TE OGH 1957/5/15 7Ob215/57

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Veröffentlicht am 15.05.1957
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Norm

Genossenschaftsgesetz §5 Z4

Kopf

SZ 30/30

Spruch

Vor dem Ausschluß eines Genossenschafters muß diesem nicht bei sonstiger Unwirksamkeit das rechtliche Gehör zur Darlegung seines Standpunktes gewährt werden.

Entscheidung vom 15. Mai 1957, 7 Ob 215/57.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Genossenschaft. Er wurde mit Beschluß des Vorstandes in der Sitzung am 4. März 1955, an der von den zwölf Vorstandsmitgliedern sieben mitgewirkt haben, als Genossenschafter ausgeschlossen. Der Ausschließungsbeschluß wurde dem Kläger mit Schreiben vom 4. März 1955 mitgeteilt. Er begehrte hierauf mit Klage, die Unwirksamkeit dieser Ausschließung zu erklären und festzustellen, daß er zufolge Ungültigkeit des erwähnten Vorstandsbeschlusses nach wie vor Mitglied der Genossenschaft sei.

Das Erstgericht erkannte die Ausschließung, die den Bestimmungen der §§ 7b des Statutes und 8a der Geschäftsordnung entspreche, für begrundet und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht ließ sich auf eine materielle Prüfung der Ausschließung des Klägers überhaupt nicht ein, weil es die Ansicht vertrat, daß die Ausschließung schon aus formellen Gründen unwirksam sei. Das Statut enthalte in seinem § 22 wohl eine Bestimmung darüber, daß der Vorstand seine Beschlüsse mit absoluter Stimmenmehrheit fasse, es treffe aber keinerlei Anordnungen darüber, welche sonstigen formalen Voraussetzungen für das rechtswirksame Zustandekommen der Vorstandsbeschlüsse erforderlich seien (etwa Ladung, Bekanntgabe der Tagesordnung), und vor allem auch nicht, wieviele Vorstandsmitglieder anwesend sein müßten, damit der Vorstand überhaupt beschlußfähig sei. Mangels einer Bestimmung des Statutes komme daher § 17 GenG. zur Anwendung, der die Gesamtvertretung, d. h. die Mitwirkung sämtlicher Vorstandsmitglieder bei der Willensbildung, vorsehe. Da der Beschluß aber nur von den sieben bei der Vorstandssitzung anwesenden Mitgliedern gefaßt worden sei, liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesamtvertretung vor, woraus sich ergebe, daß der Vorstandsbeschluß nicht gültig sei. Das Berufungsgericht änderte daher das Ersturteil dahin ab, daß es gemäß dem Klagebegehren erkannte.

Der Oberste Gerichtshof hob das zweitinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es trifft nicht zu, daß der Kläger nur behauptet habe, die Ausschließung sei deshalb formell mangelhaft, weil er vorher nicht gehört worden sei. Der Kläger führte vielmehr bereits in der Klage aus, daß die Ausschließung schon aus formellen Gründen wegen Rechts- und Statutenwidrigkeit ungültig sei, und er fügte bei, daß in der Verweigerung des rechtlichen Gehörs ein solcher formeller Mangel liege. Das Gericht hatte daher den Ausschließungsbeschluß des Vorstandes auf seine Gültigkeit nach allen Richtungen in formeller und materieller Hinsicht zu prüfen.

Nach § 5 Z. 4 des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 9. April 1873, RGBl. Nr. 7O, muß der Genossenschaftsvertrag (d. i. das Statut) die allfälligen besonderen Bestimmungen über das Ausscheiden (die Ausschließung) der Genossenschafter enthalten. Dementsprechend ordnet § 7 des Statuts der beklagten Partei in seiner lit. d an, daß das Ausscheiden eines Mitgliedes durch Ausschließung stattfinden könne. Die gleiche Bestimmung führt sodann die Ausschließungsgrunde an und legt fest, daß die Ausschließung durch Vorstandsbeschluß zu erfolgen habe. Nach § 22 des Statutes faßt der Vorstand seine Beschlüsse in Sitzungen, welche vom Obmann nach Bedarf einzuberufen sind, mit absoluter Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende. Nun sagt das Statut allerdings ausdrücklich nicht, wieviele Vorstandsmitglieder anwesend sein müssen, damit der Vorstand beschlußfähig ist. Daraus, daß der Obmannstellvertreter bei Verhinderung des Obmannes den Vorsitz führt (§ 22 Abs. 3 des Statutes), ergibt sich, daß die Anwesenheit aller Vorstandsmitglieder zur Beschlußfähigkeit des Vorstandes nicht erforderlich ist. Ferner folgt aus der zuletzt angeführten Bestimmung des Statutes und aus dem Abs. 4 der gleichen Vorschrift, wonach die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt, daß jedenfalls ein einhelliger Beschluß von mindestens der Hälfte der Vorstandsmitglieder in der Sitzung zur Fassung eines wirksamen Beschlusses genügt. Vorausgesetzt wird hier allerdings, daß allen Vorstandsmitgliedern Gelegenheit gegeben war, an der Sitzung teilzunehmen. Das bringt das Statut mit den Worten zum Ausdruck, daß die Sitzung einzuberufen ist (§ 22 Abs. 2 des Statutes). Ob alle Vorstandsmitglieder zur Sitzung vom 4. März 1955 durch den Obmann des Vorstandes einberufen wurden, ist weder den Prozeßbehauptungen der Parteien noch den Beweisergebnissen zu entnehmen. Es mußte daher schon aus diesem Gründe das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, das den Sachverhalt zunächst mit den Parteien in der oben angegebenen Richtung zu erörtern haben wird. Steht sodann die ordnungsgemäße Einberufung der Sitzung fest, dann liegt nach den obigen Ausführungen ein formell gültiger Beschluß des Vorstandes vor, wenn - wie im vorliegenden Fall - sieben von den zwölf Vorstandsmitgliedern die Ausschließung beschlossen haben.

Abschließend sei noch im Hinblick auf die beiderseitigen Rechtsmittelschriften folgendes bemerkt:

Dadurch, daß ein Aufsichtsratsmitglied bei einer Vorstandssitzung anwesend ist und den im Protokollbuch (§ 22 letzter Absatz des Statutes) festgehaltenen Beschluß mitunterschreibt, wird dieser Beschluß des Vorstandes, wenn er von der erforderlichen Mehrheit der Vorstandsmitglieder gefaßt wurde, nicht ungültig. Eine solche Ungültigkeit aus der Bestimmung des § 21 Abs. 2 des Statutes zu schließen, wonach Aufsichtsratsmitglieder nicht gleichzeitig Mitglieder des Vorstandes sein können, ist unbegrundet. Diese Bestimmung soll ja nur eine Kollision vermeiden. Wer nicht Vorstandsmitglied ist, kann in Vorstandssitzungen, in denen nur den Vorstandsmitgliedern ein Stimmrecht zukommt, nicht abstimmen. Tut er es dennoch, dann ist seine Stimme nicht zu zählen. Das gilt auch für die Stimmenabgabe eines Aufsichtsratsmitgliedes. Die Vorschrift des § 21 Abs. 2 des Statutes entspricht dem § 27 des Statutes. Daß der Aufsichtsratsobmann G. auch zum Vorstandsmitglied bestellt sei, wurde jedenfalls nicht behauptet.

Dadurch, daß der Vorstand zu keiner Einigung kommt, ob eine Revision durch den mit der Vertretung im Prozeß betrauten Rechtsanwalt zu erheben sei, wird die von dem Prozeßbevollmächtigten namens der Genossenschaft erhobene Revision als Prozeßhandlung in ihrer Wirksamkeit nicht berührt (siehe §§ 31, 32, 34 ZPO.) Wäre die Ansicht des Klägers richtig, dann müßte das Gericht immer prüfen, ob die Partei ihrem Vertreter einen Auftrag zur Erhebung eines Rechtsmittels erteilt hat. Jedenfalls liegt in der Unterlassung einer Beschlußfassung über die Erhebung eines Rechtsmittels durch den Vorstand kein vom Gericht wahrzunehmender Rechtsmittelverzicht. Der Verzicht muß, um als Prozeßhandlung wirksam zu sein, dem Gerichte gegenüber ausdrücklich abgegeben werden (SZ. XXIV 319 u. a.). Dies ist nicht geschehen. Abgesehen davon könnte nach den Angaben des Klägers nur ein stillschweigender Rechtsmittelverzicht vorliegen. Stillschweigende Prozeßhandlungen kennt aber das Gesetz nicht.

Die Beschlußfassung über die Ausschließung eines Genossenschafters ist, wie bereits eingangs ausgeführt, nach dem Statut dem Vorstand übertragen. Eine Beschlußfassung durch die Generalversammlung der Genossenschafter oder eine Überprüfung des Ausschließungsbeschlusses des Vorstandes durch die Generalversammlung ist weder im Gesetz noch im Statut vorgesehen. Auch einen Rechtsmittelzug gegen Beschlüsse des Vorstandes an die Generalversammlung kennt das Statut ebensowenig wie das Gesetz. Eine Überprüfung des Vorstandsbeschlusses durch die Generalversammlung ist daher in diesem Falle nicht möglich. Sie erfolgt in formeller und materieller Hinsicht durch das vom Ausgeschlossenen angerufene Gericht. Es ist daher ohne Belang, ob ein auf Aufhebung oder Überprüfung der Maßnahme des Vorstandes gerichteter Antrag in der auf den Ausschluß folgenden Generalversammlung von deren leitenden Organen unterdrückt wurde, wie der Kläger behauptet.

Es ist richtig, daß in der deutschen Judikatur (JW. 1926 S. 2098) und Literatur (Meyer - Meulenberg, Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, 7. Aufl. S. 244, und die Bemerkungen von Heinsheimer in der Fußnote zur Entscheidung des Reichsgerichtes in JW. 1925 S. 49) die Ansicht vertreten wird, es müsse vor dem Ausschluß bei sonstiger Unwirksamkeit dem Genossenschafter das rechtliche Gehör zur Darlegung seines Standpunktes gewährt und ihm die Möglichkeit gegeben werden, seinen Austritt zu erklären. Diese Auffassung wird damit begrundet, daß ein einseitiges Vorgehen der Genossenschaftsorgane, die den Ausschluß auszusprechen haben, mit Rücksicht auf die engen Bindungen zwischen Genossenschaft und Mitglied den Grundsätzen von Treu und Glauben widerstreite (Heinsheimer a. a. O. in bezug auf den Ausschluß aus einem Verein). Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Auffassung, die im Gesetze selbst keine Stütze hat, nicht anzuschließen. Das rechtliche Gehör wird dem Auszuschließenden dadurch gewährt, daß er im Anfechtungsprozeß zu Wort kommt und sein Verhalten zu rechtfertigen in der Lage ist. Von diesem, in der Entscheidung 2 Ob 609/55 ausgesprochenen Rechtssatz abzugehen, findet der Oberste Gerichtshof keinen Anlaß. Aus welchen Erwägungen einem Mitglied, das mit Grund ausgeschlossen werden kann, die Möglichkeit gegeben werden muß, vor dem beabsichtigten Ausschluß seinen Austritt zu erklären, ist nicht einzusehen.

Anmerkung

Z30030

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1957:0070OB00215.57.0515.000

Dokumentnummer

JJT_19570515_OGH0002_0070OB00215_5700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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