Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334Kopf
SZ 33/102
Spruch
Zum Begriff der groben Fahrlässigkeit nach § 334 ASVG.
Entscheidung vom 30. September 1960, 2 Ob 329/60.
I. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:
Oberlandesgericht Linz.
Text
Am 26. Jänner 1957 schnitt Robert H. auf Ersuchen der Erstbeklagten in der Gast- und Landwirtschaft der Zweitbeklagten auf einer Kreissäge, auf der sich keine Schutzvorrichtung befand, Holz. Dabei geriet er mit der rechten Hand an das Sägeblatt, und es wurden ihm der Daumen und der Zeigefinger abgetrennt. Die Erstbeklagte wurde aus diesem Anlaß wegen Übertretung gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. zu einer bedingten Arreststrafe verurteilt.
Der klagende Sozialversicherungsträger begehrt von der Zweitbeklagten als Betriebsinhaberin und Dienstgeberin sowie von der Erstbeklagten, der Tochter der Zweitbeklagten, als deren Vertreterin den Ersatz der von ihm für den Arbeitsunfall des H. erbrachten Leistungen an Krankengeld und Rente sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Aufwendungen. Er erblickt in der Verwendung der Kreissäge ohne Schutzvorrichtung eine grobe Fahrlässigkeit der beiden Beklagten im Sinne des § 334 ASVG.
Die Beklagten bestritten das Vorliegen eines Dienstverhältnisses, behaupteten, daß die Zweitbeklagte nicht Dienstgeberin des H. und die Erstbeklagte nicht als dem Dienstgeber Gleichgestellte anzusehen sei, und wendeten ein, daß kein grobes Verschulden vorliege.
Das Erstgericht erkannte mit Teil- und Zwischenurteil, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe, und gab auch dem Feststellungsbegehren statt. Robert H. sei Dienstnehmer der Zweitbeklagten, die Erstbeklagte sei Betriebsaufseherin gewesen. Robert H. sei als teilversichert im Sinn des § 8 Abs. 1 Z. 3 lit. e ASVG. anzusehen. Beide Beklagte hätten grob fahrlässig gehandelt.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien Folge und wies das Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Annahme einer groben Fahrlässigkeit hat das Erstgericht folgende Feststellungen und Erwägungen zugrunde gelegt:
Die Zweitbeklagte habe die Gast- und Landwirtschaft, zu deren Zubehör auch die Kreissäge ohne Schutzvorrichtung gehört habe, im Jahre 1954 erworben. Die Erstbeklagte habe diesen Zustand gekannt und hätte seine besondere Gefährlichkeit leicht erkennen können. Trotzdem habe sie den Robert H. auf dieser Säge Holz schneiden lassen. Die Zweitbeklagte habe sich um den Zustand der Kreissäge nicht gekümmert oder ihn nicht beseitigt, sondern auf dieser Säge jahrelang Brennholz schneiden lassen.
Das Berufungsgericht billigte diese Ausführungen und fügte hinzu, daß allen Landbewohnern angesichts der Häufigkeit derartiger Unfälle die Gefährlichkeit der Arbeit an einer Kreissäge ohne Schutzvorrichtung geläufig sei. Die Kreissäge sei mehrere Jahre in diesem Zustand verwendet worden. Daß H. ihre Gefährlichkeit kannte und vor Arbeitsbeginn noch darauf aufmerksam gemacht wurde, sei ohne wesentliche Bedeutung. Das grobe Verschulden der Erstbeklagten liege schon darin, daß sie die Arbeit an dieser Säge zuließ und H. zur Arbeit bestellte. Wenn die Zweitbeklagte auch von der Bestellung des H. nichts gewußt habe, so sei diese Bestellung und die Verwendung der Säge doch in ihrer Absicht gelegen gewesen.
Der Oberste Gerichtshof vermag sich der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht, daß derjenige, der die Verwendung einer Kreissäge ohne Schutzvorrichtung zulasse, auf jedem Fall grob fahrlässig handle, in dieser Allgemeinheit nicht anzuschließen. Ob grobes Verschulden vorliegt, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (Wolff in Klang 2. Aufl. VI 124). Keinesfalls kann der Begriff "grobe Fahrlässigkeit" nach § 334 Abs. 1 ASVG. mit dem Begriff der "qualifizierten Fahrlässigkeit" im Sinne des § 903 RVO. gleichgesetzt werden. Dies hat der Oberste Gerichtshof schon wiederholt, so unter anderem in der in JBl. 1959 S. 211 veröffentlichten Entscheidung, ausgesprochen. Er hält hieran auch weiter fest. Auf die Annahme einer qualifizierten Fahrlässigkeit läuft es aber hinaus, wenn das Berufungsgericht darauf verweist, daß eine Kreissäge in ländlichen Betrieben ein selbstverständliches Arbeitsgerät sei und daß daher der ländlichen Bevölkerung die Gefährlichkeit ungeschützter Kreissägen allgemein bekannt sei. Grobes Verschulden setzt jedenfalls einen besonderen Grad von Fahrlässigkeit voraus. Nur eine ungewöhnliche, auffallende Vernachlässigung wird als grobe Fahrlässigkeit zu werten sein, soweit der Eintritt des vermeidbaren Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar war. Die bloße Übertretung von Unfallverhütungsvorschriften muß an sich noch kein grobes Verschulden begrunden. Daß die Verwendung der Kreissäge ohne Schutzvorrichtung der Bestimmung des § 26 der Verordnung vom 10. November 1951, BGBl. Nr. 265 (Allgemeine Dienstnehmer-Schutzverordnung) zuwider geschah, stellt für sich allein keine grobe Fahrlässigkeit dar. Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß die Beklagten als Unternehmer (Gleichgestellte) jene Aufmerksamkeit vermissen ließen, die in einem derartigen Betrieb im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden muß (vgl. Fenzl, Die schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ASVG., ÖJZ. 1955 S. 633). Denn nach der Aktenlage wurde die Kreissäge ausschließlich in der von den beiden Beklagten geführten Landwirtschaft und ausschließlich für diese verwendet. In dem bloßen Umstand, daß die Zweitbeklagte an der beim Kauf der Land- und Gastwirtschaft miterworbenen Kreissäge nicht träglich eine Schutzvorrichtung anbringen ließ und daß die Erstbeklagte den Robert H., der schon an Kreissägen mit und ohne Schutzvorrichtungen gearbeitet hatte und Erfahrung in dieser Arbeit besaß, an dieser schon jahrelang unfallsfrei benützten Säge arbeiten ließ, vermag der Oberste Gerichtshof eine die Haftung nach § 334 ASVG. begrundende Fahrlässigkeit nicht zu erblicken. Wenn H. die Gefahren der Arbeit an einer Kreissäge ohne Schutzvorrichtung kannte, dann war der Unfall durch seine Unvorsichtigkeit verursacht, mit der die Erstbeklagte im gegebenem Fall nicht zu rechnen brauchte, die sie nicht mit Wahrscheinlichkeit vorhersehen konnte. In noch höherem Maß gilt dies für die Zweitbeklagte, die von der Tätigkeit des H. überhaupt keine Kenntnis hatte.
Mangels Vorliegens einer groben Fahrlässigkeit war das angefochtene Urteil im Sinne der Klagsabweisung abzuändern.
Anmerkung
Z33102European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00329.6.0930.000Dokumentnummer
JJT_19600930_OGH0002_0020OB00329_6000000_000