TE OGH 1960/4/5 4Ob27/60

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.04.1960
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hohenecker als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schuster und Dr. Stanzl sowie die Beisitzer Dr. Leitlieb und Dr. Spiller als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann M*****, Vertragsbediensteter, *****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien I., wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien I., wegen Leistung (22.777,85 S) und Feststellung (500 S) (Gesamtstreitwert 23.277,85 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 12. November 1959, GZ 44 Cg 178/59-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 11. Juli 1959, GZ 4 Cr 1714/58-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben, das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger - ein Vertragslehrer - wurde von der beklagten Partei gemäß § 32 Abs 2 lit c VBG mit 30. 6. 1958 zum 30. 11. 1958 gekündigt. Er bestreitet das Vorliegen des Kündigungsgrundes und beantragt festzustellen, dass das zwischen den Streitteilen bestehende Dienstverhältnis trotz Kündigung des Dienstgebers auch über den 31. Dezember 1958 weiterhin aufrecht bestehe. Die beklagte Partei beantragt Abweisung dieses Begehrens.

Das Erstgericht erhob Beweis durch die von der beklagten Partei geführten Zeugen Landesschulinspektor Franz P*****, Fachinspektor Prof. Sigismund S*****, Mittelschuldirektor Egon B*****, Landesschulinspektor Dr. Felix S*****, Mittelschuldirektor Dr. Werner T***** sowie durch Einsicht in verschiedene Urkunden und Akten, insbesondere in die Personalakten des Klägers und stellte im Wesentlichen fest:

1.) Der im Jahre 1913 geborene Kläger hat im Jahre 1938 die Staatsprüfung für das Lehramt der Musik im Fachgebiet Violine abgelegt, wurde ab 1939 als Hilfslehrer an verschiedenen Mittelschulen verwendet, mehrere Monate im Jahre 1941 und dann von März 1942 bis Februar 1945 war er eingerückt. Nach Kriegsende unterrichtete er weiter. Mit Erlass des Staatsamtes für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten vom 7. 9. 1945 wurde der Kläger vorbehaltlich der Regelung seiner dienst- und besoldungsrechtlichen Stellung vorläufig und widerruflich an der Staatslehrerbildungsanstalt in Verwendung genommen, in der Folge war er an staatlichen Lehrerbildungsanstalten und an Mittelschulen als Musiklehrer verwendet. Im Jahre 1948 legte er die Externisten-Reifeprüfung (Realgymnasium) ab. Durch Dienstvertrag vom 23. 5. 1949 erfolgte die Erneuerung seines Dienstverhältnisses im Sinne des § 52 VBG und die Einreihung in Entlohnungsschema I L, Entlohnungsgruppe L 3, Stufe 5.

2.) Seit 1945 unterrichtete der Kläger neben anderen Schulen auch am RG III, seit 1950 war er dort vollbeschäftigt. Im September 1951 wurde er an das RG+R XI versetzt. Im September 1955 wurde er von dort an das RG XVII versetzt und zur Ergänzung seiner Lehrverpflichtung auch dem G VIII zugewiesen. Mit Schreiben des Stadtschulrates für Wien vom 28. 6. 1958 wurde der Kläger mit 30. 6. 1958 gekündigt. Als Kündigungsgrund wird in dem Schreiben angeführt, dass der Kläger den im allgemeinen erzielbaren angemessenen Arbeitserfolg trotz Ermahnung nicht erreicht habe. In dem Schreiben heißt es weiter, dass die fünfmonatige Kündigungsfirst mit 30. 11. 1958 ende und auf eine weitere Dienstleistung des Klägers während der Kündigungsfrist aus zwingenden pädagogischen Gründen verzichtet werde.

3.) Die von Fachinspektor Prof. S***** auf Grund inspizierter Unterrichtsstunden seit 1948 über den Kläger erstatteten Berichte an den Stadtschulrat sind durchaus negativ.

4.) Fachschulinspektor Prof. S***** hat mit dem Kläger jedesmal nach einer inspizierten Stunde gesprochen und ihm gegenüber das bemängelt, was er in den Berichten als schlecht bezeichnen musste. Der Kläger zeigte sich in den ersten Jahren noch zugänglich und einsichtig, ohne allerdings aus den Bemängelungen Folgen zu ziehen. In den letzten Jahren war er auch den Bemängelungen gegenüber nicht mehr zugänglich und versuchte, für alles Entschuldigungen vorzubringen.

5.) Im Jahre 1950 sind dem Landesschulinspektor Franz P***** Beschwerden aus Erzieherkreisen des Bundeserziehungsheimes S***** gegen den Kläger im Zusammenhang damit zugekommen, dass Schüler dieses Erziehungsheimes in das RG III geschickt wurden, wo der Kläger als Musiklehrer unterrichtete. Es wurde darüber Beschwerde geführt, dass der Kläger strafweise gelernte Liedertexte dreimal in Blockschrift abschreiben ließ, auch die Haydn-Messe, dass er zu viel theoretischen Unterricht und zu wenig Gesang pflegte, entgegen einer Vorschrift des Bundesministeriums für Unterricht den Lehrstoff diktierte und auswendig lernen ließ. Landesschulinspektor P***** hat damals den Kläger zu sich geladen und nachdrücklich belehrt und verwarnt. Er hat den Kläger auch in der Folgezeit öfter ermahnt, vorsichtig zu sein, den Schülern nicht allzuviel aufzugeben, und hat den Kläger darauf hingewiesen, dass Musik ein Gegenstand ist, den man verstehen muss und nicht so sehr ein Gegenstand, bei dem man viel einlernen muss. Dennoch wurden dem Landesschulinspektor von den Direktoren der Schulen RG III und RG+R XI, an denen der Kläger damals unterrichtete, fortlaufend Beschwerden der Eltern vorgetragen, dass die Kinder beim Kläger sehr streng behandelt und immer wieder bestraft würden, und außerordentlich viel lernen müssten. Am 8. 3. 1955 hat Landesschulinspektor P***** selbst einer Unterrichtsstunde des Klägers in der 6. Klasse an dem R XI beigewohnt. Über diese Unterrichtsstunde hat der Landesschulinspektor als Zeuge in diesem Rechtsstreit folgendes Urteil abgegeben: "Viel zu viel Gerede, Ausdrücke für die gegenständliche Stufe zu schwierig, einzelweise über die Köpfe der Kinder hinweggegangen, das heißt in dem Sinne, dass die Kinder dieses oder jenes nicht verstehen konnten. Sein Unterricht konnte keineswegs als außerordentlich schlecht bezeichnet werden, andererseits doch auch nicht als gut."

6.) Im Schuljahre 1957/58 hat auch der Direktor des RG XVII, Egon B*****, an einer vom Fachinspektor inspizierten Unterrichtsstunde des Klägers teilgenommen. Der Kläger hat damals ein Lied an die Tafel geschrieben. Der Fachinspektor beanstandete, dass der Kläger nicht das Liederbuch gebrauchte.

7.) In den Schuljahren 1955/56, 1956/57 und 1857/58, da der Kläger auch am G XVII unterrichtete, hat der Direktor dieser Anstalt, Dr. Werner T*****, oft den Unterrichtsstunden des Klägers beigewohnt. Er stellte dabei fest, dass im Unterricht des Klägers in den Unterklassen Noten geschrieben und Musiktheorie vorgetragen, überhaupt zu viel geschrieben wurde, während der Gesang ganz im Hintergrund blieb, und dass sich der Kläger in den Oberklassen auf Musikerbiographien beschränkte, wobei sich die Schüler aus dem Vorgetragenen nichts vorstellen konnten und auch ein anderer daraus nicht viel entnommen hätte. Nach Auffassung des Direktors war der Unterricht des Klägers "völlig unzulänglich", "nichts wert", "gleichmäßig schlecht". Direktor Dr. T***** hat den Kläger nach solchen Unterrichtsstunden zu sich gebeten und ihm praktische Vorschläge gemacht, wie er es machen solle, jedoch ohne Erfolg. Der Kläger vertrat dem Direktor gegenüber den Standpunkt, dass er die Sache selbst verstehe und der Direktor das nicht verstünde.

8.) Schließlich erstattete der Fachschulinspektor S***** im Juni 1958 an den Stadtschulrat über den Kläger einen zusammenfassenden Bericht, wonach der Kläger "zur Erteilung des Musikunterrichtes an Mittelschulen ganz ungeeignet ist". Im Bericht wird zunächst darauf hingewiesen, dass der Kläger einen Lehrgang aus Schulmusik-Gesang nicht absolviert hat und aus diesem Fach auch kein Lehrbefähigungszeugnis besitzt. Dann wird im Bericht weiter ausgeführt, der Kläger verstehe nichts von Stimmbildung, die Singleistungen seiner Schüler seien unbefriedigend, in Musiktheorie und Musikgeschichte kenne er das zulässige Ausmaß nicht, seine Vorträge (Lernschule, Drill) seien inhaltlich und sprachlich oft unbrauchbar, seien ausgezeichnet geeignet, den Schülern die Musik zu verleiden. Methodik sei dem Kläger ein fremder Begriff. Vergeblich suche man in seinem Unterricht eine Aktivierung der Schüler, die Vermittlung von Interesse und Freude.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass der Kündigungsgrund gegeben sei. So dass es das Klagebegehren abwies. In seiner Berufung verlangte der Kläger auch noch die Zahlung seiner Bezüge für inzwischen vergangene zehn Monate im Betrag von 22.277,85 S. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und wies auch das neue Begehren ab. Es gelangte zu denselben Tatsachenfeststellungen wie das Erstgericht. In der Berufung war als Mangelhaftigkeit gerügt worden, dass es das Erstgericht unterlassen habe, auch nur einen einzigen der vom Kläger namhaft gemachten (53) Zeugen zu vernehmen. Bei diesen Personen handle es sich um ehemalige Schüler, Kollegen und Vorgesetzte. Alle diese Personen wären in der Lage, über die Qualität der Leistungen des Klägers Auskunft zu geben. Die ehemaligen Schüler, von denen in der Zwischenzeit viele eine ansehnliche Stellung erreicht haben, hätten sagen können, ob sie den Unterricht beim Kläger interessant, lustvoll und freudig empfunden haben oder nicht. Hiezu führt das Berufungsgericht aus, soweit die Berufung meine, dass die vom Kläger beantragten ehemaligen Schüler als Zeugen vernommen werden müssten, so sei dem entgegenzuhalten, dass der Lehrer nicht durch seine Schüler, sondern durch seine Fachinspektoren und Direktoren auf seine pädagogischen Fähigkeiten überprüft werde und diese feststellen, ob der Lehrer den Unterricht in der vorgeschriebenen Weise zum Nutzen der Schüler zu gestalten imstande sei. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts billigte das Berufungsgericht.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus den Gründen des § 503 Z 2 und 4 ZPO. Er beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und seinem Klagebegehren Folge zu geben, in eventu es aufzuheben und die Rechtssache zurückzuverweisen. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist begründet.

Wie die eben gegebene Darstellung des bisherigen Verlaufs des Rechtsstreits ergibt, haben die Untergerichte in der Tat nur die Zeugen der beklagten Partei vernommen. Ihr Verfahren ist daher einseitig geblieben. Wenn das Berufungsgericht meint, dass ein Lehrer nur durch seine Fachinspektoren überprüft werden könne und diese feststellen können, ob der Lehrer den Unterricht in der vorgeschriebenen Weise zum Nutzen des Schülers zu gestalten imstande sei, so ist dies in dieser Allgemeinheit nicht richtig und jedenfalls für sich allein nicht entscheidend. Der Kündigungsgrund liegt nach dem Gesetz vor, wenn ein Vertragsbediensteter den im Allgemeinen erzielbaren angemessenen Arbeitserfolg nicht erreicht. Ob dies zutrifft, hat das Gericht zu beurteilen. Dabei ist es keineswegs an die Meinung der Dienstvorgesetzten gebunden, sondern hat alle von den Parteien angebotenen geeigneten Erkenntnisquellen heranzuziehen. Es ist daher nicht einzusehen, warum nicht auch frühere Schüler als Zeugen gehört werden sollten. Schließlich ist der Unterricht der Schüler wegen da, so dass es durchaus sinnvoll ist, sie darüber zu hören, wie sie im späteren Leben über den seinerzeitigen Unterricht denken. Im Übrigen hat sich der Kläger, wie ihm eine flüchtige Durchsicht der Zeugenliste ergibt, keineswegs nur auf ehemalige Schüler, sondern auch auf Kollegen und Vorgesetzte berufen. Warum diese nicht vernommen werden sollten, ist völlig unerfindlich. Es müssen daher grundsätzlich auch die vom Kläger beantragten Zeugen vernommen werden, womit allerdings nicht gesagt ist, dass unbedingt alle 53 Zeugen gehört werden müssen. In dieser Beziehung wird es zweckmäßig sein, den Kläger, soferne er nicht von vornherein seinen Beweisantrag in vernünftiger Weise einschränkt, zu veranlassen, im einzelnen vorzubringen, über welche Zeit und worüber die Zeugen vernommen werden sollen, damit überflüssige Weitläufigkeiten vermieden werden können. Dass diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens vom Obersten Gerichtshof nicht mehr wahrgenommen werden könnte, weil sie das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete, trifft für das arbeitsgerichtliche Verfahren, in dem den Parteien sogar freisteht, im Berufungsverfahren Neuerungen vorzutragen, nicht zu. Der Hinweis in der Revision, dass das Maß des angemessenen Arbeitserfolgs nach den Fähigkeiten, insbesondere nach der Ausbildung des Klägers und nach seiner Einstufung genommen werden müsse, ist richtig. Der Entlohnungsgruppe L 3 des Entlohnungsschemas I L entspricht die Verwendungsgruppe L 3 der Anlage zur Lehrerdienstzweigeverordnung vom 13. 5. 1958, BGBl Nr 103, Teil C, Dienstzeit 80, früher der Anlage zu Abschnitt III des Gehaltsüberleitungsgesetzes, BGBl Nr 22/1947 (§ 40 VBG). Darnach ist Anstellungserfordernis für Musiklehrer an mittleren Lehranstalten der Verwendungsgruppe L 3, in der der Kläger reiht, bloß bei Lehrbefähigungsprüfung aus Gesang oder aus einem an mittleren Lehranstalten zugelassenen Instrumentalfach. In den höheren Verwendungsgruppen L 2 und L 1 sind die Anstellungserfordernisse wesentlich strenger. So wird für die Verwendungsgruppe L 2 auch für Musiklehrer die Reifeprüfung und grundsätzlich die Lehrbefähigungsprüfung aus Gesang und zwei an mittleren Lehranstalten zugelassenen Instrumentalfächern (Dienstzeit 24), für die Verwendungsgruppe L 1 grundsätzlich die Befähigung für das Lehramt an Mittelschulen (Dienstzweig 3) verlangt. In ähnlicher Weise hat auch schon früher die Anlage zu Abschnitt III des Gehaltsüberleitungsgesetzes für die Verwendungsgruppe L 3 wesentlich geringere Anforderungen als für die Verwendungsgruppen L 2 und L 1 vorgesehen. Bei der rechtlichen Beurteilung, ob der nach Durchführung eines mängelfreien Verfahrens vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt ergeben wird, dass der Kläger den im Allgemeinen erzielbaren angemessenen Arbeitserfolg erreicht oder nicht (§ 32 Abs 2 lit c VBG), wird daher davon ausgegangen werden müssen, dass vom Kläger nur ein seiner Einstufung entsprechender und nicht ein darüber hinausgehender Arbeitserfolg erwartet werden kann; von dem Kläger kann nicht derselbe Arbeitserfolg wie von besser qualifizierten und demgemäß höher gereihten Musiklehrer verlangt werden. Der Revision war daher Folge zu geben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung zurückzuweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E76701 4Ob27.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0040OB00027.6.0405.000

Dokumentnummer

JJT_19600405_OGH0002_0040OB00027_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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