TE OGH 1957/4/17 1Ob222/57

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Veröffentlicht am 17.04.1957
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Norm

Mietengesetz §19 Abs1

Kopf

SZ 30/23

Spruch

Die vertragsmäßige Verpflichtung einer Wohnungsaktiengesellschaft, ihre Wohnungen für die Betriebsangehörigen eines Großunternehmens zur Verfügung zu stellen, und der dringende Bedarf dieses Unternehmens nach solchen Wohnungen bilden einen wichtigen Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 1 MietG.

Entscheidung vom 17. April 1957, 1 Ob 222/57.

I. Instanz: Bezirksgericht Steyr; II. Instanz: Kreisgericht Steyr.

Text

Die klagende Partei hat das Mietverhältnis mit den Beklagten unter Berufung auf § 19 Abs. 1 MietG. mit der Begründung gerichtlich aufgekundigt, daß es sich um eine Werkswohnung der S.-AG. handle, keiner der Gekundigten dort mehr beschäftigt sei, die Wohnung aber dringend zur Unterbringung anderer Arbeitnehmer benötigt werde.

Demgegenüber wendeten die Beklagten unter anderem ein, daß es sich bei der aufgekundigten Wohnung keinesfalls um eine Werkswohnung, sondern um eine Mietwohnung handle, deren Vermietung mit der Frage der Beschäftigung bei der S.-AG. in keinem Zusammenhang gestanden sei.

Das Erstgericht hat die Kündigung aufgehoben. Es stellte fest, daß der Erstbeklagte unbestrittenermaßen bei Abschluß des Mietvertrages bei der S.-AG. beschäftigt war, das Dienstverhältnis von den S.- Werken bereits zum 31. Dezember 1950 gekundigt wurde und das Mietverhältnis im Vertrag vom 29. Oktober 1945 geregelt war.

Die vorliegende Kündigung stelle sich, so führt das Erstgericht in den Gründen des Urteils aus, als eine solche im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. dar. Der Erstbeklagte habe die Wohnung nur auf Grund seiner Eigenschaft als Betriebsangehöriger der S.-AG. mieten können. Eine Beweisaufnahme über die Abmachungen zwischen der Klägerin und den S.-Werken betreffend die Errichtung der Wohnsiedlung in M. und über die Tatsache, daß diese Wohnungen für die Betriebsangehörigen der S.-Werke bestimmt, daher zweckgebunden seien, habe unterbleiben können, weil diese Umstände gerichtsbekannt seien und auch den Beklagten bekannt gewesen sein müßten. Es sei daher auch die Klägerin berechtigt, als Vermieterin der gegenständlichen Wohnung den Eigenbedarf der S.-AG. geltend zu machen, selbst wenn sie nicht Unternehmerin und Dienstgeberin sei, da es auf den Widmungszweck der Wohnung ankomme. Die Klägerin vertrete gleichsam die S.-AG., denn die Errichtung der Wohnbauten sei mit den Mitteln der genannten AG. und für dieselbe erfolgt, wenn auch nach außen die Klägerin als Wohnungseigentümerin aufscheine.

Dessen ungeachtet habe die Kündigung aufgehoben werden müssen, weil die Auflösung des Dienstverhältnisses bereits am 31. Dezember 1950 erfolgt sei, der Kündigungsgrund des Eigenbedarfes mithin erst 5 1/2 Jahre später geltend gemacht worden sei. Es schade zwar nicht, wenn infolge vorübergehenden Nichtbedarfes die Räume vorübergehend zur Befriedigung des allgemeinen Wohnungsbedarfes verwendet würden, doch dürfe dadurch die Zweckbestimmung nicht endgültig geändert werden. Bei den S.-Werken habe aber, wie gerichtsbekannt, schon im Jahre 195O ein dringender Bedarf nach Wohnraum für ihre Betriebsangehörigen bestanden. Wenn trotzdem die Klägerin durch mehr als 5 Jahre nach Auflösung des Dienstverhältnisses die Beklagten in ihrer Wohnung belassen habe, so könne mit Grund angenommen werden, daß sie in diesem Fall stillschweigend auf die Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes verzichtet habe.

Das Berufungsgericht hob infolge Berufung der Klägerin das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt im wesentlichen aus folgenden Gründen auf:

Es sei schon einmal die Ansicht des Erstgerichtes, daß es sich im vorliegenden Falle um eine Aufkündigung im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. handle, verfehlt; die Klägerin als eigenes Rechtssubjekt sei nicht legitimiert, Eigenbedarf nach dieser Gesetzesstelle für ein anderes Rechtssubjekt, wie hier die S.-Werke, geltend zu machen.

§ 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. fordere ausdrücklich, daß der Vermieter den Mietgegenstand zur Unterbringung von Arbeitern oder sonstigen Angestellten des eigenen Betriebes dringend benötige, welche Voraussetzung aber bei der Klägerin nicht gegeben sei. Wenn auch die Wohnungen der Klägerin nach den diesbezüglich unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes zu dem Zwecke geschaffen worden seien, um die Belegschaft der S.-Werke darin unterzubringen, so dürfe doch nicht außer acht gelassen werden, daß die Klägerin und nicht die S.-Werke Eigentümerin des Hauses sei, in dem sich die Wohnung der Beklagten befinde, wie ja auch die Klägerin und nicht die S.-AG. die Wohnung an die Beklagten vermietet habe. Die Klägerin habe sich bei Vornahme der Kündigung ausdrücklich auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs. 1 MietG. gestützt. Werde dem Vorbringen der Klägerin gefolgt, so müsse der angerufene Kündigungsgrund als gegeben angesehen werden. Denn wenn die Klägerin vertraglich verpflichtet sei, den S.-Werken die Wohnung für Betriebsangehörige des genannten Unternehmens zur Verfügung zu stellen und für Betriebsangehörige des Unternehmens dringender Wohnbedarf vorhanden sei, so habe damit die Klägerin den geltend gemachten Kündigungsgrund dargetan.

Mit Recht wende sich die Berufung auch gegen die Annahme des Erstgerichtes, daß die Klägerin auf die Geltendmachung des Eigenbedarfes der S.-Werke verzichtet habe. Ebensowenig wie die Klägerin den Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. habe geltend machen können, so wenig habe sie auch für die S.-Werke auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichten können. Davon abgesehen, könne ein Verzicht der S.-Werke auf ihr Belegungsrecht nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht angenommen werden. Wohl seien Kündigungsgrunde im Sinne des § 19 MietG. ohne Verzug geltend zu machen, doch dürfe in Fällen, in denen der Kündigungsgrund in einem Dauerzustand bestehe, wie dies zufolge der vertraglichen Verpflichtung der Klägerin im vorliegenden Falle zutreffe, ein Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes wegen Unterbleibens einer Kündigung während eines längeren Zeitraumes nicht ohne weiteres angenommen werden. In allen Fällen der Annahme stillschweigenden Verzichtes könne sich dieser Verzicht nicht auf die Geltendmachung des gesetzlichen Kündigungsgrundes überhaupt beziehen, sondern nur auf die Geltendmachung bestimmter Umstände zur Dartuung des gesetzlichen Kündigungsgrundes. Würden später neue Umstände eintreten, die den gesetzlichen Kündigungsgrund wieder rechtfertigten, so stehe seiner Geltendmachung nichts im Wege. Um so weniger sei die Annahme eines Verzichtes berechtigt, wenn der Unternehmer, auf dessen Seite der Eigenbedarf gegeben sei, nicht selbst mit der Aufkündigung vorgehen könne, sondern der Eigenbedarf auf Grund der vertraglichen Verpflichtung der Wohnungsgesellschaft, dem Unternehmer die aufzukundigende Wohnung zur Verfügung zu stellen, einen von ihr durchzusetzenden Kündigungsgrund darstelle. Daß die Klägerin etwa darauf verzichtet habe, ihrer behaupteten Verpflichtung zu entsprechen, sei vom Erstgerichte nicht angenommen worden.

Infolge der unzutreffenden Rechtsansicht des Erstgerichtes sei das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft geblieben, denn das Erstgericht habe sich mit den Einwendungen der Beklagten nicht befaßt, daß ihnen bei Abschluß des Mietvertrages die angeblichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der S.-AG. nicht zur Kenntnis gebracht worden seien, weiters daß die S.-Werke im Jahre 1945 ausdrücklich auf die Rückforderung der von ihnen zur Verfügung gestellten Mittel verzichtet hätten, und schließlich, daß § 5 Abs. 3 lit. a des Mietvertrages auch deshalb nicht angewendet werden könne, weil es sich im vorliegenden Falle nicht um eine Auflösung, sondern um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gehandelt habe, weshalb auch die Voraussetzung des § 5 Abs. 3 lit. a des Vertrages auf die vorliegende Kündigung nicht zutreffe. Erst nach restloser Prüfung der Einwendungen der Beklagten könne die Sache als spruchreif angesehen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Auffassung, daß die vertragsmäßige Verpflichtung der Klägerin gegenüber der S.-AG., ihre Wohnungen für die Betriebsangehörigen der Letztgenannten zur Verfügung zu stellen, und der dringende Bedarf der S.-Werke nach solchen Wohnungen einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 1 MietG. darstellen, wenn noch dazu im Mietvertrag die Kündigungsmöglichkeit für den Fall der Lösung des Dienstverhältnisses zwischen dem Mieter und der Dienstgeberin ausdrücklich vorgesehen ist, bekämpfen die Beklagten nicht. Sie stimmt auch mit der Rechtsprechung überein und ist daher frei von Rechtsirrtum (4 Ob 99/55, 1 Ob 115/56). Den Kündigungsgrund bildet der dem § 19 Abs. 2 Z. 7 MietG. ähnliche Tatbestand, daß der Mietgegenstand für Angestellte der S.-Werke bestimmt ist und für diesen Zweck dringend benötigt wird. Dabei kommt es gar nicht darauf an, ob der gekundigte Mieter Angestellter des Betriebes gewesen ist. Bei einem von Ehegatten geschlossenen Mietvertrag wirkt sich übrigens der in der Person eines Gatten eingetretene Kündigungsgrund auch gegen den anderen Gatten aus (JBl. 1946 S. 420 = MietSlg. 285 u. a.).

Wenn auch im allgemeinen der Rechtssatz gilt, daß wichtige Kündigungsgrunde ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind (SZ. XXI 166 = MietSlg. 280), so liegt doch, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, eine Verschweigung des Kündigungsgrundes gegebenenfalls nicht vor. Ob eine Kündigung rechtzeitig vorgenommen wurde, ist stets nach den Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen (MietSlg. 2408). Die Klägerin steht hinsichtlich der Bereitstellung von Wohnraum für die S.-Werke in einem Verpflichtungsverhältnis zu diesen, sie muß also, ehe sie eine Kündigung vornimmt, die bezüglichen Anforderungen der S.-Werke an sich herankommen lassen. Selbst wenn die S.-AG. die Stellung des Vermieters hätte, käme man zu keinem für die Beklagten günstigeren Ergebnis, weil dann folgende Überlegungen gelten würden: mag auch in dem einen oder anderen Fall dringenden Bedarfes von der Möglichkeit der Kündigung kein Gebrauch gemacht worden sein, so ist damit noch nicht für alle Zukunft das Kündigungsrecht wegen Bedarfes verwirkt. Taucht z. B. infolge einer Intensivierung oder Vergrößerung des Betriebes ein neuer dringender Bedarf auf, so unterliegt es keinem Anstand, den in vergangenen Fällen von Bedarf nicht angerufenen Kündigungsgrund dennoch mit Erfolg auf Grund der neuen Sachlage geltend zu machen. Der Mieter kann sich nicht darauf berufen, daß ihm wegen des Entgegenkommens der Vermieterin in früheren Fällen von dringendem Bedarf nunmehr das Recht zustehe, von Bedarfskündigungen überhaupt und für alle Zukunft verschont zu bleiben.

Anmerkung

Z30023

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1957:0010OB00222.57.0417.000

Dokumentnummer

JJT_19570417_OGH0002_0010OB00222_5700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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