei darin beizupflichten, daß die vom Halter eines Kraftfahrzeuges auf eigene Rechnung und Kosten genommene Insassenunfallversicherung nicht den Zweck verfolgen könne, daß die Erben des bei einem Autounfall getöteten Insassen ehebaldigst in den Besitz eines Geldbetrages kommen, sondern lediglich den Zweck habe, den Versicherungsnehmer für den Eintritt des Versicherungsfalles gegen Ersatzansprüche der vom Unfall betroffenen Insassen sicherzustellen.

Der dagegen seitens der klagenden Partei erhobenen Berufung wurde Folge gegeben, das angefochtene Urteil unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht gelangte aus folgenden Erwägungen zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung:

Feststehe, daß die Insassenunfallversicherung keine Haftpflichtversicherung sei, daher der Versicherungsanspruch aus der Insassenunfallversicherung unabhängig von der Haftpflicht des Versicherungsnehmers und auch ohne eine solche Haftpflicht entstehe, wogegen sich der Versicherte (seine Rechtsnachfolger) die Leistungen aus einer vom Versicherungsnehmer für ihn genommenen Insassenunfallversicherung auf seine Haftpflichtersatzansprüche gegen den Versicherungsnehmer anrechnen lassen müsse. Wenn auch § 3 Abs. 2 und § 16 Abs. 5 AKB. bei Fehlen der Angabe namentlich versicherter Personen in der Insassenunfallversicherung die Ausübung der Rechte und die Geltendmachung der Ansprüche aus der Insassenunfallversicherung bloß dem Versicherungsnehmer übertrügen, so werde dadurch dennoch am rechtlichen Grundcharakter des Anspruches aus der Insassenunfallversicherung nichts geändert, und es entstehe dieser Anspruch ausschließlich in der Person des Versicherten, der in diesem Falle vom Versicherungsnehmer verschieden sei. Der Anspruch gehöre daher zu seinem Vermögen. Die sich aus § 3 Abs. 2 und § 16 Abs. 5 AKB. ergebende Beschränkung in der Geltendmachung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag, dergestalt, daß nur der Versicherungsnehmer zur Geltendmachung befugt ist, stelle keine den Anspruch des Versicherten selbst etwa auslöschende Regelung dar und bedeute nicht mehr, als daß nach Eintritt des Versicherungsfalles der Versicherungsnehmer als ein vom Gesetz bestimmter, formell Verfügungsberechtigter für den materiell anspruchsberechtigten Versicherten eingesetzt werde, so daß ein gesetzlich normiertes Treuhandverhältnis vorliege. Daraus ergebe sich nach Auffassung des Berufungsgerichtes, daß zwar dem Versicherten (anspruchsberechtigten Dritten) durch die Sonderbestimmung des § 16 Abs. 5 AKB. in Verbindung mit § 3 Abs. 2 AKB. die selbständige Geltendmachung der ihm zustehenden Ansprüche versagt sei, der Versicherungsnehmer aber infolge der Rechtsnatur des Treuhandverhältnisses und der in einem solchen Falle zu beachtenden Grundsätze von Treu und Glauben die aus dem Versicherungsvertrag entstandenen Rechte für den anspruchsberechtigten Versicherten geltend zu machen und dessen Interessen zu wahren habe. Daraus folge, daß der Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten (anspruchsberechtigten Dritten) dahin gehe, daß die beklagte Partei schuldig sei, diese aus dem Versicherungsvertrag erwachsenden, der Klägerin zustehenden Ansprüche geltend zu machen und die Versicherungssumme, bzw. den entsprechenden Anteil, der Klägerin auszufolgen. Ein solches Begehren sei zwar von der Klägerin nicht gestellt worden, da sie nur begehre, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Auszahlung durch die Versicherungsgesellschaft an die Klägerin zuzustimmen. Im Hinblick auf dieses Klagebegehren, das auch der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsauffassung nicht entspreche, habe das angefochtene Urteil zur Klarstellung aufgehoben werden müssen, ob die Versicherungsgesellschaft zur Leistung an die Klägerin mit Zustimmung der beklagten Partei als Versicherungsnehmerin bereit war, bzw. bereit sei oder ob und welche grundsätzlichen Erwägungen sie zu einer Ablehnung des Anspruches veranlassen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Insassenversicherung nach § 16 AKB. ist eine Versicherung für fremde Rechnung im Sinne des § 74 VersVG. Sie unterscheidet sich von der in den §§ 74 ff. VersVG geregelten Fremdversicherung dadurch, daß ein Versicherungsschein nicht ausgestellt ist und die Verfügung über die Versicherung nach außen bei der Insassenversicherung nach § 16 AKB. abweichend von § 75 f. VersVG. geregelt ist. Während nach Schweizer Recht nach Eintritt des Versicherungsfalles bei der Kollektiv-Unfallversicherung dem verletzten Dritten in allen Fällen ein direktes, unabdingbares Recht gegen den Versicherer eingeräumt ist (Art. 98 des schweizerischen VersVG., BGE. v. 28. März 1929, SVA. VI Nr. 103), wird bei dem bei uns heute geltenden Recht der AKB. unterschieden, ob es sich um namentlich oder um nicht namentlich versicherte Insassen handelt; erstere können wie nach Schweizer Recht die ihnen gegen den Versicherer zustehenden Ansprüche unmittelbar geltend machen (§ 16 Abs. 5 AKB.), während alle anderen insassenversicherten Personen von der unmittelbaren Geltendmachung ihrer Rechte ausgeschlossen sind, da nach § 3 Abs. 2 AKB. die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag - den Ausnahmefall des § 16 Abs. 5 ausgenommen - ausschließlich dem Versicherungsnehmer zusteht.

Der Umstand, daß der Versicherungsnehmer nach außen allein verfügungsbefugt ist, berührt aber die Tatsache nicht, daß es materiell Ansprüche der Insassen sind, die er geltend macht. Seine Rechtsstellung ist trotz des weiteren Umfanges seiner Berechtigung im Innenverhältnis immer durch den Grundsatz beschränkt, daß es fremde Ansprüche sind, die er geltend macht. Das Grundprinzip der Schadensversicherung, daß sich ein Versicherungsnehmer niemals durch eine Versicherung bereichern darf, gilt auch für die Insassenversicherung. Sein Forderungsrecht gegen den Versicherer ist daher immer von dem Nachweis abhängig, daß tatsächlich ein Schaden entstanden ist, der von der Versicherung gedeckt ist. Da es sich um einen fremden Anspruch handelt, von dem das Berufungsgericht zutreffend sagt, daß er ihm nur treuhändig zusteht, so darf er - ohne sich dem Versicherten gegenüber schadenersatzpflichtig zu machen - auf den Versicherungsanspruch gegen den Versicherer nicht verzichten. Er darf auch den inkassierten Betrag nicht behalten, sondern muß ihn den materiell Berechtigten ausfolgen (vgl. die schweizerische BGE. vom 12. Mai 1934, SVA. VII Nr. 88) wobei es ihm selbstverständlich freisteht, dem Versicherten gegenüber seine Gegenansprüche aufrechnungsweise geltend zu machen. Die Verfügungsbefugnis nach außen soll nicht den Versicherten, dem der Versicherungsanspruch materiell kraft der Bestimmungen der AKB. gehört, um die ihm zustehenden Rechte bringen; er soll nur die Versicherer davon befreien, mit anderen, nicht im voraus bekannten Personen wegen der Regulierung unterhandeln zu müssen, und insbesondere auch, wie das Obergericht Zürich jüngst in der Entscheidung vom 3. April 1951, SVA. X Nr. 24, richtig hervorgehoben hat, den Versicherungsnehmer sichern, daß er durch Einzug der Entschädigungssumme die Möglichkeit der Verrechnung mit seinen Aufwendungen erhält.

Der Versicherte kann freilich vom Versicherungsnehmer nicht verlangen, daß er ihm die Versicherungsansprüche vor ihrer endgültigen Feststellung abtritt, weil der Versicherungsnehmer dazu nach § 3 Abs. 3 AKB. ohne Genehmigung des Versicherers gar nicht berechtigt wäre, denn der Versicherer soll davor geschützt werden, mit dritten Personen unterhandeln zu müssen.

Andererseits darf niemals übersehen werden, daß es der Anspruch der versicherten Insassen ist, den der Versicherungsnehmer geltend zu machen hat. Man muß daher dem Versicherten das Recht zuerkennen, vom Versicherungsnehmer zu verlangen, daß er die von ihm einkassierte Versicherungssumme - nach Abzug seiner Gegenforderungen - dem Versicherten auch tatsächlich zukommen läßt. Die Berechtigung dieses Verlangens liegt insbesondere dann klar zu Tage, wenn der Versicherungsnehmer vermögenslos ist. Es wäre der Interessenlage nicht entsprechend, wenn man, wie dies jüngst das Kammergericht Berlin (E. v. 29. Juli 1954, VersR. 1954 S. 454) getan hat, dem Versicherten nur einen Ersatzanspruch wegen Handelns gegen die guten Sitten zuerkennen wollte, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsanspruch nicht geltend macht, auf ihn verzichtet oder die Versicherungssumme anders verwendet. Aus dem Treuhandverhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer folgt vielmehr, daß der versicherte Insasse - auch wenn sonst kein wie immer zu qualifizierendes Verhältnis zwischen Versichertem und Versicherungsnehmer vorliegt - intern berechtigt ist, vom Versicherungsnehmer zu verlangen, daß er den Versicherungsanspruch geltend mache und ihm die Versicherungssumme nach erfolgter Feststellung ihrer Höhe zugänglich mache, soweit sie nicht durch Gegenansprüche aufgezehrt ist.

Ob der Klagsantrag, die Beklagten seien schuldig, in die Auszahlung des der Klägerin gebührenden Versicherungsbetrages von 33.333 S 33 g an die Klägerin zu willigen, so gemeint ist oder ob die Klägerin damit eine Zession des Anspruchs vor Feststellung gegenüber dem Versicherer verlangen wollte, was ihr nach § 3 Abs. 3 AKB. verwehrt ist, ist unklar. Da die Sache wegen Feststellung des Gegenanspruchs des Versicherungsnehmers ohnehin aufgehoben werden muß - insbesondere wird, auch die Frage zu erörtern sein, ob und inwieweit eine Aufrechnung einer etwaigen Haftpflichtversicherung in Betracht kommt -, wird das Erstgericht auch Gelegenheit haben, den Sinn des Klagsantrages klarzustellen.

Anmerkung

Z28199

Schlagworte

Insassenversicherung, Rechte des Versicherten, Kraftfahrzeugversicherung, Insassenversicherung, Rechte des Versicherten, Versicherung der Insassen eines Kraftfahrzeuges, Rechte der Versicherten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0030OB00393.55.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19550907_OGH0002_0030OB00393_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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