TE OGH 1961/3/22 1Ob147/60

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Veröffentlicht am 22.03.1961
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Zweiten Präsidenten Dr. Fellner als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gitschthaler, Dr. Stanzl, Dr. Zierer und Dr. Bachofner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst M*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Watzke, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien I., Rosenbursenstraße 1, und den Nebenintervenienten Franz J*****, vertreten durch Dr. Karl Schobel, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 29.141,91 S sA, infolge der Rekurse der klagenden und der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 30. Oktober 1959, GZ R 267/59-30, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 1. Juni 1959, GZ Cg 970/56-24, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Keinem der beiden Rekurse wird Folge gegeben.

Die Rechtsmittelwerber haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz aus dem Grunde der Amtshaftung und ihre Verurteilung zur Zahlung von 29.151,70 S sA. Das Erstgericht hat dem Klagebegehren bis auf einen Betrag von 9,80 S sA, dessentwegen die Klage zurückgewiesen wurde, stattgegeben. Infolge Berufung der Beklagten und ihres Nebenintervenienten hob das Berufungsgericht das Ersturteil hinsichtlich des Zuspruches von 29.141,91 S samt 4 % Zinsen seit 6. 1. 1959 sowie im Kostenpunkt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurück. Das Berufungsgericht tritt der Rechtsansicht der Berufungswerber entgegen, dass die Amtsführung der Zulassungsstelle der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch gegenüber dem Kläger keine gesetzliche Verpflichtung zum Handeln gehabt habe und daher schon aus diesem Grund ein allfälliges schuldhaftes Verhalten der Zulassungsstelle bei Zurücknahme der Zulassung des Kraftfahrzeuges des Franz R***** keinen Amtshaftungsanspruch des Klägers habe begründen können. Die im § 3 KFG angeordnete Pflichtversicherung der Kraftfahrzeuge bezwecke den wirtschaftlichen Schutz der Verkehrsopfer aus Kraftfahrzeugunfällen; sie verbürge die Zahlungsfähigkeit des haftpflichtigen Kraftfahrzeughalters und schütze auch den Lenker des Kraftfahrzeuges, der nicht Halter sei, vor wirtschaftlich untragbaren Schadenersatzansprüchen. Aus der Bestimmung des § 158c Abs 2 VVG gehe hervor, dass ein Nichtbestehen oder die Beendigung des Versicherungsverhältnisses bewirkender Umstand dem Dritten gegenüber erst nach Ablauf eines Monates wirke, nachdem der Versicherer diesen Umstand der Zulassungsbehörde angezeigt habe. In dieselbe Richtung würden die Bestimmungen der §§ 156, 158 VVG weisen, wonach die Ansprüche des Dritten verselbständigt seien. Schließlich könne noch auf die Bestimmungen der Konvention des Europarates hinsichtlich der Haftpflichtversicherung der Kraftfahrzeuge verwiesen werden, die in einem Mustergesetz versuche, eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung des Rechtes der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung in den europäischen Staaten herbeizuführen. Es verbiete Abweichungen vom Gesetz zum Schaden der Verkehrsopfer und gewähre neben dem Anspruch des Verkehrsopfers gegen den Haftpflichtigen auch einen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer. Die Verpflichtung der Behörde zur Amtshandlung im Sinne der Bestimmung des § 3 Abs 1 KFG bestehe daher vor allem gegenüber den am Verkehr beteiligten Personen. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung gefährde oder verletze die durch sie geschützten Interessen der Verkehrsteilnehmer an ihrer wirtschaftlichen Sicherung im Falle eines Verkehrsunfalles und sei daher rechtswidrig. Werde durch einen solchen rechtswidrigen Verstoß eines Behördenorganes schuldhaft ein Schaden zugefügt, so seien die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruches nach § 1295 ABGB gegenüber dem Rechtsträger iSd § 1 AHG gegeben. In diesem Umfang erleide der Grundsatz, dass ein subjektives Recht des einzelnen auf die gesetzmäßige Führung der Verwaltung nicht bestehe, eine Einschränkung. Wenn auch weder im § 35 Abs 2 noch im § 60 KfVO eine Frist für die Zurücknahme der Zulassung des Fahrzeuges vorgesehen sei, so könne daraus nicht geschlossen werden, dass die Ausübung der Amtstätigkeit dem Ermessen der Verkehrsbehörde anheimgestellt sei. Der Abschluss und die Aufrechterhaltung des Haftpflichtversicherungsvertrages im Sinne der Bestimmung des § 3 Abs 1 KFG könne vom Gesetzgeber nur durch Strafbestimmungen und in der Weise durchgesetzt werden, dass die Zulassungsbehörde vor Zulassung des Fahrzeuges zum Verkehr den Abschluss eines Versicherungsvertrages überwache und die Zulassung des Fahrzeuges im Falle nicht mehr im vorgeschriebenen Umfang wirksamer Versicherung zurücknehme, wozu die Bestimmungen des IX. Abschnittes C und D (§§ 57 - 60) der KfVO dienten. Aus diesen Bestimmungen gehe in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervor, dass darin angeordnete Sicherungsmaßnahmen unverzüglich durchzuführen seien. Die Auslegung des § 60 Abs 1 KfVO im Sinne unverzüglichen Handelns könne dem Organ der Verkehrsbehörde schon bei Anwendung gewöhnlicher Fähigkeiten zugemutet werden. Im Spruch des bezüglichen Bescheides werde der Kraftfahrzeughalter aufgefordert, das Fahrzeug sofort außer Betrieb zu setzen. Einer allfälligen Berufung werde die aufschiebende Wirkung aberkannt und in der Begründung angeführt, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung „aus Gründen des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug" erfolge.

- Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei die Anzeige der Versicherungsanstalt über das Erlöschen der Haftpflichtversicherung am 14. 6. 1954 bei der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch eingelangt. Erst mit Bescheid vom 4. 9. 1954 habe diese Behörde die Zulassung des Kraftfahrzeuges zurückgenommen. Dieses Verhalten des Organes der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch müsse als eine ungebührliche Verzögerung der in den §§ 3 Abs 1 KFG und 60 Satz 1 KfVO zur Pflicht gemachten Amtshandlung bezeichnet werden, sei daher als Verletzung der gesetzlichen Anordnung rechtswidrig. Das Verhalten des Organes sei auch schuldhaft; denn im vorliegenden Falle hätte es die gesetzliche Vermutung des § 1297 ABGB widerlegen oder beweisen müssen, dass es sich in einer ungewöhnlichen Zwangslage befunden habe. In der Berufung der Beklagten sei in dieser Richtung nichts vorgebracht. Das als Nebenintervenient einschreitende Verwaltungsorgan mache in seiner Berufung als Verfahrensmangel geltend, dass seine im Schriftsatz vom 21. 5. 1959, OZ 22, angebotenen Beweise über die räumliche Beengtheit und über die Personalverhältnisse nicht aufgenommen worden seien. Der Beweis der Arbeitsüberlastung würde aber für sich allein nicht ausreichen; das Verwaltungsorgan hätte behaupten und beweisen müssen, dass es ihm nicht zumutbar und nicht möglich gewesen sei, auf Grund einer entsprechenden Arbeitseinteilung die Amtshandlung iSd § 60 KfVO vordringlich vorzunehmen und weniger dringliche Amtshandlungen zurückzustellen. Im Jahre 1954 sei nach dem Vorbringen des Nebenintervenienten selbst eine Arbeitskraft dem Verwaltungsorgan mit dem ausdrücklichen Auftrag zugeteilt worden, sich ausschließlich mit den Erledigungen iSd §§ 57 Abs 6, 60 KfVO zu befassen. Damit sei dem Verwaltungsorgan wohl eindringlich vor Augen geführt worden, welche Wichtigkeit und Vordringlichkeit den genannten Amtshandlungen zukomme. Eine Beweisaufnahme über die Arbeitsüberlastung wäre daher nicht geeignet gewesen, darzutun, dass das Verwaltungsorgan durch eine außerordentliche Zwangslage gehindert gewesen sei, die Zurücknahme der Zulassung des Fahrzeuges des Franz R***** ohne Aufschub vorzunehmen. Bei rechtzeitiger Vornahme der Amtshandlung wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Annahme berechtigt, dass das Fahrzeug des Franz R***** am 4. 8. 1954 nicht unversichert benützt worden wäre. Entweder hätte R***** das Fahrzeug wieder versichert oder es wäre nicht benützt worden. Im ersten Falle wäre dem Kläger der Versicherungsschutz des Kraftfahrzeughalters zugute gekommen und er hätte durch dessen mangelnde Zahlungsfähigkeit keinen Schaden leiden können. Zwischen dem fahrlässigen Verhalten des Verwaltungsorganes bei Ausübung der vorgeschriebenen Amtshandlung und dem Schaden, den der Kläger infolge eingetretener Zahlungsunfähigkeit des Fahrzeughalters erlitt, bestehe also ein ursächlicher Zusammenhang. Der Schaden bestehe vor allem darin, dass der Kläger den vom Fahrzeughalter Franz R***** zu leistenden Schadenersatz infolge dessen mangelnder Zahlungsfähigkeit und des mangelnden Versicherungsschutzes nicht habe hereinbringen können. - Hinsichtlich der Höhe des vom Fahrzeughalter Franz R***** dem Kläger zu ersetzenden Schadens habe sich das Erstgericht mit dem Hinweis auf das im Haftpflichtprozess zwischen dem Kläger und dem Fahrzeughalter Franz R***** ergangene Versäumungsurteil vom 4. 10. 1954, 16 Cg 363/54 des Landesgerichtes Klagenfurt, begnügt. Franz R***** sei danach im Sinne des Klagebegehrens zur Zahlung von 33.432 S samt 4 % Zinsen seit 1. 10. 1954 und zum Ersatz der Prozesskosten von 972,51 S verurteilt worden. Mit Recht bekämpfen die Berufungswerber die Ansicht des Erstgerichtes, dass im gegenwärtigen Prozess das Versäumungsurteil im Vorprozess die Grundlage für die Feststellung der Höhe des von der Beklagten dem Kläger zu leistenden Schadenersatzes zu bilden habe. Es seien doch nicht die Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes anzuwenden, die im Falle des aufrechten Bestandes einer Haftpflichtversicherung und der Erfüllung der dem Dritten gegenüber dem Versicherer obliegenden Anzeige- und Auskunftspflicht wirksam wären. In einem solchen Fall wäre das Ergebnis des zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer geführten Haftpflichtprozesses für den Versicherer bindend. Das bezeichnete Versäumungsurteil sei nur zwischen dem Kläger und dem Fahrzeughalter Franz R***** wirksam, es erzeuge keine materielle Rechtskraftwirkung gegenüber der Beklagten. Im vorliegenden Rechtsstreit habe der Kläger die Tatsachen, auf welche sich sein gegenüber dem Fahrzeughalter geltend gemachter Anspruch in Haupt- und Nebensachen gründe, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben und ebenso die Beweismittel genau zu bezeichnen (§ 226 ZPO). Der Kläger habe aber nur seine Ansprüche angeführt, über den haftungsbegründenden Tatbestand dagegen keine näheren Behauptungen aufgestellt. Auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse könne in eine Erörterung über die Höhe des von der Beklagten zu leistenden Schadenersatzes nicht eingetreten werden; das Verfahren sei mangelhaft geblieben, weil dem Berufungsgericht erheblich scheinende Tatsachen nicht erörtert wurden. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Rechtssache zur Behebung des Mangels an das Prozessgericht zurückzuverweisen gewesen.

Einen weiteren Verfahrensmangel erblicke die Beklagte darin, dass das Erstgericht den Umfang der Klagseinschränkung nicht beachtet habe. Die im Schriftsatz vom 27. 2. 1959 enthaltene Klagsausdehnung sei unzulässig. Diese Mängelrüge gehe schon deshalb fehl, weil die Beklagte über das abgeänderte Klagebegehren verhandelt habe, ohne gegen die Abänderung Einwendungen zu erheben. Im Übrigen seien die Kosten nicht Gegenstand des Klagebegehrens.

Nach Meinung der Beklagten stehe dem Kläger kein Amtshaftungsanspruch zu, weil er es fahrlässig verabsäumt habe, rechtzeitig auf der Liegenschaft des Fahrzeughalters das Zwangspfand zu begründen; denn dann wäre das Pfandrecht durch den Konkurs unberührt geblieben und der Kläger hätte durch die Verwertung dieses Pfandes volle Deckung erlangt. Entgegen dieser Meinung der Beklagten sei jedoch dem Kläger kein Verschulden nachgewiesen worden. Die Beklagte habe nur behauptet, dass dem Kläger die schlechte Vermögenslage des Franz R***** habe bekannt sein müssen, ohne konkrete Tatumstände zur Substanziierung dieser ganz allgemein gehaltenen Prozessbehauptung vorzubringen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes habe sich der Kläger redlich bemüht, seine Ersatzforderung bei Franz R***** hereinzubringen.

Was die Bekämpfung des Zuspruches der Kosten des Rechtsstreites 16 Cg 363/54 des Landesgerichtes Klagenfurt von 972,81 S und der Exekutionskosten von 318,28 S, 279,55 S, 289,23 S und 335 S anlange, so könne dahingestellt bleiben, ob diese Kosten überhaupt ein Teil des Schadens iSd § 1 Abs 1 AHG sind; dies deshalb, weil sie kein Gegenstand des am Schluss der Verhandlung noch aufrechten Klagebegehrens seien. Der Kläger habe nach Erhalt der Quote von 12.875,46 S aus dem Konkurs des Franz R***** das Klagebegehren in der letzten Verhandlung eingeschränkt. Wie aus dem bezüglichen Schriftsatz hervorgehe, habe die Einschränkung Zinsen und Kosten erfasst. Gegen die Verrechnung der Zahlung auf diese Ansprüche habe die Beklagte keine Einwendung erhoben.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes richten sich die Rekurse des Klägers und der Beklagten; keinem der beiden Rekurse kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zum Rekurs des Klägers: Er macht geltend, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es seien im gegenständlichen Falle nicht die Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes anzuwenden, unrichtig sei. Sie würde nur dann zutreffen, wenn der Kläger gegen Franz R***** noch kein Urteil erwirkt hätte. Dann müsste der Kläger den Schaden der Beklagten gegenüber beweisen. Wenn aber bereits ein vollstreckbares Urteil vorliege, bestehe der Schaden den die Beklagte auf Grund des Amtshaftungsanspruches zu zahlen habe, darin, dass er dieses Urteil mangels aufrechten Bestandes einer Haftpflichtversicherung gegen die Versicherung nicht durchsetzen könne. Es sei daher der Schaden so zu ersetzen, wie die Haftpflichtversicherung ihn dem Kläger zu ersetzen gehabt hätte. Die Haftpflichtversicherung wäre auf Grund einer Drittschuldnerexekution bei aufrechtem Bestand der Versicherung verpflichtet gewesen, dem Kläger den Betrag lt. Versäumungsurteil zu bezahlen, wobei der Kläger bei einer Zahlungsverweigerung der Haftpflichtversicherung nicht den Schaden der Höhe nach zu beweisen gehabt hätte, sondern nur, dass ein vollstreckbares Urteil und ein aufrechter Haftpflichtversicherungsvertrag vorliege. Da der Kläger infolge Verschuldens des Organes der Beklagten seine Forderung aus dem vollstreckbaren Urteil gegen die Haftpflichtversicherung nicht durchsetzen könne, sei die Beklagte verpflichtet, ihm diese Forderung lt. vollstreckbarem Urteil im Betrage von 33.432 S sA bzw den nunmehr eingeschränkten Klagsbetrag zu bezahlen. Die Beklagte könne daher nicht verlangen, dass der Kläger den Schaden nochmals unter Beweis stelle. Davon abgesehen habe die Beklagte einen Teilanspruch, nämlich den Verdienstentgang im Betrage von 686 S der Höhe nach außer Streit gestellt, sodass dieser Betrag auf alle Fälle zuzusprechen gewesen wäre.

Mit obigen Ausführungen verkennt der Rekurswerber die Wirkungen der formellen und materiellen Rechtskraft eines Urteiles. Mit der formellen Rechtskraft (Unanfechtbarkeit der Entscheidung) ist die materielle verbunden. Das Urteil wirkt nur zwischen den am Prozess beteiligten Parteien; dritte Personen sind durch die Rechtskraft des Urteils nicht gebunden, soferne nicht irgendwelche Ausnahmsbestimmungen oder Abreden vorliegen. Soweit es ihre Rechte berührt (Tatbestands- oder Reflexwirkung), können sie seine Richtigkeit bestreiten. Was sie nicht bestreiten können, ist nur, dass das Urteil zwischen den Parteien so wirkt, wie wenn es richtig wäre. Das rechtskräftige Urteil entscheidet endgültig über den eingeklagten Anspruch (§ 411 ZPO) und nur über diesen, nicht auch über die zugrundeliegenden Tatsachen. Mit Ausnahme der Echtheit von Urkunden (§ 228 ZPO) können Tatsachen überhaupt nicht rechtskräftig festgestellt werden. Sie bedürfen daher, wenn sie in einem späteren Rechtsstreit wieder erheblich sind und bestritten werden, neuerlichen Beweises. Die Rechtskraft schließt nur eine neuerliche Entscheidung über denselben Anspruch aus (Ehrenzweig, Allgemeiner Teil, §§ 144, 145). Von Nämlichkeit des klägerischen Anspruches und jenes, der mit Versäumungsurteil erledigt wurde, kann demnach keine Rede sein. Wenn die Beklagte die Voraussetzungen für den Eintritt eines Schadens oder einen Schadenersatzanspruch überhaupt bestreitet, so wird dieser Einwand nicht schon mit dem Hinweis auf das rechtskräftige Urteil zwischen anderen Parteien gegenstandslos, vielmehr sind, weil das vorausgegangene Urteil keine Rechtskraft gegen die Beklagte bewirkt, dann eben alle Voraussetzungen für den Anspruch, und zwar sowohl dem Grunde wie der Höhe nach, zu prüfen. Der Standpunkt des Rekurswerbers, dass die Beklagte das rechtskräftige Versäumungsurteil auch gegen sich gelten lassen müsse, ist dem Gesagten zufolge rechtsirrig und auf die Frage, wozu die Haftpflichtversicherung auf Grund einer Drittschuldnerexekution bei aufrechtem Bestand der Versicherung verpflichtet gewesen wäre, nicht einzugehen. Die Außerstreitstellung des Verdienstentganges von 686 S der Höhe nach besagt noch nichts über den Grund des Anspruches, daher versagt auch der Hinweis auf diese Außerstreitstellung. Im Übrigen verweist der Oberste Gerichtshof auf die durchaus zutreffende Begründung des angefochtenen Beschlusses, soweit sie nicht von Obigem abweicht. Dem Rekurs konnte mithin ein Erfolg nicht beschieden sein.

Zum Rekurs der Beklagten: Um die nachteiligen Auswirkungen eines rechtswidrigen Vorganges beurteilen zu können, müssen, so meint die Rekurswerberin, die tatsächliche und rechtliche Situation, die ohne den rechtswidrigen Vorgang bestanden hätte, der durch den rechtswidrigen Vorgang tatsächlich eingetretenen Sach- und Rechtslage gegenübergestellt werden. Gemäß § 1 Abs 1 AHG würden auch für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes die allgemeinen Grundsätze des im ABGB geregelten Schadenersatzrechtes gelten. Aus § 1323 ABGB ergebe sich, dass der Geschädigte durch die Schadensgutmachung so gestellt werden solle, als ob das schädigende Ereignis niemals eingetreten wäre. Durch die nicht unverzüglich geschehene Einziehung des Zulassungsscheines und der Kennzeichentafel, trotz bekannter, nicht mehr bestehender, Haftpflichtversicherung hätten unmittelbar nur die Rechte derjenigen Personen berührt werden können, die bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung geschützt bzw gesichert gewesen wäre, denen also bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung ein Deckungsanspruch zugestanden wäre. Der Versicherungsvertrag gebe dem Versicherungsnehmer den Anspruch auf Befreiung von der Haftung gegenüber dem durch den Unfall Geschädigten. Es handle sich somit um einen Deckungsanspruch und nicht um einen Haftpflichtanspruch. Dem geschädigten Dritten stehe jedoch ein selbständiger, unmittelbarer Anspruch gegen den Versicherer niemals zu, da mit diesem nur der Versicherte (Versicherungsnehmer) in Rechtsbeziehungen stehe. Der geschädigte Dritte könne aus dem Nichtbestehen der Haftpflichtversicherung nur einen mittelbaren Schaden erleiden, für den jedoch die Beklagte mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht hafte. Der Dritte könne einen solchen nur mittelbaren Anspruch (Deckungsanspruch) auch nicht auf dem Umwege über die Amtshaftung erlangen. Der Geschädigte könne durch eine Amtspflichtverletzung nicht eine günstigere Rechtsstellung erlangen, als ihm ohne eine solche Rechtsverletzung zukäme. Der Kläger hätte nur als Rechtsnachfolger bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen einen Ersatzanspruch geltend machen können, der den am seinerzeit bestandenen und in der Folge erloschenen Haftpflichtversicherungsvertrag Beteiligten infolge Nichtbestandes des Deckungsanspruches nach dem Amtshaftungsgesetz zugestanden sei. Ein Ersatzanspruch nach dem AHG habe auch deshalb nicht entstehen können, weil der Kläger der ihm obliegenden Rettungspflicht nicht vollauf Genüge getan habe. Der Kläger habe sich mit seiner Ersatzforderung bereits dem Strafverfahren 9 Vr 1390/54 des Landesgerichtes Klagenfurt als Privatbeteiligter angeschlossen. Im nachfolgenden Zivilprozess zu 16 Cg 363/54 des Landesgerichtes Klagenfurt habe er gegen den Kraftfahrzeughalter am 4. 10. 1954 ein Versäumungsurteil erwirkt. Aus dem Verhalten des Halters und des Lenkers des Kraftfahrzeuges in diesem Prozess habe der rechtsfreundlich vertretene Kläger erkennen müssen, dass die Einbringung der Ersatzforderung mit Schwierigkeiten verbunden sein werde. Der Kläger hätte daher mit der Anbringung des Antrages auf zwangsweise Pfandrechtsbegründung ob der Liegenschaft EZ 90 KG *****, nicht nahezu drei Monate zuwarten dürfen. Der Kläger habe somit von der ihm gebotenen Möglichkeit zur Abwendung des Schadens keinen Gebrauch gemacht. Zu den Rechtsmitteln iSd § 2 Abs 2 AHG gehörten alle Rechtshandlungen, durch die der behauptete Schaden hätte abgewendet werden können. - Die vom Berufungsgericht gebilligte Verrechnung der Kosten habe nur das Ergebnis, dass die Hauptforderung in unzulässiger Weise um die Kosten erhöht worden sei. Stehe dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz dieser Kosten nicht zu, so habe er einen solchen Anspruch auch nicht auf dem Umweg durchsetzen können, dass er den aus dem Konkurs erhaltenen Betrag auf diese Kosten verrechnete. In diesem Fall wäre eben eine solche Verrechnung der Beklagten gegenüber unzulässig. Die Zahlung aus dem Konkurs sei richtigerweise auf die Hauptforderung zu verrechnen gewesen, die um diesen Betrag gekürzt werde. Die Kosten seien dagegen bei der Schadensberechnung zur Gänze auszuscheiden. Die dem Geschädigten aus der Rettungspflicht erwachsenden Kosten seien nicht als Schaden im Sinne des AHG anzusehen. Diese Kosten könnten keinen Schadenersatzanspruch begründen; auch aus diesem Gesichtspunkt sei daher der geltend gemachte Ersatzanspruch bezüglich der angeführten Kosten nicht begründet. Dazu komme, dass die Kostenvorschriften als Spezialbestimmungen die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes ausschlössen. Verfahrenskosten könnten nur auf Grund der einschlägigen Verfahrensvorschriften und nur im Rahmen des in Betracht kommenden Verfahrens, nicht aber abgesondert mittels Klage geltend gemacht werden.

Der Argumentation der Rekurswerberin vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Wie er bereits in der Entscheidung SZ XXVIII 201 erkannt hat, steht dem Staatsbürger ein Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens nach den Bestimmungen des AHG dann zu, wenn der Schaden infolge schuldhafter Verletzung einer Norm, die dem Schutz des Staatsbürgers dient, durch staatliche Organe herbeigeführt wurde. Die Norm des § 3 Abs 1 KFG 1946 dient nach der gleichen Entscheidung den Interessen aller am Kraftverkehr beteiligten Personen, die durch den Unfall in Mitleidenschaft gezogen werden können. Demselben Zweck sind auch die Bestimmungen der §§ 57 Abs 6 und 60 KfVO 1947 gewidmet; sie regeln, wie die Interessen der Verkehrsteilnehmer für den Fall gewahrt werden sollen, dass die Wirksamkeit der Versicherung etwa wegen Nichtzahlung einer Prämie aufhört. In diesem Fall sollen die Verkehrsteilnehmer dadurch geschützt werden, dass die Behörde die Zulassung zurücknimmt und die Kennzeichen abnimmt, wodurch das Fahren mit einem solchen Kraftfahrzeug praktisch unmöglich gemacht und ein Druck auf den säumigen Halter des Fahrzeuges ausgeübt wird, die Prämien nachzuzahlen. Auszugehen ist davon, dass die Versicherung zur Zeit des Unfalles bereits außer Kraft getreten war. Ohne die Fahrlässigkeit des Organes der Beklagten wäre die Verwendung des Kraftfahrzeuges durch die schon erwähnten Maßnahmen verhindert worden. In der Unterlassung liegt das schädigende Ereignis. Dem durch die Unterlassung eingetretenen Schadensereignis muss daher die Situation gegenübergestellt werden, welche bei pflichtgemäßem Handeln eingetreten wäre, d.h. der Unfall wäre nicht oder mit größter Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten. Der Amtshaftungsanspruch kann infolgedessen nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Kläger keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Versicherungsanstalt gehabt hätte. Das Fahren mit einem Kraftfahrzeug ist eine generelle Verursachungshandlung für einen Schaden. Auf dieser Erkenntnis beruhen die strengen Haftungsbestimmungen und die Versicherungspflicht. Bei Unterlassungen ist der kausale Zusammenhang dann gegeben, wenn bei pflichtgemäßem Handeln der Schadenserfolg nicht eingetreten wäre. Statt einer Wiederholung mag noch auf die in jeder Hinsicht zu billigenden Gründe des angefochtenen Beschlusses in der Frage der Haftung der Beklagten, was das Grundsätzliche betrifft, aber auch bezüglich nicht verspäteter Exekutionsführung, verwiesen werden.

Zur Frage, ob die zur Abwendung des Schadens aufgewendeten Verfahrenskosten ein Schaden sind oder nicht, hat der Oberste Gerichtshof eben erst in der Entscheidung vom 8. 3. 1961, 1 Ob 93, 94/61, Stellung genommen. Diese Entscheidung bejaht die Frage im Wesentlichen mit folgenden Ausführungen: Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass ein Prozesskostenaufwand eine Verminderung des Vermögens des Aufwendenden, also einen Schaden im Rechtssinne darstellt. Die Vertreter der Ansicht, dass die Prozesskosten nicht Gegenstand eines Schadenersatzanspruches sein können, folgern dies aus der besonderen rechtlichen Natur des Prozesskostenanspruches, der in den Verfahrensgesetzen seine Grundlage hat, kein Schadenersatzanspruch ist, und aus der Rechtskraftwirkung der Prozesskostenentscheidung. Diese Erwägungen haben Berechtigung, soweit es sich um das Verhältnis zwischen den Prozessparteien handelt, treffen aber nicht auf das Verhältnis zwischen einer Partei und einem schuldtragenden Dritten zu. In diesem Verhältnis beruht der Anspruch nicht mehr auf den öffentlich-rechtlichen Verfahrensvorschriften, sondern auf den privatrechtlichen Normen des Schadenersatzes. Einer solchen Haftung steht auch die Rechtskraftwirkung der Kostenentscheidung nicht entgegen, weil diese nur die Kostenersatzpflicht zwischen den Parteien des Verfahrens betrifft. Es lässt sich auch nicht ohne weiteres sagen, dass Klagsführung und Exekutionen nicht zweckmäßig gewesen wären. Unabhängig davon, ist aber gegebenenfalls noch zu sagen, dass die Feststellung des Berufungsgerichtes, die Beklagte habe der vom Kläger gewollten Verrechnung der aus der Konkursmasse erhaltenen Quote in erster Linie auf Zinsen und Kosten nicht widersprochen, unbekämpft blieb, sodass in der Tat der bezügliche Teilanspruch des Klägers aus dem gegenwärtigen Streit wegfiel.

Es ergibt sich demnach, dass auch der Rekurs der Beklagten keine Berechtigung hat und der angefochtene Beschluss im vollen Umfang zu bestätigen war.

Der Ausspruch in der Kostenfrage beruht auf den §§ 40, 50 ZPO, d.h. die Rechtsmittelwerber haben die Kosten der erfolglosen Rechtsmittel selbst zu tragen.

Anmerkung

E85238 1Ob147.60

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0010OB00147.6.0322.000

Dokumentnummer

JJT_19610322_OGH0002_0010OB00147_6000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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