TE OGH 1960/5/31 2Ob97/60

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Veröffentlicht am 31.05.1960
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt Wien, vertreten durch die Landesstelle für Oberösterreich, Linz, Blumauerplatz 1, diese vertreten durch Dr. Hermann Schönfellner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1.) Johann P*****, Kraftfahrer, ***** 2.) Karl A*****, Transportunternehmer, ***** beide vertreten durch Dr. Oskar Koss und Dr. Hermann Eiselsberg, Rechtsanwälte in Wels, wegen 3.814,76 S samt Anhang und Feststellung (Streitwert 5.000 S) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 19. Jänner 1960, GZ 1 R 27/60-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 25. November 1959, GZ 3 Cg 60/59-16, in der Hauptsache bestätigt und im Kostenpunkt abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 643,82 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 2.10.1957 ist es, wie feststeht, bei der Straßeneinmündung der Weinberger Bezirksstraße in die Wallerner Landesstraße im Ortsgebiet von Hörstorf zu einem Verkehrsunfall gekommen, bei dem der bei der klagenden Partei sozialversicherte August K***** tödlich verunglückt ist. Er ist mit seinem Moped aus der Weinbergerstraße nach links in Richtung Eferding in die Wallernerstraße eingebogen und ist von dem in der Wallernerstraße fahrenden, vom Erstbeklagten gelenkten und dem Zweitbeklagten gehörigen LKW erfasst und niedergestoßen worden. Die beiden Straßen sind gleichrangig, sodass der von rechts kommende K***** den Vorrang hatte. Die klagende Partei hat für die Witwe Leistungen erbracht. Sie hat mit der vorliegenden Klage unter Annahme eines 50 %igen Mitverschuldens des Verunglückten Ersatz für das geleistete Sterbegeld von 1.199,77 S und für die monatlichen Rentenzahlungen von 241,30 S bis einschließlich 31.3.1959 von 4.560,56 S, somit insgesamt 5.760,33 S begehrt. Außerdem hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beklagten verpflichtet seien, der klagenden Partei unter Berücksichtigung eines 50 %igen Mitverschuldens des Verunglückten Ersatz für den in Zukunft entstehenden Aufwand für die Witwe zu leisten.

Die Beklagten haben eingewendet, dass der Erstbeklagte vom Strafgericht in zweiter Instanz freigesprochen worden und der Unfall auf das alleinige Verschulden des Verunglückten zurückzuführen sei. Dieser habe beim Heranfahren an die Straßeneinmündung seine Geschwindigkeit herabgesetzt und damit zu erkennen gegeben, dass er auf seinen Vorrang verzichte.

Das Erstgericht hat das Verschulden im Verhältnis 2 : 1 zum Nachteil des Verunglückten aufgeteilt und die beiden Beklagten schuldig erkannt, der klagenden Partei 3.814,76 S zu ersetzen, das sind 799,85 S an Sterbegeld und 3.014,91 S an Rentenleistungen. Dem Feststellungsbegehren ist im Sinne der Verschuldensaufteilung stattgegeben worden. Das Erstgericht ist von der Vorrangregel des § 17 Abs 4 StPolG ausgegangen und hat die Verletzung dieser Verkehrsvorschrift durch den Erstbeklagten angenommen. Der Verunglückte habe nicht eindeutig zu erkennen gegeben, dass er auf den ihm zustehenden Vorrang verzichte. Der Erstbeklagte hätte daher seine Fahrweise danach einrichten müssen.

Die Beklagten haben in ihrer Berufung gegen dieses Urteil den Antrag gestellt, das erstgerichtliche Urteil im Sinne einer vollständigen Klagsabweisung abzuändern.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der Beklagten in der Hauptsache nicht, im Kostenpunkt teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil nur in der Kostenentscheidung abgeändert.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie machen die Revisionsgründe nach § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO geltend und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren ganz abgewiesen werde.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht gemäß § 500 Abs 2 ZPO ausgesprochen hat, dass der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Sie ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Die Beklagten machen mit dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens einen Feststellungsmangel in der Richtung geltend, dass das Berufungsgericht es unterlassen habe, die für die rechtliche Beurteilung der Sache wesentlichen Umstände festzustellen. Es wäre klarzustellen gewesen, aus welcher Entfernung der Erstbeklagte die Absicht des Verunglückten, in die Wallernerstraße einzubiegen, erkennen konnte. Dieser Mangel wäre richtig mit der Rechtsrüge geltend zu machen gewesen und wird auch im Zusammenhang damit behandelt werden.

Einen Verfahrensmangel und eine Aktenwidrigkeit erblicken die Beklagten darin, dass das Berufungsgericht den Standpunkt eingenommen habe, die Berufung sei nicht entsprechend ausgeführt worden, weil nicht erkennbar sei, welches Abweichen des Erstgerichtes vom Sachverständigengutachten gerügt werde. In der Berufung sei aber darauf hingewiesen worden, dass es Sinn der Beiziehung eines Sachverständigen sei, zu hören, welche Übung der Verkehr einhält. Damit sei deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass der Teil des Gutachtens gemeint gewesen sei, in welchem der Sachverständige seine Meinung dahin geäußert habe, dass im Verhalten des Erstbeklagten ein fahrtechnischer Fehler nicht gelegen sei.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig.

Die Berufung ist tatsächlich in dieser Hinsicht nicht so klar gefasst, dass man daraus unbedingt schließen musste, die Beklagten hätten damit auf die vom Sachverständigen erwähnte Übung im Verkehr Bezug genommen. Jedenfalls ist aber eine ins Gewicht fallende Aktenwidrigkeit darin nicht gelegen. Die Frage, inwieweit die sogenannte Rechtsregel durch eine im Verkehr bestehende Übung außer Wirksamkeit gesetzt werde, ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beantworten ist. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof wiederholt den Standpunkt eingenommen, dass eine bloße Übung im Verkehr nicht geeignet sei, eine so wichtige Verkehrsregel außer Wirksamkeit zu setzen (siehe auch ZVR 1959, Nr 161 ua). Damit ist auch die von den Beklagten in dieser Hinsicht erhobene Rechtsrüge erledigt. Die Grundregel ist die Rechtsregel und nicht die Übung im Verkehr, wie die Beklagten meinen. Auch aus der Vorschrift des § 7 StPolG kann für die Beklagten nichts gewonnen werden, weil diese Bestimmung auch für den Erstbeklagten gilt. Dieser ist nach dem festgestellten Sachverhalt zwischen zwei, wenn auch in einem größeren Abstand, hintereinanderfahrenden Mopeds durchgefahren. Das erste Moped hat die Fahrbahn übersetzt, als der Erstbeklagte mit seinem LKW 30 m von der Straßeneinmündung entfernt war. Kurz darauf, als er 21 m von der Einmündung der Seitenstraße entfernt war, war bereits der Verunglückte mit seinem Moped so nahe herangekommen, dass er dessen Absicht, in die Wallernerstraße einzubiegen, erkennen konnte und musste. Die Weinbergerstraße ist auch keine unbedeutende Seitenstraße oder ein Feld- oder Schotterweg, wie es die Beklagten darzustellen versuchen, sondern sie ist eine Bezirksstraße und gewalzte Schotterstraße von mehreren Metern Breite, die in einem 20 m breiten Trichter in die Wallernerstraße mündet und daher schon von weitem erkennbar ist. Es ist daher auch die von den Beklagten zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 306/59, veröffentlicht in ZVR 1960, Nr 1, hier nicht anzuwenden, weil es sich dort um die Einmündung eines unbedeutenden Feldweges gehandelt hat. Soweit die Beklagten davon ausgehen, dass es sich bei der Weinberger Bezirksstraße um einen unbedeutenden Schotterweg gehandelt hat, verlassen sie die Feststellungen der Untergerichte. In dieser Hinsicht ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt. In rechtlicher Hinsicht ist von den Feststellungen der Untergerichte auszugehen. Der Erstbeklagte hätte einen Verzicht des Verunglückten auf seinen Vorrang nur dann annehmen dürfen, wenn dieser sein Fahrzeug angehalten oder sonst durch ein unmissverständliches deutliches Zeichen oder Verhalten zum Ausdruck gebracht hätte, dass er von seinem Vorrang keinen Gebrauch machen wolle. Diese Auffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (ZVR 1956, Nr 50, ZVR 1958, Nr 3, ZVR 1960, Nr 40 und ZVR 1960, Nr 149).

Aus dem Umstand allein, dass der Verunglückte beim Herannahen an die Wallernerstraße seine Geschwindigkeit herabgemindert hat, durfte der Erstbeklagte umsoweniger auf einen Vorrangverzicht schließen, weil der Verunglückte dadurch, dass er in der trichterförmigen Einmündung von dem in der Mitte stehenden Wegweiser und Begrenzungsstein links gefahren ist, deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er nach links in die Wallernerstraße einbiegen wolle. Um dieses Manöver auszuführen, war es allein schon notwendig, die Geschwindigkeit herabzumindern. Was nun die Entfernung betrifft, aus der der Erstbeklagte die Absicht des Verunglückten erkennen hätte können und müssen, dass dieser seinen Vorrang in Anspruch nehme und seine Fahrt fortsetze, so ist von der Feststellung des Erstgerichtes auszugehen, dass der Erstbeklagte noch 21 m entfernt war, als er dies hätte erkennen können. Diese Feststellung steht mit den übrigen tatsächlichen Annahmen des Erstgerichtes nicht im Widerspruch und bedarf daher keiner weiteren Erklärung, wie sie das Berufungsgericht für notwendig erachtete. Damit ist nur gesagt, dass der Erstbeklagte aus dieser Entfernung die Absicht des Verunglückten erkennen hätte können und müssen. Da es sich um einen fließenden Verkehr gehandelt hat und beide Fahrzeuge in Bewegung waren, erscheint die Annahme des Erstgerichtes keineswegs mit der erstgenannten Feststellung im Widerspruch, der Verunglückte hätte "im letzten Augenblick" oder "noch wenige Meter" vor dem LKW die Straße zu überqueren versucht. Die Fahrzeuge sind eben immer näher aufeinander zugekommen. Gerade aus der Tatsache, dass der Verunglückte nicht stehengeblieben ist, hätte der Erstbeklagte erkennen müssen, dass der Verunglückte auf seinem Vorrang beharre. Er hätte sich dieser Straßeneinmündung überhaupt in Bremsbereitschaft nähern müssen, zumal er schon aus größerer Entfernung wahrnehmen konnte, dass sich zwei einspurige Fahrzeuge von rechts nähern. Mit Rücksicht darauf ist auch dem Erstbeklagten keine verlängerte Reaktionszeit zuzubilligen. Es kann dem Verunglückten nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er den linken Arm dieser trichterförmigen Straßeneinmündung benützt hat. Damit hat er eindeutig zu erkennen gegeben, dass er in die Wallernerstraße nach links einzubiegen beabsichtige. Von einem Alleinverschulden des Verunglückten kann daher nicht die Rede sein. Nach dem festgestellten Sachverhalt erscheint die von den Untergerichten vorgenommene Verschuldensaufteilung gerechtfertigt. Der Höhe nach ist eine Anfechtung unterblieben, sodass von den festgestellten Schadensbeträgen auszugehen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO, wobei der Streitwert mit 3.814,76 S und 5.000 S zusammen mit 8.814,76 S anzunehmen war.

Anmerkung

E75747 2Ob97.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00097.6.0531.000

Dokumentnummer

JJT_19600531_OGH0002_0020OB00097_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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