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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §35 Abs3 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des I, geboren 1976, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Jänner 2005, Zl. SD 15/05, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. Jänner 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit 23. Oktober 1990 im Bundesgebiet und verfüge seit 7. Dezember 1990 über Aufenthaltstitel.
Mit Urteil vom 21. April 1999 sei über ihn erstmals nach § 83 Abs. 1 StGB (wegen des Vergehens der Körperverletzung( eine Geldstrafe verhängt worden. Eine weitere Verurteilung zu einer Geldstrafe sei am 21. Mai 2001 durch das Bezirksgericht Josefstadt, ebenfalls nach § 83 Abs. 1 leg. cit., erfolgt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Jänner 2004 sei über den Beschwerdeführer nach § 28 Abs. 2 und 3 erster und zweiter Fall, Abs. 4 Z. 3 Suchtmittelgesetz - SMG, § 12 dritter Fall StGB, § 27 Abs. 1 SMG und § 50 Abs. 1 Z. 3 Waffengesetz eine Freiheitsstrafe von vier Jahren rechtskräftig verhängt worden. Er sei seit etwa Anfang 2001 Suchtgiftkonsument gewesen und habe bis zu seiner Verhaftung am 10. Mai 2003 Kokain und Marihuana erworben und missbraucht. Er und ein Mitbeschuldigter seien in weiterer Folge Mitglieder einer international operierenden Tätergruppe geworden, die Suchtgift in großem Umfang aus den Niederlanden nach Österreich verschafft habe bzw. habe schmuggeln lassen. Schon im November/Dezember 2001 sei der Beschwerdeführer für diese Organisation nach Holland gefahren, um dort als Dolmetscher bei der Vereinbarung von Suchtgiftlieferungen zu fungieren. Über seine Mitwirkung seien 15 kg Marihuana nach Österreich verbracht und hier in Verkehr gesetzt worden. Wenig später sei er nach Brüssel gereist, um dort DM 90.000,-- einem Suchtgifthändler als Vorauszahlung für eine Lieferung von zumindest 10 kg Marihuana zu übergeben, in weiterer Folge sei das Suchtgift tatsächlich nach Österreich gelangt und hier verkauft worden. Weiters sei der Beschwerdeführer für die Weiterleitung des über Veranlassung des Mitbeschuldigten nach Österreich eingeführten Suchtgiftes zuständig gewesen, das heißt, er habe es an Subverteiler weitergegeben bzw. unmittelbar selbst und direkt verkauft. Von Anfang 2002 bis Mai 2003 habe er so insgesamt zumindest 150 bis 180 g Marihuana sowie eine nicht mehr feststellbare große Menge Haschisch und 150 g Kokain, das aus Holland gekommen sei, übernommen. Dieses habe er verkauft und an einen Abnehmer zum Zweck des Weiterverkaufs in Lokalen übergeben. Ihm vom Mitbeschuldigten überlassenes Kokain (150 g) habe er teils selbst konsumiert, teils habe er es unentgeltlich anderen überlassen. Ebenso habe er in mehreren Angriffen eine nicht mehr feststellbare Menge Marihuana namentlich bekannten und unbekannt gebliebenen Personen zum Zweck des gemeinsamen Konsums überlassen. Bei seiner Festnahme sei beim Beschwerdeführer eine Faustfeuerwaffe samt Munition sichergestellt worden, obwohl gegen ihn ein Waffenverbot bestanden habe.
Die genannten Verurteilungen erfüllten den in § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG normierten Tatbestand, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. gegeben gewesen seien.
Wenn der Beschwerdeführer geltend mache, es hätte sich bei seinen Straftaten nicht um harte Drogen gehandelt, so erweise sich dies im Hinblick auf das Urteil als unzutreffend. Abgesehen davon seien seine Straftaten einer Verharmlosung oder Verniedlichung nicht zugänglich. Was die geltend gemachte Suchtgiftergebenheit des Beschwerdeführers betreffe, so sei in dem genannten Urteil ebenso festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer aus seinen strafbaren Handlungen einen dringend benötigten finanziellen Vorteil erwartet habe.
Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen bestünden zu den Eltern und sechs Geschwistern. Derzeit verbüße er seine Haftstrafe. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen gewesen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, und zum Schutz der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, wiederholt und in derart erheblichem Ausmaß straffällig werde, lasse eindrücklich erkennen, dass er offenbar nicht willens oder imstande sei, maßgebliche, in Österreich gültige Rechtsvorschriften einzuhalten. Dazu komme, dass insbesondere der Suchtgiftkriminalität nicht nur eine hohe Sozialschädlichkeit, sondern auch eine überaus hohe Wiederholungsgefahr anhafte. Dies erscheine angesichts des langen Tatzeitraums und der wiederholten, gewerbsmäßigen Tatbegehung geradezu bestätigt. Solcherart sei eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose unmöglich gewesen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Bei der gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen, gleichzeitig jedoch zu berücksichtigen gewesen, dass die einer jeglichen Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das wiederholte schwerwiegende strafbare Verhalten erheblich an Gewicht gemindert werde. Auch unter Berücksichtigung der zweifelsfrei gewichtigen familiären Bindungen und der geltend gemachten Beziehung zu einer Lebensgefährtin sei das dem Beschwerdeführer insgesamt zuzuschreibende Interesse an einem Verbleib in Österreich zwar gewichtig, gleichwohl in einem entscheidenden Punkt jedoch deutlich relativiert. Dem stehe das große maßgebliche öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse an seinem Verlassen des Bundesgebietes. Dabei habe die Behörde auch berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu seinen Familienangehörigen vom Ausland aus aufrechterhalten könne. Diese Einschränkungen habe er im Interesse der öffentlichen Sicherheit zu tragen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 leg. cit. als zulässig.
Ein Tatbestand gemäß § 38 leg. cit. sei nicht erfüllt.
Der unbefristete Ausspruch durch die Erstbehörde sei gerechtfertigt. Im Hinblick auf das dargelegte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers kann auch unter Bedachtnahme auf seine dargelegte Lebenssituation nicht vorhergesehen werden, wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet die (unbekämpfte) Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, keinem Einwand.
2. Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde liegt dem Beschwerdeführer (u.a.) zur Last, als Mitglied einer international operierenden Tätergruppe daran mitgewirkt zu haben, dass wiederholt Suchtmittel in großem Umfang - nämlich mit Beziehung auf ein Suchtgift, dessen Menge zumindest das 25-fache der Grenzmenge im Sinn des § 28 Abs. 6 SMG (das ist eine Menge, die geeignet ist, Gewöhnung hervorzurufen und in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen) ausgemacht hat (vgl. § 28 Abs. 4 Z. 3 leg. cit.) - vom Ausland nach Österreich verbracht und hier in Verkehr gesetzt wurden. Ferner war er für die Weiterleitung der Suchtmittel in Österreich zuständig, wobei er es teils an Subverteiler weitergab und teils unmittelbar selbst und direkt verkaufte. Sein strafbares Verhalten erstreckte sich über viele Monate, nämlich beginnend im Jahr 2001 bis zu seiner Verhaftung am 10. Mai 2003.
Schon in Anbetracht der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. September 2004, Zl. 2004/18/0212, mwN) begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.
3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers (seit 1990) und seine Bindungen zu seinen Eltern, sechs Geschwistern und seiner Lebensgefährtin berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 37 Abs. 1 leg. cit. angenommen. Diesen gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht jedoch die aus seinem massiven Fehlverhalten resultierende Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen gegenüber, hat er doch in Gewinnerzielungsabsicht Suchtmittel, deren Menge zumindest das 25-fache einer "großen Menge" im Sinn des § 28 Abs. 6 SMG ausgemacht hat, in Verkehr gesetzt und daran mitgewirkt, dass diese Suchtmittel nach Österreich eingeschmuggelt wurden, wobei er als Mitglied einer international operierenden Tätergruppe und gewerbsmäßig, somit in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der strafbaren Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (vgl. § 70 StGB), gehandelt hat. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer nicht nur nach dem SMG, sondern in einschlägiger Weise auch nach § 83 Abs. 1 StGB (Vergehen der Körperverletzung) und wegen unerlaubten Waffenbesitzes nach dem Waffengesetz straffällig wurde. In Anbetracht dieses Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz der Gesundheit Dritter) dringend geboten und daher gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei, keinen Bedenken. Ferner kann auch die weitere Auffassung der belangten Behörde, dass die genannten persönlichen Interessen nicht schwerer wögen als das gegenläufige öffentliche Interesse, sodass diese Maßnahme auch gemäß § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Wenn die Beschwerde vorbringt, dass der Beschwerdeführer, der sich unbestrittenermaßen noch in Haft befindet, seine (bisherige) Haftzeit dazu benutzt habe, jeglicher Art von Suchtmitteln zu entsagen und nicht mehr süchtig sei, weshalb keine Wiederholungsgefahr vorliege, so könnte - bei Zutreffen dieser Beschwerdebehauptung - dieser Umstand nicht zu seinen Gunsten ausschlagen, weil dies keine verlässliche Beurteilung darüber zuließe, wie sich der Beschwerdeführer außerhalb der Haft, somit ohne Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit und ohne Kontrolle, in Zukunft verhalten würde. Im Übrigen ist die vom Fremden in Haft verbrachte Zeit bei der Beurteilung eines allfälligen Wohlverhaltens nicht zu berücksichtigen (vgl. dazu nochmals das vorzitierte Erkenntnis).
4. Entgegen der Beschwerdeansicht kann auch keine Rede davon sein, dass die belangte Behörde im Rahmen der Ermessensübung nach § 36 Abs. 1 FrG von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes hätte Abstand nehmen müssen. Nach ständiger hg. Rechtsprechung stünde ein Absehen von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr nach dieser Gesetzesbestimmung eingeräumten Ermessens bei einem Fremden, der - wie der Beschwerdeführer - wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde (§ 35 Abs. 3 Z. 1 FrG), mit dem Sinn des Gesetzes nicht in Einklang (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2004, Zl. 2001/18/0009, mwN).
5. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 8. März 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005180060.X00Im RIS seit
31.03.2005