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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des ES, vertreten durch Mag. Alexander Bauer, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Josefsplatz 10/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Juli 2002, Zl. 225.168/3-I/03/02, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro (ehemals Bundesrepublik Jugoslawien), stammt aus dem Ort Rapca in der Region Dragash im Kosovo, gehört der Volksgruppe der Gorani an und ist muslimischen Glaubens. Er reiste am 1. Oktober 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. Oktober 2001 gab der - damals noch minderjährige - Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen insbesondere an, er sei im Gymnasium in Dragash von albanischen Mitschülern geschlagen worden und habe diese Schule daher nach zwei Monaten wieder verlassen. Auch in seinem Heimatort Rapca sei es wiederholt zu Provokationen durch Albaner aus Nachbardörfern gekommen. Sein Vater habe als Koch bei der serbischen Polizei gearbeitet; deswegen habe er Probleme mit der UCK.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 5. November 2001 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, über die die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durchführte.
Bei seiner Einvernahme im Zuge der Berufungsverhandlung gab der Beschwerdeführer u.a. an, Mitglieder der UCK seien "laufend" in das Haus seiner Familie gekommen und hätten nach Waffen gesucht, weil sein Vater "bei der Polizei war". Die Mitglieder der Familie seien beschimpft und der Vater des Beschwerdeführers, dem man vorgeworfen habe, er sei ein serbischer Spion, sei auch geschlagen worden. Der Vater habe bis zum Krieg im Jahr 1999 bei der serbischen Polizei als Koch gearbeitet. Am 15. September (2001) seien die Albaner wieder ins Haus gekommen und hätten nach Waffen gesucht. Sie hätten dem Vater gedroht, "dass sie seinen Sohn umbringen werden". Der Vater habe dem Beschwerdeführer darauf hin geraten zu flüchten. Im Falle seiner Rückkehr nach Hause befürchte er, umgebracht zu werden. Vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wurden Publikationen von Human Rights Watch (World Report 2002) und UNHCR (Position Paper 2001), sowie ein Online-Zeitungsbericht der Neuen Zürcher Zeitung vom 6. Februar 2002 vorgelegt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Begründend führte sie aus, dass der Beschwerdeführer im Kosovo nicht auffällig in Erscheinung getreten sei. Dass sein Vater bei den serbischen Machthabern als Koch gearbeitet habe, ändere im Grunde an diesem Befund nichts, da den Gorani allgemein ein gewisses Naheverhältnis zu den einstigen serbischen Machthabern im Kosovo nachgesagt werde. Dies bedeute im Ergebnis, dass sich die Situation des Beschwerdeführers augenscheinlich nicht von der allgemeinen Situation abhebe; es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass dieser über die die Gorani als solche treffenden potentiellen Beeinträchtigungen und Gefahren hinausgehend in das Blickfeld der albanischen Mehrheit geraten sei. Zur Frage einer möglichen Gruppenverfolgung von Angehörigen der Volksgruppe der Gorani im Kosovo stellte die belangte Behörde fest, die Gorani seien ähnlichen Diskriminierungsmustern unterworfen wie die "Bosnjaken"; dies betreffe den Zugang zu sozialen Diensten, zu Schulen und zum Arbeitsmarkt. Die Gorani als muslimische Slawen würden als traditionell eng mit den Serben verbunden gelten, was grundsätzlich zu einem "Kollaborationsverdacht" seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit führe. Während des letzten Krieges seien etwa 2200 Gorani für die jugoslawische Armee gegen die UCK mobilisiert worden. Die Häuser der Gorani seien kaum zerstört worden, was als weiterer Hinweis auf eine Kooperation mit den Serben verstanden worden sei. In der Dragash-Region hätten sich in den Jahren 2000 und 2001 zahlreiche Bombenexplosionen ereignet. Die Angriffe hätten sich - wenn auch nicht ausschließlich - vornehmlich gegen Häuser der Gorani gerichtet. Die Kombination von Unsicherheit, langfristiger Perspektivlosigkeit und der Unmöglichkeit, auch außerhalb der Heimatregion die eigene Sprache sprechen zu können, führe bei den Gorani zu einem Abwanderungstrend; andererseits seien während der Mazedonien-Krise viele Gorani aus Mazedonien in der Region Dragash angekommen. Diese zähle zu den ärmsten im Kosovo und weise die höchste Geburtenrate auf. Gleichwohl die Lage im Heimatgebiet gespannt sei, könne aus den vorliegenden Beweismitteln nicht geschlossen werden, dass ein Angehöriger der Volksgruppe der Gorani schon allein wegen seiner Volkszugehörigkeit einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr (einer Gruppenverfolgung) unterliege. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer von Gewaltakten betroffen sein werde, wie sie sich in den Jahren 2000 und 2001 im Bezirk Dragash ereignet hätten, sei im Lichte der derzeitigen Situation im Kosovo "nicht sehr hoch", wobei zu beachten sei, "dass sich weder Herr S (der Beschwerdeführer) noch seine Familie während der Kosovokrise in einer Weise exponiert hatten, dass er bzw. seine Familie in das Blickfeld der albanischen Bevölkerung geraten wären. Herr S wird augenscheinlich nicht verdächtigt, an Übergriffen an der albanischen Bevölkerung teilgenommen oder Verbrechen an der albanischen Bevölkerung begangen zu haben". Dafür, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsgebiet die Lebensgrundlage schlechthin entzogen wäre, hätten die vorliegenden Beweismittel keinen Hinweis ergeben. Er werde im Falle seiner Rückkehr in den Kosovo zwar mit maßgebender Wahrscheinlichkeit Diskriminierungen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sowie Beflegelungen und Beschimpfungen ausgesetzt sein und angestrebte Ausbildungswege könnten nur unter Schwierigkeiten begehbar sein, doch würden sich solche Beeinträchtigungen nicht derartig schwer auf die Lebensumstände des Beschwerdeführers auswirken, dass damit eine Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG vorläge.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 25. November 2002, B 1219/02, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Über diese - auftragsgemäß ergänzte - Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Gorani zwar den erwähnten Beeinträchtigungen ausgesetzt sei, hingegen stufte sie die Gefahr von Gewaltakten gegenüber dem Beschwerdeführer als "nicht sehr hoch" ein. Dies folgerte sie daraus, dass auf eine "Gruppenverfolgung" allein wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Gorani aufgrund der vorliegenden Beweismittel nicht geschlossen werden könne und der Beschwerdeführer und dessen Familie während der Kosovo-Krise sich nicht in einer Weise exponiert hätten, durch die sie "in das Blickfeld der albanischen Bevölkerungsmehrheit geraten wären".
Diese Begründung greift schon im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, dass gerade die frühere Beschäftigung seines Vaters bei der serbischen Polizei Grund für dessen Probleme mit der UCK bzw. Angehörigen der albanischen Volksgruppe gewesen sei, und dass die UCK im Haus des Beschwerdeführers "laufend" nach Waffen suche, wobei für die Flucht des Beschwerdeführers letztlich ausschlaggebend gewesen sei, dass man seinem Vater bei einer solchen Waffensuche mit der Ermordung des Beschwerdeführers gedroht habe, zu kurz. Der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Erkenntnis vom 14. Mai 2002, Zl. 2001/01/0140, davon ausgegangen, dass aufgrund der diesem Erkenntnis zugrunde liegenden Berichtslage nicht ausgeschlossen werden konnte, dass Angehörige der Volksgruppe der muslimischen Slawen und der Gorani im Kosovo schon wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund hatten, eine individuelle Verfolgung zu befürchten (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0351). Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass sich die allgemeine Sicherheitslage für Gorani im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt gegenüber jener Berichtslage, auf die sich die angeführten Erkenntnisse bezogen, nachhaltig verbessert haben sollte - was auf Grundlage des angefochtenen Bescheides allerdings mangels eingehender, auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Berichte berücksichtigender Auseinandersetzung mit einer solchen allenfalls eingetretenen Veränderung nicht nachvollzogen werden kann -, so wäre damit noch nicht gesagt, dass damit eine asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht mehr maßgeblich wahrscheinlich wäre. Ausgehend von dessen im angefochtenen Bescheid wiedergegebenem Vorbringen, das die belangte Behörde mangels gegenteiliger Feststellungen offenbar nicht als unglaubwürdig angesehen hat, kann nämlich nicht gesagt werden, dass die Situation des Beschwerdeführers sich "augenscheinlich nicht von der allgemeinen Situation abhebt" und weder der Beschwerdeführer noch dessen Familie in das Blickfeld der albanischen Bevölkerung geraten wären. Da der Vater des Beschwerdeführers für die serbische Polizei gearbeitet hat, bei diesem von der UCK "laufend" nach Waffen gesucht worden sei und - nach der Aussage des Beschwerdeführers - von der UCK mit der Ermordung des Beschwerdeführers gedroht worden sei, kann für den Fall des Zutreffens dieser Angaben nicht gesagt werden, dass der Familie des Beschwerdeführers bloß aufgrund deren Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Gorani allgemein ein Naheverhältnis zu den einstigen serbischen Machthabern unterstellt worden wäre. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund der früheren beruflichen Tätigkeit des Vaters für die serbische Seite von einer gegenüber der allgemeinen Situation der Gorani allenfalls verstärkten Bedrohung der Familie des Beschwerdeführers seitens Angehöriger der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgegangen werden müsste, die auch in Bezug auf den Beschwerdeführer ein asylrelevantes Ausmaß erreichen könnte (zu einem vergleichbaren Fall, in dem der Verwaltungsgerichtshof der Beschäftigung des Ehegatten einer muslimischen Slawin in einem serbischen Unternehmen für die Frage des Vorliegens asylrelevanter Verfolgung Bedeutung beimaß, vgl. das schon genannte Erkenntnis vom 14. Mai 2002).
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde nicht schlüssig begründet, dass dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Gefährdung im Kosovo drohe. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 8. März 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002010555.X00Im RIS seit
01.04.2005