TE OGH 1957/10/22 4Ob137/57

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Veröffentlicht am 22.10.1957
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Norm

ABGB §1152
Gewerbeordnung §97
Gewerbeordnung §100b

Kopf

SZ 30/62

Spruch

Beim Lehrverhältnis steht der Ausbildungszweck im Vordergrund. Die Lehrlingsentschädigung bestimmt sich, wenn der Lehrling mehrere Berufe erlernt, nach jenem Berufszweig, in dem ausgebildet zu werden vornehmstes Lehrziel ist.

Entscheidung vom 22. Oktober 1957, 4 Ob 137/57.

I. Instanz: Arbeitsgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.

Text

Unbestritten ist, daß der Kläger beim Beklagten seit 5. Juli 1954 als Lehrling beschäftigt ist. Er erlernt laut Lehrvertrag zwei Handwerke, nämlich das Ofensetzer- und das Fliesen- und Plattenlegerhandwerk, in einer vierjährigen Lehrzeit. Er bekommt vom Beklagten die Lehrlingsentschädigung des Hafnergewerbes von derzeit wöchentlich 81 S 75 g. Der Kläger begehrt die Differenz auf die Lehrlingsentschädigung für das Fliesen- und Plattenlegerhandwerk in der derzeitigen Höhe von 3 S 72 g pro Stunde mit der Begründung, daß er fast zu 90% im Platten- und Fliesenlegerhandwerk ausgebildet werde. Mit Rücksicht darauf, daß die Lösung der strittigen Frage für das ganze weitere Lehrlingsverhältnis bedeutsam sei, begehrt er auch die Feststellung, daß ihm eine Lehrlingsentschädigung von 3 S 72 g pro Stunde gebühre.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es meinte, daß hinsichtlich der Lehrlingsentschädigung jene Norm (jener Tarifsatz) heranzuziehen sei, die (der) für die Tätigkeit gelte, welche als die wichtigere anzusehen sei. Im Gegensatz zu anderen Arbeitsverhältnissen sei aber beim Lehrverhältnis nicht jene Tätigkeit die wichtigere, in welcher der Dienstnehmer überwiegend beschäftigt sei. Es komme vielmehr auf die Ausbildung an, und es sei auf jene abzustellen, welche für den Lehrling die überwiegende Bedeutung habe. Die überwiegende Bedeutung komme im vorliegenden Falle der Ausbildung im Hafnergewerbe zu, weil sie dem Lehrling eine größere Entfaltungsmöglichkeit verschaffe als die Ausbildung im Fliesenlegergewerbe allein.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Es führte in rechtlicher Beziehung aus, daß die Frage, welcher von mehreren Lohnsätzen innerhalb eines gemeinsamen Kollektivvertrages bei sogenannten Doppellehren anzuwenden ist, weder im Gesetze noch im Kollektivvertrag geregelt sei. Der Lehrling sei noch keine vollwertige Arbeitskraft. Sinn und Zweck der Lehre sei nicht der Gelderwerb des Lehrlings, sondern seine Vorbereitung für den angestrebten Beruf; nicht seine Arbeitsleistung sei wichtig, sondern seine Ausbildung. Dementsprechend erhalte der Lehrling auch keinen Lohn im eigentlichen Sinne, sondern unabhängig von dieser Arbeitsleistung eine Lehrlingsentschädigung. Aus diesen Gründen könne auch die jeweilige Verwendung eines Lehrlings nicht das Kriterium für seine Entschädigung bilden und könne bei der Frage der Einstufung in eine der Lohnkategorien nur davon ausgegangen werden, welche Ausbildung für den Lehrling die wichtigere sei. Da das Hafnergewerbe das Gewerbe der Platten- und Fliesenleger einschließe, nicht aber umgekehrt, sei die Ausbildung im Hafnergewerbe die umfassendere und für den Kläger daher auch zweifellos die wichtigere. Es stehe deshalb dem Kläger die Lehrlingsentschädigung nur als Hafnerlehrling zu.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei Lehrverhältnis kann nicht, wie der Revisionswerber meint, von der Rechtsregel ausgegangen werden, daß für die anzuwendenden Tarifsätze entscheidend sei, in welcher Lohnkategorie der Dienstnehmer überwiegend beschäftigt ist. Beim Lehrverhältnis steht der Ausbildungszweck im Vordergrund, wie die Gerichte erster und zweiter Instanz bereits zutreffend hervorgehoben haben. Die Lehrlingsentschädigung muß sich demnach nach jenem Berufszweige richten, in dem ausgebildet zu werden vornehmstes Lehrziel ist. Das kann im Gegenstande nur das Hafnergewerbe sein, weil dieses unbestrittenermaßen auch die Berechtigung zum Platten- und Fliesenlegen in sich begreift. Wird in diesem Gewerbe das Ausbildungsziel erreicht, ist notwendigerweise auch die Berechtigung zur Ausübung des Platten- und Fliesenlegergewerbes erworben. Die Beschäftigung im Platten- und Fliesenlegergewerbe kann bei einer Doppellehre, wie im gegenständlichen Falle, nicht zur Anwendung der Lehrlingsentschädigungssätze für Lehrlinge im Platten- und Fliesenlegergewerbe führen, und zwar auch dann nicht, wenn es vorkommen sollte, daß der Lehrling vorübergehend oder überwiegend zum Platten- und Fliesenlegen verwendet wird. Der letztere Umstand kann zur Folge haben, daß das Lehrziel infolge von Pflichtverletzungen seitens des Lehrherrn nicht erreicht, der Lehrling daher nicht freigesprochen und der Meister wegen Verletzung der ihm nach § 100 GewO. obliegenden Pflichten schadenersatzpflichtig wird, ändert aber nichts daran, daß die Ausbildung vornehmlich für das Hafnergewerbe zu erfolgen hatte und die Lehrlingsentschädigung nach den für das Hafnergewerbe geltenden Sätzen zu gewähren war.

Die ratio der verschiedenen Sätze für Lehrlingsentschädigung ist nicht darin zu suchen, daß Fliesenlegermeister im allgemeinen besser verdienen als Hafnermeister, sondern darin, daß der lediglich im Platten- und Fliesenlegergewerbe auszubildende Lehrling infolge der leichteren Erlernbarkeit früher als der Hafnerlehrling für den Meister eine nützliche und verwendbare Hilfskraft wird.

Die Revision anerkennt selbst, daß für den Lehrling einzig und allein die tatsächliche Ausbildung, die er erfährt, d. h. die Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm vermittelt werden, von Bedeutung ist. Der umfänglichen Ausbildung entspricht nicht nur ein Mehr an Lehrtätigkeit auf Seite des Meisters, sondern auch, daß der Lehrling weniger rasch nützlich und erfolgreich für den Lehrherrn eingesetzt und tätig werden kann. Ob der Lehrling später einmal selbständiger Meister wird, spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, ob er jene Kenntnisse und Fähigkeiten sich infolge der Lehrtätigkeit des Meisters aneignen konnte, die ihn befähigen, in beiden Gewerben erfolgreich tätig zu sein. Wird dieses Ausbildungsziel erreicht, dann ist es wieder rechtlich bedeutungslos, ob der Lehrling öfter im Hafnergewerbe oder öfter im Platten- und Fliesenlegergewerbe verwendet wurde.

Die Frage, welche Lehrlingsentschädigung im konkreten Falle dem Kläger gebührt, ist an Hand des geltenden Kollektivvertrages - dessen Auslegung Sache des Gerichtes ist, das damit keineswegs eine Lücke des Kollektivvertrages zu schließen unternimmt - dahin zu beantworten, daß auf das Lehrverhältnis des Klägers die Bestimmungen des Kollektivvertrages über die Lehrlingsentschädigung für Hafnerlehrlinge anzuwenden ist. Das klägerische Feststellungsbegehren erweist sich demnach als unbegrundet.

Anmerkung

Z30062

Schlagworte

Ausbildungszweck, Bemessung der Lehrlingsentschädigung, Berufsausbildung, mehrfache, Lehrlingsentschädigung, Entschädigung des Lehrlings, Ausbildung in mehreren Berufen, Lehrlingsentschädigung, Ausbildung in mehreren Berufen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1957:0040OB00137.57.1022.000

Dokumentnummer

JJT_19571022_OGH0002_0040OB00137_5700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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