TE OGH 1956/5/29 2Ob311/56

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Veröffentlicht am 29.05.1956
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Norm

ABGB §33
ABGB §1295
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §§1 ff
Straßenpolizeigesetz §7
Straßenpolizeigesetz §61
Straßenpolizeiordnung §7
Straßenpolizeiordnung §75

Kopf

SZ 29/45

Spruch

Für die aus einer unerlaubten Handlung entspringenden Schuldverhältnisse ist das Recht des Tatortes maßgebend; dasselbe gilt für andere eine Haftpflicht begrundende Handlungen.

Ein Fußgänger, der genötigt ist, die Fahrbahn zu benützen, handelt grob fahrlässig, wenn er auf der Fahrbahn plötzlich die Richtung ändert.

Entscheidung vom 29. Mai 1956, 2 Ob 311/56.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin hat als Fußgängerin auf der Bundesstraße in St. einen Unfall erlitten, dessentwegen sie den Erstbeklagten als Kraftfahrzeughalter und den Zweitbeklagten als Führer des Kraftfahrzeuges auf Leistung des Schadenersatzes in der Höhe von insgesamt 13.476 S zur ungeteilten Hand in Anspruch nimmt.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gekommen, daß die Klägerin unvermutet knapp vor dem Fahrzeug der Beklagten vom unbefestigten Erdstreifen außerhalb der Fahrbahn diese betreten habe, ohne sich vorher um die Verkehrslage gekümmert zu haben. Die Klägerin treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil sie sich nicht so verhalten habe, wie es von einem achtsamen Fußgänger erwartet werden könne.

Der Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben. Der Unfall sei dadurch verursacht worden, daß die Klägerin, die bis dahin auf dem unbefestigten Erdstreifen neben der asphaltierten Fahrbahn gegangen war, knapp (zirka 1 m) vor dem nachkommenden Wagen des Erstbeklagten auf die asphaltierte Straßendecke getreten sei, ohne sich von der Verkehrslage überzeugt und umgeschaut zu haben. Der erwähnte Erdstreifen diene nur dem Abfluß des sich auf der asphaltierten Straße sammelnden Wassers und sei deshalb weder als Fußweg noch als Fahrbahn anzusehen. Beim Gehen auf diesem Erdstreifen am Rande der Straße habe sich die Klägerin noch nicht auf der Fahrbahn befunden. Die Klägerin habe als Fußgängerin aber dort, wo kein Gehweg vorgesehen sei, ohne weiteres auch die Fahrbahn zum Gehen benützen können. Damit werde jedoch aus der Fahrbahn noch kein Gehweg. Ein sich auf der Fahrbahn bewegendes Fahrzeug müsse wohl Fußgänger, die sich auf der Fahrbahn befinden, berücksichtigen, nicht aber auch solche Fußgänger, die erst die Absicht haben, die Fahrbahn zu betreten. Hätte sich die Klägerin schon seit längerer Zeit auf der Fahrbahn befunden, dann wäre der Zweitbeklagte allerdings verpflichtet gewesen, sie zu berücksichtigen. Vorliegendenfalls sei aber die Klägerin von dem seitlich der Fahrbahn befindlichen Erdstreifen unvermutet mit dem linken Fuß breit auf die Straße getreten. Bei einem solchen Vorhaben wäre es Pflicht der Klägerin gewesen, sich vorher zu vergewissern, ob die Fahrbahn, die sie betreten wollte, frei sei. Dem Zweitbeklagten könne ein Verschulden daran, daß er die Klägerin in diesem Augenblick streifte, nicht angelastet werden. Das Alleinverschulden der Klägerin ergebe sich aber auch bei Richtigkeit ihres Standpunktes, daß der unbefestigte Erdstreifen schon als Teil der Fahrbahn zu betrachten wäre. Denn auch solche Fußgänger, die aus zwingenden Gründen, insbesondere mangels eines besonderen Gehweges, die Fahrbahn betreten müßten, hätten während der Zeit, in der sie sich auf der Fahrbahn befinden, dem Verkehr erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Es müßte auch unter diesen Umständen als grobe Fahrlässigkeit der Klägerin ausgelegt werden, wenn sie beim Gehen auf der Fahrbahn plötzlich, ohne sich umzusehen und ohne in angemessenem Abstand vorher ein Zeichen zu geben, einen Schritt seitlich gegen die Mitte der Fahrbahn zu machte, weil der hinter ihr fahrende Zweitbeklagte damit habe rechnen müssen, daß die Klägerin ihren Weg am Rande der Straße in gerader Richtung fortsetzen werde, nicht aber, daß sie plötzlich einen Schritt nach links mache. Ein Verschulden des Zweitbeklagten am Verkehrsunfall sei also nicht gegeben. Die Ersatzpflicht des Erstbeklagten als Fahrzeughalters sei ausgeschlossen (§ 7 Abs. 2 KraftfVerkG.), weil der Unfall auf das Verhalten der verletzten Klägerin selbst zurückzuführen sei und obwohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hätten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend haben die Vorinstanzen bei der Entscheidung österreichisches Recht angewendet. Denn wenn auch das ABGB. über das anzuwendende Recht der aus einer unerlaubten Handlung entspringenden Schuldverhältnisse keine Bestimmung enthält, ist es in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, daß in dieser Hinsicht das Recht des Tatortes (hier: St. in Salzburg) maßgeblich ist (vgl. Ehrenzweig 2. Aufl. I/1 S. 113, nach welchem Autor daneben auch das Recht des Klageortes - vorliegendenfalls: Salzburg - Beachtung verlangt). Wie die unerlaubten Handlungen sind aber auch andere, eine Haftpflicht (vorliegendenfalls nach dem KraftfVerkG.) begrundende Handlungen in dieser Hinsicht zu beurteilen (vgl. Ehrenzweig a. a. O. S. 113 Anm. 29).

Bei der rechtlichen Beurteilung ist schon nach dem Revisionsvorbringen der Klägerin, die lediglich den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO. geltend gemacht hat, von den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen auszugehen. Zu den Revisionsausführungen ist zu bemerken:

Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, daß die stellenweise Verbreiterung der reinen Asphaltbahn durch den Sandstreifen vorliegendenfalls als Teil der Fahrbahn anzusehen sei; demgemäß wäre der Zweitbeklagte Kraftfahrzeuglenker gemäß § 13 Abs. 2 StPolG. zur besonderen Rücksichtnahme auf die Klägerin als Fußgängerin verpflichtet gewesen. Mit diesem Vorbringen wird nun zwar theoretisch richtig geltend gemacht, daß der Führer eines Fahrzeuges gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 StpolG. auf Fußgänger und Radfahrer besondere Rücksicht zu nehmen habe, wenn kein Gehsteig (Bankette, Radweg) vorhanden sei. Die Revisionswerberin übersieht aber, daß das Berufungsgericht - wie oben dargelegt - den streitgegenständlichen Verkehrsunfall auch unter diesem Gesichtspunkt beurteilt hat. Wenn das Berufungsgericht dabei zum Ergebnis gekommen ist, daß die Klägerin auch unter diesem Gesichtspunkte das alleinige Verschulden am Unfall treffe, dann ist diese Beurteilung im Gründe der maßgeblichen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen frei von Rechtsirrtum. Bei der geringen Straßenbreite (rund 4.50 m) war es dem Zweitbeklagten nicht möglich, in einem größeren Abstand vom rechten asphaltierten Straßenrand zu fahren, als er ihn tatsächlich einhielt (rund einen halben Meter bei einer Breite des eigenen Fahrzeugs von 1.45 m). Bei dem dichten Autoverkehr in beiden Richtungen durfte ja der Zweitbeklagte die linke Seite seiner Fahrbahn keinesfalls benützen. Das Vorbringen der Revisionswerberin, daß der Zweitbeklagte "beim Überholen einen größeren Sicherheitsabstand einhalten" hätte sollen, geht an den Tatsachenfeststellungen der Untergerichte vorbei. Vielmehr ist im Gründe dieser Feststellungen festzuhalten, daß es zum Unfall nicht gekommen wäre, wenn nicht die Klägern beim Gehen plötzlich einen Schritt seitlich gegen die Mitte der Fahrbahn zu gemacht hätte, ohne sich umzusehen. Die Revisionswerberin läßt die in Lehre und Rechtsprechung (vgl. Floegel - Hartung, Straßenverkehrsrecht, 9. Aufl. S. 357 f.) anerkannten Pflichten des Fußgängers bei Benützung der Fahrbahn außer Betracht. Die Fahrbahn ist doch vorzugsweise für den Fahrverkehr bestimmt. Wenn nun der Fußgänger genötigt ist, die Fahrbahn zu benützen, dann muß er in erster Linie selbst auf den Fahrverkehr achten und sich gegen dessen Gefahren schützen. Es muß als grobfahrlässige Handlungsweise des Fußgängers gewertet werden, wenn er auf der Fahrbahn plötzlich die Richtung ändert. Die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache (§ 503 Z. 4 ZPO.) ist also nicht gegeben.

Anmerkung

Z29045

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1956:0020OB00311.56.0529.000

Dokumentnummer

JJT_19560529_OGH0002_0020OB00311_5600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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