Norm
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §120 Z1Kopf
SZ 33/147
Spruch
Auch in der Krankenversicherung und Pensionsversicherung entstehen die Ansprüche der Hinterbliebenen auf Zahlung einer Rente und einer Abfindung mit dem Tod des Sozialversicherten, nicht erst mit der Antragstellung.
Entscheidung vom 22. Dezember 1960, 2 Ob 350/60.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Karl D. ist bei einem vom Erstbeklagten als Lenker des dem Zweitbeklagten gehörigen LKWs. verschuldeten Verkehrsunfall am 17. Dezember 1956 tödlich verunglückt. D. war bei der klagenden Partei pensionsversichert und hatte für seinen am 6. Jänner 1948 geborenen Sohn Anton V. monatlich 300 S an Unterhalt zu leisten. Am 2. Jänner 1957 stellte die Bezirkshauptmannschaft S. als Amtsvormund des Minderjährigen bei der klagenden Partei den Antrag auf Gewährung einer Waisenrente. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der klagenden Partei vom 22. Mai 1958 abgewiesen. Am 28. Mai 1958 beantragte die Bezirkshauptmannschaft, dem Kind eine Abfindung nach § 269 ASVG. zu gewähren. Mit Bescheid der klagenden Partei vom 9. Juli 1958 wurde eine Abfindung von 12.546 S zuerkannt und der Betrag an die Bezirkshauptmannschaft überwiesen. Vor diesem Zeitpunkt, nämlich am 10. April 1958, hatte die Bezirkshauptmannschaft ein Anbot der W.- Versicherungsanstalt, bei der der Zweitbeklagte haftpflichtversichert war, auf Zahlung einer Entschädigung von 14.325 S an den Minderjährigen angenommen. Das Vormundschaftsgericht genehmigte diese vergleichsweise Regelung mit Beschluß vom 17. April 1958, und am 22. Mai 1958 wurde der Betrag an die Bezirkshauptmannschaft überwiesen.
Mit der vorliegenden Klage machte die klagende Partei gemäß § 332 ASVG. den auf sie übergegangenen Schadenersatzanspruch des mj. Anton V. insoweit geltend, als sie an diesen eine Abfindung bezahlt habe. Sie begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des bereits fällig gewordenen Teilbetrages von 8700 S und die Feststellung, daß die Beklagten verpflichtet seien, der klagenden Partei alle Leistungen zu ersetzen, die sie an den Minderjährigen zu erbringen habe.
Die Beklagten begehrten Klagsabweisung und wiesen auf den mit der Bezirkshauptmannschaft als Amtsvormund mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes am 10. April 1958 und 17. April 1958 mit der Versicherungsanstalt abgeschlossenen Generalvergleich und auf die Bezahlung des verglichenen Betrages am 14. Mai 1958 hin. Sie nahmen den Standpunkt ein, daß der Antrag auf Gewährung einer Abfindung nach § 269 ASVG. von der Bezirkshauptmannschaft erst nach Abschluß des Vergleiches gestellt worden sei und daher bis zu diesem Zeitpunkt kein Anspruch des geschädigten Minderjährigen mehr bestanden habe, der zufolge der Legalzession auf die klagende Partei hätte übergehen können. Außerdem wendeten die Beklagten ein, daß der klagenden Partei ein Regreßanspruch im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nicht zustehe, weil es sich bei der Abfindung nach § 269 ASVG. um eine Leistung handle, auf die § 1327 ABGB. nicht Anwendung finde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit folgender Begründung ab:
Die Bezirkshauptmannschaft habe als Amtsvormund des geschädigten Minderjährigen bis zur Entstehung der Leitungspflicht des Sozialversicherungsträgers über die Schadenersatzforderung auch mit Wirkung gegenüber diesem verfügen können. Die Leistungspflicht der klagenden Partei sei erst mit der Antragstellung der Bezirkshauptmannschaft auf Gewährung einer Abfindung nach § 269 ASVG., also mit 28. Mai 1958 und somit nach dem Zeitpunkt des genehmigten Vergleichsabschlusses, entstanden. Zu diesem Zeitpunkt habe ein Schadenersatzanspruch des geschädigten Minderjährigen nicht mehr bestanden und daher auch nicht im Wege der Legalzession auf die klagende Partei übergehen können.
Auch für den Fall, daß man die Wirkung der Legalzession bereits von der ersten Antragstellung der Bezirkshauptmannschaft bei der klagenden Partei auf Leistung einer Waisenrente an den Minderjährigen, also vom 2. Jänner 1957, annehmen wollte, sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen, weil die Versicherungsanstalt im guten Glauben geleistet habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Da sich der Unfall am 17. Dezember 1956, also nach dem Wirksamkeitsbeginn des ASVG., ereignet hat, sind die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden. Mit der vorliegenden Klage hat die klagende Partei einen Anspruch nach § 332 ASVG. in dem Umfang geltend gemacht, als sie Leistungen für den geschädigten mj. Anton V., den außerehelichen Sohn des Verunglückten Karl D., zu erbringen hat.
Es ist nun die Frage zu prüfen, wann die Schadenersatzansprüche des Minderjährigen auf die klagende Partei im angeführten Umfang übergegangen sind und ob die Bezirkshauptmannschaft S. als Amtsvormund des Kindes berechtigt war, diesen Anspruch im Vergleichsweg mit der Versicherungsanstalt zu regeln.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um Leistungen aus der Pensionsversicherung gemäß §§ 221 ff. ASVG. Nach § 222 Abs. 1 Z. 3 ASVG. sind aus dem Versicherungsfall des Todes a) Hinterbliebenenrenten nach §§ 257 und 270 ASVG. und b) die Abfindung nach §§ 269, 270 ASVG. zu leisten. Während der Geltung der RVO. war dieser Versicherungszweig als Invalidenversicherung in den §§ 1226 ff. RVO. geregelt. Für die Zeit der Geltung der RVO. war es bestritten, wann bei dieser Versicherung die Ansprüche des Geschädigten gemäß § 1542 RVO. im Wege der Legalzession auf den Sozialversicherungsträger übergingen. In der Rechtsprechung (SZ. XXIII 397, EvBl. 1955 Nr. 91) wurde zuerst die Meinung vertreten, daß die Ansprüche des Geschädigten gemäß § 1542 RVO. auf den Sozialversicherungsträger im Moment des Unfalles übergingen. Dieser Standpunkt wurde später für die Invalidenversicherung, jetzt Pensionsversicherung, verlassen und der Standpunkt eingenommen, daß bei Leistungen aus dieser Versicherung die Ansprüche des Geschädigten erst mit deren Geltendmachung entstunden und daher nicht früher auf den Sozialversicherungsträger übergingen (ZVR. 1956 Nr. 72). Der Meinungsstreit kann darauf zurückgeführt werden, daß in der RVO. zwar Bestimmungen über den Beginn der Leistungen, nicht aber eindeutige Bestimmungen über den Eintritt des Versicherungsfalles enthalten sind. Zur Begründung dieser Auffassung wurde auch auf § 1545 RVO. hingewiesen, wonach die Leistungen auf Grund der RVO. auf dem Gebiet der Unfallversicherung von Amts wegen und im übrigen auf Antrag festzustellen sind. Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen dem § 361 ASVG. Danach sind die Leistungsansprüche in der Kranken- und in der Pensionsversicherung auf Antrag, in der Unfallversicherung von Amts wegen festzustellen. Beide Gesetzesstellen sind, wie noch später ausgeführt werden wird, zur Begründung des oben angeführten Standpunktes nicht geeignet.
Durch das ASVG. wurden insofern klare Verhältnisse geschaffen, als bei den einzelnen Versicherungsarten Bestimmungen über den Eintritt des Versicherungsfalles bestehen. Dieser Zeitpunkt aber ist sowohl für die Entstehung wie auch für den Übergang des Anspruches auf den Sozialversicherungsträger gemäß der Legalzession nach § 332 ASVG. maßgebend (s. auch ZVR. 1960 Nr. 55). Der Oberste Gerichtshof hat bereits für die Krankenversicherung den Grundsatz aufgestellt, daß der Versicherungsfall gemäß § 120 Z. 1 ASVG. mit dem Beginn der Krankheit eintritt und daher kein Antrag für das Entstehen dieses Anspruches erforderlich ist. Bei Entscheidung dieser Frage wurde auch bereits auf § 361 ASVG. (früher § 1545 RVO.) hingewiesen und dargetan, daß diese Bestimmung nicht maßgebend sein könne, einen anderen Standpunkt zu vertreten, weil es sich dabei um eine verfahrensrechtliche Vorschrift handle. Für die Beurteilung der Wirkung der Legalzession nach § 332 ASVG. sei aber zwischen dem Zeitpunkt des materiellrechtlichen Entstehens des Anspruches und jenem der verfahrensrechtlichen Feststellung des Leistungsanspruches durch den Sozialversicherungsträger zu unterscheiden. § 361 ASVG. sei eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Für das materiellrechtliche Entstehen des Anspruches sei somit die Bestimmung über den Eintritt des Versicherungsfalles maßgebend. Für die Krankenversicherung sei daher die Bestimmung des § 120 Z. 1 ASVG. anzuwenden und der Versicherungsfall mit Beginn der Krankheit als eingetreten anzusehen.
Was für die Krankenversicherung gilt, muß auch für die Pensionsversicherung gelten. Auch für diese Versicherungsart ist das materiellrechtliche Entstehen des Anspruches nicht aus § 361 ASVG. abzuleiten, sondern es ist § 223 Abs. 1 Z. 3 ASVG. maßgebend. Nach dieser Bestimmung gilt der Versicherungsfall bei Leistungen aus dem Versicherungsfall des Todes mit dem Tod als eingetreten. Dieser Zeitpunkt ist auch der Stichtag für den Übergang der Ansprüche der geschädigten Hinterbliebenen auf den Sozialversicherungsträger im Rahmen seiner Leistungen und im Rahmen der Deckung auf Grund der Legalzession des § 332 ASVG.
Im vorliegenden Fall steht nun fest, daß Karl D. am Tag des Verkehrsunfalles an den Verletzungsfolgen gestorben ist. Der Schadenersatzanspruch des außerehelichen Sohnes des Verunglückten ist daher bereits in diesem Zeitpunkt gemäß § 223 ASVG. entstanden und gemäß der Legalzession des § 332 ASVG. auch in diesem Zeitpunkt auf die klagende Partei im Umfang ihrer Leistungen übergegangen. Dies gilt jedenfalls für den Anspruch auf Leistung einer Hinterbliebenenrente gemäß §§ 222 Abs. 1 Z. 3 lit. a und 257 ASVG.
In diesem Falle waren die Voraussetzungen für die Leistung einer Waisenrente nach § 235 ASVG. nicht erfüllt, weshalb der vom Amtsvormund des Minderjährigen am 2. Jänner 1957 gestellte Antrag auf Gewährung einer Waisenrente mit Bescheid vom 22. Mai 1958 abgewiesen wurde. In der Folge wurde für den Minderjährigen am 28. Mai 1958 bei der klagenden Partei der Antrag gestellt, gemäß § 269 Abs. 1 ASVG. eine Abfindung zu gewähren.
Mit Bescheid der klagenden Partei vom 9. Juli 1958 wurde dem Minderjährigen eine Abfertigung von 12.546 S bewilligt und überwiesen.
Es ist nun zu entscheiden, ob der Schadenersatzanspruch des Minderjährigen, soweit eine Abfindung geleistet wurde, im Zeitpunkt des Todes des Karl D. oder erst im Zeitpunkt des Antrages, das ist mit 28. Mai 1958, entstanden und im Weg der Legalzession auf die klagende Partei übergegangen ist. Nur in letzterem Fall müßte die klagende Partei den im April 1958 abgeschlossenen Vergleich gegen sich gelten lassen.
Es besteht aber kein Anlaß, die Ansprüche der Hinterbliebenen nach § 222 Abs. 1 Z. 3 ASVG. auf Leistung einer Hinterbliebenenrente und die Ansprüche auf Leistung einer Abfindung nach § 269 Abs. 1 ASVG. verschieden zu behandeln. In beiden Fällen tritt der Versicherungsfall gemäß § 222 Abs. 1 Z. 3 ASVG. im Zeitpunkt des Todes ein, ein besonderer Antrag ist für das Entstehen dieses Anspruches nicht erforderlich, denn § 269 Abs. 1 ASVG. bestimmt ausdrücklich, daß die Hinterbliebenen einen Anspruch auf diese Abfindung haben, ihnen somit dieser Anspruch von Gesetzes wegen zusteht, wenn sie mangels der Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht besitzen, jedoch die Voraussetzungen für eine Abfindung gegeben sind. Der Antrag des Amtsvormundes des Minderjährigen vom 28. Mai 1958 war daher für das Entstehen dieses Anspruches nicht von Bedeutung. Zu dieser Leistung war die klagende Partei mit dem Tod des Verunglückten, also im Zeitpunkt des Unfalles, verpflichtet, zumal damals auch schon die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nicht, wohl aber die Voraussetzungen für eine Abfindung gegeben waren, wenn dies auch erst gemäß § 361 ASVG. später formell festgestellt worden ist. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung einer Abfindung für das Entstehen des Anspruches maßgebend sei, ist daher mit Recht von der klagenden Partei bekämpft worden.
Ist aber der Abfindungsanspruch des Minderjährigen bereits im Zeitpunkt des Todes des Karl D. und damit im Zeitpunkt des Unfalles entstanden, dann sind gemäß § 332 ASVG. seine Schadenersatzansprüche mit diesem Zeitpunkt auf die klagende Partei in dem Umfang übergegangen, als sie Leistungen, und zwar sowohl an Hinterbliebenenrenten als auch an Abfindungen, an den Minderjährigen zu erbringen hat.
Der Minderjährige und in seinem Namen die Bezirkshauptmannschaft S. als Amtsvormund waren daher im April 1958 nicht befugt, diese Schadenersatzansprüche zu vergleichen. Hiezu fehlte ihnen die Legitimation.
Es kann auch keine Rede davon sein, daß die Versicherungsanstalt bei Abschluß des Vergleiches im guten Glauben gewesen sei. Dem Haftpflichtversicherer war nicht nur bekannt, daß der Verunglückte bei der klagenden Partei sozialversichert war. Er hätte sich vor Abschluß des Vergleiches durch Rückfrage beim Sozialversicherungsträger vergewissern müssen, ob und welche Ansprüche der hinterlassene Minderjährige von diesem zu erwarten hatte. Auf die Verständigung der Bezirkshauptmannschaft S. durfte sich der Haftpflichtversicherer um so weniger verlassen, als in diesem Zeitpunkt eine Entscheidung über die Waisenrente des Minderjährigen noch gar nicht ergangen war. Außerdem muß bei ihm vorausgesetzt werden, daß er die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kennt. Er hätte daher wissen müssen, daß bei Abweisung des Antrages auf Gewährung einer Waisenrente der Minderjährige noch immer einen Anspruch auf Leistung einer Abfindung nach § 269 ASVG. haben könnte. Die klagende Partei war nicht verpflichtet, den Haftpflichtversicherer laufend über die Rechtslage zu unterrichten. Der Haftplichtversicherer ersuchte in seinem Schreiben vom 19. September 1957 den Sozialversicherungsträger, über das Ergebnis zu berichten. Dies ist auch mit Schreiben vom 18. August 1958 geschehen. Wenn er daher vor Beendigung dieses Verfahrens einen Vergleich schloß, ohne sich über den Stand des Verfahrens Gewißheit zu verschaffen, dann hat er die Folgen zu tragen. Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß der Haftpflichtversicherer bei Abschluß des Vergleiches nicht damit rechnen mußte, daß der Minderjährige Leistungen von der klagenden Partei zu erhalten habe, kann daher nicht gebilligt werden.
Daß es sich bei dem Schadenersatzanspruch des Minderjährigen Anton V. um einen Anspruch nach § 1327 ABGB. handelt, bedarf keiner weiteren Begründung.
Die Aufhebung des angefochtenen Urteiles und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht war notwendig, weil dieses mit Rücksicht auf die Abweisung des Klagebegehrens dem Gründe nach zur Höhe des Anspruches weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Stellung genommen hat.
Anmerkung
Z33147Schlagworte
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ECLI:AT:OGH0002:1960:0020OB00350.6.1222.000Dokumentnummer
JJT_19601222_OGH0002_0020OB00350_6000000_000