TE OGH 1955/12/6 4Ob168/55

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Veröffentlicht am 06.12.1955
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Norm

ABGB §1162
Angestelltengesetz §27 Z4

Kopf

SZ 28/254

Spruch

Wenn der Dienstnehmer nicht alle ihm erteilten Aufträge bewältigen kann, so liegt kein Entlassungsgrund vor, wenn er zunächst den vom Standpunkte des Betriebes wichtigeren Arbeiten den Vorzug gibt, wofern der Dienstgeber nicht einen strikten gegenteiligen Auftrag erteilt hat.

Entscheidung vom 6. Dezember 1955, 4 Ob 168/55.

I. Instanz: Arbeitsgericht Bad Ischl; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Die Klägerin war in der Zeit vom 1. Oktober 1928 bis 27. Juli 1954 bei der beklagten Partei und ihrer Rechtsvorgängerin als Buchhalterin beschäftigt. Sie ist am 27. Juli 1954 fristlos entlassen werden, weil sie sich nach Behauptung der beklagten Partei weigerte, das Lehrmädchen Josefine M. in die Buchhaltung einzuführen. Am 10. Jänner 1954 erkrankte die Klägerin und blieb dem Betrieb bis 22. März 1954 fern, während welcher Zeit die Buchhaltungsarbeiten unerledigt blieben und nur die unaufschiebbaren Arbeiten vom Lehrmädchen Josefine M. ausgeführt wurden. Die Klägerin mußte daher nach ihrem neuerlichen Dienstantritt die während der Krankheit angefallenen Arbeiten nachholen, insbesondere auch Bilanzarbeiten für das Jahr 1953 verrichten. Noch im März 1954 forderte der Geschäftsführer Adolf Ch. die Klägerin auf, das Lehrmädchen in die Buchhaltung einzuführen, worauf sie entgegnete, sie müsse vorerst die während ihrer Krankheit angewachsenen Rückstände aufarbeiten. Nichtsdestoweniger gab die Klägerin dem Lehrmädchen M. Kontoblätter, die mit Bleistift bereits ausgefüllt waren, um die Ziffern mit Tinte nachzuziehen, und übertrug ihr weiters die Provisionsabrechnung des Reisevertreters der Firma. Im Juni 1954 forderte der Geschäftsführer Ch. die Klägerin neuerlich zur Einführung der M. in die Buchhaltung, im besonderen zu ihrer Heranziehung bei Fertigstellung eines Monatsabschlusses, auf, worauf er von ihr die gleiche Antwort erhielt wie im März. Am 26. Juli 1954 fragte Adolf Ch. die Klägerin, ob nicht bald wieder ein Monatsabschluß fertig werde, was die Klägerin damit beantwortete, daß sie am nächsten Tage mittags den Monatsabschluß für März dem Geschäftsführer vorlegte. Dabei stellte sich heraus, daß Josefine M. daran nicht mitgearbeitet hatte. Als Ch. dies beanständete, erklärte die Klägerin neuerlich, sie könne nicht gleichzeitig Rückstände aufarbeiten und jemanden einarbeiten. Daraufhin sprach Ch. namens der Beklagten die fristlose Entlassung der Klägerin aus. Das Lehrmädchen hatte von Ch. den Auftrag, in der Buchhaltung mitzuarbeiten, wenn es Zeit habe. Es kam öfters vor, daß die Klägerin das Lehrmädchen zu irgend einer Arbeit haben wollte, das Mädchen aber aus Zeitmangel und Inanspruchnahme durch eigene Arbeiten diesem Wunsch nicht entsprechen konnte. Zu den Arbeiten, die Josefine M. für die Klägerin oder mit ihr machte, gab ihr diese Erläuterungen und Anleitungen. Das Lehrmädchen fragte sie auch, wenn sie etwas nicht wußte. In der Schule hatte Josefine M. die doppelte Buchhaltung im allgemeinen gelernt, während im Betrieb der beklagten Partei die Rufbuchhaltung eingeführt ist. Der Klägerin oblagen die gesamten Buchhaltungsarbeiten im Betrieb der Beklagten, in dem zehn bis zwölf Arbeiter und Angestellte tätig waren, einschließlich der Kassaführung, weiters die Provisionsabrechnung mit dem Reisevertreter und die Abfassung von Mahnschreiben, welche Arbeiten sie fallweise der Josefine M. übertrug, schließlich im Jahre 1954 die Neuanlegung der Buchhaltung. Die monatlichen Buchungen umfaßten im Durchschnitt 30 Journalseiten zu 38 Zeilen. Die Arbeitsweise der Klägerin kennzeichnete sich durch Genauigkeit und Langsamkeit, doch ist diese Langsamkeit während der ganzen, mehr als 25jährigen Dauer der Tätigkeit im Betriebe der Beklagten nie beanständet worden.

Sämtliche Instanzen gaben der Klage der entlassenen Angestellten auf Zahlung von Kündigungsentschädigung, Abfertigung und Weihnachtsremuneration Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:

Ausgehend von den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist der Entlassungsgrund der beharrlichen Weigerung, sich den durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen, mit Recht verneint worden. Erteilt der Dienstgeber dem Dienstnehmer Aufträge, die von diesem gleichzeitig nicht bewältigt werden können, weil die Bewältigung über sein Können hinausginge, so kann dem Dienstnehmer nach dem Grundsatz "nemo ultra posse obligatur" kein Vorwurf gemacht werden, wenn er zunächst der vom Standpunkt der Interessen des Betriebes wichtigeren, daher auch dringlicheren, Arbeit den Vorzug gibt, es wäre denn, daß der Dienstgeber einen strikten gegenteiligen Auftrag erteilt. Nach der oben geschilderten Sachlage hat die Klägerin dem Geschäftsführer der beklagten Partei auf dessen Forderung, das Lehrmädchen einzuschulen, zwar wiederholt erklärt, sie müsse vorerst die während ihrer Krankheit angefallenen Rückstände aufarbeiten, gleichwohl aber das Lehrmädchen nach Tunlichkeit zu Buchhaltungsarbeiten herangezogen, ihr auch Erläuterungen und Unterweisungen gegeben. Um jedoch die Herstellung des dringlich geforderten Monatsabschlusses nicht zu verzögern, ist eine Heranziehung des Lehrmädchens bei dieser Arbeit unterblieben, denn eine solche hätte die Klägerin wegen des damit verbundenen Unterrichtes und der Überprüfung der Arbeiten des Lehrmädchens nur aufgehalten. Da die beklagte Partei sehen mußte, daß die Klägerin wegen der Aufarbeitung von Rückständen und zeitbedingter zusätzlicher Arbeiten ins Gedränge kam, hätte sie der Klägerin nach deren Vorstellung die klare Weisung zu geben gehabt, daß ihr an der Aufarbeitung der Rückstände weniger gelegen sei als an der Ausbildung des Lehrmädchens. Da sie dies nicht getan hat, ihr Geschäftsführer vielmehr ständig auf die Herstellung von Monatsabschlüssen drängte, kann von einer beharrlichen Weigerung, sich den durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnungen des Dienstgebers zu fügen, nicht die Rede sein. Die Klägerin ist seit mehr als 25 Jahren als Buchhalterin im Betriebe der beklagten Partei angestellt gewesen, in der Besorgung der Aufgaben einer solchen bestand in erster Linie ihre Verpflichtung. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß im Verhältnis zu diesen Arbeiten die Einschulung des Lehrmädchens eine Nebenverpflichtung betreffe, begegnet keinen Bedenken. Es stellt keinen Entlassungsgrund dar, wenn der Dienstgeber dem Angestellten durch die ihm aufgetragenen anderweitigen Obliegenheiten die Zeit zur geforderten Leistung nimmt. Wie die Aussage des Zeugen Ch. beweist, war er bei seinen Aufträgen an die Klägerin von der Vorstellung geleitet, daß entgegen aller Erfahrung die Einschulung eines Lehrmädchens keine Belastung für den damit Betrauten, sondern eher das Gegenteil bedeute.

Anmerkung

Z28254

Schlagworte

Angestellter Entlassung wegen Nichtbefolgung von Anordnungen, Arbeitsverhältnis, Entlassung wegen Nichtbefolgung von Anordnungen, Dienstvertrag Entlassung wegen Nichtbefolgung von Anordnungen, Entlassung eines Dienstnehmers wegen Nichtbefolgung von Anordnungen, Nichtbefolgung von Anordnungen, Entlassungsgrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0040OB00168.55.1206.000

Dokumentnummer

JJT_19551206_OGH0002_0040OB00168_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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