Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Bauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Robert R*****, Schüler, ***** vertreten durch das Stadtjugendamt Linz, dieses vertreten durch Dr. Alois Bruneder, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Dr. Walter P*****, Facharzt in *****, ***** vertreten durch Dr. Walter Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 10.000, einer monatlichen Rente von 100,-- S und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 1. März 1960, GZ 2 R 68/60-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. Jänner 1960, GZ 1 Cg 690/59-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 807,07 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 16. 7. 1956 wurde der damals etwa 9 Jahre alte Kläger von einem vom Beklagten gelenkten PKW niedergestoßen und verletzt. Er verlangt aus diesem Grunde vom Beklagten ein Schmerzengeld von 10.000 S und eine monatliche Rente von 100,-- S als Ersatz für vermehrte Bedürfnisse. Außerdem begehrt er, festzustellen, dass ihm der Beklagte für künftige Schäden ersatzpflichtig sei.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er nahm im Wesentlichen als erwiesen an: Der Beklagte sei mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h durch die Herrenstraße in Linz gefahren. Sein Abstand vom rechten Gehsteigrand habe mindestens 1,20 m betragen. Der Kläger, der vom rechten Gehsteig (in der Fahrtrichtung des Beklagten gesehen) aus die Straße habe überqueren wollen, sei plötzlich und unvermutet in die Fahrbahn des Beklagten gesprungen. Der Beklagte, der den Kläger erst im allerletzten Augenblick ganz plötzlich habe auftauchen gesehen, habe gebremst und sein Fahrzeug nach wenigen Metern zum Stillstand gebracht. Der Erstrichter vertrat die Auffassung, dass den Beklagten kein Verschulden treffe, ja dass der Unfall durch ein für ihn unabwendbares Ereignis im Sinn des § 7 Abs 2 KfzVerkG, nämlich durch das unerwartete Hineinspringen des Klägers in die Fahrbahn, verursacht worden sei. Ein allfälliger Ersatzanspruch auf Grund der Bestimmungen des KfzVerkG wäre übrigens verjährt, weil der Ersatzberechtigte spätestens im Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus (2. 8. 1956) Kenntnis von der Person des Schädigers und dem Schaden erlangt habe, die Klage aber erst am 14. 7. 1959, also nach Ablauf von zwei Jahren, eingebracht habe.
Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstrichters, dass den Beklagten kein Verschulden treffe. Auf die Frage, ob ein Ersatzanspruch nach den Bestimmungen des KfzVerkG begründet wäre einzugehen, hielt das Berufungsgericht nicht für erforderlich, weil es die Einrede der Verjährung eines solchen Anspruches nach den ihr zugrundeliegenden Feststellungen für begründet erachtete.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf § 503 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, es dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, oder es aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht begründet.
Ein Verfahrensmangel soll deshalb vorliegen, weil kein Sachverständiger aus dem Verkehrsfach zugezogen wurde. Die Vernehmung eines solchen wäre nach Ansicht des Klägers darüber erforderlich gewesen, ob der Beklagte dadurch gegen die Bestimmung des § 7 StPolO verstoßen habe, dass er der rechten Straßenseite nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Die Frage, ob der Beklagte den Vorgängen auf und unmittelbar neben der Fahrbahn die erforderliche Aufmerksamkeit schenkte, ist aber im Wesentlichen eine Rechtsfrage, die das Gericht, ohne einen Sachverständigen zu hören, selbst lösen konnte. Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt daher nicht vor.
Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt der Kläger darin, dass die Vorinstanzen nicht dem Beklagten eine Verletzung der ihm nach § 7 StPolO obliegenden Verpflichtung, die zur Wahrung der Sicherheit des Verkehres erforderliche Aufmerksamkeit anzuwenden, angelastet haben. Er meint, der Beklagte habe diese Verpflichtung dadurch verletzt, dass er der rechten Straßenseite und insbesondere den Vorgängen auf dem Gehsteig nicht die erforderliche Beachtung geschenkt habe. Hätte er seine Aufmerksamkeit dorthin gelenkt, hätte er wahrnehmen können, dass er (Kläger) im Begriffe sei, die Fahrbahn zu betreten, ihn aber, da er ihm halb den Rücken zeige, nicht sehen könne. Er hätte zumindest in diesem Augenblick anfangen müssen zu bremsen. In diesem Falle wäre der Unfall vermieden oder doch dessen Folgen gemildert worden. Der Kläger hält in diesem Zusammenhang einen Feststellungsmangel deshalb für gegeben, weil nicht festgestellt wurde, dass der Beklagte ihn, solange er noch auf dem Gehsteig gestanden sei und gegen den Dom geblickt habe, nicht gesehen habe. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Der Frage, ob der Beklagte den Kläger am Gehsteig stehen und gegen den Dom blicken gesehen habe, haben die Vorinstanzen mit Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen, weil der Beklagte auch dann, wenn ihm der auf dem Gehsteig stehende Kläger aufgefallen wäre, noch keine Veranlassung gehabt hätte, seine ohnehin mäßige Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h noch weiter herabzusetzen oder etwa seine Fahrtrichtung zu ändern. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass von einem etwa 9 Jahre alten Schüler erwartet werden kann, dass er, bevor er die Fahrbahn zu überqueren beginnt, nach beiden Richtungen Ausschau hält, ob der Verkehr das Betreten der Fahrbahn zulässt. Dass der Beklagte nicht schon daraus, dass der Kläger halb abgewendet auf dem Gehsteig stand und gegen den Dom blickte, dessen Absicht erkennen musste, die Straße zu überqueren, wird übrigens in der Revision selbst zugestanden. Der Beklagte war daher erst vom Zeitpunkt an, als er das verkehrswidrige Verhalten des Klägers erkennen konnte, nämlich als dieser, ohne nach links zu blicken, auf die Fahrbahn trat, verpflichtet, darauf zu reagieren. Eine Nachlässigkeit in dieser Richtung haben die Vorinstanzen mit Recht nicht angenommen. Aus der Tatsache, dass der Kläger in die Fahrbahn des etwa 1,20 m vom rechten Fahrbahnrand fahrenden PKW hineinsprang, folgt, dass er, bis er vom rechten vorderen Teil des PKW erfasst wurde, einen Weg von etwa 1,20 m mit einer größeren als der Gehgeschwindigkeit zurücklegte, wozu er nicht einmal eine Sekunde benötigte. Aus der vom Kläger in der Revision nicht bekämpften Feststellung, dass der Beklagte sein Fahrzeug durch Bremsen nach wenigen Metern zum Stillstand brachte, folgt zwangsläufig, dass er ungesäumt reagierte. Übersteigt doch der vom Heruntertreten auf die Fahrbahn bis zum Anprall an das Fahrzeug verflossene Zeitraum kaum die Reaktions- und Bremsansprechzeit. Es ist daher tatsächlich nicht einzusehen, worin ein Verschulden des Beklagten gelegen sein soll. Die Annahme der Vorinstanzen, dass ein allfälliger, aus den Bestimmungen des KfzVerkG ableitbarer Ersatzanspruch wegen Ablaufes der im § 14 KfzVerkG vorgesehenen zweijährigen Frist verjährt wäre, wird in der Revision nicht bekämpft. Sie ist durch die Feststellungen der Vorinstanzen gedeckt.
Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E75315 2Ob237.60European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00237.6.1207.000Dokumentnummer
JJT_19601207_OGH0002_0020OB00237_6000000_000