Norm
ABGB §870Kopf
SZ 28/246
Spruch
Der Räumungsklage eines Ehegatten, die die Vereitlung eines gegen den anderen Ehegatten erwirkten Exekutionstitels bezweckt, steht die exceptio doli entgegen.
Entscheidung vom 16. November 1955, 3 Ob 547/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Bruck a. d. Mur; II. Instanz:
Kreisgericht Leoben.
Text
Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, das von ihr benützte Geschäftslokal im Hause Bruck a. d. Mur, M.-Gasse 5, geräumt zu übergeben. Er behauptet, er sei Hauptmieter dieses Lokals und die Beklagte benütze es ohne Rechtstitel. Die Hauseigentümer sind auf Seite des Klägers als Nebenintervenienten dem Verfahren beigetreten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest: Leopoldine R. führte einen Viktualienhandel im gegenständlichen Geschäftslokal. Sie trat dieses Unternehmen im Jahre 1934 der Beklagten ab. Zu diesem Unternehmen gehörte auch das Bestandrecht am Lokal. Sie verpflichtete sich, den Hauseigentümern gegenüber entsprechende Erklärungen abzugeben, damit das Bestandrecht auf die Beklagte übertragen werde. Die Hauseigentümer waren mit der Übertragung der Mietrechte an die Beklagte nicht einverstanden und stimmten der Abtretung der Mietrechte nicht zu. Die Beklagte lebte damals mit der damaligen Fruchtnießerin des Hauses, Maria K., im schlechten Einvernehmen. Da die Beklagte minderjährig war, konnte sie keine Gewerbeberechtigung erlangen und überließ aus diesem Gründe das Unternehmen ihrer Schwester Sofie Sch., der nunmehrigen Ehefrau des Klägers, mit der Verpflichtung, ihr nach Erreichung der Großjährigkeit auf Verlangen das Unternehmen zurückzugeben. Die Beklagte hat niemals Mietzins für das Lokal bezahlt. Am 21. Jänner 1935 wurde zwischen der Schwester der Beklagten und der Fruchtnießerin und den Hauseigentümern ein Mietvertrag geschlossen. Zu 6 Cg 150/53 des Kreisgerichtes Leoben erwirkte die heutige Beklagte ein Urteil, demzufolge Sofie Sch. schuldig erkannt wurde, ihren Gewerbeschein zugunsten der Beklagten zurückzulegen und das Viktualiengeschäft samt Inventar ihr zu übergeben. Dieses Urteil wurde am 17. August 1954 rechtskräftig. Am 27. August 1954 kundigten die Hauseigentümer der Sofie Sch. das Geschäftslokal unter Anrufung der Kündigungsgrunde nach § 19 Abs. 1 und § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. zum 30. September 1954 mit der Begründung auf, daß Sofie Sch. vertragswidrig ihre Mietrechte an dem Lokal abgetreten habe. Gegen diese Kündigung hat Sofie Sch. keine Einwendungen erhoben, so daß die Kündigung am 6. September 1954 rechtskräftig wurde. Am 15. September 1954 wurde der heutigen Beklagten auf Grund des Urteiles im Vorprozeß die zwangsweise Räumung des Geschäftslokales bewilligt. Der Kläger schloß mit den Hauseigentümern über dieses Geschäftslokal am 14. Oktober 1954 mit Wirkung vom 1. Oktober 1954 einen Mietvertrag im eigenen Namen ab. Er führte seit 1. Oktober 1954 mit Zustimmung der Hauseigentümer sein Unternehmen in diesem Lokal. Am 26. Oktober 1954 wurde die Räumungsexekution vollzogen und der Kläger aus dem Geschäftslokal zwangsweise entfernt. Seit diesem Tage benützt die Beklagte das Lokal und führt dort das Unternehmen weiter.
Das Erstgericht würdigte diesen Sachverhalt dahin, daß die Beklagte niemals Mieterin des Geschäftslokales gewesen sei und das Geschäft daher ohne Rechtstitel benütze. Der Kläger sei Mieter des Geschäftslokales, sein Mietvertrag habe dem wahren Parteiwillen entsprochen und sei daher kein Scheingeschäft. Das Bestandobjekt sei ihm auch übergeben worden, so daß er zur Räumungsklage aktiv legitimiert sei. Sein Anspruch sei daher gegeben.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Der Oberste Gerichtshof änderte die Urteile der Vorinstanzen ab und wies das Räumungsbegehren des Klägers ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der Entscheidung des Streitfalles ist davon auszugehen, daß der Kläger jedenfalls im Zusammenspiel mit seiner Gattin, der aus dem Urteil 6 Cg 150/53 des Kreisgerichtes Leoben Verpflichteten, alles unternommen hat, um die Vollstreckung des zitierten Urteiles unmöglich zu machen. Kurz nach eingetretener Rechtskraft dieses Urteiles wurde der Gattin des Klägers von den Hauseigentümern das Geschäftslokal aufgekundigt. Sie erhob keine Einwendungen. Die Aufkündigung wurde am 6. September 1954 rechtskräftig. Einen Monat nachher vermieteten die Hauseigentümer dem Kläger das Geschäftslokal, und dieser mietete im Zuge des mit Beschluß des Exekutionsgerichtes vom 15. September 1954 gegen seine Gattin eingeleiteten Delogierungsverfahrens eben dieses Lokal. Schon vor Rechtskraft des gegen seine Gattin ergangenen Urteils im Vorprozeß hat sich der Kläger vorsorglich einen Gewerbeschein auf denselben Standort verschafft, an dem seine Gattin ihr Unternehmen betrieben hat, und nach Rechtskraft hat seine Gattin den ihr verliehenen Gewerbeschein schlechthin zurückgelegt und nicht, wie sie es auf Grund des Urteils tun sollte, zugunsten der Beklagten. Aus allen diesen Umständen ist es evident, daß jedenfalls der Kläger und seine Gattin nichts anderes anstrebten, als die Durchsetzung des von der Beklagten ersiegten Räumungsanspruches und die Übertragung des Gewerberechtes zu vereiteln. Nicht nur der zeitliche Zusammenhang, nicht nur der Kreis der beteiligten Personen läßt diese Schlußfolgerung zwingend erscheinen, sondern auch ihr Verhalten. Die Gattin des Klägers hat keine Einwendungen gegen die Aufkündigung erhoben, sie hat die Beklagte von der Aufkündigung nicht verständigt. Der Gatte der Frau, der die Hauseigentümer eben das Geschäftslokal aufgekundigt haben, mietete von diesen kurz nach der Aufkündigung das Lokal im Zuge des von der Beklagten eingeleiteten Delogierungsverfahrens, ohne daß für diesen Vorgang irgend eine andere plausible Erklärung gefunden werden kann als die, daß auf diese Weise der Beklagten die Vollstreckung ihres Räumungstitels unmöglich gemacht werden sollte.
Der von den Ehegatten Sch. verwirklichte Tatbestand ist als Exekutionsvereitlung anzusehen (KH. 3870 und 3942). Sie setzten einen strafbaren Tatbestand, sie sind zur Wiedergutmachung, also zur Wiederherstellung des vorigen Standes, verpflichtet (vgl. RGZ. 90, 436).
Diese Verpflichtung trifft sie auch aus dem Gesichtspunkte, daß jedenfalls sie beide in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise von den ihnen zustehenden Rechten der widerspruchslosen Hinnahme einer Aufkündigung und des Abschlusses eines neuen Mietvertrages nur in der erwiesenen Absicht Gebrauch machten, um der Beklagten Schaden zuzufügen, um sie um das von ihr ersiegte Recht und ihr Vermögen, nämlich um das ihr früher gehörige Unternehmen, zu bringen.
Die Beklagte könnte demnach unter allen Umständen aus dem Titel des Schadenersatzes die Wiederherstellung des früheren Zustandes erzwingen, wenn es ihr aus irgend einem Gründe nicht gelungen wäre, wieder in den Besitz ihres Unternehmens einschließlich der Benützung des Geschäftslokales zu kommen. Sie kann daher auch dem Räumungsbegehren des Klägers, mag er auch mit den Hauseigentümern einen Mietvertrag geschlossen haben, die Einrede der Arglist (exceptio doli) entgegensetzen, der Kläger habe kein schutzwürdiges Interesse, das Klagerecht sei ihm versagt.
Anmerkung
Z28246Schlagworte
Arglist, Exceptio doli, Einrede der Arglist, vorsätzliche Rechtsvereitelung, exceptio doli, vorsätzliche Rechtsvereitelung, Schadenersatz wegen vorsätzlicher Rechtsvereitelung, exceptio doli, Vereitelung eines Rechtes, exceptio doliEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1955:0030OB00547.55.1116.000Dokumentnummer
JJT_19551116_OGH0002_0030OB00547_5500000_000