Norm
4. Durchführungsverordnung zum Ehegesetz §14Kopf
SZ 31/143
Spruch
Ein pflegebefohlenes uneheliches Kind, das die österreichische Staatsbürgerschaft seiner Mutter erworben hat, verliert diese Staatsbürgerschaft nicht dadurch, daß es durch Anerkennung durch seinen Schweizer Vater die schweizerische Staatsbürgerschaft erwirbt.
Bei mehrfacher Staatsangehörigkeit, von der eine die inländische ist, sind zur Führung der Vormundschaft ausschließlich die österreichischen Gerichte berufen.
Entscheidung vom 19. November 1958, 6 Ob 287/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Freistadt; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der Mj. wurde am 25. Juli 1957 in M., Schweiz, von der damals etwas über 20 jährigen Elfriede N. geboren, die österreichische Staatsbürgerin ist und ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich hat. Der in M. wohnhafte Schweizer Staatsbürger Rudolf Wi. hat den Mj. gemäß Art. 325 des schweizerischen Zivilgesetzbuches anläßlich der Geburtsmeldung mit Standesfolgen freiwillig anerkannt. Mit Beschluß des Gemeinderates M. vom 2. August 1957 wurde gemäß Art. 311 ZGB. für den Mj. der Notar Albert R. zum Beistand bestellt. Am 6. August 1957 hat Elfriede N. eine Erklärung unterschrieben, wonach sie ausdrücklich und vorbehaltlos auf ihre Elternrechte verzichtet und den Mj. seinem Vater überläßt. Der Beistand hat hierauf das Kind dem Vater überlassen.
Das Erstgericht hat (neuerlich, nachdem bereits eine gleichlautende Entscheidung zwecks Verfahrensergänzung vom Rekursgericht aufgehoben worden war) dem Antrag der Mutter des Minderjährigen und des Jugendamtes Freistadt als gemäß § 2O JWG. bestellten Amtsvormundes, den Minderjährigen seiner Mutter in Erziehung und Pflege zu übergeben, stattgegeben.
Das Rekursgericht hat über Rekurs des Vaters des Minderjährigen in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses diesen Antrag abgewiesen. Der Minderjährige sei sowohl Schweizer als auch österreichischer Staatsbürger. Die inländische Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit des Erstgerichtes seien gegeben. All dies werde auch nicht mehr bekämpft. Die Kindesmutter unterhalte eine Lebensgemeinschaft mit dem vorbestraften W. Die Eheschließung mit diesem sei beabsichtigt. Nach dem Bericht des Gendarmeriepostens St. habe die Kindesmutter das Liebesverhältnis mit W. schon begonnen, als sie noch mit Rudolf Wi. verlobt und von ihm schwanger war. W. verdiene als Bauarbeiter 270 bis 400 S wöchentlich und werde während der Wintermonate allenfalls arbeitslos sein. Die Kindesmutter verdiene als Taglöhnerin bei auswärtiger Beschäftigung zirka 30 S täglich. Für das Kind habe sie noch keine Anschaffungen gemacht. Ihr Haushalt mit W. sei noch nicht eingerichtet. Eine Unterbringung des Minderjährigen bei der mütterlichen Großmutter sei von der Mutter nicht beabsichtigt, wäre auch wegen der engen Wohnverhältnisse dieser Großmutter nicht im Interesse des Minderjährigen gelegen. Derzeit erscheine die Übergabe des Minderjährigen in die Pflege und Erziehung seiner Mutter daher nicht zweckmäßig, dagegen die Belassung des Minderjährigen bei seinem Vater für den Minderjährigen vorteilhaft und für seine Entwicklung günstig.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Jugendamtes nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Was die Staatsbürgerschaft des Minderjährigen und die Zuständigkeit der inländischen Gerichtsbarkeit anlangt, ist der nicht mehr bekämpfte Standpunkt des Rekursgerichtes zutreffend. Der uneheliche Minderjährige erwarb gemäß § 3 Abs. 1 StaatsbürgerschaftsG. 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft seiner Mutter. Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. c des schweizerischen Bundesgesetzes über den Erwerb und Verlust des schweizerischen Bürgerrechtes vom 29. September 1952 erwarb der Minderjährige ferner das schweizerische Bürgerrecht durch Anerkennung durch seinen Vater. Durch diesen Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft hat der Minderjährige die österreichische Staatsbürgerschaft nicht etwa nach § 9 Abs. 1 Z. 1 StaatsbürgerschaftsG. 1949 verloren, weil er nach §§ 3 Abs. 1. 8 Abs. 4 StaatsbürgerschaftsG. 1949 als nicht eigenberechtigtes uneheliches Kind selbständig ohne seine Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verlieren konnte, überdies der Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft nach schweizerischem Recht auf den Zeitpunkt der Geburt zurückbezogen erscheint, so daß der Erwerb der Schweizer Staatsbürgerschaft nicht nach dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft erfolgt ist (3 Ob 156/57; Hoyer in ÖJZ. 1952 S. 505 ff.; Schwimann in ÖJZ. 1955 S. 381 ff.). Der Minderjährige besitzt also eine mehrfache Staatsangehörigkeit (Doppelbürgerschaft), wobei eine die österreichische ist. Nach herrschender Ansicht ist bei einer Doppelbürgerschaft, wobei eine die inländische ist, ausschließlich die inländische Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen, auch wenn das fremde Heimatrecht zugleich das Recht des ständigen Aufenthaltsortes und auch wenn es das ius posterior ist (EvBl. 1956 Nr. 95; Chlanda n ÖJZ. 1950 S. 413 ff.; Bolla, Grundriß des österreichischen internationalen Privatrechtes S. 11; Schnitzer, Handbuch des internationalen Privatrechtes 4. Aufl. I S. 162; Raape, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. S. 54; Palandt, BGB., 17. Aufl. S. 1661). Da die Führung einer Vormundschaft sich nach dem Heimatrecht des Mundels richtet und zur Führung der Vormundschaft über österreichische Staatsbürger ausschließlich die österreichischen Gerichte berufen sind (Chlanda a. a. O. S. 417, Bolla a. a. O. S. 68, Raape a. a. O. S. 377, Palandt a. a. O. S. 1704 f.), ist im vorliegenden Fall die inländische Gerichtsbarkeit gegeben.
In der Sache begnügt sich das beschwerdeführende Jugendamt im Wesen mit der allgemeinen Behauptung, die rekursgerichtliche Entscheidung beruhe auf unrichtigen und unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen. Schon das Erstgericht hat aber auf Grund des Erhebungsberichtes des Gemeinderates M. unbedenklich festgestellt, daß die Pflege des Minderjährigen bei seinem Vater und dessen Eltern in M. einwandfrei ist. Daß der Vater die Pflege und Erziehung des noch nicht 1 1/2 Jahre alten Minderjährigen zum Teil weiblichen Verwandten oder auch anderen Personen überläßt, kann nicht als dem Kind abträglich und als gegen seine Überlassung an den Vater sprechend angesehen werden (1 Ob 682/54, 2 Ob 657/56 u. a.). Die obige Feststellung einwandfreier Pflege schließt jedenfalls auch in sich, daß die Pflege des Minderjährigen durch das kleine Bareinkommen des Vaters, der in der Landwirtschaft seiner Eltern mitarbeitet, in keiner Weise gefährdet erscheint. Die oben wiedergegebenen Feststellungen des Rekursgerichtes sind nach dem Akteninhalt unbedenklich, und es wird im Revisionsrekurs auch nicht näher ausgeführt, was im einzelnen gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen sprechen soll. Jedenfalls steht fest, daß die Kindesmutter sehr bald nach dem Scheitern ihrer Eheschließung mit Rudolf Wi. ein Konkubinat mit dem vorbestraften W. eingegangen ist, mit welchem Mann (der von der Gendarmerie sogar als Gewohnheitsverbrecher bezeichnet wird) sie nach dem Gendarmeriebericht schon vor der Lösung ihrer Verlobung mit Wi. und vor der Geburt des Kindes ein Liebesverhältnis unterhalten hat (das für das Nichtzustandekommen der Eheschließung mit Wi. als zumindest mitursächlich erscheinen müßte). Die Kindesmutter hat noch keinerlei für die Pflege des Kindes nötige Anschaffungen gemacht, ist bei knappem Einkommen im Haushalt mit ihrem Lebensgefährten noch nicht eingerichtet und als Taglöhnerin auswärts beschäftigt, ohne daß eine geeignete anderweitige Pflegestelle für das Kind vorhanden wäre. Nun genügt die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Wohles des Kindes, es genügen gewichtige Bedenken gegen die Eignung der Kindesmutter zur einwandfreien Erziehung (zu der auch die sittliche Ausbildung gehört) und Pflege des Kindes, um der unehelichen Mutter die ihr sonst zustehende Erziehung vorzuenthalten (3 Ob 578/55, 7 Ob 80/57). Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, daß bei dem festgestellten Sachverhalt derzeit im Falle einer Überlassung des Kindes an seine Mutter sein Wohl Gefahr liefe und daß dem Berufungsgericht darin beizupflichten ist, daß sich die Kindesmutter eine geraume Zeit hindurch durch ein geregeltes Leben wird bewähren müssen, bevor eine Überlassung des Minderjährigen an sie unbedenklich erfolgen kann.
Es wird sich empfehlen, aus praktischen Gründen (zur Vermeidung einer Doppelgleisigkeit bei der Führung der Vormundschaft in zwei verschiedenen Staaten und zur Vermeidung bloß theoretischer vormundschaftlicher Maßnahmen) die Übertragung der Zuständigkeit an die Schweizer Vormundschaftsbehörde, in deren Gebiet der Minderjährige seinen dauernden Aufenthalt hat, gemäß § 111 JN. in Erwägung zu ziehen, da die Durchsetzbarkeit von durch ein österreichisches Gericht getroffenen vormundschaftsbehördlichen Verfügungen, die sich auf - die Person des Minderjährigen beziehen, der auch Schweizer Staatsbürger ist und sich in der Schweiz befindet, fraglich erscheint (vgl. Schnitzer a. a. O. S. 163 und 488).
Anmerkung
Z31143Schlagworte
Außereheliches Kind, Doppelstaatsbürgerschaft, Doppelstaatsbürgerschaft, Führung der Vormundschaft, Kind, uneheliches, Doppelstaatsbürgerschaft, Staatsbürgerschaft, pflegebefohlenes Kind, Erwerb einer anderen, Staatsangehörigkeit, Uneheliches Kind, Doppelstaatsbürgerschaft, Vormundschaft, Führung bei DoppelstaatsbürgerschaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1958:0060OB00287.58.1119.000Dokumentnummer
JJT_19581119_OGH0002_0060OB00287_5800000_000