Norm
Angestelltengesetz §27 Z5Kopf
SZ 32/50
Spruch
Geisteskrankheit - paranoide Schizophrenie - als Entlassungsgrund nach § 27 Z. 5 AngG.
Entscheidung vom 21. April 1959, 4 Ob 37/59.
I. Instanz: Arbeitsgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der Kläger hat sein Begehren auf Zahlung von 32.872 S 80 g s. A. eingeschränkt auf Zahlung von 24.000 S s. A. Hievon wurde ihm mit Urteil des Erstgerichtes ein Betrag von 1400 S s. A. und mit dem Urteil des Berufungsgerichtes ein weiterer Betrag von 5000 S s. A. rechtskräftig zugesprochen. Im Revisionsverfahren ist daher nur mehr ein Betrag von 18.000 S s. A. offen, welchen Betrag der Kläger als Kündigungsentschädigung, Abfertigung und ausstehende Anteile an der Weihnachts- und Urlaubsremuneration verlangt, weil er nach seiner Behauptung am 15. November 1956 von der beklagten Partei grundlos entlassen worden sei.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Kläger an paranoider Schizophrenie leidet, deren erster Schub bereits im Jahre 1939 aufgetreten ist. Vom 16. November 1949 bis 26. November 1949 und vom 26. Juni 1956 bis 10. Juli 1956 befand sich der Kläger in der Landesheilanstalt N. und wurde beide Male einer Schockbehandlung unterworfen.
In dem gegen den Kläger zu 6 b U 1363/56 des Bezirksgerichtes Linz wegen Nichtbeachtens des Rot-Haltezeichens und Befahrens des Gehsteiges mit einem Motorrad eingeleiteten Strafverfahren hat der Sachverständige Dr. J. in seinem Gutachten vom 15. September 1956 den Kläger als im Sinne des § 2 lit. a StG. unzurechnungsfähig bezeichnet.
Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 20. Mai 1957, 5 L 20/57, wurde die volle Entmündigung des Klägers ausgesprochen, weil der Sachverständige Dr. L. feststellte, daß der Kläger seit 1939 an paranoider Schizophrenie leide, wobei es immer wieder zu paranoiden Wahnvorstellungen und Beeinflussungsideen komme. Diese Entmündigung des Klägers wurde jedoch vom Landesgericht Linz behoben und das Entmündigungsverfahren ohne Ausspruch einer Entmündigung eingestellt. Der vom Gericht zweiter Instanz vernommene Sachverständige Dr. P. hat in seinem Gutachten vom 31. Juli 1957 zwar erklärt, daß beim Kläger eine Geisteskrankheit im Sinne eines Spaltungsirreseins mit Verfolgungswahn bestehe, daß er jedoch derzeit in der Lage sei, seine krankhaften Ideen mehr in den Hintergrund zu drängen.
Der Kläger war am 15. Februar 1954 bei der beklagten Partei als Bilanzbuchhalter angestellt worden, wobei jedoch die beklagte Partei von den Geistesstörungen des Klägers nicht in Kenntnis gesetzt wurde. Im Sommer 1955 äußerte er an seinem Arbeitsplatz bei der beklagten Partei erstmals Verfolgungsideen, die schließlich am 26. Juni 1956 zu seiner Einweisung in die Heilanstalt führten. Um diese Zeit war der Kläger sehr zerfahren und nervös, klagte über Kopfschmerzen, Bedrohungen, verfaßte einen Brief an Präsident Eisenhower, um sich darin über die Bedrohungen und Verfolgungen zu beschweren, näherte sich einem im Betrieb beschäftigten siebzehnjährigen Lehrmädchen, machte Anfang 1956 wiederholt Fehlbuchungen und warf im Sommer 1956 zirka sechzig Belege der beklagten Partei in den Papierkorb. Das Erstgericht hat auch in diesem Verfahren Dr. Klaus J. als Sachverständigen vernommen, der zum Ergebnis kam, daß der Kläger in der Lage sei, sowohl körperliche als geistige Leistungen zu erbringen, da er keinen wesentlichen intellektuellen Abbau zeige. Es sei allerdings fraglich, ob er seine Aufgaben stets immer richtig ausübe oder ob er nicht doch zeitweilig infolge seiner seelischen Störungen und Hemmungen Fehlleistungen vollbringe. Ihn auf selbstverantwortlichem Posten zu beschäftigen, sei mit einem Risiko verbunden, doch könne er einfache Arbeiten, die der Kontrolle anderer Personen unterliegen, durchführen.
Nach Ansicht des Erstgerichtes lag am 15. November 1956, dem Tag der Entlassung des Klägers, ein wichtiger Entlassungsgrund im Sinne des § 25 AngG. vor, da die Aufzählung der Entlassungsgrunde in § 27 AngG. keine taxative sei. Die Krankheit des Klägers sei am 15. November 1956 nicht geheilt gewesen. Der beklagten Partei habe unter diesen Umständen eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zugemutet werden können, weil nicht voraussehbar gewesen sei, wann wieder ein Krankheitsschub beim Kläger eintreten und ob er nicht wieder irgendwelche unsinnige Handlungen ausführen werde. Die Interessen des Betriebes und seiner Mitarbeiter, der Geschäftsgang und die Kreditwürdigkeit des Unternehmens der beklagten Partei wären durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers gefährdet gewesen. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß der Kläger am 14. November 1956 von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse dienstfähig geschrieben worden sei, denn die Krankenkasse könne nicht beurteilen, ob der betreffende Dienstnehmer seine Pflichten aus dem Dienstvertrag auszuüben in der Lage sei. Das Erstgericht wies daher die oben angeführten, im Revisionsverfahren noch offenen Ansprüche des Klägers ab.
Das Berufungsgericht führte auf Berufung des Klägers gemäß § 25 ArbGerG. das Verfahren neu durch und ergänzte es. Es gelangte zu den gleichen Feststellungen wie das Erstgericht. Auch das Berufungsgericht war der Rechtsansicht, daß beim Kläger ein wichtiger Entlassungsgrund im Sinne des § 25 AngG. vorliege. Wenn vielleicht auch im gegenwärtigen Zeitpunkt der Kläger normal und zur Erfüllung seiner Aufgaben fähig sei, so könne doch jederzeit wieder ein Krankheitsschub auftreten und daher der beklagten Partei nicht zugemutet werden, den Kläger während der Kündigungszeit weiter zu beschäftigen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 27 Z. 5 AngG. ist ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, insbesondere dann gegeben, wenn der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall länger als während der im § 9 Abs. 1 AngG. bezeichneten Zeit an der Verrichtung seiner Dienste gehindert ist. Da der Kläger am 15. Februar 1954 bei der beklagten Partei als Buchhalter eingetreten ist und am 26. Juni 1956 wegen des aufgetretenen Schubes seiner Krankheit in eine Heilanstalt gebracht werden mußte, beträgt die Frist des § 9 Abs. 1 AngG. im vorliegenden Fall acht Wochen.
Als der Kläger am 15. November 1956 zum Dienstantritt bei der beklagten Partei wieder erschien, war er am Tag zuvor vom Kassenarzt als dienstfähig bezeichnet worden. Diese Bescheinigung über die Wiederherstellung der Gesundheit des Klägers ist aber im Zuge des Rechtsstreites widerlegt worden. Die Untergerichte haben auf Grund der im wesentlichen übereinstimmenden Gutachten der genannten drei Sachverständigen als erwiesen angenommen, daß der Kläger auch noch am 15. November 1956 an seiner geistigen Erkrankung - Schizophrenie - gelitten hat. War aber der Kläger am 15. November 1956 noch krank, so durfte die beklagte Partei vom Entlassungsgrund nach § 27 Z. 5 AngG. Gebrauch machen, sofern der Kläger durch diese Krankheit an der Verrichtung seiner Dienste gehindert war, weil die Frist des § 9 Abs. 1 AngG. seit dem Beginn der Erkrankung des Klägers (26. Juni 1956) bereits überschritten war.
Das Erstgericht hat als erwiesen angenommen, daß am 15. November 1956 der Geisteszustand des Klägers gegenüber dem Zeitpunkt der Einweisung des Klägers in die Heilanstalt N. zwar gebessert war, daß aber auch damals seine Geisteskrankheit nicht geheilt war und daß jederzeit die Möglichkeit besteht, daß weitere Schübe dieser Krankheit auftreten. Das Erstgericht folgt hiebei dem Gutachten des von ihm vernommenen Sachverständigen Dr. Klaus J., daß der Kläger zwar keinen wesentlichen intellektuellen Abbau zeige, daß es aber fraglich sei, ob er nicht doch zeitweilig infolge seiner seelischen Störungen und Hemmungen Fehlleistungen erbringe, und daß es daher mit einem Risiko verbunden sei, den Kläger auf einem verantwortungsvollen Posten zu beschäftigen. Er sei nur zur Verrichtung einfacher Arbeiten, die der Kontrolle anderer Personen unterliegen, geeignet.
Das Berufungsgericht hat die Feststellungen des Erstgerichtes über die Krankheit des Klägers übernommen. Es hat beigefügt, daß es gerichtsbekannt sei, daß eine solche Krankheit, wie sie beim Kläger auftrete, in Schüben verlaufe, und daß keine Gewähr bestehe, wann ein solcher Schub eintreten und den Kläger wieder zu unsinnigen Handlungen verleiten und in seiner verantwortlichen Tätigkeit als Bilanzbuchhalter beeinträchtigen werde. Damit übernimmt das Berufungsgericht auch die Feststellung des Erstgerichtes, daß beim Kläger jederzeit wieder ein Schub seiner Krankheit auftreten kann.
Geht man aber von den Feststellungen aus, daß der Kläger am 15. November 1956 noch nicht geheilt war und jederzeit mit dem Eintritt eines neuen Krankheitsschubes gerechnet werden konnte, dann war der Kläger am 15. November 1956 jedenfalls nicht in der Lage, die bedungenen Dienste als Bilanzbuchhalter zu leisten, weil man von einem solchen Dienstnehmer eine verläßliche Arbeit ohne Notwendigkeit der laufenden Kontrolle durch einen Dritten verlangen und erwarten kann. Bei diesen Feststellungen wurde die Entlassung des Klägers am 15. November 1956 weder verspätet noch aus einem unrichtigen Grund (der überdies unerheblich wäre, wenn damals nur überhaupt ein nicht verschwiegener Entlassungsgrund vorgelegen wäre) ausgesprochen, so daß die diesbezüglichen Ausführungen der Revision ins Leere gehen.
Der Kläger vermeint nun, man hätte seine buchhalterischen Fähigkeiten überprüfen müssen. Eine solche Untersuchung könnte immer nur ein Bild von den jeweiligen Fähigkeiten des Klägers im Zeitpunkt der Untersuchung ergeben, weshalb das Berufungsgericht mit Recht ausführte, es sei unerheblich, ob der Kläger im Zeitpunkt der Fällung des Urteiles zweiter Instanz etwa zur Erfüllung seiner Aufgaben fähig war. Die diesbezüglichen Rechtsausführungen des Klägers gehen am Kern des Entlassungsgrundes vorbei, nämlich daran, daß der Kläger nach den Feststellungen der Untergerichte am 15. November 1956 noch krank war und damals die Gefahr bestand (und auch heute noch besteht), daß beim Kläger jederzeit wieder ein Krankheitsschub auftritt, der ihn zu unsinnigen Handlungen verleiten könnte. Trifft dies zu, dann kann man den Kläger tatsächlich nur zu Arbeiten verwenden, die der laufenden Kontrolle Dritter unterliegen. Dadurch ist aber der Kläger am 15. November 1956 zu jenen Diensten, zu denen er aufgenommen wurde, nämlich zu den Diensten eines Bilanzbuchhalters, nicht fähig gewesen. Damit stellt sich aber seine Entlassung nach § 27 Z. 5 AngG. als nach dem Gesetz begrundet dar.
Anmerkung
Z32050Schlagworte
Angestellter Entlassung wegen Geisteskrankheit, Dienstnehmer Entlassung wegen Geisteskrankheit, Entlassung eines Angestellten wegen Geisteskrankheit, Geisteskrankheit als Entlassungsgrund, Paranoide Schizophrenie als Entlassungsgrund, Schizophrenie als EntlassungsgrundEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1959:0040OB00037.59.0421.000Dokumentnummer
JJT_19590421_OGH0002_0040OB00037_5900000_000