Norm
Allgemeine Bedingungen für die Volksunfallversicherung Art7Kopf
SZ 32/11
Spruch
Die in Art. 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Volksunfallversicherung angeführte Auskunftspflicht bezieht sich nur auf Unfälle mit tödlichem Ausgang und auf deren Folgen.
Entscheidung vom 21. Jänner 1959, 3 Ob 519/58.
I. Instanz: Kreisgericht Steyr; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Kläger hatte mit der beklagten Partei eine Unfallversicherung für die Zeit vom 23. August 1952 bis 23. August 1958 abgeschlossen. Bei Eintritt des Versicherungsfalles hatte die beklagte Partei dem Kläger ein Taggeld von 60 S und im Fall einer völligen Invalidität den Betrag von 48.000 S zu bezahlen. In der Folge schloß der Kläger eine Einzelunfallversicherung auf die Dauer eines Jahres für die Zeit vom 26. Februar 1956 bis 26. Februar 1957 mit der I.-AG. auf die Versicherungssumme von 10.000 S für Tod, 300.000 S für Invalidität und ein Taggeld von 10 S ab. Der Antrag wurde vom Kläger am 26. Februar 1956 gestellt, der Versicherungsschein am 9. März 1956 ausgestellt. Am 8. März 1956 beantragte der Kläger bei der G.- Versicherungsanstalt eine Unfallversicherung auf 10.000 S für Tod und 200.000 S für Invalidität. Er bezahlte sofort die Vierteljahresprämie, erhielt Deckungszusage und am 10. März 1956 die darüber ausgestellte Deckungskarte. Am 11. März 1956 begab sich der Kläger zum Vertreter der W.-AG. und beantragte auch bei dieser Versicherungsgesellschaft unter Hinweis darauf, daß er nunmehr eine sehr gefährliche Arbeit habe und sich daher versichern lassen wolle, eine Unfallversicherung auf 5000 S für Tod und 80.000 S für Invalidität. Dem Vertreter der G.-Versicherungsanstalt gab der Kläger die Versicherung bei der beklagten Partei zu, verschwieg aber die Versicherung bei der I.-AG. Dem Vertreter der W.-AG. gab der Kläger an, daß er als Gewerbetreibender pflichtversichert sei und daß er bei der beklagten Partei eine Volksunfallversicherung habe, verschwieg aber die Versicherungen bei der I.-AG. und bei der G.- Versicherungsanstalt. Anlaß für das Handeln des Klägers war die Übernahme einer gefährlichen Schneidearbeit für den Holzhändler P.
Am 14. März 1956 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall, bei dem ihm der Daumen der linken Hand teilweise abgeschnitten wurde. Er verständigte am nächsten Tag sämtliche Versicherungsvertreter, bei denen er Unfallversicherungen abgeschlossen hatte, schriftlich von dem Unfall. Von der I.-AG. und von der beklagten Partei wurden ihm Vordrucke für Schadensanzeigen noch im Spital übermittelt. Bei der Ausfüllung des ihm von der beklagten Partei übermittelten Vordruckes für Schadensanzeigen beantwortete der Kläger die Frage Nr. 10 nach dem Bestehen von Versicherungen bei anderen Unfall- und Lebensversicherungsanstalten dahingehend, daß er bei keiner Volksunfallversicherung versichert sei, verschwieg jedoch die bei der I.-AG., bei der W.-AG. und bei der G.-Versicherungsanstalt abgeschlossenen Versicherungsverträge bzw. gestellten Anträge. Bei der Ausfüllung des ihm von der I. -AG. übermittelten Formulars am 23. März 1956 gab er die Versicherung bei der Beklagten an, verschwieg aber die Versicherung bei der W.-AG. und bei der G.- Versicherungsanstalt. Bei der Schadensanzeige an die letztgenannte Anstalt verschwieg er die Versicherungen bei der I.-AG., bei der W.- AG. und bei der beklagten Partei. Er gab nur die Versicherung bei der Meisterkrankenkasse an. Der W.-AG. gab er die Versicherung bei der Beklagten an, nicht aber die Versicherungen bei der I.-AG. und bei der G.-Versicherungsanstalt.
Der Kläger begehrte auf Grund des Unfalls vom 14. März 1956 von der beklagten Partei die Zahlung eines Taggeldes für 6 Wochen in der Höhe von 2520 S und mit Rücksicht auf die durch den Unfall eingetretene 20%ige Invalidität 20% der vereinbarten Invaliditätssumme von 45.000 S = 9.600 S.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es prüfte nicht, ob ein unfreiwilliger Unfall vorliege, sondern meinte, daß die beklagte Versicherungsgesellschaft leistungsfrei sei, weil der Kläger vorsätzlich seine Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen Auskunftserteilung verletzt habe (§ 6 Abs. 3 VersVG. 1958, Art. 7 Z. 2 und 8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Volksunfallversicherung).
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf. Es meinte, daß im Sinne der Bestimmungen des Art. 7 Z. 2 und 8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Volksunfallversicherung eine Obliegenheitsverletzung nur dann vorliege, wenn unwahre Angaben über den Unfall oder seine Folgen gemacht würden. Doppelversicherungen hätten mit dem Unfall selbst nichts zu tun. Sie könnten auch nicht als Folge des Unfalls angesehen werden, auch nicht im weiteren Sinn. Es sei darauf hinzuweisen, daß die Wahrheitsverpflichtung sich dem Zusammenhang nach nur auf Todesfälle beziehen könne, weil es sonst unverständlich wäre, warum sie unter Z. 2 und nicht unter einer selbständigen Ziffer oder doch wenigstens in der mit allgemeinen Fragen befaßten Z. 1 angeführt sei. Dann könne kein Zweifel daran bestehen, daß das Wort "Folgen" nicht im völlig abstrakten Sinn verstanden werden könne. Dies würde einer logischen Auslegung widersprechen. Wenn man sage, die Pflicht der Versicherungsanstalt, die Versicherungssumme auszuzahlen, sei auch eine Folge des Unfalls, so müsse festgehalten werden, daß das Wort "Folgen" in diesem Sinne nicht gemeint sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Auffassung des Berufungsgerichtes ist beizutreten, daß sich aus Art. 7 Z. 2 und 8 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Volksunfallversicherung nicht entnehmen läßt, daß die wahrheitswidrigen Angaben über das Vorliegen von Doppel- und Mehrversicherungen eine Verletzung der im Art. 7 Z. 2 statuierten Auskunftspflicht darstellen. Diese bezieht sich ihrem Wortlaut nach nur auf Unfälle mit tödlichem Ausgang und auf deren Folgen. Unter Folgen können nur die unmittelbaren Auswirkungen des Unfalls auf den Verletzten vor seinem Tod oder für die Hinterbliebenen verstanden sein. Die Bestimmung des Art. 7 der Versicherungsbedingungen bezieht sich nicht auf Unfälle ohne tödlichen Ausgang und nicht auf Verletzungen der sonst etwa bestehenden Auskunftspflicht. Damit ist dargetan, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers als Folge der Verletzung der von der beklagten Partei in Anspruch genommenen Auskunftspflicht nicht vereinbart ist, daß demnach nur die gesetzlichen Folgen, nämlich allfällig die Schadenersatzpflicht des Versicherungsnehmers unter den allgemeinen Voraussetzungen des Schadenersatzrechtes, eintreten können (§§ 6 Abs. 3, 34 VersVG. 1958; Prölss, VersVG., 10. Aufl. S. 138 f.). Aus dem Grund vereinbarter Leistungsfreiheit bei Verletzung von Auskunftspflichten kann das Klagebegehren nicht abgewiesen werden. Das Erstgericht wird in die Prüfung des Unfallsherganges einzugehen und insbesondere festzustellen haben, ob es sich um eine unfreiwillige Verletzung oder um eine selbst herbeigeführte Verstümmelung handelt.
Anmerkung
Z32011Schlagworte
Anzeigepflicht nach Art. 7 der Allgemeinen Bedingungen für die, Volksunfallversicherung, Obliegenheitsverletzung nach Art. 7 der Allgemeinen Bedingungen für die, Volksunfallversicherung, Unfallversicherung, Tragweite des Art. 7 der Allgemeinen Bedingungen, für die Volksunfallversicherung, Versicherungsvertrag Tragweite des Art. 7 der Allgemeinen Bedingungen, für die Volksunfallversicherung, Volksunfallversicherung, Tragweite des Art. 7 der Allgemeinen, BedingungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1959:0030OB00519.58.0121.000Dokumentnummer
JJT_19590121_OGH0002_0030OB00519_5800000_000