Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hohenecker als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gitschthaler und Dr. Stanzl sowie die Beisitzer Dr. Leitich und Hala als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter B*****, Schlossergeselle, ***** vertreten durch Dr. Richard Fuchs, Dr. Gustav Teicht, Rechtsanwälte in Wien VII., wider die beklagte Partei Franz K*****, Schlossermeister, ***** vertreten durch Dr. Karl Dänemark, Rechtsanwalt in Wien I., wegen 1.013 S 76 g, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 28. Jänner 1960, GZ 44 Cg 16/60-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Wien vom 28. Oktober 1959, GZ 5 Cr 271/59-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass jenes der ersten Instanz wiederhergestellt wird. Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 291 S 68 g bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 391 S 53 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim Beklagten seit 1. 8. 1955 als Lehrling und seit 2. 2. 1959 als Schlossergehilfe beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete am 25 .6. 1959. Der Kläger verlangt Urlaubsabfindung im Betrag von 1.013 S 76 g.
Der Beklagte beantragt Abweisung dieses Begehrens, weil der Kläger ohne wichtigen Grund vorzeitig ausgetreten sei (§ 9 AUrlG. 1959) und weil der Kläger überdies bei Dienstaustritt auf weitere Ansprüche verzichtet habe.
Das Erstgericht verurteilte. Es stellte fest:
Der Kläger hat am 25. 6. 1959 zusammen mit dem Lehrling S***** in der rückwärtigen Werkstatt einen Fußabstreifrahmen geschweißt. Die beiden lachten dabei, als gerade der Beklagte hinzukam. Der Beklagte beanstandete das Lachen, aber auch die Arbeit des Klägers. Dieser nahm den Rahmen, ging dem Beklagten voraus in die vordere Werkstatt und warf den Rahmen auf eine Richtplatte. Zu dem hinter ihm gehenden schimpfenden Beklagten sagte er: "Na, ist schon gut". Darauf sagte der Beklagte: "Du bist bei uns nicht geboren und wirst bei uns auch nicht sterben". Der Beklagte hat noch hinzugefügt: "Wenn Dir was nicht passt, so geh." Auf die Frage des Klägers, ob er dies als Entlassung betrachten könne, erwiderte der Beklagte, der Kläger könne schon gehen. Darauf hat sich der Kläger angezogen und den Betrieb verlassen.
Am nächsten Tag erhielt der Kläger laut Lohnsäckchen einen Betrag von 167 S 20 g und unterfertigte auf dem Lohnkontoblatt eine Erklärung, dass er bei Austritt aus der Beschäftigung seinen Lohn richtig erhalten habe.
Diesen Feststellungen folgte das Erstgericht wegen des glaubwürdigen Eindrucks der Parteiaussage des Klägers. Der Beklagte hatte ausgesagt, er habe zum Kläger nicht gesagt, wenn ihm etwas nicht passe, könne er gehen, der Kläger habe vielmehr auf die Äußerung des Beklagten, der Kläger sei bei ihm nicht geboren und werde hier auch nicht sterben, erwidert: "Also, da kann ich ja gehen", worauf der Beklagte gesagt habe: "Ich kann Dich nicht halten". Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass der Kläger vom Beklagten - selbst wenn man dessen Darstellung folge - entlassen worden sei. Er habe auch nicht auf den erhobenen Anspruch verzichtet.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es gelangte im Wesentlichen zu denselben Feststellungen wie das Erstgericht. Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes über die Lösung des Dienstverhältnisses folgte es allerdings der "infolge der Art der Darstellung glaubwürdigeren Parteiaussage des Beklagten" und vermeinte, im Verhalten des Beklagten keine Entlassung, sondern vielmehr in den Worten "Ich kann Dich nicht halten" nur das Einverständnis des Beklagten zur Auflösung des Dienstverhältnisses erblicken zu können. Diese Frage sei aber für die rechtliche Beurteilung ohne Bedeutung, da ja der Kläger am 26. 6. 1959, also einen Tag nach Lösung des Dienstverhältnisses, auf dem Lohnkontoblatt bestätigt habe, bei Austritt aus der Beschäftigung seinen Lohn richtig erhalten zu haben. Auf Grund der Parteiaussage des Beklagten stehe noch fest, dass der Beklagte am Tage nach der Dienstauflösung, als der Kläger um Geld und Papiere gekommen sei, diesem mitgeteilt habe, dass der Kläger wegen der Arbeitsniederlegung aller Ansprüche verlustig gegangen sei. Die Entfertigungsklausel müsse im Sinn der Entscheidung 18. 5. 1954, 4 Ob 29/54, Arb. 5990, als Verzicht auf weitere Ansprüche aufgefasst werden. Im gegenständlichen Fall komme noch dazu, dass ja der Beklagte bei Auszahlung des Lohnrestes dem Kläger noch ausdrücklich bekundet habe, dass er wegen der Arbeitsniederlegung aller Ansprüche verlustig gegangen sei. Wenn auch der Kläger eingewendet habe, dass er der Meinung gewesen sei, dass sich seine Unterschrift nur auf den Erhalt des Restlohnes beziehe, so sei dies ohne Belang. Ein Irrtum nach § 871 ABGB. sei nämlich nur dann von Bedeutung, wenn er vom Beklagten veranlasst worden wäre, diesem nach den Umständen hätte auffallen müssen oder noch rechtzeitig aufgeklärt worden wäre. Keine dieser Voraussetzungen treffe zu.
Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision und beantragt, es dahin abzuändern, dass jenes der ersten Instanz wiederhergestellt werde.
Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist begründet.
Auf die Frage, ob die Unterschrift des Klägers unter die formularmäßige Erklärung auf dem Lohnkontoblatt "Ich habe bei Austritt aus der Beschäftigung meinen Lohn richtig erhalten" auch einen Verzicht auf die Urlaubsabfindung ergebe, braucht nicht eingegangen zu werden, weil der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes in einer anderen Beziehung nicht gefolgt werden kann und weil bereits diese Richtigstellung zum Erfolg der Klage führen muss. Hierauf hat der Oberste Gerichtshof auch ohne ausdrückliche Ausführung der Rechtsrüge durch den Kläger in dieser Richtung einzugehen, weil die rechtliche Beurteilung dann, wenn die Rechtsrüge in der Revision überhaupt erhoben wird, in allen in Betracht kommenden Richtungen nachzuprüfen ist.
Das Berufungsgericht hat nämlich festgestellt, dass der Beklagte am Tage nach der Dienstauflösung, als der Kläger um Geld und Papiere gekommen sei, diesem mitgeteilt habe, dass er wegen der Arbeitsniederlegung aller Ansprüche verlustig gegangen sei. Geht man von dieser Feststellung aus, so kann die Meinung des Berufungsgerichts, dass ein nach § 871 ABGB. erheblicher Irrtum des Klägers nicht in Betracht komme, nicht geteilt werden. Die Mitteilung des Beklagten, dass infolge der Arbeitsniederlegung der Kläger aller Ansprüche verlustig gegangen sei, war hinsichtlich der Urlaubsabfindung sachlich unrichtig, weil - wie nunmehr feststeht - das Dienstverhältnis einverständlich aufgelöst wurde und daher der Anspruch auf Urlaubsabfindung nicht gemäß § 9 AUrlG. 1959 verloren ging. Soweit sich daher die Verzichterklärung auch auf die Urlaubsabfindung beziehen sollte, steht der Berufung des Beklagten darauf entgegen, dass er über den Bestand des Anspruchs auf Urlaubsabfindung dem Kläger bei Abgabe der Verzichterklärung eine sachlich unrichtige Mitteilung machte, woraus folgt, dass er einen Irrtum des Klägers über die Tragweite seiner Verzichterklärung insoweit veranlasst hätte. Schon aus dieser Erwägung kann in der Entfertigungserklärung im vorliegenden Fall ein rechtsbeständiger Verzicht auf die Urlaubsabfindung nicht erblickt werden. Der in der Revisionsbeantwortung vom Beklagten vorgetragenen Auffassung, dass dann, wenn der vom Kläger abgegebene schriftliche Verzicht nicht anerkannt werden sollte, noch in tatsächlicher Beziehung die Frage untersucht werden müsse, wie das Dienstverhältnis aufgelöst worden sei, trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat - ohnedies der Parteienaussage des Beklagten folgend - festgestellt, dass der Beklagte zum Kläger sagte, er sei hier nicht geboren und werde hier auch nicht sterben, worauf der Kläger erwiderte, "Also, da kann ich ja gehen", was wieder zur Äußerung des Beklagten führte "Ich kann Dich nicht halten". Wenn nun das Berufungsgericht diesen Sachverhalt rechtlich dahin beurteilte, dass damit das Dienstverhältnis einverständlich aufgelöst worden sei, so ist dies richtig. Die festgestellten Äußerungen der Parteien können in ihrem Sinnzusammenhang nur dahin verstanden werden, dass sich beide Parteien dahin einig gewesen sind, dass das Dienstverhältnis beendet werden sollte. Einer ausdrücklichen Erklärung des Beklagten bedurfte es nicht; es genügt, dass seine Äußerung, die im Rahmen der damals bestandenen und festgestellten Sachlage verstanden werden muss, den Willen auf einverständliche Auflösung des Dienstverhältnisses ergibt. Inwiefern daher das Verfahren des Berufungsgerichtes mangelhaft oder ergänzungsbedürftig wäre, vermag der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung nicht klar zu machen.
Der Revision war daher in der Weise Folge zu geben, dass gemäß dem Ersturteil der Beklagte zur Zahlung der Urlaubsabfindung verurteilt wurde.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E76816 4Ob78.60European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0040OB00078.6.0621.000Dokumentnummer
JJT_19600621_OGH0002_0040OB00078_6000000_000