TE OGH 1960/7/8 2Ob172/60 (2Ob173/60)

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Veröffentlicht am 08.07.1960
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in Wien I, Wipplingerstraße 28, vertreten durch Dr. Robert Amhof, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Josef St*****, vertreten durch Dr. Otto Philp, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher S 140,-- sA bzw S 1.039,88 sA, infolge I) Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1960, GZ 3 R 43/60-19/1, womit infolge Berufung der klagenden und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9. November 1959, GZ 29 Cg 113/59-12, teilweise abgeändert wurde; II) Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des genannten Berufungsgerichtes vom 24. Februar 1960, GZ 3 R 43/60-19/2, womit das bezeichnete Ersturteil teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I) als Revisionsgericht zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 138,61 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen;

II) den Beschluss gefasst:

Dem Rekurse wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss (Punkt 2 der Entscheidung des Berufungsgerichtes ON 19) aufgehoben und dem Berufungsgerichte aufgetragen, über die Berufung pcto S 1.054,86 sA neuerlich zu entscheiden.

Die Rekurskosten sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der Klägerin pflichtversicherte Michael H***** hat am 11. 5. 1957 in Wien als Fußgänger einen Verkehrsunfall erlitten. In dritter Instanz ist unbestritten, dass der Beklagte dem Verletzten im Verhältnisse von 3 : 1 (zu Lasten des Beklagten) ersatzpflichtig ist, weil er als Lenker eines Personenkraftwagens den Unfall des Fußgängers schuldhaft herbeigeführt hat, wobei ein eigenes Verschulden des Verletzten (im Ausmaß von 25 %) anzunehmen ist. Die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin hat gegenüber dem Verletzten Pflichtleistungen aus der Krankenversicherung erbracht und begehrt nunmehr deren Ersatz vom Beklagten auf Grund der Legalzession des § 332 ASVG.

Das Erstgericht hat der Klägerin S 3.403,86 sA zuerkannt und deren Mehrbegehren pcto S 10.297,-- abgewiesen. Gegen das Ersturteil haben beide Teile Berufung erhoben. Die Klägerin suchte damit den Zuspruch weiterer S 10.297,-- sA zu erreichen, während der Beklagte die Verurteilung zur Zahlung von S 1.496 konzedierte, den Mehrzuspruch von S 1.907,86 aber bekämpfte.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der Klägerin nicht Folge gegeben, der Berufung des Beklagten aber teilweise. Mit Teilurteil (ON 19, Punkt 1) wurde der Beklagte schuldig erkannt, der Klägerin insgesamt S 2.244,-- sA zu bezahlen, das Mehrbegehren pcto S 10.402,-- sA aber abgewiesen. Hinsichtlich des Zuspruchs weiterer S 1054,86 sA sowie im Kostenausspruche wurde das Ersturteil aufgehoben und die Rechtssache im Umfange dieser Aufhebung an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Zugleich hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass das Verfahren in erster Instanz erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses (ON 19, Punkt 2) fortzusetzen sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richten sich:

1) die Revision der Klägerin, worin das Teilurteil der zweiten Instanz hinsichtlich der Abweisung des Teilbegehrens von S 140,-- sA angefochten wird. Die Klägerin macht die Revisionsgründe des § 503 Z 2 und 4 ZPO geltend und beantragt, ihr in Abänderung des Urteils der zweiten Instanz den weiteren Betrag von S 140,-- sA zuzuerkennen; hilfsweise beantragt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückverweisung der Sache an "eine der beiden Vorinstanzen" (das Revisionsbegehren ist insoferne nicht ganz schlüssig, weil sich der Teilbetrag von S 441,-- im angefochtenen Urteil daraus ergibt, dass der Klägerin von S 588,-- 3/4 zuerkannt wurden; die erwähnten S 588,-- bedeuten aber nach der Entscheidung der zweiten Instanz die Differenz zwischen S 728,-- und den S 140,--, deren Nichtzuspruch die Klägerin - ohne Rücksicht auf diese Berechnung - rügt);

2) der Rekurs der Klägerin, worin sie beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Beklagte zur Zahlung weiterer S 1.039,88 sA an die Klägerin verurteilt werde, bzw sei dem Berufungsgerichte die Entscheidung in diesem Sinne aufzutragen. Der Beklagte hat die Revision seiner Gegnerin bekämpft und beantragt, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist schon deswegen zulässig, weil sich die Rechtsmittelbeschränkung des § 502 Abs 3 ZPO nur auf ein vollständig bestätigendes Urteil der zweiten Instanz bezieht (vgl JB Nr 56 neu); der Rekurs aber ist gemäß § 519 Z 3 ZPO zulässig. Der primär gestellte Rekursantrag ist prozessual verfehlt, weil der Oberste Gerichtshof im Rekursverfahren nicht mit Sachentscheidung in Urteilsform vorzugehen hat; der meritorischen Erledigung des Rekurses steht dies aber nicht entgegen, weil der hilfsweise formulierte Rekursantrag den Standpunkt der Klägerin eindeutig erkennen lässt, dass nämlich die Sache auch hinsichtlich des Punktums laut Beschluss der zweiten Instanz im Sinne ihres Begehrens spruchreif sei. zu 1):

Die Revision ist nicht begründet.

Unter dem Revisionsgrunde des § 503 Z 2 ZPO werden Feststellungsmängel gerügt. Das Vorbringen, wodurch diese Mängel begründet werden sollen, findet aber im Prozessvorbringen der Klägerin vor dem Erstgerichte keine Grundlage, worauf der Revisionsgegner zutreffend hingewiesen hat. Bei dem Neuerungsverbote im Rechtsmittelverfahren gemäß den §§ 513, 482 ZPO darf auf das neue Vorbringen nicht Bedacht genommen werden. Im Einzelnen ist dazu folgendes zu bemerken:

Gegenstand der Revision ist bloß die Frage, ob der vom Berufungsgerichte vorgenommene Abzug von S 140,-- für Haushaltsersparnis des Geschädigten (nämlich S 10,-- für 14 Tage Spitalspflege die vom 11. 5. bis 24. 5. 1957) beim Zuspruch der Spitalspflegekosten begründet sei. Das Berufungsgericht hat diesen Abzug damit begründet, dass der von der Klägerin geforderte Betrag von S 52,-- täglich an Spitalspflegekosten kein Pauschalbetrag im Sinne der Bestimmungen der §§ 332 Abs 4 und 328 ASVG sei, so dass insoweit der Grundsatz, dass der Sozialversicherungsträger auf Grund der Legalzession nur im Rahmen des Deckungsfonds Ersatz verlangen könne, uneingeschränkt Anwendung finde; für den Verletzten hätte es aber einen ungerechtfertigten Vorteil bedeutet, wenn er die vollen Spitalspflegekosten ersetzt erhalten hätte, ohne sich die während dieser Zeit gemachte Haushaltsersparnis anrechnen lassen zu müssen. Diese Ansicht des Berufungsgerichtes wird in der Rechtsrüge der Klägerin bekämpft; dazu ist später Stellung zu nehmen. Unter dem Gesichtspunkte der in der Revision erhobenen Mängelrüge ist aber an dieser Stelle zu bemerken, dass die Klägerin vor dem Erstgericht in keiner Weise auf einen vom Verletzten gegen den Beklagten direkt erhobenen Schadenersatzanspruch hingewiesen hat; die Klägerin hat im bisherigen Verfahren auch niemals geltend gemacht, dass dem Verletzten ohne Inanspruchnahme der Sozialversicherung höhere Spitalspflegekosten als S 52,-- täglich aufgelaufen wären; insbesondere hat die Klägerin vor dem Erstgerichte keine Behauptung in dieser Richtung aufgestellt, obwohl der Beklagte (S 9) vorgebracht hatte, dass sich die Klägerin als Legalzessionarin die Haushaltsersparnis des Verletzten in der Höhe von S 20,-- täglich auf die verlangten Spitalspflegekosten anrechnen lassen müsse. Demnach ist es der Klägerin verwehrt, nunmehr im Revisionsverfahren Umstände vorzubringen, die eine neue Einrede gegenüber den Einwendungen des Beklagten darstellen.

In der Rechtsrüge (§ 503 Z 4 ZPO) bekämpft die Revisionswerberin die oben dargestellte Beurteilung des Berufungsgerichtes; der Betrag von S 52,-- täglich als Spitalspflegekosten gebühre der Klägerin unter dem Gesichtspunkte der Pauschalabgeltung ungekürzt. Die Revisionsausführungen sind aber nicht geeignet, die Beurteilung des Berufungsgerichtes zu diesem Punkte zu widerlegen. Denn - zum Unterschied von der Rechtslage nach der RVO - ist eine Pauschalvergütung im ASVG, das hier anzuwenden ist, nur hinsichtlich der Kosten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankenbehandlung vorgesehen (§§ 332 Abs 4, 328 und 133 bis 137 ASVG). Die eindeutige Systematik des Gesetzes lässt keine andere Auslegung zu. Die Regelung des § 1542 Abs 2 RVO in Verbindung mit § 1524 RVO ist eben in das ASVG nicht vollständig übernommen worden. Für die von der Revision geltend gemachte Analogie ist kein Raum, da bei den Ansprüchen nach der Legalzession des § 332 ASVG vom Grundsatz der kongruenten und zeitlichen Deckung nur insoweit abgegangen werden darf, als das Gesetz selbst eine Ausnahme statuiert. Dies ist aber hinsichtlich der zur Erörterung stehenden Spitalspflegekosten nach den bezogenen Bestimmungen nicht der Fall. Zutreffend hat der Revisionsgegner darauf verwiesen, dass zwischen der Frage der Anwendung der Pauschalvergütung nach § 328 ASVG gemäß der Regelung des § 332 Abs 4 ASVG und der Frage zu unterscheiden sei, in welcher Höhe der Versicherungsträger Leistungen einer öffentlichen Krankenanstalt für den Sozialversicherten zu vergüten habe (vgl § 148 ASVG). Maßgebend für die Erledigung ist eben die Vorschrift des § 332 Abs 4 ASVG, worin aber nur die entsprechende Anwendung des § 328 ASVG (eine Vorschrift innerhalb der Regelung der Beziehungen der Versicherungsträger zu den Fürsorgeträgern) vorgesehen ist. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichtes, von der abzugehen die Revisionsausführungen keine Veranlassung geben, dass sich der Versicherungsträger - abgesehen von einer, vorliegendenfalls nach § 328 ASVG nicht gegebenen, Pauschalierung - die infolge des Spitalsaufenthalts ersparten Kosten des Beschädigten in seiner Haushaltsführung anrechnen lassen muss (vgl zB 3 Ob 12/55 vom 2. 2. 1955, SZ XXVIII 28; 2 Ob 259/58 vom 17. 9. 1958, ZVR 1959, Spruchbeilage Nr 30; 2 Ob 270, 271/59 vom 18. 3. 1960); der Hinweis der Revision auf 2 Ob 178/57 vom 2. 4. 1957, ZVR 1957, Spruchbeilage Nr 185, und auf 2 Ob 475/57 vom 20. 11. 1957, ZVR 1958, Spruchbeilage Nr 46, greift nicht durch, weil in dem zur Entscheidung stehenden Falle ein Pauschalbetrag hinsichtlich der Spitalspflegekosten nach § 332 ASVG nicht vorgesehen ist. Die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) ist demnach nicht gegeben. Aus diesen Erwägungen war der Revision der Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens (auf der Grundlage von S 140,--; darüber ist in dritter Instanz abschließend entschieden worden) gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. zu 2):

Dem Rekurse der Klägerin kann aus den nachstehenden Gründen die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Es trifft nämlich zwar hinsichtlich der Krankenbehandlungskosten im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes zu, dass sich die Pauschalierung nur auf die Kosten einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Krankenbehandlung im Sinne der §§ 133 bis 137 ASVG bezieht (vgl § 328 ASVG, der zufolge § 332 Abs 4 ASVG entsprechend anzuwenden ist). Das Berufungsgericht ist aber über den Prozessstandpunkt des Beklagten hinausgegangen, wenn es das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtet hat, damit festgestellt werde, ob und inwieweit es sich um eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankenbehandlung gehandelt habe. Dieser Verfahrensergänzung bedarf es nach der Aktenlage nicht. Der Beklagte hat sich doch im gesamten bisherigen Verfahren nur deswegen gegen die in Betracht kommende Quote des Klagsteilbetrags von S 3.706,50 (im Berufungsverfahren hat er rechnungsmäßig S 2.300,-- konzediert) gewendet, weil der Pauschalbetrag in einem auffallenden Missverhältnis zu den tatsächlich erbrachten Leistungen stehe; es liege eine missbräuchliche Rechtsausübung der Klägerin in dieser Hinsicht vor (S 10 und 49 der Prozessakten). Beide Vorinstanzen sind dieser Auffassung des Beklagten nicht gefolgt (vgl die Ausführungen des Berufungsgerichtes auf S 116 f. der Prozessakten). Damit war aber die Sache schon nach dem Standpunkte des Beklagten spruchreif. Die amtswegige weitere Prüfung der Frage der Pauschalierung im Sinne der Darlegungen des Berufungsgerichtes muss aber auch deswegen abgelehnt werden, weil - worauf die Rekurswerberin mit Recht hinweist - unbestritten ist, dass der Verletzte in der gesamten in Betracht kommenden Zeit Krankengeld bezogen hat. Nun gebührt aber gemäß den §§ 117 Z 2 und 138 ff ASVG Krankengeld aus dem Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit. Aus der Gewährung von Krankengeld muss also vorliegendenfalls mangels jedweder Bestreitung des Beklagten in dieser Richtung abgeleitet werden, dass die Krankenbehandlungskosten, deren Ersatz begehrt wird, in den Rahmen der nach § 328 ASVG (vgl § 332 Abs 4 ASVG) pauschalierten Kosten fallen. Der vom Berufungsgerichte aufgetragenen Verfahrensergänzung bedarf es also nicht, vielmehr ist die Sache im Sinne des Standpunktes der Rekurswerberin spruchreif.

Somit war dem Rekurse Folge zu geben und wie zu II) des Spruches zu erkennen.

Der Vorbehalt hinsichtlich der Rekurskosten gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E75300 2Ob172.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00172.6.0708.000

Dokumentnummer

JJT_19600708_OGH0002_0020OB00172_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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