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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Mag. H in I, vertreten durch Dr. Günther Egger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kaiserjägerstraße 4/I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 16. Juli 2004, Zl. LGSTi/V/1216/5462 14 12 65-702/2004, betreffend Verlust der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den von der erstinstanzlichen Behörde ausgesprochenen Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe in der Zeit vom 3. Mai bis zum 13. Juni 2004 bestätigt, jedoch teilweise Nachsicht gewährt und die Notstandshilfe vom 3. Mai bis zum 23. Mai 2004 wieder zuerkannt.
In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst die §§ 38 und 10 AlVG wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:
"Das Arbeitsmarktservice Innsbruck erteilte Ihnen den Auftrag, sich an einer Umschulungsmaßnahme zum Wirtschaftsassistenten bei ... mit Beginn 14.03.2004 zu unterziehen. Laut Ihren niederschriftlichen Angaben beim Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 12.05.2004 hatten Sie diese Maßnahme vorzeitig beendet und verwiesen auf Ihr Schreiben an das Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 30.04.2004. Laut diesem Schreiben war Ihre Großmutter am 18.04.2004 verstorben, mit welcher Sie im gemeinsamen Haushalt gelebt hatten. Sie hätten Vorbereitungen für die Beerdigung treffen müssen und insbesondere verwiesen Sie auf die Tatsache, dass sich ein Rechtsstreit bezüglich der Wohnungsübernahme durch Sie mit dem Vermieter anbahnte (im Hinblick auf Ihr Eintrittsrecht). So waren auch erforderliche Renovierungsmaßnahmen innerhalb der nächsten 14 Tage notwendig. Da Sie sich jedoch eine fachmännische Renovierung nicht leisten konnten, hätten Sie die meisten Arbeiten selbst vornehmen müssen. Zudem verwiesen sie auf Ihre Probleme im Zusammenhang mit dem Tod Ihrer Großmutter und auf die Tatsache, dass Sie sich an die Patientenanwaltschaft wenden mussten. Sie seien somit psychisch sehr belastet gewesen und hätten den Kurs, welcher sehr intensiv geführt sei, nicht mehr schaffen können. ...
Laut Stellungnahme des Arbeitsmarktservice Innsbruck sei Ihnen wegen des Todes Ihrer Großmutter eine Woche Urlaub vom Kurs gewährt worden. Sie hätten am 30.04.2004 Ihr o.a. Ansuchen um Rücknahme des Kurses und Zuweisung für den Herbstkurs bei ... abgegeben, jedoch eine Antwort nicht mehr abgewartet und seien beim Kurs nicht mehr erschienen. Sie seien langzeitarbeitslos und seien bereits mehrfach Vermittlungsversuche an Ihrer Person gescheitert."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, die Wiedereingliederung des Beschwerdeführers in den Arbeitsmarkt sei gegenüber den Rechtsstreitigkeiten und den geplanten Renovierungsarbeiten vorrangig zu behandeln; dies im Hinblick auf eine mögliche Beendigung der Arbeitslosigkeit. Nachdem der Beschwerdeführer eine Antwort des Arbeitsmarktservice Innsbruck nicht abgewartet bzw. den Kurs von sich aus beendet hätte, sei der erstinstanzliche Bescheid gemäß § 10 Abs. 1 AlVG zu bestätigen gewesen. Die in der Berufung dargestellten Belastungen seien jedoch nachvollziehbar, sodass in Bezug auf die Hälfte der Ausschlussfrist Nachsicht gewährt worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer u.a. bereit ist, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- bzw. umschulen zu lassen.
§ 10 Abs. 1 AlVG bestimmt (u.a.), dass der Arbeitslose für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld verliert, wenn er sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt.
Diese Bestimmungen sind nach § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Unter einer Nach(Um)schulung ist eine Maßnahme zu verstehen, die entweder der Umstellung auf eine andere berufliche Tätigkeit (um mit dieser Tätigkeit ein weiteres Verweisungsfeld für den Arbeitslosen herzustellen) oder der Auffrischung von Kenntnissen im erlernten (allenfalls auch im früher ausgeübten) Beruf dient (vgl. das Erkenntnis vom 30. März 1993, Zlen. 92/08/0216, 0267, 93/08/0005). Für die Zuweisung zu einer Nach(Um)schulung ist es aber erforderlich, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Erst wenn dem Arbeitslosen eine seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung nicht zugewiesen werden kann, ist er einer Nach(Um)schulung zuzuweisen. Die Behörde hat die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -
zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitlosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen kann nur dann gesprochen werden, wenn sie in objektiver Kenntnis des Inhaltes der erforderlichen Nach(Um)schulung und der Zumutbarkeit und Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0134).
Demgemäß liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es daher einer solchen Maßnahme bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsmarktservice das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an dieser Maßnahme ablehnt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2002, Zl. 2002/08/0036).
Nach der Judikatur müssen die Voraussetzungen für die Zuweisung zu einer Maßnahme nicht notwendigerweise im Bescheid über die Verfügung einer Sperrfrist genannt werden. Es ist ausreichend, wenn dem Arbeitslosen die objektive Notwendigkeit der in Rede stehenden Maßnahme anlässlich der Zuweisung derselben, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Ansehung seiner fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes und die Notwendigkeit gerade dieser Maßnahme dargelegt werden, und er auf die Rechtsfolgen einer Weigerung hingewiesen wird (vgl. das Erkenntnis vom 22. Jänner 2003, Zl. 2000/08/0041, mwN.). Allerdings können Versäumnisse anlässlich der Zuweisung nach Beginn der Maßnahme nicht mehr nachgeholt werden (vgl. das Erkenntnis vom 19. März 2003, Zl. 2000/08/0087).
In der Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe nicht festgestellt, dass ihm bei der Zuweisung der Maßnahme das Ergebnis eines Ermittlungsverfahrens, wonach seine Kenntnisse und Fähigkeiten für die Erlernung bzw. Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend gewesen seien und es deshalb der vorgesehenen Maßnahme bedurft hätte, zur Kenntnis gebracht worden sei. Es sei nicht festgestellt worden, dass das Arbeitsmarktservice berechtigt gewesen sei, den Beschwerdeführer zum Besuch des Umschulungskurses zu verpflichten.
Tatsächlich ergeben sich aus den Verwaltungsakten keine Hinweise darauf, dass anlässlich der Zuweisung oder davor mit dem Beschwerdeführer die genannten Umstände betreffend die in Rede stehende Maßnahme erörtert worden seien, dass also die belangte Behörde die Notwendigkeit gerade dieser Maßnahme zur Umschulung dargelegt und auf die Rechtsfolge einer Weigerung hingewiesen hätte.
Im vorliegenden Fall hat sich der Beschwerdeführer zwar nicht geweigert, an der Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, er hat aber die Teilnahme daran nach Kursbeginn abgebrochen. Meint die belangte Behörde, er hätte dadurch den Erfolg der Umschulung durch sein Verschulden vereitelt (§ 10 Abs. 1 zweiter Teilstrich AlVG) und deswegen den Anspruch auf Notstandshilfe verloren, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:
Voraussetzung für die Vereitelung des Erfolges einer Umschulung ist Vorsatz (zu dieser aus dem Vereitelungsbegriff abgeleiteten Schlussfolgerung vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050). Um in Bezug auf eine bestimmte Maßnahme von Vereitelung ihres Erfolges sprechen zu können, ist daher Voraussetzung, dass der Arbeitslose weiß, an welchen Defiziten er leidet, und die Ziele kennt, die mit der Maßnahme erreicht werden sollen. Wurden dem Arbeitslosen weder seine Ausbildungsdefizite dargelegt noch ihm erklärt, welcher Erfolg demnach mit der Maßnahme erreicht werden soll, kann ihm nicht unterstellt werden, er habe deren Erfolg vorsätzlich vereitelt.
Vor diesem Hintergrund konnte sich die belangte Behörde im Beschwerdefall zur Begründung des Verlustes der Notstandshilfe nicht darauf stützten, der Beschwerdeführer hätte durch den Abbruch der Nach(Um)schulung den Erfolg der Maßnahme vereitelt.
Behauptet die belangte Behörde in der Gegenschrift, das Arbeitsmarktservice Innsbruck habe "in intensivster Einvernahme mit dem Beschwerdeführer" die Umschulungsmaßnahme zum Wirtschaftsassistenten besprochen und er sei darüber aufgeklärt worden, dass es für einen Juristen ohne Zusatzqualifikation äußerst schwierig sei, am Arbeitsmarkt unterzukommen, findet diese Behauptung in den Verwaltungsakten keine Deckung. Die Erörterung der genannten Punkte kann - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift offenbar meint - auch nicht dadurch ersetzt werden, dass der Beschwerdeführer ein Beihilfebegehren, das nichts über den Inhalt der Maßnahme aussagt, unterschrieben und zur Kenntnis genommen hat. Eine Erörterung im oben genannten Sinn und eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Weigerung bzw. Vereitelung ist diesem Formular nicht zu entnehmen. Auch im angefochtenen Bescheid finden sich keine Feststellungen über eine derartige Belehrung.
Indem die belangte Behörde eine Sperrfrist verfügt hat, ohne dass überhaupt die Voraussetzungen einer zulässigen Maßnahme vorlagen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß §§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Bei diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob jene Gründe, die den Beschwerdeführer - unter der Annahme der Zulässigkeit der Zuweisung - schließlich zur Aufgabe des Kurses bewogen haben, den Ausspruch über den Verlust der Notstandshilfe getragen hätten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 15. März 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004080210.X00Im RIS seit
19.04.2005