Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334Kopf
SZ 32/142
Spruch
Grobe Fahrlässigkeit des Unternehmers im Sinne des § 334 ASVG., wenn er den Sandgewinnungsbetrieb unbekümmert um die Einhaltung der Dienstnehmerschutzvorschriften der Verordnung vom 25. Oktober 1955, BGBl. Nr. 253, beginnt.
Entscheidung vom 4. November 1959, 2 Ob 464/59.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Im Jahre 1956 begann der Beklagte auf einem von ihm erworbenen Grundstück mit dem Abbau zur Gewinnung von Quarzsand. Zu dieser Zeit waren die Nachbarbetriebe schon weiter vorgedrungen, so daß die rechte Begrenzung der Liegenschaft des Beklagten eine senkrechte Wand bildete. Wegen des ansteigenden Hanges mußte der Abbau in Etagen erfolgen. Der Beklagte beschäftigte in seinem Betrieb mehrere Leute, darunter den im Jahre 1924 geborenen Michael B. Am 20. Juni 1956 arbeitete dieser - ebenso wie meistens vorher - rechts außen auf der Etage, die sich gegen die bezeichnete Wand zu in Form eines spitzwinkeligen Dreiecks verengte. Während der Arbeit löste sich ein menschenkopfgroßer Erdbrocken vom oberen Rand der rund 2 m hohen Etagenstufe. Michael B. versuchte auszuweichen und trat einen Schritt zurück. Dabei stürzte er über die dort etwa 11 m hohe Wand ab. Er zog sich Verletzungen zu, die anfänglich eine vollständige und für die spätere Zeit eine teilweise Minderung seiner Erwerbsfähigkeit zur Folge hatten. Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung hat den genannten Unfall des Michael B. als Arbeitsunfall anerkannt und erbringt daraus ihre Pflichtleistungen. Sie macht jetzt den Ersatz ihrer Leistungen gegenüber dem Beklagten gemäß § 334 ASVG. geltend und verlangt die Zahlung von 14.450 S 48 g s. A. sowie die Feststellung, daß der Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin alle nach den Bestimmungen über die gesetzliche Unfallversicherung aus Anlaß des Arbeitsunfalles des Michael B. vom 20. Juni 1956 zu gewährenden Leistungen zu ersetzen.
Das gegen den Beklagten in der Richtung des Verdachtes des Vergehens nach den §§ 335, 337 lit. a StG. eingeleitete Strafverfahren wurde am 5. Dezember 1956 gemäß § 109 StPO. eingestellt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, da der Beklagte mehrfach gegen die Bestimmungen der Verordnung vom 25. Oktober 1955, BGBl. Nr. 253, über den Schutz der Dienstnehmer und der Nachbarschaft beim Betrieb von Steinbrüchen, Lehm-, Ton-, Sand- und Kiesgruben sowie bei Haldenabtragungen schwer verstoßen habe; der Beklagte habe als Dienstgeber den Arbeitsunfall des Michael B. durch grobe Fahrlässigkeit verursacht.
Der Berufung des Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge; die Unterlassung der Anordnung einer sicheren Anseilung des Michael B. und im Zusammenhang damit die Unterlassung der Beistellung der hiezu erforderlichen und den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Behelfe stelle eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten im Sinne des § 334 ASVG. dar, die den Regreßanspruch der Klägerin und damit auch das Feststellungsbegehren hinsichtlich der künftigen Ansprüche rechtfertige; die Höhe des Anspruches sei nicht gesondert bekämpft worden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht hat auf die eigenen Angaben des Beklagten als Partei verwiesen, wonach er "wiederholt den einen oder anderen Arbeiter vom Abgrund habe zurückreißen müssen". Daraus ist abzuleiten, daß die Anordnung des Beklagten, die Arbeiter sollten nicht zu nahe an die Wand zum Nachbargrundstück treten, in der Praxis vielfach nicht befolgt und die Zuwiderhandlung gegen sein Verbot dem Beklagten auch bekannt wurde; war dem Beklagten aber selbst bekannt, daß seine Belehrungen von den Arbeitern vielfach nicht beachtet wurden, dann durfte er sich keineswegs mit bloßen Belehrungen begnügen, vielmehr hätte er für die sichere Anseilung seines Arbeiters bei den gefährlichen Arbeiten in der Wand und im Zusammenhang damit für die Beistellung der hiezu erforderlichen und den Bestimmungen der obzitierten Verordnung entsprechenden Behelfe sorgen müssen. Entscheidend ist also die von den Vorinstanzen hervorgehobene Unterlassung in letzterer Hinsicht; auf die bloßen Belehrungen kommt es nicht an, weil diese schon nach der Kenntnis des Beklagten wirkungslos bleiben mußten.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung vom 25. Oktober 1955 müssen die Dienstnehmer sicher angeseilt sein, wenn bei Arbeiten in der Wand Absturzgefahr besteht. In § 6 Abs. 6 der Verordnung aber ist bestimmt, daß den Dienstnehmern für das Anseilen geeignete Seile und Sicherheitsgürtel zur Verfügung zu stellen sind. Zutreffend haben die Untergerichte einen Verstoß des Beklagten gegen diese Vorschriften als gegeben angenommen. Es muß als Verkennung der Bedeutung dieser Schutzbestimmungen bezeichnet werden, wenn sich der Beklagte mit dem Hinweis zu entlasten sucht, daß er den Arbeitern die Weisung erteilt habe, einen Sicherheitsabstand von 1 1/2 bis 2 m zum Rande der Nachbargrube einzuhalten, zumal dem Beklagten die Zuwiderhandlung der Arbeiter gegen eine derartige Weisung wiederholt bekannt wurde. Der Ansicht des Revisionswerbers, daß seine Haftung gegenüber dem Sozialversicherungsträger für die von diesem an Michael B. aus dem Arbeitsunfall vom 20. Juni 1956 zu gewährenden Leistungen zu verneinen sei, weil sich dieser Arbeitnehmer undiszipliniert benommen habe, kann im Gründe der Vorschrift des § 334 Abs. 2 ASVG. nicht beigepflichtet werden; darin ist doch ausdrücklich bestimmt, daß die Haftung des Dienstgebers nach § 334 Abs. 1 ASVG. durch ein Mitverschulden des Versicherten weder aufgehoben noch gemindert wird. Das Revisionsgericht bejaht mit den Vorinstanzen die erwähnte Haftung des Beklagten wegen grober Fahrlässigkeit. Diese ist darin zu erblicken, daß der Beklagte das Sandgewinnungsunternehmen unbekümmert um die Einhaltung der Dienstnehmerschutzvorschriften der Verordnung vom 25. Oktober 1955 begonnen hat.
Anmerkung
Z32142Schlagworte
Dienstnehmerschutzvorschriften, Verletzung, grobe Fahrlässigkeit, Fahrlässigkeit, grobe - nach § 334 ASVG., Verstoß gegen, Dienstnehmerschutzvorschriften, Grobe Fahrlässigkeit nach § 334 ASVG., Verstoß gegen, Dienstnehmerschutzvorschriften, Sandgewinnung, grobe Fahrlässigkeit durch Verstoß gegen, Dienstnehmerschutzvorschriften, Verschulden grobes - nach § 334 ASVG., Verstoß gegen, DienstnehmerschutzvorschriftenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1959:0020OB00464.59.1104.000Dokumentnummer
JJT_19591104_OGH0002_0020OB00464_5900000_000