Norm
Amtshaftungsgesetz §1Kopf
SZ 30/25
Spruch
Haftung des Landes Niederösterreich nach dem Amtshaftungsgesetz für Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter beim Jagd- und Wildschadenschiedsgericht sowie für den von diesen rechtswidrig und schuldhaft zugefügten Schaden.
Entscheidung vom 26. April 1957, 1 Ob 634/56.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Amtshaftungsklage vom beklagten Bundesland Niederösterreich die Bezahlung eines Schadenersatzbetrages von 10.481 S 42 g. Er habe auf den ihm gehörigen Weingartengrundstücken in E. durch Wildverbiß einen Schaden von 11.331 S 25 g erlitten. Nach den Bestimmungen des niederösterreichischen Jagdgesetzes habe er sich an das für die Schadensermittlung zuständige Jagd- und Wildschadenschiedsgericht gewendet, das unter dem Vorsitz seines Obmannstellvertreters Johann Z. den Schaden mit 3000 S festgesetzt habe. Das Schiedsgericht habe die im Gesetz geforderte genaue Besichtigung und Zählung unterlassen, der Obmannstellvertreter habe sich für sein Amt als unfähig erwiesen und hätte von der Bezirkshauptmannschaft K. nicht bestellt werden dürfen. Der Schaden des Klägers belaufe sich auf den um den zugesprochenen Betrag von 3000 S verminderten Betrag von 8331 S 25 g zuzüglich der Prozeßkosten des beim Bezirksgericht Langenlois anhängig gemachten Anfechtungsprozesses C 175/54 in der Höhe von 2150 S 17 g.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Bezirkshauptmannschaft K. könne ein schuldhaftes rechtswidriges Handeln nicht zum Vorwurf gemacht werden. Nach den von dieser Behörde wegen der Eignung des Obmannes und des Obmannstellvertreters des Schiedsgerichtes angestellten Erhebungen habe sie keinen Zweifel an der Eignung der vom Jagdausschuß E. vorgeschlagenen Personen haben können. Es liege keine culpa in eligendo vor. Auch dem Schiedsgericht könne kein Vorwurf gemacht werden. Es habe sich um die bloße Schätzung des Schadens des Klägers gehandelt, die das Schiedsgericht vorgenommen habe. Eine positive Norm sei nicht verletzt worden. Im übrigen habe der Kläger es unterlassen, bei der Schiedsgerichtsverhandlung vom 8. Oktober 1954 anwesend zu sein (§ 2 Abs. 2 AmtshaftungsG.). Auch hätte der Kläger nach der Meinung des Erstgerichtes die Möglichkeit gehabt, den Obmannstellvertreter Z. abzulehnen.
Infolge Berufung des Klägers bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Aus dem Protokoll über die Schiedsgerichtsverhandlung sei nicht zu entnehmen, daß der Obmannstellvertreter des Schiedsgerichtes Z. nur mangelhaft für sein Amt geeignet wäre. Das Schiedsgericht habe auch die nach dem Gesetz nötigen Erhebungen vorgenommen. Es hatte nach freiem Ermessen vorzugehen, was es auch getan habe. Eine genaue Aufnahme der Anzahl der durch Wildverbiß beschädigten Setzlinge sei nicht erforderlich gewesen. Der im Jagdgesetz erwähnte Marktpreis beziehe sich nur auf Bodenerzeugnisse. Es bestunden auch keine Bedenken gegen die Eignungsprüfung durch die Bezirkshauptmannschaft K.
Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile beider Untergerichte auf und verwies die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Tätigkeit der Jagd- und Wildschadenschiedsgerichte ist nicht privatrechtlicher Art. Dadurch, daß im Gesetz dem Schiedsgericht eine Zwangskompetenz zur Entscheidung über Schadenersatzansprüche aus Wild- und Jagdschäden erteilt wurde, ist dem Schiedsgericht eine öffentlich-rechtliche Aufgabe übertragen worden, wie ja auch schon das Amt eines von Privatparteien eingesetzten Schiedsgerichtes kraft seiner vom Staat gewährleisteten Entscheidungsbefugnis ein öffentliches ist (vgl. Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege, S. 781). Die Jagd- und Wildschadenschiedsgerichte werden als obrigkeitliche Organe desjenigen Bundeslandes tätig, das sie eingesetzt hat und dessen Agenden in der Landessache Jagdwesen sie führen. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XVI 237 unter der Geltung des früheren, vom heutigen nicht wesentlich abweichenden niederösterreichischen Jagdgesetzes vom 22. November 1901, LGBl. Nr. 42/1902, das Schiedsgericht als öffentlich-rechtliche Einrichtung angesehen und den Vorschriften unterstellt, die für Behörden maßgebend sind.
Im vorliegenden Fall hätte daher das beklagte Land Niederösterreich gemäß § 1 Abs. 1 AmtshaftungsG. an sich für den Schaden zu haften, den das als ihr Organ handelnde Jagd- und Wildschadenschiedsgericht für das Genossenschaftsjagdgebiet von E. in Vollziehung des niederösterreichischen Landesjagdgesetzes dem Kläger rechtswidrig und schuldhaft zugefügt haben sollte. Der Umstand, daß nur der Obmann und der Obmannstellvertreter des Schiedsgerichtes von der Bezirkshauptmannschaft K. bestellt wurden, die beiden anderen Schiedsrichter aber von den beteiligten Parteien (dem Kläger und dem Jagdausübungsberechtigten) ernannt wurden, spielt keine Rolle. Denn auch diese Schiedsrichterbestellung entspricht dem Gesetz (§ 104 Abs. 1 des niederösterreichischen Jagdgesetzes), und das Schiedsgericht als Ganzes hat die obrigkeitliche Funktion auszuüben (vgl. SZ. XVI 237).
In der Auswahl und Bestellung des Obmannes Rudolf E. und des Obmannstellvertreters Johann Z. durch die Bezirkshauptmannschaft K. liegt, wie die Untergerichte richtig erkannt haben, kein rechtswidriges Verhalten dieser Landesbehörde. Sie hatte gemäß § 100 des Gesetzes allerdings die persönliche und sachliche Eignung (Unbescholtenheit, Unparteilichkeit, Vertrautheit mit den land- und forstwirtschaftlichen Verhältnissen und mit der Jagd) der vom Jagdausschuß E. vorgeschlagenen Personen zu überprüfen. Mit Rücksicht auf die große Zahl der im Bereich einer Bezirkshauptmannschaft befindlichen Jagdgenossenschaften war die Bezirkshauptmannschaft nicht in der Lage, selbst an Ort und Stelle die erforderlichen Erhebungen vorzunehmen. Die Erteilung des Erhebungsauftrages an die örtliche Gendarmerie war das nach der Sachlage geeignetste Mittel. Denn das Gendarmeriepostenkommando hat ausreichende Kenntnis der persönlichen und sachlichen Eigenschaften der ihr meistens persönlich bekannten Bewohner seines kleinen Bereiches. In der Praxis wird die Mithilfe der Gendarmerie vom Gericht und von der Verwaltungsbehörde in den verschiedensten Angelegenheiten in Anspruch genommen. Die Meinung des Revisionswerbers, die Gendarmerie sei zur Überprüfung nach § 100 des Gesetzes nicht befähigt, ist abzulehnen. Denn es handelt sich nicht um eine Prüfung, die besondere Fachkenntnisse voraussetzte. Es ist auch nicht behauptet worden, daß etwa die Gendarmerie von H. die ihr von der Bezirkshauptmannschaft aufgetragene Prüfung mangelhaft durchgeführt hätte. Anhaltspunkte dafür, daß der Bezirkshauptmannschaft K. die mangelnde Eignung des Obmannstellvertreters Z. hätte auffallen müssen, haben sich nicht ergeben. Ein schuldhaftes, rechtswidriges Verhalten der Bezirkshauptmannschaft K. bei der Bestellung des Obmannes und des Obmannstellvertreters des Jagd- und Wildschadenschiedsgerichtes E. liegt daher nicht vor.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß sich aus dem Protokoll über die Schiedsgerichtsverhandlung vom 8. Oktober 1954 kein Anhaltspunkt dafür ergebe, der als Leiter des Schiedsgerichtes fungierende Obmannstellvertreter Johann Z. sei seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen, wie der Revisionswerber behauptet hat. Dieser hat darauf hingewiesen, daß Z. keine Kenntnis gehabt habe, wie eine Schiedsgerichtsverhandlung zu führen sei, und daß der von den Jagdausübungsberechtigten ernannte Schiedsrichter Anton H. die Verhandlungsleitung über den Kopf des Obmannstellvertreters hinweg nur im Interesse der einen Partei an sich gerissen habe. Es ist klar, daß derartige Vorgänge, wenn sie sich ereignet haben sollten, im Protokoll nicht zum Ausdruck gekommen sind. Es wären die von den Parteien in dieser Richtung angebotenen Beweise durchzuführen gewesen, weil im Falle der Richtigkeit der Behauptung des Klägers nicht ausgeschlossen werden könnte, daß infolge der behaupteten Unfähigkeit des Obmannstellvertreters die Entscheidung des Schiedsgerichtes nicht in objektiver Weise gefällt wurde.
Es kann dem Berufungsgericht auch darin nicht beigestimmt werden, daß das Schiedsgericht befugt gewesen wäre, den dem Kläger infolge Wildverbisses entstandenen Schaden, ähnlich wie dies im gerichtlichen Verfahren die Bestimmung des § 273 ZPO. vorsehe, ausschließlich nach freiem Ermessen zu bestimmen. Abgesehen davon, daß die Voraussetzung des § 273 ZPO. (unverhältnismäßige Schwierigkeit der Schadenserhebung) gegeben sein müßte, enthält das niederösterreichische Jagdgesetz Vorschriften über die Art der Schadensermittlung (§§ 98, 106, 107). Danach ist der Umfang des Schadens zu erheben und dessen Höhe nach bestimmten Grundsätzen festzusetzen. Das im § 108 des Gesetzes erwähnte freie Ermessen bedeutet nicht, daß das Schiedsgericht über Grund und Höhe des Schadenersatzanspruches willkürlich entscheiden dürfte, sondern nur, daß nach den im Gesetz vorgesehenen Schadenserhebungen eine von kleinlichen Zweifeln freie, sachgemäße Entscheidung zu erlassen ist. Nur dort, wo für die Schadensfestsetzung maßgebende Umstände nicht oder nur schwierig feststellbar wären, könnte nach der Bestimmung des § 273 ZPO. vorgegangen werden. Im vorliegenden Fall handelt es sich nach der Behauptung des Klägers um eine größere Zahl von Rebensetzlingen, die zufolge Benagens durch Hasen vernichtet oder beschädigt worden sein sollen. Das Schiedsgericht hätte sich daher nicht mit einer unüberprüfbaren Festsetzung einer globalen Geldsumme (3000 S) begnügen dürfen, sondern den Umfang des Schadens (so die Anzahl der vernichteten und beschädigten Setzlinge usw.) durch Begehung der Parzellen, auf denen die Verhandlung ohnedies stattgefunden hat, soweit als möglich erheben müssen, um der gesetzlichen Vorschrift gerecht zu werden. Es ist nicht klargestellt worden, ob diese Begehung, die nach der Angabe des im Beweissicherungsverfahren (Nc 125/54 des Bezirksgerichtes Langenlois) vernommenen Sachverständigen Dipl.-Ing. Roman Sch. mehrere Stunden erforderte, stattgefunden hat oder aus welchem Gründe sie unterblieben ist. Wenn das Schiedsgericht ohne genaue Kenntnis des Schadensumfanges den Schadenersatz festgesetzt haben sollte, würde es sich um einen gesetzwidrigen, schuldhaften Vorgang handeln, der das beklagte Bundesland Niederösterreich nach § 1 Abs. 1 AmtshaftungsG. zum Schadenersatz an den Kläger verpflichten könnte, falls diesem ein zu geringer Schadenersatzbetrag zuerkannt worden wäre. Die Untergerichte, die von einer unzutreffenden Rechtsmeinung ausgegangen sind, hätten auch in dieser Richtung die erforderlichen Erhebungen durchzuführen gehabt.
Wenn sich freilich herausstellen sollte, daß der dem Kläger zustehende Schadensbetrag den ihm vom Schiedsgericht zugesprochenen Betrag von 3000 S nicht wesentlich übersteigt, könnte er ungeachtet der allfälligen Verstöße gegen das Gesetz mangels Schadens die Amtshaftung nicht in Anspruch nehmen. Dasselbe könnte der Fall sein, wenn der Kläger seinen Schaden verspätet angemeldet hätte und es so zur Bewilligung des verfrüht einsetzenden Hasenabschusses nicht gekommen wäre, allerdings nur dann, wenn der Schaden durch eine solche Bewilligung ganz oder teilweise hätte abgewendet werden können. Hingegen spielt es keine ausschlaggebende Rolle, daß der Kläger ungeachtet ordnungsgemäßer Zustellung der Ladung zur Schiedsgerichtsverhandlung an dieser nicht teilgenommen hat. Denn das Schiedsgericht hatte auch ohne Anwesenheit der Beteiligten das nach der Sachkenntnis der Schiedsrichter Erforderliche zu veranlassen (§ 104 Abs. 2 des Gesetzes).
Es erweist sich somit, daß die geltend gemachten Revisionsgrunde vorliegen und das Verfahren der Untergerichte ergänzt werden muß. Der Revision war daher Folge zu geben.
Anmerkung
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ECLI:AT:OGH0002:1957:0010OB00634.56.0426.000Dokumentnummer
JJT_19570426_OGH0002_0010OB00634_5600000_000