TE OGH 1959/12/15 4Ob126/59

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Veröffentlicht am 15.12.1959
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Norm

ABGB §1151

Kopf

SZ 32/164

Spruch

Zur Abgrenzung des Dienstvertrages vom Werkvertrag (Verwendung zur Anfertigung von Abschriften behördlicher Akten).

Entscheidung vom 15. Dezember 1959, 4 Ob 126/59.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin behauptet, von der beklagten Partei als Angestellte beschäftigt worden zu sein, und verlangt die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung von 6835 S s. A., wovon entfallen 1200 S als Unterschied auf den kollektivvertraglichen Gehalt für März und April 1958, 2600 S auf den Gehalt für Mai/Juni 1958, 495 S auf die Weihnachtsremuneration 1956, 635 S auf das Urlaubsgeld 1957, 635 S auf die Weihnachtsremuneration 1957 und 1270 S auf das Bilanzgeld und die Urlaubszulage 1958.

Das Erstgericht sprach 6820 S zu und wies 15 S vom Urlaubsgeld 1957 ab. Es stellte fest:

Die Klägerin kam mit der beklagten Partei dadurch in Verbindung, daß sie im Juli 1956 eine Zeitungsannonce einschaltete "Übernehme Schreibarbeit, eigene Maschine, auch Diktat" und auf Grund dieser Annonce von der Wiener Filiale der beklagten Partei angerufen wurde und dort vorsprach. Anna C., Angestellte der beklagten Partei bei deren Wiener Filiale, nahm die Klägerin auf. Sie erklärte der Klägerin, daß ihre Arbeit darin bestehen werde, bei Behörden Akten abzuschreiben, hauptsächlich über Verkehrsunfälle. Anna C. erklärte der Klägerin auch, daß abschriftlich die Meldung, Zeugenaussagen, Skizzen, ärztliche Zeugnisse u. dgl. gebraucht würden, nicht aber kurze Verfügungen der Behörde selbst, wie etwa Aktenübersendungen. Gleich bei dieser ersten Vorsprache übergab Anna C. der Klägerin auch Unterlagen zur Anfertigung von Abschriften und erklärte ihr, daß sie diese in einigen Tagen bringen müsse.

Die Arbeitsleistung der Klägerin entwickelte sich dann so, daß die Klägerin in Abständen von drei oder vier Tagen jeweils die von ihr angefertigten Abschriften überbrachte und zugleich neue Aufträge bekam. Abgesehen von dringenden Fällen war ihr eine bestimmte Frist zur Erledigung der einzelnen Aufträge nicht vorgeschrieben. In einem groben Durchschnitt war die Klägerin im Monat etwa acht bis zehnmal bei Behörden außerhalb Wiens; die Abschriften bei Wiener Behörden bewegen sich ungefähr in der gleichen Höhe. Eine Abschrift umfaßte im Durchschnitt zirka sechs bis acht Maschinschreibseiten, in Ausnahmefällen auch zwanzig und mehr Seiten. Jeweils wenn die Klägerin Erledigungen brachte, wurde über die erledigten Aufträge gesondert abgerechnet und der entsprechende Betrag der Klägerin sogleich ausgezahlt. Die Klägerin bekam pro Maschinschreibseite 5 S, für einfachere Skizzen 3 S 50 g, für kompliziertere Skizzen 7 S; für Arbeiten außerhalb Wiens wurde ihr auch ein Betrag für Zeitversäumnis gezahlt, und zwar, wenn sie dazu einen halben Tag benötigte, 20 S, wenn sie einen ganzen Tag benötigte, 30 S. Dazu wurden ihr auch Fahrtspesen vergütet.

In dieser Weise arbeitete die Klägerin von August 1956 bis einschließlich April 1958. Sie verdiente monatlich im Durchschnitt abzüglich der Spesen rund 1140 S.

Die Klägerin übte während ihrer Tätigkeit bei der beklagten Partei keine andere Erwerbstätigkeit aus, sofern man davon absieht, daß sie ein wissenschaftliches Werk gegen Entgelt abgeschrieben, daran jeweils über das Wochenende zwei bis drei Stunden durch vier Jahre hindurch gearbeitet und dafür insgesamt 3500 S bekommen hat.

Ende April 1958 wurden auf Weisung der Generaldirektion der beklagten Partei in Graz der Klägerin keine Aufträge mehr erteilt. Anna G. erklärte der Klägerin, daß ihr weitere Aufträge nicht mehr erteilt würden und sie die noch nicht erledigten Aufträge zurückstellen möge. Damals wurde die Klägerin auch bei der Krankenkasse abgemeldet.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht das Rechtsverhältnis als Angestelltenverhältnis.

Das Berufungsgericht gelangte "im wesentlichen zu denselben Tatsachenfeststellungen wie das Erstgericht". Abweichungen in der Sachverhaltsfeststellung ergeben seine Entscheidungsgründe nicht. Rechtlich erblickte das Berufungsgericht in dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin einen Werkvertrag. Der Tätigkeit der Klägerin hafte als Element eines Dienstverhältnisses höchstens eine gewisse Regelmäßigkeit in der Beschäftigung an, nämlich daß sie acht bis zehn Tage pro Monat in Wien und acht bis zehn Tage pro Monat außerhalb Wiens tätig gewesen sei, sonst aber weise die Beschäftigung sämtliche Merkmale eines Werkvertrages auf. Daran ändere auch nichts die Nachmeldung der Klägerin bei der Krankenkasse auf deren Veranlassung. An die Qualifikation des Vertragsverhältnisses durch die Krankenkasse sei das Gericht nicht gebunden. Die Klägerin sei in der Einteilung ihrer Tätigkeit vollkommen frei und an keinerlei Arbeitszeit gebunden gewesen. Daß Umfang und Art der Tätigkeit im Vertrag näher geregelt worden seien, spreche nicht für ein Dienstverhältnis. Auch mit dem Werkvertragspartner müsse ja Art und Umfang der Tätigkeit notwendigerweise vorher festgelegt werden. Im gegenständlichen Arbeitsverhältnis fehle die völlige Eingliederung und Unterordnung der Klägerin in den Geschäftsorganismus der beklagten Partei. Sie sei lediglich mit der Durchführung einer Aufgabe betraut gewesen, nämlich mit der Abschrift des Akteninhaltes von verschiedenen Behördenakten. Wo und wie sie diese Aufgabe erfüllt habe, ob selbst oder durch andere, sei ihr überlassen worden. Die Klägerin habe auch die zur Erfüllung der ihr gestellten Aufgabe notwendigen Mittel, nämlich die Schreibmaschine, zur Verfügung gestellt, sich also nicht der Arbeitsmittel der beklagten Partei bedient. Auch ihr Entgelt sei nicht in Form eines Gehaltes, sondern nach der Stückzahl, und zwar pro angefertigte Seite 5 S, gezahlt worden, wobei unmittelbar nach der Übergabe des von der Klägerin verlangten Werkes, nämlich der Aktenabschriften, verrechnet worden sei. Gerade die Entgeltleistung, daß nämlich nach jedem erteilten Auftrag eine Verrechnung erfolgt sei und die Klägerin für ihre Leistungen sofortige Bezahlung erhalten habe, weise auf einen Werkvertrag und nicht auf einen Dienstvertrag hin. Aus all dem ergebe sich, daß das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen die typischen Merkmale eines Werkvertrages aufweise.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und stellte das Urteil des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Entscheidung der Rechtssache hängt allein von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob das festgestellte Rechtsverhältnis als Dienstverhältnis zu beurteilen oder ob ein Werkvertrag anzunehmen ist. Die Unterscheidung zwischen Dienst- und Werkvertrag (sowie Agenturvertrag) ist im allgemeinen und auch im einzelnen Fall schwierig und im Schrifttum viel erörtert worden (s. insbesondere Adler - Höller in Klang 2. Aufl. V 168 ff).; Riezler, Der Werkvertrag in rechtsvergleichender Darstellung, Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 1952, 522; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. I S. 83 ff.; Hueck - Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechtes, 6. Aufl. I S. 119 ff.; Nipperdey - Mohnen - Neumann in Staudingers Kommentar zum BGB., 11. Aufl. II/3 S. 1127 ff., Vorbemerkungen zu § 611 Anm. 140 ff.). Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist nunmehr - wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat - herausgearbeitet worden, daß der Dienstnehmer in den Betrieb des Unternehmers eingegliedert, daß er persönlich abhängig ist, während dies für den Unternehmer beim Werkvertrag (und auch für den Agenten) nicht zutrifft (s. das oben angeführte Schrifttum und ferner SZ. XXI 128, SZ. XXIV 1, ArbSlg. 6259).

Die Prüfung des hier festgestellten Sachverhaltes führt zu dem Ergebnis, daß die Klägerin in den Betrieb der Beklagten eingegliedert und von ihr persönlich abhängig war. Daraus, daß die Klägerin sechzehn bis zwanzig Tage monatlich, also fast die ganze Arbeitszeit, für die Beklagte gearbeitet hat und keine andere Erwerbstätigkeit ausübte, ergibt sich, daß die Klägerin von der Beklagten wirtschaftlich abhängig war. Wenn die wirtschaftliche Abhängigkeit zwar auch nicht immer mit der persönlichen Abhängigkeit zusammenfällt, so bildet sie doch einen wesentlichen Hinweis auf die persönliche Abhängigkeit. Hinzu kommt noch die Dauer der Vertragsbeziehung. Es handelte sich keineswegs darum, daß die Beklagte gelegentlich Abschriften brauchte oder daß dieses Bedürfnis nur für einen begrenzten Zeitraum bestand. Die Beklagte benötigte vielmehr diese Abschriften ständig, und die Klägerin fertigte sie immer für sie an. Die Klägerin wurde daher beschäftigt, damit die für den Betrieb notwendigen Abschriften ständig verfügbar seien. Auch daraus erhellt die Eingliederung der Klägerin in den Betrieb der Beklagten. In der Gestaltung ihrer Arbeitszeit war die Klägerin keineswegs frei. Ihre Arbeitseinteilung war vielmehr entscheidend durch die Arbeitsaufträge der Beklagten bestimmt. Die Klägerin mußte sich die Arbeitsaufträge bei der Beklagten abholen, die Abschriften bei den Behörden - natürlich während der hiefür vorgesehenen Stunden - anfertigen, allenfalls stenographische Abschriften zu Hause übertragen und dann die Arbeiten wieder bei der Beklagten abliefern. Daraus ergibt sich ein recht starres Arbeitsprogramm, das durch die Art der Arbeit und damit durch die Betriebsbedürfnisse der Beklagten bedingt war und der Klägerin keinen wesentlichen Spielraum für eine freie zeitliche Gestaltungsmöglichkeit ließ. Darauf, daß die Klägerin ihre Arbeit nicht in den Büroräumen der Beklagten leistete, kommt es nicht an, weil der Außendienst durch die Art der Arbeit notwendig gemacht worden war. Daß die Klägerin dann Übertragungen auf eigener Maschine zu Hause herstellte, ist nicht ausschlaggebend, weil das arbeitsmäßige und auch zeitliche Schwergewicht der Dienstzeit in dem Aufsuchen der Behörden (auch in der Provinz), dem Verfügbarmachen der Akten, deren Studium und deren - allenfalls zunächst stenographischen - Abschrift, der Ablieferung der Arbeit und der Entgegennahme neuer Arbeit bei der Beklagten lag. Der Aufwand, der aus der Verwendung einer eigenen Maschine folgt, ist dabei im Verhältnis zu der sonstigen Leistung, nämlich zur Beistellung fast der gesamten Arbeitskraft der Klägerin, gering; mit Recht verweist die Klägerin in ihrer Revision darauf, daß auch die Verwendung eines eigenen Kraftwagens ein Dienstverhältnis keineswegs ausschließt. Die Entgeltzahlung je Seite der Abschriftarbeit zwingt ebenfalls weder für sich allein noch im Zusammenhang mit den übrigen Umständen zur Annahme eines Werkvertrages. Daß auch beim Dienstverhältnis Stücklohn statt Zeitlohn möglich ist, braucht nicht belegt zu werden. Gerade bei Arbeitsverhältnissen wie dem vorliegenden, bei denen es dem Dienstgeber kaum möglich ist, den Dienstnehmer während der Arbeitszeit wirksam zu beaufsichtigen, bietet sich die Entlohnung nach dem Umfang der geleisteten Arbeit wirtschaftlich an. Dazu kommt im vorliegenden Fall, daß der Klägerin ohnedies bei auswärtiger Arbeit auch noch Entschädigung für Zeitversäumnis und vor allem Fahrtkostenersatz geleistet wurde, was für einen Dienstvertrag spricht. Desgleichen kann nicht daraus, daß die Klägerin nicht in Lohnperioden, sondern nach Maßgabe der abgelieferten Arbeit bezahlt wurde, auf einen Werkvertrag geschlossen werden, weil diese Art der Entgeltzahlung gerade wegen der Entlohnung nach der Arbeitsleistung und der sonstigen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses bis zu einem gewissen Grad als zweckmäßig nahelag. Schließlich spricht auch noch die Meldung der Klägerin zur Krankenkasse - wenn auch sicherlich nicht für sich allein und ausschlaggebend - für das Vorliegen eines Dienstverhältnisses. Die Beurteilung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien als Dienstverhältnis fügt sich auch in den Kollektivvertrag für Angestellte der Versicherungsunternehmungen, Innendienst, vom 21. August 1951 ein, in dessen § 2 Abs. 1 ausdrücklich "Angestellte des Außendienstes, die vorwiegend Schadensliquidation, Inspektion und Intervention in Schadens- und Vertragsangelegenheiten" erledigen, erwähnt werden. Auch solche Dienstnehmer üben - wie das das Wesen des Versicherungsbetriebes mit sich bringt - ihre Tätigkeit außerhalb des Betriebes aus, ohne daß an ihrer Angestellteneigenschaft deswegen gezweifelt wird.

Die Beurteilung des zwischen den Parteien vorliegenden Rechtsverhältnisses als Dienstverhältnis ergibt die Stichhältigkeit der von der Klägerin erhobenen Ansprüche, deren ziffernmäßige Höhe weder im Berufungs- noch im Revisionsverfahren bekämpft wurde.

Anmerkung

Z32164

Schlagworte

Abschriften, Anfertigung von -, Dienstvertrag, Dienstvertrag, Abgrenzung vom Werkvertrag, Werkvertrag, Abgrenzung vom Dienstvertrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0040OB00126.59.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19591215_OGH0002_0040OB00126_5900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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