Norm
Allgemeine Kraftfahrversicherungsbedingungen §1 Z2Kopf
SZ 34/100
Spruch
Unverzügliche Einlösung im Sinne des § 1 Z. 2 AKB.
Entscheidung vom 5. Juli 1961, 3 Ob 485/60.
I. Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Den Urteilen der Untergerichte liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Zwischen den Parteien wurde eine Kraftfahr-Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Die beklagte Partei gab eine vorläufige Deckungszusage. Am 1. Februar 1959 verursachte der Kläger einen Verkehrsunfall. Es wurden gegen ihn Schadenersatzansprüche erhoben. Die Versicherungspolizze war bereits am 8. oder 9. Jänner 1959 dem Kläger mit eingeschriebenem Brief übersandt worden. Der Einschreibebrief war vom Postzusteller dem Vater des Klägers übergeben worden. Der Kläger war in der Zeit vom 6. Jänner bis 11. Jänner 1959 auf Urlaub. Sein Vater legte den Brief in eine Schublade des Verkaufspultes seines Bäckereigeschäftes und vergaß, den Brief dem Kläger nach dessen Rückkehr vom Urlaub zu übergeben. Erst als ihm der Kläger von dem Verkehrsunfall erzählte, erwiderte er, daß ohnehin von der Versicherung ein Brief gekommen sei, und übergab dem Kläger den Einschreibebrief. Der Kläger sandte daraufhin am 3. Februar 1959, zwei Tage nach dem Unfall, die Erstprämie an die beklagte Partei.
Die beklagte Partei nahm den Standpunkt ein, daß zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles die Erstprämie noch nicht gezahlt war, obwohl die Polizze bereits am 9. Jänner 1959 zugestellt worden war. Sie sei daher leistungsfrei.
Das Erstgericht hat das auf Feststellung der Verpflichtung der beklagten Partei, Versicherungsschutz zu gewähren, gerichtete Begehren abgewiesen. Es traf noch die Feststellung, daß sich in dem Einschreibebrief auch ein Erlagschein mit einer Allonge mit dem Aufdruck befunden habe, daß die Prämienüberweisung ehestens vorzunehmen sei, weil die Haftung erst nach Zahlung der Prämie gegeben sei. Die Leistungsfreiheit der beklagten Partei sei nach § 38 Abs. 2 VersVG. und § 1 Z. 2 AKB. anzunehmen. Die Prämie sei nach Übersendung der Versicherungspolizze nicht unverzüglich gezahlt worden und zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles nicht gezahlt gewesen. Es liege eine schuldhafte Verzögerung durch den Kläger vor. Der Kläger hätte sich bei seinem Vater nach der Rückkehr vom Urlaub erkundigen müssen, ob nicht die Polizze von der Versicherungsgesellschaft bereits übersandt worden sei.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es dem Klagebegehren Folge gab. Es führte zunächst aus, daß die Zustellung des eingeschriebenen Briefes an den Vater des Klägers als wirksame Zustellung angesehen werden müsse. Die Zustellung eines eingeschriebenen Briefes gelte als an den Empfänger erfolgt, wenn er in die Hände einer Person gelange, die nach den Postvorschriften zur Empfangnahme des eingeschriebenen Briefes für den Empfänger legitimiert ist. Zustellungsstörungen, die sich nachher ergeben, seien solche, die sich in der Sphäre des Empfängers und nicht in der des Absenders oder der Übermittlungsanstalt abspielten. Daß der Vater des Klägers zur Empfangnahme für den Kläger legitimiert war, ergebe sich aus den §§ 174 und 176 PostO. und dem klägerischen Prozeßvorbringen. Da der Vater den Brief in der Zeit zwischen dem 6. Jänner und dem 11. Jänner 1959 in Empfang genommen habe, gelte die Zustellung in dieser Zeit, also spätestens mit 11. Jänner 1959, als an den Kläger erfolgt. Eine eigenhändige Zustellung, wie sie der Kläger verlange, sei in einem derartigen Fall weder vom Gesetz vorgeschrieben noch der Verkehrssitte entsprechend. Bei der vorläufigen Deckungszusage handle es sich um einen echten Versicherungsvertrag, sondergeartet nur dadurch, daß er nach der Vertragsabsicht durch einen zweiten, endgültigen Vertrag ersetzt werden oder mit dessen Scheitern erlöschen solle. Es handle sich um zwei Vertragsverhältnisse. Haftungszeiten und Prämienlasten der beiden Verträge seien rechtlich voneinander unabhängig, trotz etwaiger Zusammenziehung im Versicherungsschein. Die für den endgültigen Vertrag bemessene Prämie sei Erstprämie (§ 38 VersVG.) und nicht Folgeprämie die der Versicherer nach § 39 VersVG. einmahnen müsse, um haftungsfrei zu werden. Die Haftung beginne mit dem Zugang der Deckungserklärung und erlösche mit dem Scheitern der Verhandlungen, das der eine oder andere Teil erklären möge. Da eine haftungsfreie Zwischenzeit dem Vertragszweck widerspreche, ende die Haftung nicht mit dem endgültigen Vertragsabschluß, sondern erst mit dem vorgesehenen Beginn der endgültigen Haftung, wenn anders der Versicherungsnehmer nicht säumig werde. Wenn er mit der Prämienzahlung zögere, dann ende die Haftung mit der den Vertragsabschluß bewirkenden Anbietung des Versicherungsscheines. Sie trete rückwirkend außer Kraft, wenn der angebotene Versicherungsschein nicht unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, eingelöst werde. Die vorläufige Deckung könne nicht durch willkürliche Verzögerung der Prämienzahlung beliebig verlängert werden. Erfolge der Vertragsabschluß durch Übersendung des Versicherungsscheines, dann ende die Haftung mit dem Ablauf jener angemessenen Zahlungsfrist, die mit der Übersendung stillschweigend gewährt werde. Ein schuldhaftes Zögern nach der wirksamen Zustellung lasse die Haftung aus der vorläufigen Deckungszusage daher erlöschen. Eine Haftung aus dem endgültigen Versicherungsvertrag komme aber mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 38 Abs. 2 VersVG. nicht in Betracht. Da die Zustellung des Versicherungsscheines spätestens am 11. Jänner 1959 wirksam erfolgt sei, die Prämie aber erst am 3. Februar 1959 gezahlt wurde, liege objektiv eine Zahlungsverzögerung vor. Das Berufungsgericht sei aber der Ansicht, daß diese Verzögerung nicht schuldhaft erfolgt sei, daß dem Kläger vielmehr der Entschuldigungsbeweis nach § 1298 ABGB. gelungen sei. Er habe erst durch das Gespräch mit seinem Vater Kenntnis von der erfolgten Zustellung erhalten. Dann habe er aber nicht mehr gezögert, sondern die Prämie gezahlt. Dem Kläger könne kein Verschulden an der Verzögerung angelastet werden, weil er es unterlassen habe, in seinem Familienkreis Anordnungen, die eine verläßliche Ausfolgung seiner Postsendungen gewährleistet hätten, zu treffen. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß es bisher solche Anstände gegeben habe, wozu noch komme, daß der Zeitpunkt der Übersendung des Versicherungsscheines von vornherein nicht bekannt war und die Abwesenheit des Klägers ganz kurzfristig war. Es sei auch nicht als Verschulden anzusehen, daß der Kläger nach seiner Rückkehr vom Urlaub nicht sofort die Frage stellte, ob während seiner Abwesenheit nicht etwa eine Postsendung von der Versicherungsanstalt eingelangt sei. Dazu bestand kein Anlaß, weil das Versicherungs-Verhältnis erst mit 16. Dezember 1958 begonnen und daher noch nicht, einmal einen Monat gedauert hatte. Er brauchte deshalb zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit dem Einlangen der Polizze zu rechnen. Es wäre nicht auffällig, wenn der Geschäftsgang bei der Versicherungsgesellschaft etwa sechs Wochen in Anspruch genommen hätte. Nach allem habe die beklagte Partei dem Kläger daher Versicherungsschutz zu gewähren.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und stellte das Ersturteil wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die Zustellung des eingeschriebenen Briefes mit der Polizze und der Aufforderung zur Zahlung der Erstprämie im Wege der Ersatzzustellung nach den Vorschriften der Postordnung wirksam erfolgt ist. Für die Wirksamkeit der Zustellung ist es dabei ohne Bedeutung, ob der Kläger tatsächlich von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis erlangt hat oder durch Vorgänge von einer solchen Kenntnis verhindert wurde, die sich in seinem eigenen Lebensbereich, in seiner Sphäre, abspielten. Wer mit dem Zugang von Erklärungen dauernd rechnen muß, hat kann er sich auf die Unkenntnis nicht berufen. - Der Absender hat nur solche Vorgänge zu vertreten, die bei ihm selbst oder bei der Übermittlungsanstalt eingetreten sind. Nach § 1 Z. 2 AKB. endet der in der Deckungszusage gelegene Versicherungsvertrag u. a. dann, wenn die überreichte Polizze nicht unverzüglich eingelöst wird. Mit Recht hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit Ehrenzweig (Deutsches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, S. 107) angenommen, daß Deckungszusage und Versicherungsvertrag zwei selbständige Rechtsverhältnisse sind (vgl. hiezu auch SZ. XXV 78). Damit steht aber nicht im Einklang, wenn das Berufungsgericht versucht, dem Kläger einen Entlastungsbeweis nach § 1298 ABGB. zu ermöglichen. Es handelt sich hier nicht um eine Schadenersatzforderung, und es spielt daher auch die Frage eines Verschuldens keine Rolle. Die Beendigung des Versicherungsverhältnisses, das in der vorläufigen Deckungszusage liegt, kann nur nach objektiven Merkmalen festgestellt werden. "Unverzüglich eingelöst" kann daher nur bedeuten, in einer nach der Verkehrssitte üblichen, auch für den Vertragspartner abschätzbaren Frist. Das heißt aber nach der Sachlage in wenigen Tagen nach Zustellung der Versicherungspolizze (siehe Stiefel - Wussow, Kraftfahrversicherung, 4. Aufl. S. 48). Ergänzend ist auch auf § 35 VersVG. zu verweisen, wonach die Prämie sofort nach Abschluß des Vertrages und Aushändigung des Versicherungsscheines zu zahlen ist. Da der Versicherungsschein wirksam bereits am 11. Jänner 1959 zugestellt wurde, war die Frist vom 11. Jänner bis zum 3. Februar 1959 jedenfalls zu lang, und es kann die Zahlung nicht mehr als unverzügliche Einlösung im Sinne des § 1 Z. 2 AKB. gewertet werden. Es muß daher in diesem Fall angenommen werden, daß die vorläufige Deckungszusage wegen nicht rechtzeitiger Einlösung des Versicherungsscheines im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles bereits außer Kraft getreten war. Dabei kam auch den übrigen Einwendungen des Klägers, wie schon das Berufungsgericht richtig ausführte, keine Bedeutung zu. Der Kläger verwechselt den Fall der qualifizierten Mahnung nach § 39 VersVG. mit dem Fall des § 38 VersVG. Eine Belehrungspflicht trifft den Versicherer nur im Falle des § 39 VersVG., in welchem eine solche ausdrücklich angeordnet ist. Die Leistungsfreiheit im Falle der Nichtzahlung der Erstprämie ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, ohne daß es einer diesbezüglichen Belehrung des Versicherungsnehmers bedarf. Ebensowenig bedurfte es einer Belehrung des Versicherungsnehmers darüber, daß die vorläufige Deckungszusage bei nicht unverzüglicher Einlösung des Versicherungsscheines außer Kraft tritt. Dem Versicherer kann eine Belehrungspflicht nur dort auferlegt werden, wo sie im Gesetz oder Versicherungsvertrag vorgesehen ist. Im übrigen wurde hier festgestellt, daß der Versicherer eine solche Belehrung in deutlicher Form erteilt hat. Auch die Tatsache, daß in der Folge die Versicherungsprämie vom Versicherer angenommen wurde, bedeutet nicht, daß die bereits erloschene vorläufige Deckung damit wieder auflebte. Es kann ohne weiteres das Versicherungsverhältnis bestehen, der Versicherer aber leistungsfrei sein (vgl. SZ. XXIV 126, SZ. XXVI 304, 3 Ob 239/60). Der Versicherer war daher leistungsfrei, sowohl deshalb, weil die vorläufige Deckungszusage infolge nicht rechtzeitiger Einlösung des Versicherungsscheines außer Kraft getreten war, als auch aus dem Versicherungsvertrag selbst deshalb, weil die Erstprämie zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalls noch nicht gezahlt war.
Anmerkung
Z34100Schlagworte
Einlösung, unverzügliche - nach § 1 Z. 2 AKB., Polizze, unverzügliche Einlösung, Unverzügliche Einlösung nach § 1 Z. 2 AKB., Versicherungspolizze unverzügliche EinlösungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1961:0030OB00485.6.0705.000Dokumentnummer
JJT_19610705_OGH0002_0030OB00485_6000000_000