Norm
ABGB §1295Kopf
SZ 29/3
Spruch
Haftung für den durch das Abrollen eines Wagens angerichteten Schaden.
Entscheidung vom 4. Jänner 1956, 2 Ob 695/55.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Die Untergerichte haben folgenden Sachverhalt festgestellt:
Am 7. August 1953 gegen 22 Uhr 30 abends hielt Friedrich S. jun., der Sohn des Klägers, auf einer für den Kläger durchgeführten Geschäftsfahrt den von ihm gelenkten, dem Kläger gehörigen Personenkraftwagen Marke Tatra 87 an seinem rechten Straßenrande an, um den linken Hinterreifen auszuwechseln. Der Wagen wurde gegen Abrollen durch Anziehen der Handbremse, Einschalten eines Geschwindigkeitsganges und durch einen unter ein Rad gelegten Stein gesichert. Der Erstbeklagte, der Gatte der Inhaberin der zweitbeklagten Firma, der für diese ebenfalls eine Geschäftsfahrt durchführte und dabei hinter dem Sohn des Klägers fuhr, hielt den von ihm gelenkten, der Zweitbeklagten gehörigen, von ihr auf ihre Rechnung betriebenen Personenkraftwagen Marke Steyr 50 zirka 10 m hinter dem Personenkraftwagen des Klägers ebenfalls an der rechten Straßenseite an und begab sich zum Sohn des Klägers, um ihm bei der Reifenauswechslung zu helfen. Der Steyr-Wagen der Zweitbeklagten kam auf der geneigten Straße ins Rollen, fuhr auf den Tatra-Wagen des Klägers auf und stieß ihn - was in Anbetracht der großen Wucht des bergabrollenden Steyr-Wagens auch durch eine bessere Sicherung des Tatra-Wagens gegen das Abrollen nicht hätte verhindert werden können - über den rechten Straßenrand in die neben demselben befindliche Klamm, was zu einer schweren Beschädigung des Tatra-Wagens und zum Verlust von in diesem befindlichen Gegenständen führte. Der Erstbeklagte hatte, als er sich von seinem Fahrzeug entfernte, die Handbremse angezogen und einen Stein oder zwei Steine unter die Räder gelegt. Er hatte den ersten oder zweiten Gang oder den Rückwärtsgang eingeschaltet. Die Handbremse des Wagens war aber nicht verläßlich, was dem Erstbeklagten bekannt war. Wenn der Steyr-Wagen trotz der vorgenommenen Sicherung abgerollt ist, kommt als Ursache nur in Frage, daß der Erstbeklagte, als er zwecks Entnahme eines benötigten Werkzeuges den Führersitz hochhob, versehentlich den Schalthebel berührt und dadurch auf Leergang geschaltet hat, und daß beim Zuschlagen der Wagentür die unzuverlässige Bremse sich gelöst hat.
Beide Untergerichte haben dem Schadenersatzbegehren des Klägers stattgegeben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beiden beklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht bezieht sich mit Recht auf den in der Entscheidung ZBl. 1932 Nr. 299 ausgesprochenen Rechtssatz, daß dem Schädiger der Beweis seiner Schuldlosigkeit dann obliegt, wenn nach den Umständen und allgemeiner menschlicher Erfahrung die Schädigung nur durch sein Verhalten eingetreten sein konnte. Es folgt dies aus der Beweislastregel (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl. S. 529), daß zwar jeder die tatsächlichen Voraussetzungen einer für ihn günstigen Norm behaupten und ihr Vorliegen beweisen muß, daß das Gericht aber schon auf Grund von Erfahrungssätzen den einer Partei obliegenden Beweis als erbracht ansehen und dadurch die andere Partei nötigen kann, durch Gegenbeweise einen anderen Ablauf der Geschehnisse darzutun. Nach §§ 5, 98 Abs. 1, 99 Abs. 4 KfV. 1947 müssen Kraftfahrzeuge betriebssicher und derart gebaut und eingerichtet sein, daß mit ihrem Betriebe weder Gefahren für den Verkehr noch Beschädigungen verbunden sind; ferner hat der Führer vor Antritt der Fahrt dafür zu sorgen, daß die Einrichtung, Ausrüstung und der Zustand des Fahrzeuges diesen Anforderungen entspricht, und er hat endlich, bevor er sich von seinem Fahrzeuge entfernt, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um Unfälle zu vermeiden, erforderlichenfalls (d. h. soweit erforderlich) das Fahrzeug gegen Abrollen zu sichern. Hat der Führer diesen Vorschriften genügt, ist nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Abrollen ausgeschlossen. Kommt es zu einem Abrollen, ist daher bis zum Gegenbeweis ein Verschulden des Führers anzunehmen. Im Gegenstandsfall haben die Beklagten einen solchen Gegenbeweis gar nicht angetreten.
Wenn mit den Untergerichten als erwiesen angenommen wird, daß der Erstbeklagte aus Unachtsamkeit durch Berühren des Schalthebels auf Leergang geschaltet und damit das Abrollen des Steyr-Wagens mitverursacht hat, genügt dies schon für die Annahme des für den Schaden kausalen Verschuldens des Erstbeklagten, weil er schuldhaft, nämlich, wenn auch unabsichtlich, so doch fahrlässig, eine durch § 99 Abs. 4 KfV. 1947 vorgeschriebene, erforderliche Sicherung aufgehoben hat. Das Erstgericht hat aber überdies festgestellt, daß die Bremse des Steyr-Wagens nicht völlig zuverlässig war und der Erstbeklagte diesen Mangel gekannt hat (was nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß die Bremse zeitweise klaglos funktioniert hat). Der Erstbeklagte hat demnach auch gegen §§ 5, 98 Abs. 1 KfV. 1947 verstoßen.
Den Untergerichten ist beizupflichten, daß aus dem Unterlassen einer an sich möglichen weiteren Sicherung des Tatra-Wagens des Klägers gegen Abrollen durch Einschlagen der Räder oder Halten an einer ebeneren Straßenstelle ein Mitverschulden des Sohnes des Klägers nicht abgeleitet werden kann. Bei genügender Sicherung gegen Abrollen ist das Halten auch auf einer etwas geneigten Straße nicht verboten, was schon aus der Sicherungsvorschrift gegen Abrollen im § 99 Abs. 4 KfV. 1947 hervorgeht, weil Abrollen nur auf einer geneigten Fläche möglich ist. Daß der Tatra-Wagen des Klägers auch ohne den wuchtigen Stoß durch den Steyr-Wagen der Zweitbeklagten abgestürzt wäre, wurde gar nicht behauptet. Daß auch eine bessere Sicherung gegen das Abrollen das Hinabstoßen des Tatra-Wagens in die Schlucht nicht verhindern hätte können, erscheint festgestellt. Daß der Sohn des Klägers beim Anhalten seines Fahrzeuges nicht mit der Einwirkung einer solchen Gewalt rechnen mußte, ist unbestritten.
Die nicht mehr bekämpfte Haftung der Zweitbeklagten als der Halterin ihres Steyr-Wagens für das Verschulden des Erstbeklagten, dessen sie sich beim Betriebe dieses Kraftfahrzeuges bedient hat, auf Grund des Art. IV EVzKraftfVerkG. wurde von den Untergerichten mit Recht bejaht (EvBl. 1954 Nr. 170). Der durch das Abrollen des Steyr-Wagens entstandene Schaden ist durch den Betrieb dieses Kraftfahrzeuges im Sinne dieser Gesetzesstelle verursacht worden, da das Abstellen eines Kraftfahrzeuges auf einer Stelle der Straße, an die es durch seine Maschinenkraft bewegt wurde, für eine von vorneherein begrenzte kurze Zeitspanne und die allenfalls dabei erforderliche Sicherung des Fahrzeuges gegen Abrollen zum Betriebe dieses Fahrzeuges gehören, der nicht etwa schon durch das Abschalten des Motors beendet wurde (2 Ob 584/52, 2 Ob 830/54).
Anmerkung
Z29003Schlagworte
Abrollen eines Kraftfahrzeuges, Haftung, Haftung für das Abrollen eines Kraftfahrzeuges, Schadenersatz, Abrollen eines Kraftfahrzeuges, Verkehrsunfall, Abrollen eines Kraftfahrzeuges, Verschulden am Abrollen eines KraftfahrzeugesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1956:0020OB00695.55.0104.000Dokumentnummer
JJT_19560104_OGH0002_0020OB00695_5500000_000