Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Deutsch als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lenk, Dr. Meyer-Jodas, Dr. Hammer und Dr. Lassmann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma M***** & Co, Kommanditgesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Hans Knoll, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W***** S*****, vertreten durch Dr. Paul Singer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Vornahme von Handlungen (Streitwert S 10.100) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 8. Februar 1961, GZ 6 R 450/60-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 3. November 1960, GZ 22 Cg 20/60-18, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 696,56 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.123,07 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Zwangsfolge zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei, die beklagte Partei zur Entfernung eines auf der Liegenschaft in Wien XXIII., Liesing, ***** verlegten elektrischen Kabels sowie Entfernung des Anschlusses desselben an den auf der gleichen Liegenschaft befindlichen Transformators zu verhalten. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Firma W***** M***** Ges.m.b.H. i.L. grundbücherliche Eigentümerin der obgenannten Liegenschaft sei und die klagende Partei von ihr das außerbücherliche Eigentum im Juni 1959 erworben habe. Die genannte Firma habe mit der beklagten Partei einen Elektrizitätsversorgungsvertrag geschlossen, dem die "Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit elektrischer Arbeit aus dem Niederspannungsnetz der W***** S***** vom 1.4.1942" zugrundegelegt worden seien, ohne dass eine schriftliche Zustimmung der klagenden Partei als Grundeigentümerin zur Benützung des Grundstückes im Sinne des Punktes III Z 4 der "Allgemeinen Bedingungen" beigebracht worden wäre. Während des Bestandes dieses Elektrizitätsversorgungsvertrages sei die Firma W***** M***** Ges.m.b.H. in Liquidation getreten und der Vertrag mit dieser Firma mit Wirkung vom 31.1.1959 einverständlich zur Auflösung gelangt. Mitte 1959 habe die klagende Partei die auf der genannten Liegenschaft befindlichen Baulichkeiten an die Firma "T*****" vermietet, welche ihrerseits wieder einen Elektrizitätsversorgungsvertrag mit der beklagten Partei abgeschlossen habe, ohne dass die klagende Partei um ihre schriftliche Zustimmung ersucht worden wäre. Im Dezember 1959 sei ohne vorherige Verständigung der klagenden Partei als Grundeigentümerin im Auftrage der beklagten Partei begonnen worden, einen Graben zum Zwecke der Verlegung eines zur Versorgung außerhalb des Grundstückes liegenden Stromabnehmers dienenden Kabels auszuheben. Trotzdem die beklagte Partei zur Kenntnis genommen habe, dass die klagende Partei Grundeigentümerin sei, habe sie die Arbeiten fortgesetzt und entgegen ihrer Zusage, die gegenständliche Sache im Rechtsweg zu klären, das Kabel verlegt, am 22.12.1959 an den Transformator angeschlossen und den Graben zuschütten lassen. Da weder zwischen den Parteien ein Vertrag bestehe noch die klagende Partei ihre Zustimmung zum Elektrizitätsversorgungsvertrag mit der Mieterin "T*****" gegeben habe, stellten diese Maßnahmen der beklagten Partei eine Verletzung des klägerischen Eigentumsrechtes dar, welche zu dulden die klagende Partei nicht verpflichtet sei und die ihr auch nicht zumutbar wären.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, Otto M*****, der Komplementär der Klägerin, sei auch Geschäftsführer der Firma W***** M***** Ges.m.b.H. bis zur Fassung des Liquidationsbeschlusses im Jahre 1958 gewesen. Um die Jahreswende 1957/1958 habe die Firma M***** Ges.m.b.H. neue Maschinen aufgestellt und am 14.12.1957 bzw 10.1.1958 mit der beklagten Partei eine Vereinbarung zum Bezug hochgespannten Drehstromes bei niederspannseitiger Messung abgeschlossen. Zu diesem Zwecke sei der auf dem Grundstück der Firma M***** befindliche Transformator umgebaut worden. Dieser Transformator, der frei aufgestellt durch sein eigenes Gewicht auf dem Grundstück festgehalten werde, sei im Eigentum der beklagten Partei verblieben. Die Vereinbarung sei zunächst bis 31. Dezember 1960 abgeschlossen worden. Integrierender Bestandteil seien die "Bedingungen für die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Arbeit" gewesen. Die Firma M***** habe einen Anschlusspreis von S 19.000 und für den Transformator Miete zu bezahlen gehabt. Bald nach Abschluss dieser Vereinbarung, am 25. Juni 1958, sei der Liquidationsbeschluss der Firma M***** Ges.m.b.H. gefasst, Otto M***** als Geschäftsführer enthoben und Josef D***** zum Liquidator bestellt worden. Ein Betrieb sei derzeit nicht mehr aufrecht. Die angenommene Menge an Strombezug sei nicht erreicht worden. Es habe daher die Firma M***** i.L. den Strombezugsvertrag aufgekündigt und es sei einvernehmlich zur Auflösung des Stromabnehmervertrages mit Wirkung vom 31. Jänner 1959 gekommen. Im Zuge der Auflösung dieses Vertrages habe die beklagte Partei die vorgeschriebenen ausständigen Beträge über Intervention des Otto M***** sowie des Rechtsanwaltes Dr. Hans Knoll von S 19.000 auf S 4.000 ermäßigt. Der noch aushaftende restliche Gesamtbetrag von S 35.000 sei von Otto M***** direkt an die beklagte Partei überwiesen worden. In der Folge habe die klagende Partei das gegenständlichen Grundstück von der Firma M***** i.L. auf Grund eines mündlichen Kaufvertrages mit dem Liquidator Josef D***** erworben, wobei der Kaufpreis darin bestehen sollte, dass die klagende Partei alle Zahlungen aus der Liquidation zu übernehmen habe. Deshalb sei der Kaufvertrag noch nicht schriftlich ausgefertigt und die klagende Partei noch nicht intabuliert worden. Die tatsächliche Verwaltung der Liegenschaft sei jedoch auf die klagende Partei übergegangen, die in der Folge mit der Firma T***** Ges.m.b.H., deren Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls Otto M***** sei, einen Mietvertrag abgeschlossen habe. Dieser Vertrag sei noch aufrecht. Im Herbst 1959 sollte die in der C*****gasse ***** neu eingerichtete Fabrik Josef S*****, an das Hochspannungsnetz angeschlossen werden. Da in der C*****gasse das Niederspannungsversorgungskabel bereits voll ausgelastet gewesen sei, habe diese Firma an das auf der anderen Seite liegende Hochspannungskabel angeschlossen werden müssen. Die Errichtung einer Anlage auf dem Grundstück der Firma S***** hätte etwa S 100.000 gekostet. Da die Transformatorenanlage auf dem Grundstück der Firma M***** nicht voll ausgelastet sei und daher die zusätzliche Belastung aus dem Betrieb der Firma S***** übernehmen konnte, habe die beklagte Partei den Anschluss der Firma S***** an die Anlage auf dem streitgegenständlichen Grundstück durchgeführt. Rechtlich folgerte das Erstgericht, es könne Grundlage der Entscheidung nur die Vereinbarung über die Versorgung aus dem Hochspannungsnetz sein, die in ihren Bedingungen die Pflichten des Stromabnehmers umreisse. Nach diesen Bestimmungen habe die beklagte Partei das Recht, die Transformatorenanlage durch 10 Jahre nach Auflösung des Vertrages per 31.1.1959 mit der Firma M***** Ges.m.b.H. auf dem Grundstück zu belassen, die Entfernung zu versagen und sämtliche Verpflichtungen auf den Rechtsnachfolger zu überbinden, was auch geschehen sei. Da angenommen werden müsse, dass die bestehende Anlage zur Verbundswirtschaft benützt werde, müsse es der beklagten Partei gestattet sein, die bestehende Anlage im Rahmen der ursprünglichen Vereinbarung bis zur technischen Grenze auszunützen, wenn die Grundeigentümer aus dieser Anlage selbst keinen Strom beziehen und ihre Eigenversorgung mit elektrischem Strom nicht beeinträchtigt werde. Ein konkreter oder abstrakter Schaden könne daher nicht ernsthaft behauptet werden, so dass das Vorgehen der beklagten Partei zu keiner begründeten Beschwerde der klagenden Partei Anlass gebe.
Der dagegen seitens der klagenden Partei erhobenen Berufung wurde teilweise Folge gegeben und das Ersturteil dahin abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig erkannt wird, das auf der Liegenschaft der klagenden Partei in Wien-Liesing, XXIII.,***** verlegte Kabel zur Firma Josef S*****, binnen 14 Tagen bei Exekution zu entfernen, hingegen das weitere Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, den Anschluss des Kabels an den auf der gleichen Liegenschaft befindlichen Transformator zu entfernen, abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht bejahte die Aktivlegitimation der klagenden Partei zur Erhebung der publicianischen Negatorienklage gegen jeden Störer (§§ 523, 372 ABGB). Im Übrigen habe das Erstgericht festgestellt, dass die Firma W***** M***** Ges.m.b.H. einen Stromlieferungsvertrag aus dem Hochspannungsnetz mit der beklagten Partei geschlossen habe und dass auf Grund dieses Vertrages gewisse Verpflichtungen von Seiten des Grundeigentümers einzuhalten seien (Punkt II der Bedingungen für Sonderabnehmer). Es vermeine, dass diese Verpflichtungen des Grundeigentümers aus dem Vertrag der Firma M***** mit der beklagten Partei auf die klagende Partei als Rechtsnachfolgerin im Grundeigentum übergegangen bzw überbunden worden seien und gehe offenbar davon aus, dass ein solches Überbinden der Verpflichtungen von Seiten der beklagten Partei schon auf Grund der Korrespondenz erfolgen konnte. Punkt II Z 4 der Bedingungen für die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Arbeit (Beilage 7) könne jedoch nicht in der Weise ausgelegt werden, dass seitens der beklagten Partei die Möglichkeit bestehe, sämtliche Verpflichtungen aus dem Stromlieferungsvertrag auf den Rechtsnachfolger des Grundeigentümers zu übertragen, sondern dass der Abnehmer, der Grundeigentümer sei, lediglich die Verpflichtung übernehme, die sich aus den Bedingungen ergebenden sämtlichen Verpflichtungen auf seinen Rechtsnachfolger zu übertragen. Dass aber eine solche Übertragung seitens der Firma M***** auf ihren Rechtsnachfolger, also die klagende Partei, stattgefunden habe, sei weder von der klagenden noch von der beklagten Partei behauptet worden noch den Verfahrensergebnissen zu entnehmen. Es könne sich daher die klagende Partei nicht auf das Bestehen eines Vertrages bzw auch nicht auf den seinerzeit mit der Firma M***** abgeschlossenen Stromlieferungsvertrag aus dem Hochspannungsnetz und die daraus für den Grundstückeigentümer erfließenden Verbindlichkeiten berufen. Zu prüfen sei noch, ob die klagende Partei als Grundeigentümerin allenfalls gemäß Punkt II Z 3 der Bedingungen zur Duldung der Kabellegung verpflichtet sei, weil sie selbst wohl an einem anderen Ort und nicht als Grundeigentümer, sondern als Mieter einen Stromlieferungsvertrag aus dem Hochspannungsnetz abgeschlossen habe, welchem Vertrag ebenfalls die Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Arbeit zugrundegelegt seien. Dies sei jedoch schon deswegen zu verneinen, weil sich diese Vertragsbestimmung nicht auf Grundstücke beziehen könne, die sich zur Zeit des Vertragsabschlusses noch nicht im bücherlichen Eigentum des Vertragspartners befanden. Anlass zur Klage sei ein Eingriff der beklagten Partei in das Eigentum, auch wenn er, wie im vorliegenden Fall einmalig sei, sofern er Dauerfolgen nach sich ziehe. Solche Dauerfolgen lägen aber vor, da das von der beklagten Partei gelegte Kabel, wenn auch in einer Tiefe von etwa 70 cm, dauernd im Grundstück der klagenden Partei verbleiben sollte. Hiedurch werde die klagende Partei in ihren Verfügungsmöglichkeiten über das Grundstück beeinträchtigt, da sie bei allen Maßnahmen auf die Lage des Kabels Rücksicht nehmen müsse, wie etwa bei der Errichtung eines Gebäudes oder auch nur eines Zaunes, bei dem Fundamente in die Erde gelegt werden. Daraus ergebe sich, dass das Begehren der klagenden Partei auf Entfernung des Kabels berechtigt sei. Allerdings könne dem weiteren Begehren, den Anschluss des Kabels an den Transformator zu entfernen, Berechtigung nicht zuerkannt werden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei, mit welcher das Urteil des Berufungsgerichtes in seinem abändernden (stattgebenden) Teil unter Anrufung der Revisionsgründe des § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO angefochten und der Antrag gestellt wird, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederhergestellt werde, in eventu das Urteil des Berufungsgerichtes, allenfalls auch das Ersturteil, im Rahmen der Anfechtung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eines der beiden Vorgerichte zurückzuverweisen. Die klagende Partei erstattete Revisionsbeantwortung, mit welcher die geltend gemachten Revisionsgründe bekämpft werden und kostenpflichtige Abweisung der Revision beantragt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der von der beklagten Partei erhobenen Rechtsrüge musste schon auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse Erfolg zuerkannt werden. Nach herrschender Meinung kann sich auch der nicht eingetragene Besitzer einer verbücherten Liegenschaft der Klage aus dem rechtlich vermuteten Eigentum (§ 372) bedienen. Er ist daher in der Lage, sowohl die Negatorienklage als auch die confessorische als publicianische Klage anzustellen und muss als publicianischer Besitzer gegen jeden unberechtigten Eingriff eines Dritten in seinen Besitz, wenn dieser nur über ein schwächeres Recht verfügt, durchdringen (vgl Klang2 II.Bd. S 605). Letztere Voraussetzung muss jedoch im vorliegenden Fall schon aus nachstehenden rechtlichen Erwägungen verneint werden. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist dann, wenn ein Grundstück veräußert wird, auf dem Anlagen für die Ausübung einer Dienstbarkeit vorhanden sind, die Entstehung einer Dienstbarkeit anzunehmen, da eine vertragliche, nicht einverleibte Dienstbarkeit auch gegenüber dem Rechtsnachfolger des Bestellers wirksam ist, wenn er davon Kenntnis hatte oder ihm die Belastung schon durch den Zustand der dienstbaren Sache oder der ihm sonst bekannten Sachlage bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennbar sein musste (vgl E 18.10.1892, GlU 14.427;
14.5.1861, GlU 1.332; 23.6.1925, SZ VII 222; 17.5.1927 SZ IX 137;
4.2.1919 ZBl 1938, 558; 4.3.1936, ZBl 1936 221; Klang2 II. Bd. S 551, 552, 561, 562). Wäre daher die Möglichkeit des Bestehens einer Belastung schon aus den angeführten Gründen erkennbar, so könnte sich auch der bücherliche Erwerber nicht darauf berufen, dass ihm die rechtlichen Auswirkungen der ihm bekannten tatsächlichen Verhältnisse in Richtung des Bestandes einer Dienstbarkeit unbekannt waren und er sich diesfalls in einem Rechtsirrtum befunden habe. Auch den Tabularbesitzer würde der Stand des Grundbuchs nur dann schützen, wenn er von den abweichenden tatsächlichen Rechtsverhältnissen überhaupt keine Kenntnis hatte. Wenn er hingegen nach der ihm bekannten Sachlage bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit dem Bestand einer Dienstbarkeit hätte rechnen müssen, so wäre dies hinreichend, um ihn jenes besonderen Schutzes verlustig gehen zu lassen, den das Gesetz nur demjenigen gewährt, der in Unkenntnis abweichender Rechtsverhältnisse in seinem Vertrauen auf das öffentliche Buch nicht getäuscht werden soll. Hätte also auch der Tabularbesitzer in Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage erworben, so könnte er sich nicht mehr auf die publica fides des Grundbuches berufen und nicht mehr Rechte erworben haben als der Verkäufer hatte. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen würde daher auch der auf § 523 ABGB gestützten Klage des Tabularbesitzers einerseits der Nachweis der Anmaßung einer Servitut durch den Beklagten, anderseits der Freiheit des Eigentums auf Seite des Klägers mangeln. Der vom Kläger behauptete Eingriff in sein Eigentum wäre schon deswegen zu verneinen, weil der Beklagte nur von einem ihm zustehenden Recht Gebrauch gemacht hätte, von welchem der Kläger bei Erwerbung der Realität bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit hätte Kenntnis erlangen müssen. Diese bei Bestehen einer offenkundigen Servitut für den Tabularbesitzer geltenden Grundsätze müssen aber umso mehr für den publicianischen (Natural-)Besitzer Anwendung finden. Liegt daher der Fall so, dass dem nicht eingetragenen Besitzer einer verbücherten Liegenschaft nach der ihm bekannten Sachlage bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit die Belastung der Liegenschaft mit einer vertraglichen, nicht einverleibten Dienstbarkeit erkennbar sein musste, so muss dieser Dienstbarkeit Wirksamkeit gegenüber dem nicht intabulierten Erwerber und Rechtsnachfolger des Bestellers jedenfalls zuerkannt werden. Der Beklagte, der von dem ihm vertraglich zustehenden Recht Gebrauch macht, verfügt daher unter dieser Voraussetzung keineswegs über ein schwächeres Recht als der Kläger, so dass dieser mit seiner publicianischen Negatorienklage nicht durchzudringen vermag (§§ 372 ff ABGB).
Nun ergibt sich aus den Feststellungen eindeutig, dass Otto M***** als Geschäftsführer der W***** M***** Ges.m.b.H. einerseits, sowie als geschäftsführender Komplementär der klagenden Partei andererseits für diese Firmen mit der beklagten Partei Stromversorgungsverträge abgeschlossen und die zum Vertragsabschluss führenden Verhandlungen selbst geführt hat (S 105 des Aktes). Desgleichen war der Genannte, wenn auch nicht mehr als Geschäftsführer, an den Verhandlungen beteiligt, die zu der zwischen der W***** M***** Ges.m.b.H. i.L. und der beklagten Partei getroffenen Vereinbarung über eine vorzeitige Auflösung des Stromabnehmervertrages per 31.1.1959 geführt haben. Bei entsprechender Aufmerksamkeit musste ihm daher auch der Inhalt der diesen Verträgen über die Versorgung mit hochgespanntem Drehstrom bei niederspannungsseitiger Messung sowie über den Anschluss an das Hochspannungsnetz der Wiener Stadtwerke-Elektrizitätswerke zugrundeliegenden Bedingungen für die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Arbeit bekannt sein. Nach Punkt II Z 3 dieser Bedingungen hat der Abnehmer, falls er zugleich Grundeigentümer ist, ohne besonderes Entgelt die Zu- und Fortleitung elektrischer Arbeit über seine Grundstücke sowie die Anbringung und Aufstellung von Leitungen, Leitungsträgern und Zubehör für die Zwecke der örtlichen Versorgung, soweit es ohne Benachteiligung des Abnehmers möglich ist, zu gestatten. Desgleichen hat der Abnehmer dem EVU die Benützung der Anlage für die Versorgung anderer Abnehmer, soweit es ohne Beeinträchtigung seiner eigenen Versorgung möglich ist, zu gestatten. Nach Z 4 hat der Abnehmer dem EVU auf Wunsch die zur Sicherung dieser Anlagen erforderlichen Dienstbarkeiten einzuräumen und sagt zu, an den vom EVU erstellten Einrichtungen, soweit sie nicht zur Anlage des Abnehmers gehören, kein Eigentumsrecht geltend zu machen, sie nach Wahl des EVU nach Aufhören des Strombezuges noch 10 Jahre zu belassen oder ihre Entfernung zu gestatten und diese sämtlichen Verpflichtungen auf seinen Rechtsnachfolger zu übertragen. Diese vom Abnehmer hinsichtlich seiner Grundstücke übernommenen Verpflichtungen stellen im gesamten dem Inhalt der Z 3 und 4 entsprechenden Umfang die Einräumung einer vertraglichen, auf der Liegenschaft zugunsten der beklagten Partei lastenden Dienstbarkeit dar, die auch nach Aufhören des Strombezuges die Benützung der dem EVU zu den vorerwähnten Zwecken erstellten Einrichtungen nach dessen Wahl für weitere 10 Jahre gewährleisten soll. Dass dieses dem EVU noch weiterhin eingeräumte Recht keineswegs davon abhängig gemacht werden kann, ob der Stromabnehmervertrag durch Ablauf der Vertragsdauer oder Kündigung (Punkt IX des Vertrages) sein Ende findet oder ob dieser Vertrag wie im vorliegenden Fall (Beilage 5) nach Kündigung unter Verzicht auf den vertragsmäßigen Ablauf vorzeitig aufgelöst wird, kann nach dem Sinn der vorzitierten Vertragsbestimmungen nicht zweifelhaft sein. Desgleichen lässt die im vorliegenden Fall einverständlich vorzeitig erfolgte Beendigung der Vertragswirkungen des Stromabnehmervertrages, an welchem Dissolutionsübereinkommen der Komplementär der klagenden Partei Otto M***** maßgebend mitgewirkt hat, nach Treu und Glauben (§ 914 ABGB) keineswegs eine Auslegung dahingehend zu, dass damit auch die Verpflichtung des seinerzeitigen Abnehmers zur weiteren Benützungsüberlassung der Einrichtungen durch 10 Jahre aufgehoben werden sollte. Dies schon aus der Erwägung, dass nach der vorzitierten Bestimmung der Z 4 die vom Abnehmer zugesagte Weiterbelassung der Anlage die Beendigung des Stromabnehmervertrages eindeutig zur Voraussetzung hat, überdies aber der Abnehmer verpflichtet ist, die der vertraglichen Dienstbarkeit entsprechenden Verpflichtungen auf seinen Rechtsnachfolger ohne Rücksicht auf ein noch bestehendes Vertragsverhältnis zu überbinden. Schließlich lassen die vorzitierten Vertragsbestimmungen nach den Regeln des redlichen Verkehrs schon mit Rücksicht auf die den Abnehmer gemäß Z 4 treffende Verpflichtung, dem EVU auf dessen Wunsch die zur Sicherung der in Z 3 genannten Anlagen, somit zur Gewährleistung der dort angeführten Benützungsrechte erforderlichen (bücherlichen) Dienstbarkeiten einzuräumen, aber auch nach dem hervorleuchtenden Sinn und Zweck des Vertrages keine andere Auslegung als die einer Gestattung des Abnehmers zu, die nach Wahl des EVU durch 10 Jahre weiter zu belassenden Einrichtungen im Rahmen der nach Z 3 vereinbarten Rechte des EVU, somit auch durch Fortleitung elektrischer Arbeit für die Versorgung anderer Abnehmer mit der dort angeführten Einschränkung zu benützen. Für diese Auslegung spricht gleichfalls zwingend die vom Abnehmer gegebene Zusage, sämtliche den gegebenenfalls einzuräumenden Dienstbarkeiten (Z 4) entsprechenden Verpflichtungen auf seinen Rechtsnachfolger zu überbinden, welchen Verpflichtungen lediglich mit Ablauf der zehnjährigen Belassungsdauer der Einrichtungen eine zeitliche Grenze gesetzt ist. Da sohin bei richtiger Auslegung des Vertragsinhaltes die frühere Stromabnehmerin und noch derzeitige Liegenschaftseigentümerin W***** M***** Ges.m.b.H. i.L. sämtliche den vereinbarten Benützungsrechten des EVU während der Dauer von 10 Jahren nach Aufhören des Strombezuges entsprechenden Verpflichtungen auf ihre Rechtsnachfolgerin, die klagende Partei, zu übertragen hatte, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes für die Frage der Wirksamkeit dieser vertraglichen, nicht einverleibten Dienstbarkeit gegenüber dem Rechtsnachfolger des Bestellers, nicht darauf an, ob eine solche Übertragung dieser Verpflichtung seitens der M***** Ges.m.b.H. i.L. auf die klagende Partei tatsächlich stattgefunden hat. Maßgebend ist allein, ob der klagenden Partei bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt das Bestehen einer vertraglichen, auf der Liegenschaft haftenden, demnach auf sie zu überbindenden Dienstbarkeit des oben aufgezeigten Inhaltes erkennbar sein musste. Ist aber davon auszugehen, dass dem Komplementär der klagenden Partei Otto M***** bei entsprechender Aufmerksamkeit der Inhalt der den abgeschlossenen Verträgen zugrundeliegenden Bedingungen bekannt sein musste, so vermag sich die klagende Partei auch nicht darauf zu berufen, dass ihr die rechtliche Auswirkung der auf das Bestehen einer vertraglichen Dienstbarkeit hinweisenden tatsächlichen Rechtsverhältnisse nicht bekannt waren. Sie hat zumindestens in Kenntnis einer für sie nicht völlig geklärten Sachverhalt erworben und demnach das damit verbundene Risiko zu tragen, nicht mehr Rechte zu erwerben, als dem Verkäufer auf Grund der eingeräumten vertraglichen Dienstbarkeit tatsächlich zustanden. Auch als Tabularbesitzerin könnte sie sich nicht auf die publica fides des Grundbuches (§ 1500 ABGB) berufen, welche Folge auf sie als nicht eingetragene Besitzerin einer verbücherten Liegenschaft umso mehr Anwendung zu finden hat. Die von der früheren Stromabnehmerin und noch derzeitigen Liegenschaftseigentümerin der beklagten Partei vertraglich eingeräumte Dienstbarkeit, welche auch das Recht der Zu- und Fortleitung elektrischer Arbeiten sowie die Benützung der Anlage für die Versorgung anderer Abnehmer umfasst, ist daher als eine nach dem Vertragsinhalt für die klagende Partei offenkundige Dienstbarkeit auch für diese als Rechtsnachfolgerin des Bestellers wirksam. Die klagende Partei vermag daher mit ihrer publicianischen Negatorienklage gegen die beklagte Partei, welche über kein schwächeres Recht verfügt, nicht durchzudringen.
Die klagende Partei vemag ihren Anspruch aber auch nicht auf eine vertragliche Vereinbarung zu stützen, da eine Feststellung, wonach am 2.12.1959 vereinbart worden sei, dass sich die beklagte Partei verpflichtet hätte, die Arbeiten und den Anschluss an den Trafo auf dem Grundstück der Klägerin nur unter der Voraussetzung der Refundierung eines Betrages von S 35.107 vorzunehmen, nicht getroffen werden konnte. Hingegen kann die in der Berufung bekämpfte Feststellung des Erstgerichtes, wonach sich der Komplementär der klagenden Partei Otto M***** mit der Kabellegung und dem Anschluss anderer Firmen an die Kabelstation nur einverstanden erklärt habe, wenn ihm selbst der vorgenannte Betrag zurückbezahlt würde, auf sich beruhen. Ob diese Bedingung seitens der klagenden Partei oder seitens des Komplementärs der klagenden Partei persönlich gestellt wurde, ist für die Entscheidung unerheblich, weil es nicht darauf ankommt, ob der Kabellegung nur unter bestimmten Voraussetzungen seitens der klagenden Partei oder seitens deren Komplementär Otto M***** zugestimmt worden wäre.
Es war daher schon aus den angeführten rechtlichen Erwägungen in Stattgebung der Revision das Urteil des Erstgerichtes zur Gänze wiederherzustellen.
Der Kostenspruch gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E76843 6Ob215.61European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1961:0060OB00215.61.0607.000Dokumentnummer
JJT_19610607_OGH0002_0060OB00215_6100000_000