TE OGH 1960/9/9 2Ob297/60

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Veröffentlicht am 09.09.1960
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Rat des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Bauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann C*****, Rauchfangkehrergeselle, *****, vertreten durch Dr. Eugen Pußwald, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stefan Cs*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Max Preissecker, Rechtsanwalt in Wien, wegen restlicher 17.290 S, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11. Mai 1960, GZ 3 R 140/60-37, womit infolge Berufungen beider Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 1959, GZ 21 Cg 87/59-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 807,08 S bestimmten Kosten des Revisonsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist, wie feststeht, am 5. 9. 1958 vom Beklagten, der den ihm gehörigen PKW lenkte, bei der Haltestelle der Linie 31 der Straßenbahn am Brigittaplatz niedergestoßen und schwer verletzt worden. Er hatte den Straßenbahnzug verlassen und war im Begriffe, die Straße zum Gehsteig zu überqueren.

Der Beklagte ist vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden.

Der Kläger hat folgende Schadenersatzansprüche geltend gemacht:

Sachschaden von 810 S, Verdienstentgang von 11.791,76 S, Schmerzengeld von 9.350 S, Ersatz für den Verlust der Sehfähigkeit des linken Auges 30.000 S und für die Verkürzung des Beines 20.000 S, insgesamt 71.951,76 S. Weiters hat er die Feststellung begehrt, dass er für die Zeit vom Dezember 1959 bis Juni 1960 einen Verdienstentgang von monatlich 804 S haben werde und eine dauernde Erwerbsverminderung von 30 % eingetreten sei.

Der Beklagte hat das überwiegende Mitverschulden des Klägers mit der Begründung eingewendet, dass der Kläger plötzlich, nachdem der Straßenbahnzug schon längere Zeit stand und kein Personenverkehr mehr stattfand, im betrunkenen Zustand den Straßenbahnzug verlassen habe und, ohne sich um den Verkehr zu kümmern, in den PKW hineingelaufen sei.

Das Erstgericht hat eine Verschuldensaufteilung im Verhältnis 1:1 vorgenommen und dem Kläger an Sachschaden 290 S (die Hälfte von 580 S), an Schmerzengeld 7.000 S (die Hälfte von 14.000 S) und für seelische Schmerzen zufolge der Verkürzung des rechten Beines und des Verlustes der Sehkraft des linken Auges 15.000 S, somit insgesamt 22.290 S zugesprochen. Das Mehrbegehren von 49.661,76 S und das Feststellungsbegehren, letzteres mangels eines geltend gemachten rechtlichen Interesses, ist abgewiesen worden.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien berufen. Der Beklagte hat beantragt, das erstgerichtliche Urteil dahin abzuändern, dass er dem Kläger lediglich 4.965 S zu bezahlen habe. Der Kläger hat die Abänderung des angefochtenen Urteiles in der Richtung begehrt, dass seinem Klagebegehren in vollem Umfang stattgegeben werde. Beide Parteien haben hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteiles und die Zurückweisung der Sache an das Erstgericht beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten wegen der nach § 405 ZPO geltend gemachten Nichtigkeit verworfen und im Übrigen nur der Berufung des Beklagten teilweise Folge gegeben. Es hat das angefochtene Urteil bezüglich der Abweisung des Feststellungsbegehrens bestätigt, bezüglich des Leistungsbegehrens dahin abgeändert, dass der Beklagte schuldig sei, dem Kläger 17.290 S (statt 22.290 S) zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 54.661,76 S ist abgewiesen worden.

Das Berufungsgericht hat ein Schmerzengeld von 35.000 S für angemessen erachtet, indem es alle unter diesem Titel geltend gemachten Ansprüche des Klägers zusammengefasst hat. Von diesem Betrag hat es dem Kläger unter Annahme seines Mitverschuldens zur Hälfte 17.000 S und die Hälfte des Sachschadens, ds 290 S insgesamt somit 17.290 S zugesprochen. Es hat die Verschuldensaufteilung des Erstgerichtes und auch dessen Rechtsauffassung gebilligt, dass mit dem Schadenersatz für den Verlust der Sehkraft am linken Auge und für die Verkürzung des rechten Beines ein Schmerzengeld für seelische Schmerzen begehrt werde und dass der Kläger das rechtliche Interesse für sein Feststellungsbegehren nicht dargetan habe. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er ficht es nur insoweit an, als sein 50 %iges Mitverschulden angenommen und der damit im Zusammenhang stehende Teil seines Leistungsbegehens abgewiesen wurde. Das Urteil ist daher hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens und der Abweisung des Leistungsbegehrens über den Betrag von 17.290 S in Rechtskraft erwachsen.

Der Kläger mach die Revisionsgründe nach § 503 Z 2 und 4 ZPO geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass seinem Leistungsbegehren ganz stattgegeben werde, oder es aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung die Revisionsanträge des Klägers als nicht dem Gesetz entsprechend bemängelt, weil nicht klar zum Ausdruck komme, ob die Abänderung oder die Aufhebung des angefochtenen Urteiles begehrt werde. Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Verwerfung der Revision aus formellen Gründen zu rechtfertigen. Aus dem Inhalte der Revisionsanträge geht deutlich hervor, welchen Erfolg der Kläger im Revisionsverfahren erreichen will, darunter jedenfalls den, dass seinem Klagebegehren unter Ausschaltung seines Mitverschuldens mit dem Betrag von 17.290 S stattgegeben werde. Damit ist ein Abänderungsantrag gestellt, auch wenn nicht ausdrücklich die Abänderung begehrt worden ist. Der Kläger erblickt einen Mangel des Verfahrens darin, dass kein Sachverständiger aus dem Verkehrsfach beigezogen worden sei. Er ist der Meinung, dass nur durch diesen die vom Beklagen eingehaltene Geschwindigkeit festgestellt und so dem Gerichte die richtige Grundlage für die Entscheidung verschafft hätte werden können. Je höher die Geschwindigkeit des Beklagten gewesen sei, um so mehr verringere sich sein Mitverschulden. Beweispflichtig sei der Beklagte gewesen. Dieser habe einen Sachverständigenbeweis nicht angeboten. Eine Verschuldensaufteilung sei dadurch unmöglich gewesen. Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Die Beiziehung eines Sachverständigen konnte hier unterblieben, weil es sich um die Beurteilung eines einfachen Sachverhaltes handelte. Vom Erstgericht sind die Strafakten und die polizeilichen Erhebungen an Ort und Stelle, sowie die Unfallskizze zu Beweiszwecken herangezogen worden. Daraus konnten sich die Untergerichte im Zusammenhang mit dem Ergebnis der übrigen Beweisaufnahmen ein ausreichendes Bild über den Unfallshergang machen. In der Nichtbeiziehung eines Sachverständigen ist kein wesentlicher, die rechtliche Beurteilung der Sache hindernder Mangel gelegen.

In rechtlicher Hinsicht verweist der Kläger darauf, dass er den stehenden Straßenbahnzug noch vor dem Abläuten durch den Schaffner verlassen habe und erst niedergestoßen worden sei, als er bereits 2 bis 3 Schritte auf der Straße gemacht hatte. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass er den Schutz der gesetzlichen Bestimmungen genieße, denen zufolge ein Kraftfahrzeug während des Ein- und Aussteigens der Fahrgäste anzuhalten oder doch nur im Schritttempo an dem haltenden Straßenbahnzug vorbeifahren dürfe. Seine leichte Alkoholisierung falle nicht ins Gewicht, weil er sich trotz diesen Zustandes keiner Übertretung einer Verkehrsvorschrift schuldig gemacht habe. Der Beklagte sei mit einer überhöhten Geschwindigkeit gefahren. Sein Verschulden könne daher nur so geringfügig sein, dass es gegenüber dem verkehrswidrigen Verhalten des Beklagten nicht ins Gewicht falle. Aus diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Auszugehen ist von den Feststellungen des Erstgerichtes, die vom Berufungsgericht übernommen worden sind. Darnach ist der Straßenbahnzug längere Zeit, nämlich ca 2 Minuten, in der Haltestelle gestanden, ohne dass Fahrgäste aus- oder zugestiegen sind. Die Verzögerung bei der Abfahrt hat sich durch die Auseinandersetzung des Klägers mit dem Schaffner wegen Lösung einer Fahrkarte ergeben. Von diesem Vorfall konnte der Beklagte keine Kenntnis haben und daher darauf vertrauen, dass das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste beendet sei. Es kann daher dem Beklagten kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er seine Fahrt neben dem haltenden Straßenbahnwagen fortgesetzt hat. Er ist auch in einem größeren Abstand vorbeigefahren, was sich daraus ergibt, dass der Kläger vom Kraftwagen erst erfasst worden ist, als er bereits 2 bis 3 Schritte auf der Straße gemacht hatte. Dem Beklagten kann nur vorgeworfen werden, dass er mit einer überhöhten Geschwindigkeit gefahren ist. Dadurch hat er die Vorschrift des § 16 Abs 2 StPolG verletzt. Dieser Umstand wiegt aber nicht so schwer, wie der Kläger meint, nämlich, dass dadurch sein schuldhaftes Verhalten völlig aufgewogen werde. Er hat den Straßenbahnzug unvorhergesehen für den Beklagten in einer so unaufmerksamen und unvorsichtigen Weise verlassen, dass er zu einem erheblichen Teil zu dem Unfall beigetragen hat. Die von den Untergerichten vorgenommene Verschuldensaufteilung im Verhältnis 1:1 ist nach dem festgestellten Sachverhalt gerechtfertigt. Eine Anfechtung der Höhe nach ist unterblieben, sodass hiezu nicht weiter Stellung genommen werden muss.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E75332 2Ob297.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00297.6.0909.000

Dokumentnummer

JJT_19600909_OGH0002_0020OB00297_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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