TE OGH 1959/5/20 2Ob202/59

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Veröffentlicht am 20.05.1959
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Norm

Ehegesetz §§50 ff
Ehegesetz §54
Ehegesetz §§56

Kopf

SZ 32/66

Spruch

Beim Scheidungsgrund des § 50 EheG. wird das Scheidungsrecht weder durch Verzeihung nach § 56 EheG. noch durch Fristablauf nach § 57 EheG. ausgeschlossen.

Härteklausel.

Geistige Störung nach § 50 EheG. und Aufhebung der geistigen Gemeinschaft nach § 51 EheG.

Entscheidung vom 20. Mai 1959, 2 Ob 202/59.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Parteien haben am 13. Juli 1939 geheiratet. Aus der Ehe stammen sechs Kinder im Alter von 11 bis 21 Jahren.

Der Kläger hat am 19. Oktober 1956 die Scheidungsklage aus dem Grund des § 49 EheG. erhoben. Als Eheverfehlung macht er geltend, daß die Beklagte seit dem Jahre 1947 den Haushalt und die Erziehung der Kinder immer mehr vernachlässige. Am 6. Dezember 1957 hat die Beklagte Widerklage erhoben; sie macht dem Mann zum Vorwurf, daß er sie verlassen habe und mit anderen Frauen in Beziehungen stehe; außerdem komme er seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nach.

Die Beklagte war im Jahre 1953 mehrere Monate in einer geschlossenen Anstalt angehalten. Sie wurde im vorliegenden Verfahren auf ihren Geisteszustand untersucht. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, daß die Beklagte handlungs- und prozeßfähig sei, daß aber die als Ehescheidungsgrund geltend gemachte Vernachlässigung der häuslichen Pflichten als Auswirkung eines schizophrenen Persönlichkeitsdefektes anzusehen sei.

Der Kläger stützte daraufhin sein Scheidungsbegehren hilfsweise auf § 50 EheG.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Grund des § 50 EheG. und stellte ein Verschulden des Ehemannes fest. Die Beklagte habe ihre häuslichen Pflichten und die Betreuung der Kinder so vernachlässigt, daß es wiederholt zu schweren Unzukömmlichkeiten gekommen sei und ihr schließlich die Kinder abgenommen worden seien. Als schuldhafte Eheverfehlung könne aber dieser Scheidungsgrund nicht angesehen werden, weil das Verhalten der Beklagten auf einer geistigen Störung beruhe. Die behaupteten ehewidrigen Beziehungen des Mannes seien wohl nicht erwiesen worden, doch habe er sich einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht, weil er seit Mai 1956 der Beklagten keinen Unterhalt gereicht habe; aus diesem Gründe sei sein Verschulden festzustellen gewesen.

Gegen das Urteil der ersten Instanz erhoben beide Parteien Berufung. Die Beklagte erklärte in ihrer Berufungsschrift, daß sie die Widerklage unter Verzicht auf den Anspruch zurückziehe und nur für den Fall der Scheidung die Feststellung eines Verschuldens des Ehemannes begehre. Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Gegen das Urteil der zweiten Instanz erhoben beide Parteien die Revision aus dem Gründe des § 503 Z. 4 ZPO.

Der Oberste Gerichtshof gab keiner der beiden Revisionen Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagte macht geltend, das angefochtene Urteil habe Verzeihung und Verjährung ihres ehewidrigen Verhaltens zu Unrecht nicht angenommen: der Kläger habe ihr gegenüber niemals zu erkennen gegeben, daß er ihr Verhalten als ehezerstörend empfinde; überdies reiche die Verfehlung so weit zurück, daß sie wegen Zeitablaufes nicht mehr geltend gemacht werden könne. Diese Ausführungen sind verfehlt. Die Untergerichte haben festgestellt, daß die Beklagte seit dem Jahre 1947 ihre häuslichen Pflichten immer mehr vernachlässigt und sich schließlich um ihre Kinder nicht mehr gekümmert hat; diese Verfehlung hat jedenfalls bis zum Schluß der mündlichen Berufungsverhandlung fortgedauert und sich durch den Fortbestand immerzu erneuert. Für ein solches ehewidriges Verhalten gilt weder der Ausschließungsgrund der Verzeihung nach § 56 EheG. noch der Löschungsgrund des Fristablaufes nach § 57 EheG. Beide Aufhebungsgrunde gelten, wie sich aus dem gesetzlichen Wortlaut ("Scheidung wegen Verschuldens") ergibt, nur für Scheidungsgrunde wegen Verschuldens. Ein solcher Scheidungsgrund wurde aber von den Untergerichten nicht angenommen.

Die Beklagte behauptet auch, daß dem Scheidungsbegehren im Hinblick auf ihr vorgeschrittenes Alter, die lange Dauer der Ehe und das Vorhandensein von sechs Kindern die sittliche Rechtfertigung mangle, und meint, daß bei richtiger rechtlicher Beurteilung das Scheidungsbegehren in Anwendung des § 54 EheG. abzuweisen gewesen wäre. Das Gesetz stellt wohl die Forderung auf, daß in den Fällen der §§ 50 bis 52 EheG. die Ehe nicht geschieden werden dürfe, wenn das Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt sei. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn die Auflösung der Ehe den anderen Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde, ausnahmsweise auch dann, wenn dies nicht der Fall ist. Ob durch die Scheidung der andere Teil außergewöhnlich hart getroffen würde, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, wobei auf die vom Gesetz namentlich als beachtlich angeführten Umstände - Dauer der Ehe, Lebensalter der Ehegatten und Anlaß der Erkrankung - Rücksicht zu nehmen ist. Die Ehe der Parteien besteht wohl nahezu 20 Jahre, ihre eheliche Gemeinschaft ist aber seit mehreren Jahren aufgehoben. Die Beklagte ist 43 Jahre alt, der Kläger nur wenig älter. Die Beklagte geht trotz ihrer Erkrankung einem Beruf nach und hat vorerst selbst die Scheidung der Ehe begehrt. Gerade ihr eigenes Scheidungsverlangen darf, auch wenn sie es im Berufungsverfahren fallen gelassen hat, in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht mit Recht das Scheidungsverbot des § 54 EheG. verneint. Da die Ehe so tief zerrüttet ist, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft nicht zu erwarten ist, war es richtig, mit der Scheidung der Ehe vorzugehen.

Der Kläger bekämpft das angefochtene Urteil mit der Behauptung, es sei zu Unrecht das Verschulden der Beklagten verneint worden, zumal der Sachverständige von einer intakt gebliebenen formalen Intelligenz der Beklagten spreche; daraus ergebe sich, daß sie während der gesamten Dauer der Ehe an einer solchen geistigen Störung nicht gelitten haben könne. Mit diesen Ausführungen übersieht der Beschwerdeführer, daß das Gutachten des Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Vernachlässigung der häuslichen Pflichten durch die Beklagte auf einen schizophrenen Persönlichkeitsdefekt zurückzuführen ist; mit dem Hinweis auf die im wesentlichen intakt gebliebene formale Intelligenz verneint der Sachverständige nur die Aufhebung der geistigen Gemeinschaft, wie sie Voraussetzung für das Vorliegen des Ehescheidungsgrundes nach § 51 EheG. ist. Für die Annahme einer geistigen Störung nach § 50 EheG. genügt ein vom Normalen abweichendes Verhalten, dabei muß die Verantwortlichkeit nicht ganz ausgeschlossen sein; es genügt, wenn die Verantwortlichkeit nur gemindert ist. Auch dann, wenn die psychologische Verantwortlichkeit eines Ehegatten nicht schlechthin ausgeschlossen werden kann, sind die Voraussetzungen des § 50 EheG. gegeben, sofern das Verhalten des Ehegatten von dem eines normalen Menschen abweicht und dies auf einem Krankheitszustand, einer geistigen Störung beruht (SZ. XXIII 313). Die vom Sachverständigen festgestellte Anomalie, auf die die Eheverfehlung der Beklagten zurückzuführen ist, wurde demnach vom Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum als geistige Störung nach § 50 EheG. beurteilt. Damit ist aber die Annahme eines schuldhaften Verhaltens, das § 49 EheG. zur Voraussetzung hat, ausgeschlossen.

Anmerkung

Z32066

Schlagworte

Aufhebung der geistigen Gemeinschaft nach § 51 EheG., Abgrenzung von, § 50 EheG., Ehescheidung nach § 50 EheG., kein Ausschluß des Scheidungsrechtes nach, § 56 oder § 57 EheG., Härteklausel, Fristablauf nach § 57 EheG., kein Ausschluß des Scheidungsrechtes nach, § 50 EheG., Geistige Störung nach § 50 EheG., Abgrenzung von § 51 EheG., Härteklausel nach § 54 EheG., Scheidung nach § 50 EheG., kein Ausschluß des Scheidungsrechtes nach, § 56 oder § 57 EheG., Härteklausel, Störung, geistige - nach § 50 EheG., Abgrenzung von § 51 EheG., Verzeihung, kein Ausschluß des Scheidungsrechtes nach § 50 EheG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0020OB00202.59.0520.000

Dokumentnummer

JJT_19590520_OGH0002_0020OB00202_5900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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