TE OGH 1959/10/14 1Ob270/59

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Veröffentlicht am 14.10.1959
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Norm

Genossenschaftsgesetz §5 Z4
Genossenschaftsgesetz §27

Kopf

SZ 32/121

Spruch

Unwirksamkeit eines durch Vorstand und Aufsichtsrat erfolgten Ausschlusses eines Genossenschafters, wenn ein solcher Ausschluß nach den Statuten durch die Generalversammlung zu erfolgen hat.

Entscheidung vom 14. Oktober 1959, 1 Ob 270/59.

I. Instanz: Bezirksgericht St. Pölten; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.

Text

Die klagende Genossenschaft begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Wohnung Nr. 6 im Hause S., J.-Straße 36-38, zu räumen. Sie behauptet, dem Beklagten die Wohnung nur zur Nutzung auf Grund seiner Mitgliedschaft bei der klagenden Partei überlassen zu haben. Der Beklagte sei aber mit Beschluß des Vorstandes und des Aufsichtsrates der klagenden Partei am 10. Februar 1958 aus dieser ausgeschlossen worden, so daß er, da Wohnungen der Genossenschaft nur an deren Mitglieder überlassen werden dürften, die Wohnung seit seinem Ausschluß ohne Rechtstitel benütze. Der Beklagte hat dieses Vorbringen und insbesondere, daß ein rechtsgültiger Ausschluß vorliege, bestritten.

Das Erstgericht hat als erwiesen angenommen, daß der Beklagte in der Sitzung des Vorstandes und Aufsichtsrates der klagenden Partei vom 10. Oktober 1955 als Genossenschaftsmitglied aufgenommen wurde. Der Zweck der klägerischen Genossenschaft sei ausschließlich darauf gerichtet, den Mitgliedern zu angemessenen Preisen gesunde und zweckmäßig eingerichtete Kleinwohnungen zu verschaffen. Der Beklagte habe die gegenständliche Wohnung vorläufig von der Klägerin zur Benützung zur Verfügung gestellt erhalten. Sämtliche Wohnungen im Hause J.-Straße 36-38 seien dazu bestimmt, in das Eigentum der Benützer überzugehen. Diese bezahlten derzeit eine Nutzungsgebühr, die sich aus der Verzinsung und Tilgung der aufgewendeten Fremdmittel, dem Mitgliedsbeitrag und dem Verwaltungskostenbeitrag zusammensetze. Vom Beklagten sei auch der Genossenschaftsbeitrag bis einschließlich April 1959 durch den Hauswart K. kassiert worden. Der Beklagte habe insgesamt 19.251 S 74 g an Grund- und Baukostenzuschuß zu bezahlen, wovon er noch einen Restbetrag von 3104 S 08 g schulde. Die Mitgliedschaftswerber der klagenden Partei hätten üblicherweise vor Aufnahme einen Fragebogen auszufüllen, in dem sie auch gerichtliche Verurteilungen angeben müßten. Der Beklagte sei vom Vizebürgermeister B. empfohlen worden und habe vor seiner Aufnahme einen solchen Fragebogen nicht ausfüllen müssen. Die Tatsache der gerichtlichen Verurteilung des Beklagten wegen Verbrechens der Veruntreuung im Jahre 1954 sei der Klägerin daher erst nach seiner Aufnahme bekannt geworden. Der Beklagte sei durch Beschluß des Vorstandes und Aufsichtsrates in der Sitzung vom 10. Februar 1958 aus der Genossenschaft ausgeschlossen und mit eingeschriebenem Brief vom 11. Februar 1958, welcher vom Obmann des Vorstandes, Dr. H., gezeichnet war, verständigt worden, daß er gemäß § 10 Abs. 1 der Satzungen aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach § 10 Abs. 1 der Statuten der klagenden Partei könne die Generalversammlung die Ausschließung eines Mitgliedes wegen unredlichen Vorgehens gegen die Genossenschaft, wegen Nichterfüllung statutarischer Pflichten sowie dann beschließen, wenn den in den Genossenschaftssatzungen begrundeten Anordnungen des Vorstandes binnen einer bestimmten, nicht unter 8 Tagen zu bemessenden Frist keine Folge geleistet oder das Interesse der Genossenschaft nachweisbar geschädigt oder zu schädigen versucht wurde. Daß der Beklagte einen Tatbestand gesetzt hätte, der die klagende Partei zu seinem Ausschluß gemäß § 10 Abs. 1 der Satzungen berechtigt hätte, behaupte die klagende Partei selbst nicht. Wenn daher der Beklagte nach dieser Bestimmung der Satzungen ausgeschlossen worden sei, so könne dieser Ausschluß nicht rechtswirksam sein, umso weniger als der Ausschluß nach der genannten Bestimmung nur durch die Generalversammlung und nicht durch den Vorstand und Aufsichtsrat erfolgen könne. Wenn aber im Verständigungsschreiben an den Beklagten ein Schreibfehler unterlaufen sein sollte und der Ausschluß des Beklagten nach § 10 Abs. 3 der Satzungen erfolgt sein sollte, so sei für die klagende Partei damit nichts gewonnen. Nach § 10 Abs. 3 könne der Vorstand und Aufsichtsrat solche Mitglieder, die vorbestraft und ihrer bürgerlichen Rechte verlustiggegangen seien, aus der Genossenschaft ausschließen. Die Klägerin müsse es sich aber selbst zuschreiben, wenn sie den Beklagten lediglich auf die Empfehlung des Vizebürgermeisters B. hin als Mitglied aufgenommen habe, ohne ihn nach einer allfälligen früheren Verurteilung zu fragen. Es widerspreche Treu und Glauben, wenn die klagende Partei nunmehr von der Kann-Bestimmung des § 10 Abs. 3 ihrer Satzungen Gebrauch mache. Der Rechtsansicht des Beklagten, sein Ausschluß sei schon deshalb rechtsunwirksam, weil das Schreiben vom 11. Februar 1958 nur die Unterschrift des Obmannes Dr. H. trage, während nach § 21 Abs. 3 der Satzungen Willenserklärungen des Vorstandes für die Genossenschaft nur verbindlich seien, wenn sie von zwei Vorstandsmitgliedern abgegeben würden, folgte das Erstgericht nicht, weil es sich bei diesem Schreiben nur um eine Verständigung handle.

Über Berufung der beklagten Partei bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Das Verfahren vor dem Erstgericht wurde als mangelfrei befunden und dessen Feststellungen übernommen. Das Berufungsgericht entnahm noch aus den von der klagenden Partei vorgelegten Statuten, daß Abs. 3 des § 10 derselben erst am 23. Jänner 1958 eingefügt wurde. Diese erst nach dem Beitritt des Beklagten erfolgte Satzungsänderung enthalte keine ausdrückliche Bestimmung über eine Rückwirkung und könne daher nach Meinung des Berufungsgerichtes die vom Beklagten durch seinen Beitritt erworbenen Rechte nicht beeinflussen. Die klagende Partei könne demnach den Ausschluß des Klägers auch nicht auf § 10 Abs. 3 ihrer Satzungen stützen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Ein Mangel des Berufungsverfahrens wird darin erblickt, daß das Berufungsgericht an Stelle des Erstgerichtes Tatsachenfeststellungen vorgenommen habe, nämlich aus den vorgelegten Statuten der klagenden Partei festgestellt habe, daß Abs. 3 des § 10 in die Statuten erst am 23. Jänner 1958 eingefügt wurde. Abgesehen davon, daß die Auslegung von Urkunden stets rechtliche Beurteilung ist, wäre für die klagende Partei auch bei anderer Rechtsansicht nichts gewonnen, weil sie selbst zugibt, daß die Änderungen der Absätze 1 und 3 des § 10 der Statuten am 23. Jänner 1958 im Handelsregister eingetragen wurden. Es kann daher dem Berufungsverfahren kein für die Entscheidung wesentlicher Mangel anhaften.

Auch die Rechtsrüge ist unbegrundet. Die klagende Partei stützt ihr Begehren auf einen rechtswirksamen Ausschluß des Beklagten aus der Genossenschaft. Der Beklagte hat einen solchen rechtswirksamen Ausschluß bestritten, weshalb die klagende Partei für diese ihre Behauptung beweispflichtig ist.

Mit Schreiben vom 11. Februar 1958 wurde der Beklagte von der Klägerin verständigt, daß er gemäß § 10 Abs. 1 der Genossenschaftsstatuten ausgeschlossen wurde. Daß es sich hiebei um keinen Schreibfehler handelt, sondern daß man den Beklagten tatsächlich nach Abs. 1 und nicht nach Abs. 3 des § 10 der Statuten ausschließen wollte und ausgeschlossen hat, betont die Revision nunmehr ausdrücklich. Nach § 10 Abs. 1 der Statuten ist aber zum Ausschluß nur die Generalversammlung zuständig und nicht der Vorstand und der Aufsichtsrat.

Da sohin der Ausschluß des Beklagten vom 10. Februar 1958, auf den sich die Klage stützt, jedenfalls schon aus diesem Grund unwirksam ist, erübrigt es sich, auf die weiteren Fragen einzugehen, ob es, wie das Erstgericht meint, gegen Treu und Glauben verstößt, den Beklagten wegen einer vor seiner Aufnahme als Mitglied - die er nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht ersehlichen hat - erlittenen strafgerichtlichen Verurteilung überhaupt auszuschließen, und ob durch nachträgliche Statutenänderungen früher erworbene Rechte des Klägers nicht beeinträchtigt werden können, wie das Berufungsgericht vermeint. Unerörtert kann aus dem gleichen Gründe bleiben, ob das zitierte Schreiben statutengemäß gefertigt ist.

Der Revision kann daher nicht Folge gegeben werden, weil der Beklagte nach wie vor Mitglied der klägerischen Genossenschaft und deshalb weiterhin zur Nutzung der strittigen Wohnung berechtigt ist.

Anmerkung

Z32121

Schlagworte

Ausschluß aus einer Genossenschaft, Wirksamkeit, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, Ausschluß, Genossenschaft, Wirksamkeit eines Ausschlusses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0010OB00270.59.1014.000

Dokumentnummer

JJT_19591014_OGH0002_0010OB00270_5900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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