Kopf
SZ 29/44
Spruch
Haftung der Eisenbahn für den Unfall eines Fahrgastes, weil der Bahnsteig trotz Vereisung nicht bestreut war.
Entscheidung vom 23. Mai 1956, 2 Ob 288/56.
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz
Text
Die Untergerichte haben folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Personenzug, mit dem die Klägerin am 22. Dezember 1951 von S. kam, fuhr um 7 Uhr früh ausnahmsweise auf Gleis 11 in B. ein. Dieses Gleis besitzt nur einen Zwischenbahnsteig aus Erdreich, der die Schienenkante um 15 cm überhöht und gegen das Gleis etwas abfällt.
Der Bahnsteig war das letzte Mal am Tage vorher bestreut worden, wies aber zumindest einzelne Stellen auf, die noch glatt waren oder wieder glatt geworden waren. Die Beleuchtung war zur Zeit des Unfalles nicht besonders gut, die Morgendämmerung war noch nicht eingetreten.
Die Klägerin mußte 40 bis 45 cm vom Trittbrett, welches auch etwas vereist war, auf den Bahnsteig hinuntersteigen. Sie benützte die beiden Griffstangen und ließ sie erst los, als sie der Schaffner am Arm unterstützte. Sie war schon mit dem linken Fuß auf den Bahnsteig getreten und rutschte, als sie auch mit dem rechten Bein nachsteigen wollte, aus, kippte dabei im Fußgelenk um und erlitt einen beiderseitigen Knöchelbruch links.
Beide Untergerichte gaben dem gegen die Republik Österreich (Österreichische Bundesbahnen) gerichteten Schadenersatzbegehren der Klägerin statt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Wenn das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgerichte annimmt, daß die Bahnverwaltung mit Rücksicht auf die damals herrschenden Umstände verpflichtet gewesen wäre, den Bahnsteig vor der Ankunft des Zuges entsprechend zu bestreuen, und sich nicht damit begnügen durfte, daß der Bahnsteig am Vortag bestreut worden war, und daß deshalb der Unfall der Klägerin von der beklagten Partei verschuldet worden sei, so ist dies frei von Rechtsirrtum.
Wenn die Bahnhofsleitung den am frühen Morgen ankommenden Personenzug auf ein anderes als das übliche Geleise dirigiert hat, so hätte sie mit Rücksicht auf die damaligen Witterungsverhältnisse auch dafür sorgen müssen, daß dieser Bahnsteig entsprechend bestreut werde, und zwar so, daß die Bestreuung bei Ankunft des Zuges noch wirksam gewesen wäre. Ein solches, im Interesse der Sicherheit der aus dem Zuge aussteigenden Fahrgäste erforderliches Verhalten ist der Bahn sehr wohl zumutbar und muß von ihr verlangt werden. Es genügte nicht, sich darauf zu verlassen, daß am Vortage ohnehin gestreut wurde. Es wäre Sache der Bahnorgane gewesen, sich vom Zustand des Bahnsteiges vor der Ankunft des Zuges zu überzeugen und, da die Streuung vom Vortage bereits wirkungslos geworden war, neuerlich streuen zu lassen, wenn sie einen Zug auf dieses Bahngeleise hinleiten wollten.
Da die Bahnhofsleitung dies nach den bindenden Feststellungen der Untergerichte nicht getan hat, hat sie den Unfall der Klägerin verschuldet; die beklagte Partei hat gegenüber der Klägerin als Fahrgast gemäß § 1313a ABGB. für das Verschulden der Bahnorgane zu haften.
Ein Mitverschulden der Klägerin haben die Untergerichte mit Recht abgelehnt. Die Klägerin ist nach den bindenden Feststellungen der Untergerichte vorsichtig ausgestiegen und hat die Griffstange erst dann ausgelassen, als der Schaffner seine Hand zur Unterstützung reichte. Mehr Vorsicht konnte von ihr nicht verlangt werden. Wenn ihr der Schaffner seine Hand zur Unterstützung reichte, durfte sie auch mit Grund annehmen, aussteigen zu können, ohne ihre körperliche Sicherheit zu gefährden.
Da die beklagte Partei gemäß §§ 1295 ff., 1325, bzw. 1313a ABGB. ohnehin unbeschränkt haftet, erübrigt sich eigentlich ein Eingehen auf die Frage, ob unabhängig vom Verschulden der beklagten Partei auch die Haftung nach § 1 RHG. gegeben wäre. Doch ist auch die Ansicht der Untergerichte, daß es sich bei dem anläßlich des Aussteigens aus dem Eisenbahnwaggon erfolgten Unfall um einen Betriebsunfall handle, nicht rechtsirrig. Die Entscheidung SZ. XXIV 9 steht dem nicht entgegen, denn diese Entscheidung lehnt nur eine Haftung der Eisenbahn nach dem RHG. für Glatteis auf dem Bahnsteig dann ab, wenn keine betriebseigentümlichen Gefahren gegeben sind; hier handelt es sich aber nicht etwa um einen Unfall auf dem Bahnsteig vor dem Besteigen oder nach dem Verlassen des Zuges, sondern um einen beim Aussteigen aus dem Eisenbahnzug erfolgten Unfall, der jedenfalls ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 RHG. ist.
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Z29044European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1956:0020OB00288.560.0523.000Im RIS seit
10.01.1995Zuletzt aktualisiert am
14.02.2019