Norm
ZPO §73 Abs2Kopf
SZ 34/77
Spruch
§ 73 Abs. 2 ZPO. findet auf die Einwendungen der armen Partei gegen den Wechselzahlungsauftrag Anwendung.
Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Beschluß des Berufungsgerichtes, mit dem ein in einem Wechselprozeß ergangenes Urteil wegen Nichtigkeit aufgehoben wird und die Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag als verspätet zurückgewiesen werden.
Entscheidung vom 17. Mai 1961, 1 Ob 232/61.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Wechselzahlungsauftrag vom 24. Oktober 1960 wurde der Beklagten am 27. Oktober 1960 zugestellt. Am 31. Oktober 1960, dem letzten Tag der Frist zur Erhebung von Einwendungen, stellte die Beklagte vor dem Erstgericht den Antrag auf Erteilung des Armenrechtes und Bestellung eines Armenanwaltes, weil sie beabsichtige, gegen den Wechselzahlungsauftrag Einwendungen zu erheben. Da auf dem gleichzeitig vorgelegten Armenrechtszeugnis die Unterschriften des Bürgermeisters und der Bezirkshauptmannschaft fehlten, stellte das Erstgericht der Beklagten das Armenrechtszeugnis gegen Wiedervorlage binnen drei Tagen zur Verbesserung zurück. Die Bestätigung des zuständigen Gemeindeamtes geschah noch am 31. Oktober 1960, die Bestätigung; der Bezirkshauptmannschaft ist allerdings erst mit 13. Dezember 1960 datiert. Aus der Einlaufsstampiglie ergibt sich, daß das Armenrechtszeugnis am 2. November 1960 dem Erstgericht mit der Bestätigung des Gemeindeamtes wieder vorlag. Am 3. November 1960 bewilligte das Erstgericht der Beklagten das Armenrecht unter Abfertigung des ZP.-Form. Nr. 4 an die Rechtsanwaltskammer. Diese bestellte vorerst Dr. Hannes S. für die Beklagte als Armenanwalt. Dieser beantragte wegen Interessenkollision seine Enthebung von der Armenvertretung, worauf Dr. Nadina H. zum Armenanwalt bestellt wurde. Das Bestellungsdekret wurde der Genannten am 17. November 1960 zugestellt. Da der 20. November 1960 ein Sonntag war, überreichte die Armenvertreterin am 21. November 1960 die Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag bei Gericht. In dem am 28. November 1960 bei Gericht eingelangten Schriftsatz machte der Kläger geltend, daß die Einwendungen verspätet erhoben worden seien. In der Streitverhandlung vom 13. Dezember 1960 stellte das Erstgericht der Beklagten neuerdings das Armenrechtszeugnis zur Beibringung der noch fehlenden Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft zurück.
Das Erstgericht hob mit seinem Urteil vom 29. Dezember 1960 den Wechselzahlungsauftrag vom 24. Oktober 1960 auf. Zum Einwand der Verspätung der Einwendungen führte es aus, daß die Beklagte am letzten Tag der Frist unter Vorlage des Armenrechtszeugnisses um die Bestellung eines Armenvertreters ansuchte, das Gericht jedoch das Armenrechtszeugnis wegen unvollständiger Ausfüllung zur Verbesserung zurückstellte. Da nach Einlangen des Armenrechtszeugnisses innerhalb der erteilten Frist das Armenrecht erteilt worden und die Bestellung des Armenvertreters erfolgt sei, ab dieser Bestellung die dreitägige Frist zur Erstattung von Einwendungen eingehalten worden sei, könne von einer Verspätung der Einwendungen nicht die Rede sein.
Das Berufungsgericht hob auf Berufung der klagenden Partei in nichtöffentlicher Sitzung unter Anerkennung des Berufungsgrundes der Nichtigkeit das Urteil des Erstgerichtes sowie das erstgerichtliche Verfahren ab dem Zeitpunkt der Erhebung der Einwendungen als nichtig auf und wies die gegen den Wechselzahlungsauftrag vom 24. Oktober 1960 erhobenen Einwendungen zurück, dies aus folgenden Erwägungen:
Die ZP.-Nov. 1955, BGBl. Nr. 282, habe bezüglich der Fristen für die Erhebung der Berufung, der Revision und des Rekurses im Verfahren vor den Gerichtshöfen sowie der Fristen für die Einbringung einer Berufungsmitteilung und Revisionsbeantwortung die Unterbrechung des Fristenlaufes durch die innerhalb der betreffenden Fristen erfolgte Antragstellung auf Bestellung eines Armenanwaltes angeordnet. Demgegenüber sei jedoch für die dreitägige Einwendungsfrist des § 557 Abs. 1 ZPO. eine derartige Regelung nicht getroffen worden. Gleichzeitig durch die bezogene Novelle sei die Bestimmung des § 90 Abs. 1 GOG. neu gefaßt worden, derzufolge dann, wenn eine arme Partei, zu deren Vertretung noch kein Rechtsanwalt bestellt ist, gegen einen Wechselzahlungsauftrag Einwendungen anbringen will, das Prozeßgericht auf Antrag oder von Amts wegen einen Richter mit der Abfassung der Einwendungen und ihrer rechtzeitigen Überreichung zu betrauen hat. Aus dieser Gesetzeslage folge, daß die Antragstellung auf Bewilligung des Armenrechtes rücksichtlich der Frist zur Erhebung der Einwendungen im Wechselverfahren ohne Einfluß sei. Wohl stimme es, daß die Rechtsprechung die nunmehrige Regelung des § 464 Abs. 3 ZPO. unter Bedachtnahme auf § 73 Abs. 2 ZPO. auch auf die Klagebeantwortungsfrist anwende. Rücksichtlich der Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag sei dies jedoch nicht zulässig. Selbst wenn aber § 73 Abs. 2 ZPO. grundsätzlich auch im Wechselverfahren anzuwenden wäre, wäre damit im vorliegenden Fall für die Beklagte nichts gewonnen, weil die bezogene Gesetzesstelle voraussetze, daß die Partei ohne Verzug ein ordnungsgemäßes Gesuch auf Bewilligung des Armenrechts anbringe. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte erst am letzten Tag der Frist den Antrag auf Bewilligung des Armenrechtes und Bestellung eines Armenanwalts unter Vorlage eines den einschlägigen Bestimmungen nicht entsprechenden Armenrechtszeugnisses gestellt. Es könne dahingestellt bleiben, ob ein Armenrechtszeugnis im Sinne des § 84 ZPO. überhaupt verbesserungsfähig sei, denn gemäß § 64 Abs. 2 ZPO. träten die mit der Bewilligung des Armenrechts verbundenen Befreiungen und Rechte erst mit dem Tage ein, an dem das den gesetzlichen Bestimmungen des § 65 ZPO. entsprechende Armenrechtszeugnis dem Gericht vorgelegt worden sei. Hieraus folge, daß in Anbetracht der mit dem Beschluß vom 3. November 1960 rechtskräftig erfolgten Bewilligung des Armenrechtes der Beklagten frühestens mit dem Zeitpunkt der Wiedervorlage des Armenrechtszeugnisses (2. November 1960) die Stellung einer armen Partei zugebilligt werden könnte. Da aber die Beklagte nicht ohne Verzug alles getan habe, was von ihr erwartet werden konnte, müsse ihre am 31. Oktober 1960 erfolgte Antragstellung mangels rechtzeitiger Vorlage eines zur Bewilligung des Armenrechtes hinreichenden Fragebogens auch bei Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 73 Abs. 2 ZPO. als für den Lauf der Einwendungsfrist unbeachtlich angesehen werden. Innerhalb der mit 31. Oktober 1960 abgelaufenen Einwendungsfrist seien demnach von der Beklagten Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag nicht erhoben worden; bis dahin habe auch nicht die Bestellung eines Armenvertreters im Sinne des § 90 Abs. 1 GOG. wirksam beantragt werden können. Die erst am 21. November 1960 überreichten Einwendungen seien daher verspätet erhoben worden und wären schon vom Erstgericht gemäß § 559 ZPO. in Verbindung mit § 552 Abs. 2 ZPO. ohne Verhandlung zurückzuweisen gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten Folge und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Zulässigkeit des Rekurses der Beklagten ist zu bejahen. Durch den Beschluß des Berufungsgerichtes wurde der Prozeß beendet, ohne daß es noch zu einer allenfalls revisiblen Sachurteilsfällung kommen könnte. In derartigen Fällen ist aber die Zulässigkeit der Anfechtung des berufungsgerichtlichen Beschlusses in sinngemäßer Anwendung des § 519 Z. 2 ZPO. gegeben (7 Ob 433, 439/55, 1 Ob 128/53, 1 Ob 802/52; Novak, Zur Tragweite des § 519 ZPO., JBl. 1953 S. 57 ff.). Der somit zulässige Rekurs ist auch begrundet.
Der Oberste Gerichtshof vermag der Ansicht des Berufungsgerichtes in bezug auf die Unanwendbarkeit der Vorschrift des § 73 Abs. 2 ZPO. auf den vorliegenden Fall nicht beizustimmen. Richtig ist zwar, daß die Zivilprozeßnovelle 1955 für die Rechtsmittelfristen und die Fristen zur Beantwortung der Berufung und Revision eine eindeutige Regelung insofern getroffen hat, als dann, wenn eine arme Partei innerhalb der Frist um die Bestellung eines Armenanwaltes angesucht hat, für sie die Frist mit der Zustellung des Beschlusses über die Beigabe und Bestellung des Armenanwaltes an diesen beginnt. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die Bestimmung des § 73 Abs. 2 ZPO. bloß deshalb keine Anwendung findet, weil die für Rechtsmittelfristen getroffene Regelung nicht auch im § 557 ZPO, ihren Niederschlag gefunden hat. Mit der Novellierung der Bestimmung des § 90 GOG. ist abweichend von der bis dahin geltenden Gesetzeslage nur bestimmt worden, daß mit der Abfassung der Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag und ihrer rechtzeitigen Überreichung nicht ein aktiver oder in den Ruhestand versetzter Beamter der Staatsanwaltschaft oder des Gerichtes, sondern ein Richter zu betrauen ist. Eine solche Betrauung hatte ein schon innerhalb der Frist erledigtes Armenrechtsgesuch zur Voraussetzung, weil nur in diesem Fall eine rechtzeitige Überreichung der Einwendungen möglich ist. Die Vorschrift des § 90 GOG. gibt indessen keinen Schlüssel zur Lösung der Frage, was zu geschehen hat, wenn ein rechtzeitig überreichtes Gesuch um Bewilligung des Armenrechtes innerhalb der Frist noch keine Erledigung gefunden hat. Hier greift immer noch die Vorschrift des § 73 Abs. 2 ZPO. ein. Entscheidende Bedeutung kommt daher der Tatsache zu, daß die Beklagte innerhalb der offenen Frist zur Erstattung der Einwendungen das Gesuch um Bewilligung des Armenrechtes bei Gericht angebracht und auch noch am 31. Oktober 1960, wie sich aus der Aktenlage ergibt, das Armenrechtszeugnis mit der Bestätigung des zuständigen Gemeindeamtes zur Post gegeben hat. Die Beklagte trifft kein Vorwurf in der Richtung, daß sie ihr Gesuch nicht ohne Verzug nach Zustellung des Wechselzahlungsauftrages und der Wechselklage, wie es § 73 Abs. 2 ZPO. vorschreibt, angebracht hätte; denn bei Beantwortung dieser Frage muß wiederum darauf Bedacht genommen werden, daß die Frist zur Erhebung von Einwendungen nur mit drei Tagen, also sehr kurz bemessen ist und es mit der Beschaffung des Formulars für die Ausfüllung des Fragebogens bzw. des Armenrechtszeugnisses nicht getan ist, die Partei vielmehr noch die Einholung verschiedener Bestätigungen von Ämtern zu besorgen hat und der Parteienverkehr bei diesen Amtern nicht jeden Tag stattfindet. In die dreitägige Frist fielen im vorliegenden Fall ein Samstag und ein Sonntag; trotzdem gelang es der Beklagten, noch am gleichen Tag, an dem sie das Gesuch bei Gericht anbrachte, die für den Begriff eines Zeugnisses wesentliche Bestätigung des zuständigen Gemeindeamtes beizubringen und dieses Zeugnis noch der Post am gleichen Tage zu übergeben, somit rechtzeitig zu überreichen. In der Folge ist das Armenrecht erteilt und ein Rechtsanwalt zur Verfassung und Überreichung der Einwendungen bestellt worden. Daß der zunächst bestellte Armenanwalt wegen Kollision um seine Enthebung nicht rechtzeitig angesucht oder der neu bestellte Armenanwalt nicht ab der Zustellung des Dekrets an ihn rechtzeitig die Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag überreicht hätte, wird nicht behauptet und läßt sich auch der Aktenlage nicht entnehmen. Es war auch kein Fehler, gegebenenfalls einen Rechtsanwalt zur Abfassung und Überreichung der Einwendungen zu bestellen, da der Tatbestand des § 90 GOG., der offensichtlich ein in noch offener Frist bereits bewilligtes Armenrecht voraussetzt, nicht vorlag. Richtig ist wohl, daß das Armenrecht und die damit verbundenen Befreiungen mit dem Tag wirksam werden, an dem das Armenrechtszeugnis vorgelegt wird. Maßgebend hiefür ist also nicht der Zeitpunkt der Bewilligung des Armenrechtes, sondern der der Vorlage des Armenrechtszeugnisses. Daraus folgt, daß eine ohne Vorlage des Armenrechtszeugnisses erfolgte Bewilligung des Armenrechtes unwirksam bleibt und rechtlich keine Bedeutung haben kann. Im vorliegenden Fall sind aber, wie dargetan, sowohl das Gesuch um Erteilung des Armenrechtes wie auch das Armenrechtszeugnis rechtzeitig am 31. Oktober 1960 bei Gericht angebracht bzw. der Post übergeben worden (§ 89 GOG.). Der Ansicht der Rekurswerberin ist mithin beizupflichten, daß durch die Neufassung des § 90 Abs. 1 GOG. die Norm des § 73 Abs. 2 ZPO. für das Wechselverfahren nicht völlig unanwendbar geworden ist, die Neufassung sich vielmehr zwingend aus der Neueinführung der gesetzlichen Bestimmung des § 464 Abs. 3 ZPO. ergibt und maßgebend das innerhalb der dreitägigen Einwendungsfrist des § 557 Abs. 1 ZPO. gestellte, aber noch nicht erledigte Ansuchen um Bewilligung des Armenrechtes und Bestellung eines Vertreters zur Erhebung der Einwendungen gegen den Wechselzahlungsauftrag bei überdies rechtzeitiger Vorlage eines Armenrechtszeugnisses ist. Da mit der Einbringung des Gesuchs in analoger Anwendung der Regelung des § 464 Abs. 3 ZPO. auch bei den anderen Fristen, die durch eine Prozeßhandlung in Lauf gesetzt werden, Unterbrechung eintritt, sind die schließlich am 21. November 1960 überreichten Einwendungen nicht als verspätet angebracht anzusehen.
Anmerkung
Z34077Schlagworte
Armenvertreter, Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag, Einwendungen, Wechselzahlungsauftrag, Anwendbarkeit des § 73 Abs. 2, ZPO., Rekurs gegen die Zurückweisung, Rekurs Zurückweisung der Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag, Wechselzahlungsauftrag, Einwendungen, Anwendbarkeit des § 73 Abs. 2, ZPO., Rekurs gegen die Zurückweisung, Zurückweisung der Einwendungen gegen einen Wechselzahlungsauftrag„ RekursEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1961:0010OB00232.61.0517.000Dokumentnummer
JJT_19610517_OGH0002_0010OB00232_6100000_000