Norm
ABGB §44Kopf
SZ 28/241
Spruch
Wenn der Ehemann nach Einbringung der Scheidungsklage die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft begehrt, ist dieses Begehren für die Dauer des Scheidungsverfahrens gesetzwidrig.
Entscheidung vom 9. November 1955, 2 Ob 661/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der Antragsteller begrundet seinen Antrag, der Antragsgegnerin aufzutragen, binnen 14 Tagen bei Exekution in den gemeinsamen Haushalt in Linz oder Wien zurückzukehren, damit, daß er im Jahre 1945 die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten verlassen habe, um andernorts einem Beruf nachzugehen, daß er in der Folge wiederholt vergeblich versucht habe, die Scheidung seiner Ehe nach § 55 EheG. zu erreichen, und daß auch derzeit ein Verfahren über eine von ihm auf §§ 49 und 55 EheG. gestützte Scheidungsklage anhängig sei. Da die Antragsgegnerin sich seinem Scheidungsverlangen widersetze und, von ihm Unterhaltsleistung in Geld begehre, früheren außergerichtlichen Aufforderungen, die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, aber nicht Folge geleistet habe, verlange er, sie zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu verhalten. Die Antragsgegnerin hat demgegenüber darauf hingewiesen, daß die neuerliche Scheidungsklage des Antragstellers bereits in zwei Instanzen abgewiesen worden sei, und zwar u. a. mit der Begründung, daß es dem Antragsteller mit seinem Verlangen nach Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft nicht ernst sei. Die Antragsgegnerin bringt weiter vor, daß der Antragsteller ehewidrige Beziehungen zu einer Frau unterhalte, und bittet um eine Frist, um sich„über die Bedingungen, unter welchen eine Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft möglich ist, mit dem Antragsteller auseinanderzusetzen."
Das Erstgericht hat im Sinne des gestellten Antrages erkannt.
Das Rekursgericht hat über Rekurs der Antragsgegnerin diese Entscheidung bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab dem außerordentlichen Revisionsrekurs Folge und wies den Antrag ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Antragsteller will wegen tiefer, unheilbarer Zerrüttung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin ohne Hoffnung auf Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft im Zusammenhang mit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft seit drei Jahren die Auflösung des Ehebandes erreichen; er kann demnach nach seinem eigenen Vorbringen kein Interesse an der Wiederherstellung einer dauernden, unzertrennlichen Gemeinschaft im Sinne des § 44 ABGB. mit der von ihm verlassenen Ehegattin haben, durch welche Wiederherstellung unter Umständen eine wesentliche Voraussetzung seines auf § 55 EheG. gestützten Scheidungsbegehrens wegfallen würde (vgl. hiezu Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht, S. 29, ferner SZ. XXI 126). Da mit dem früher gestellten und aufrecht erhaltenen Scheidungsbegehren die Auflösung der Ehe, also auch die Beseitigung der Pflicht zum gemeinschaftlichen Leben, angestrebt wird, kann der Zweck des später gestellten, damit im Widerspruch stehenden, gegenständlichen Begehrens auf Herstellung des gemeinschaftlichen Lebens vor der rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens nur als darin gelegen angesehen werden, die vor Jahren verstoßene Ehegattin während des Scheidungsverfahrens bei sich zu haben.
Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in wiederholten neueren Entscheidungen (neuerdings 2 Ob 152/55 und 3 Ob 431/55) seiner Rechtsansicht Ausdruck gegeben, daß kein Eheteil dem anderen die nach § 44 ABGB. zum Wesen der Ehe gehörige Gemeinschaft dauernd verweigern darf, solange das Eheband besteht, daß daher jeder Gattenteil den anderen im Außerstreitwege jederzeit dazu verhalten lassen kann, in die Ehegemeinschaft zurückzukehren (wenn diesem anderen Teil nicht mit einstweiliger Verfügung der abgesonderte Wohnort bewilligt worden ist), ohne daß der Außerstreitrichter die vom anderen Teil vorgebrachten (einem allfälligen Scheidungsverfahren vorbehaltenen) Weigerungsgrunde (mit denen dieser andere Teil das Recht auf ein dauerndes Getrenntleben begrunden will) zu überprüfen hätte. Der Oberste Gerichtshof hat aber bei Darlegung dieser seiner Rechtsansicht auch stets auf die notwendige Einschränkung dahingehend hingewiesen, daß in Ausnahmsfällen der Ehegatte nicht auf der Folgepflicht seiner Gattin bestehen kann (und selbstverständlich auch nicht die Gattin auf Wiederaufnahme in die Ehegemeinschaft), z. B. wenn ohne Aufhebung der ehelichen Verbindung im Sinne des § 93 ABGB. besondere Umstände ein vorübergehendes getrenntes Wohnen erforderlich machen, wie etwa Krankheit, Kurgebrauch, berufliche Gründe usw. (SZ. XXIV 308, 2 Ob 152/55), oder wenn das Bestehen des Ehemannes auf der Folgepflicht den gemeinsamen ehelichen Interessen widerstreiten, ja geradezu eine dem Wesen der Ehe widerstreitende, mißbräuchliche und daher sittenwidrige Rechtsausübung darstellen würde (in welchem Fall nicht gesagt werden könnte, daß die Wiederaufnahme einer wahren Ehegemeinschaft im Sinne des § 44 ABGB. angestrebt wird), so wenn der Ehegatte außerstande ist, seiner Gattin ein erträgliches Heim zu schaffen, wenn die Gattin, weil der Mann sie nicht erhalten kann, genötigt ist, anderweitig - etwa bei ihren Eltern oder an einem Orte, wo sie sich selbst fortbringen kann - zu wohnen, oder wenn der Ehefrau das Zusammenleben aus anderen triftigen Gründen nicht zugemutet werden kann, etwa weil der Mann in der ehelichen Wohnung eine Beischläferin hält, oder in anderen besonders schweren, gegen die wichtigsten Grundsätze der Ehe verstoßenden, allenfalls die körperliche Sicherheit der Gattin gefährdenden Eheverfehlungen, anderen sehr groben Unsittlichkeiten, schweren Gewalttätigkeiten und gefährlichen Drohungen beharrt, oder weil der Mann eine gute und sichere wirtschaftliche Position (z. B. seinen Bauernhof) verläßt, um eine dürftige Stellung (z. B. als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter) oder ein unsicheres Los (etwa im Auslande) dafür einzutauschen (SZ. XXIII 137 und 245, SZ. XXIV 308, JBl. 1951 S. 459, 3 Ob 417/54, 2 Ob 152/55, 2 Ob 491/55, 3 Ob 431/55, 7 Ob 261/55 u. a.; Ehrenzweig 2. Aufl. II/2 S. 135 Anm. 32; Wentzel in Klang 2 Aufl. I 387 f. zu § 92 ABGB.).
Wenn nun der Antragsteller im vorliegenden Fall zum Ausdruck bringt, daß er bestrebt sei, seine schon vor Jahren verstoßene Frau loszuwerden, und zu diesem Zwecke auch ein Scheidungsverfahren eingeleitet habe, ist die damit vom Antragsteller verlangte Wiederaufnahme der Gemeinschaft für die Dauer des Scheidungsverfahrens der Antragsgegnerin nicht nur unzumutbar (2 Ob 491/55), sondern es verstößt die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Wiederaufnahme der Gemeinschaft mit dem Antragsteller unter solchen Umständen offenbar gegen das Gesetz (§ 16 Abs. 1 AußStrG.), das in § 44 ABGB. nur einer unzertrennlichen Gemeinschaft, nicht aber einer Gemeinschaft bloß auf die Dauer des Scheidungsverfahrens, Erwähnung tut - genau so, wie etwa die Verpflichtung der getrennt lebenden Gattin, die Gemeinschaft mit dem Gatten bloß für einen Tag oder eine Nacht aufzunehmen, offenbar gegen das Gesetz verstoßen würde, nämlich gegen die ausdrückliche, klare, keinen Zweifel über die Absicht des Gesetzebers offen lassende Bestimmung des § 44 ABGB., daß die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinschaft, zu deren Herstellung die Ehegatten die Hilfe des Gerichtes in Anspruch nehmen können, nur eine unzertrennliche, d. h. dauernde, nicht bloß auf eine vorübergehende Zeit berechnete, sein kann.
Anmerkung
Z28241Schlagworte
Eheliche Gemeinschaft Wiederaufnahme, Scheidungsverfahren, Ehescheidung, Antrag auf Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft, Scheidungsverfahren, Antrag auf Wiederaufnahme der ehelichen, Gemeinschaft, Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft, ScheidungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00661.55.1109.000Dokumentnummer
JJT_19551109_OGH0002_0020OB00661_5500000_000