Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §148 Z6Kopf
SZ 33/57
Spruch
Der Fürsorgeverband hat gemäß § 148 Z. 6 ASVG. die Hälfte der Kosten für die Pflege eines in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke untergebrachten Kranken endgültig zu tragen.
Entscheidung vom 13. Mai 1960, 2 Ob 140/60.
I. Instanz: Bezirksgericht Baden; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.
Text
Der Beklagte Josef K. war in den Jahren 1955 bis 1958 dreimal in der Heilanstalt G. in Pflege; an Verpflegskosten sind 7483 S 52 g aufgelaufen. Die Hälfte hat der Sozialversicherungsträger getragen, die andere Hälfte der Bezirksfürsorgeverband B. aus Fürsorgemitteln gezahlt. Dieser verlangt nun auf Grund der Bestimmungen der §§ 25 ff. FürsorgepflichtV. vom Beklagten den Ersatz der von ihm geleisteten Zahlung.
Der Beklagte hat das Recht zur Regreßnahme bestritten und Abweisung des Klagebegehrens beantragt.
Unbestritten blieb, daß der Beklagte pflichtversichert war.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach der Entstehungsgeschichte und der Absicht des Gesetzgebers sei die Frage, wer die Kosten der Pflege eines in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke untergebrachten Kranken zu tragen habe, in § 148 Z. 6 ASVG. endgültig in der Weise geregelt, daß die halben Kosten der (Kranken-)Versicherungsträger, die andere Hälfte dagegen der Fürsorgeträger zu leisten habe. Ein Regreßanspruch des Fürsorgeträgers gegen den Versicherten sei in diesem Fall ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und hob das erstinstanzliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Zur prozeßentscheidenden Frage führte das Berufungsgericht aus:
Während regelmäßig im Fall einer Einweisung des Erkrankten durch den Versicherungsträger dieser allein die gesamten Kosten zu tragen und der Rechtsträger der Anstalt gegen den Erkrankten keinen Anspruch auf Ersatz der Verpflegskosten habe, werde für den Fall der Unterbringung eines Erkrankten ohne Einweisung des Versicherungsträgers in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke die Sonderbestimmung des § 148 ASVG. wirksam, die normiere, daß in diesem Fall der Versicherungsträger (nur) die halben Verpflegskosten zu tragen habe; darüber, wer die zweite Hälfte der Kosten zu tragen habe, sage diese Gesetzesstelle nichts. Vielfach würden die Fürsorgeträger die Kosten zu tragen haben, doch entspringe diese Verpflichtung nicht dem § 148 Z. 6 ASVG., der darüber nichts enthalte, sondern der allgemeinen Leistungspflicht der öffentlichen Fürsorge, die subsidiärer Natur sei, d. h. die Verpflegskosten nur dann übernehmen könne, wenn der Pflegling hilfsbedürftig sei. Falls und soweit es die Vermögensverhältnisse des Befürsorgten erlaubten, müsse aber die öffentliche Fürsorge im Hinblick auf die subsidiäre Leistungspflicht vom Befürsorgten ihre Leistungen zurückfordern. Hätte dies der Gesetzgeber verhindern wollen, so hätte er es in einem entsprechenden Landesgesetz (Art. 12 Abs. 1 Z. 2 B-VG.) ausdrücklich festlegen müssen. Dies sei aber nicht geschehen. Der Versuch, aus dem Motivenbericht zu § 148 Z. 6 ASVG. im Zusammenhang mit vorangegangenen Erlässen zu den §§ 1531 ff. RVO. die Leistungspflicht der öffentlichen Fürsorge und die Unmöglichkeit, Regreßansprüche gegen den Befürsorgten zu stellen, abzuleiten, müsse schon deshalb scheitern, weil der Gesetzgeber eine Regelung nicht getroffen habe. Er hätte sie in diesem Rahmen auch nicht treffen können, weil die Bezeichnung "Grundsatzbestimmung" im § 148 ASVG. nur soweit zutreffe, als sie sich mit den Beziehungen der Versicherungsträger zu den öffentlichen Krankenanstalten beschäftige, nicht jedoch eine gar nicht normierte Leistungspflicht der öffentlichen Fürsorge betreffe (VerfGH. 28. Juni 1957, V 5/57). Daraus folge, daß die Frage der Leistungspflicht der klagenden Partei und ihres Regreßanspruches gegen den Befürsorgten nach den Vorschriften der Fürsorgepflichtverordnung zu beurteilen sei. Ob ein solcher Regreßanspruch bestehe, könne aber nicht abschließend beurteilt werden, weil der Erstrichter aus seiner gegenteiligen Rechtsansicht heraus keine Feststellungen über die Bedürftigkeit des Beklagten getroffen habe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug dem Berufungsgericht auf, über die Berufung neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im § 148 Z. 6 ASVG. ist bestimmt, daß bei Unterbringung eines Erkrankten, dem ein Anspruch auf Anstaltspflege nach § 144 ASVG. zusteht, in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke der Versicherungsträger die Kosten der Anstaltspflege in der Höhe des halben Verpflegskostensatzes der allgemeinen Gebührenklasse zu tragen hat. Wer die andere Hälfte der Kosten endgültig zu tragen hat, ist weder an dieser noch an einer anderen Gesetzesstelle gesagt. Da weder aus dem Gesetz selbst noch mit Hilfe der Analogie eine Beantwortung der Frage möglich ist, müssen andere Erkenntnisquellen über die Absicht des Gesetzgebers herangezogen werden. Unter ihnen kommt den Gesetzesmaterialien als Zeugnis für den konkreten Willen des Gesetzgebers Bedeutung bei der Auslegung zu. Die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (Nr. 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP.) lassen keinen Zweifel, daß die Sonderregelung für den Fall der Unterbringung des Erkrankten in einer öffentlichen Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke, wie sie im § 148 Z. 6 ASVG. getroffen ist, aus dem bisherigen Recht übernommen wurde. Für die Auslegung sind daher die mit dem Gegenstand korrespondierenden, früher in Geltung gestandenen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung, also insbesondere deren §§ 1531 ff., und die zu diesen Vorschriften ergangenen Erlässe heranzuziehen. Aus diesen Erlässen, und zwar dem Gemeinsamen Erlaß des ehemaligen RAM. und RMdJ. vom 5. September 1942, betreffend Beziehungen der Fürsorgeverbände zu den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bei Unterbringung von Geisteskranken, RABl. II S. 490, dem Erlaß des BMfsV. vom 3. Jänner 1949, Z. II-148.977/6/48, AN. 1949 S. 54, betreffend Unterbringung von Geisteskranken, und dem Erlaß des BMfsV. vom 30. Juli 1951, Z. II-99.137-5 (BmfI. vom 12. Juli 1951, Z. 105.034/7/50), AN. 1951 S. 315 (abgedruckt in Gehrmann - Rudolph, Sozialversicherung, Anm. 4 und 5 zu § 1531 RVO.), erhellt mit aller Deutlichkeit der Grundsatz, daß die Kosten einer solchen Unterbringung zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Fürsorgeverbänden zu teilen und daß diese Kostenteilung als Lastenausgleich zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Fürsorgeverbänden gedacht ist, um die sonst in jedem einzelnen Fall notwendige, schwierige Untersuchung der Frage zu ersparen, ob die in der Regel durch einen Amtsarzt angeordnete Unterbringung des Geisteskranken in einer derartigen Anstalt im Interesse des Kranken oder aus sicherheitspolizeilichen Gründen erfolgt ist. Der Gründerlaß vom 5. September 1942 verpflichtet zwar einerseits die Fürsorgeverbände zur halben Kostentragung, wenn ein gegen Krankheit versicherter Geisteskranker in seinem eigenen Interesse von einer anderen Stelle als dem Versicherungsträger in eine Heil- oder Pflegeanstalt eingewiesen wurde. Andererseits können aber die Fürsorgeverbände auch in den Fällen der Einweisung hilfsbedürftiger Geisteskranker aus sicherheitspolizeilichen Gründen, wenn der Hilfsbedürftige gegen Krankheit versichert war, vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Hälfte der aufgewendeten Kosten fordern. Soll dieser vom Gesetzgeber gewollte Lastenausgleich zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Fürsorgeverbänden verwirklicht werden, muß die Kostentragung eine endgültige sein. Daraus folgt aber, daß dem Fürsorgeverband ebenso wie dem Sozialversicherungsträger hinsichtlich der von ihm zu tragenden Hälfte der Kosten keine Regreßforderung nach den §§ 25 ff. FürsorgepflichtV. zusteht. Damit ist der Regreßnahme der klagenden Partei gegen den Beklagten der Boden entzogen.
Die von der klagenden Partei im Verfahren vorgetragenen Bedenken sind nicht stichhältig. Die Einleitungsbezeichnung des § 148 ASVG. als "Grundsatzbestimmung" hat nur Geltung für jene Normen, die die Beziehungen der Versicherungsträger zu den öffentlichen Krankenanstalten zum Gegenstand haben. Daß nicht nur solche Normen im § 148 ASVG. aufgenommen sind, hat bereits der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 28. Juni 1957 dargelegt. Es ist demnach vom gesetzestechnischen Standpunkt aus kein Grund zu erkennen, der den Gesetzgeber gehindert hätte, unmittelbar anwendbares Bundesrecht zu schaffen. Auch die Argumentation, daß aus der Verneinung der Regreßforderung des Sozialversicherungsträgers die Bejahung der Regreßnahme des Fürsorgeträgers zu folgern sei, greift nicht durch. Der Aufbau des Gesetzes und seiner Bestimmungen in ihrem Zusammenhalt zeigen deutlich, daß die in Rede stehende Vorschrift allein aus systematischen Gründen so eng gefaßt wurde; ihre Ergänzung, soweit sie für den Fürsorgeträger in Betracht kommt, sollte dem neu zu gestaltenden Fürsorgerecht vorbehalten bleiben. Ob sie dort in das Grundsatzgesetz oder in die Ausführungsgesetze aufgenommen wird, ist Sache des Gesetzgebers. In dem bereits erlassenen nö. Krankenanstaltengesetz (LGBl. Nr. 109/1957) war jedenfalls für sie kein Raum.
Da es keiner weiteren Feststellungen über die Bedürftigkeit des Beklagten mehr bedarf und die Sache im Sinne der Abweisung spruchreif ist, war dem Rekurs stattzugeben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Anmerkung
Z33057Schlagworte
Fürsorgeverband, Kostentragung nach § 148 Z. 6 ASVG., Kosten der Pflege in einer Nervenheilanstalt, Tragung durch den, Fürsorgeverband, Pflegekosten, Tragung durch den Fürsorgeverband nach § 148 Z. 6 ASVG.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00140.6.0513.000Dokumentnummer
JJT_19600513_OGH0002_0020OB00140_6000000_000