TE OGH 1961/9/20 6Ob236/61

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Veröffentlicht am 20.09.1961
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Norm

KO §1
KO §7
ZPO §§6 ff
ZPO §477 Abs1 Z5

Kopf

SZ 34/124

Spruch

Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen.

Der Masseverwalter kann ein nach der Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner ergangenes Versäumungsurteil trotz der gemäß § 7 Abs. 1 KO. eingetretenen Unterbrechung anfechten.

Entscheidung vom 20. September 1961, 6 Ob 236/61.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Mit der am 14. März 1961 erhobenen Klage begehrte die klagende Partei von Josef W., dem späteren Gemeinschuldner, die Zahlung von 29.850 S s. A. Die Klage und die Ladung zu der für 30. März 1961 anberaumten ersten Tagsatzung wurden dem Josef W. am 16. März 1961 zugestellt. Bei der ersten Tagsatzung erschien er nicht, so daß auf Antrag der klagenden Partei ein Versäumungsurteil im Sinne des Klagebegehrens erging, das dem Masseverwalter am 1. April 1961 zugestellt wurde. Über das Vermögen des Josef W. war nämlich mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 28. März 1961 der Konkurs eröffnet worden; das Edikt wurde am 29. März 1961 an der Gerichtstafel angeschlagen, so daß die Rechtswirkungen der Konkurseröffnung gemäß § 2 Abs. 1 KO. mit 29. März 1961, 0 Uhr, eintraten.

Das Berufungsgericht wies sowohl die vom Masseverwalter gegen das Versäumungsurteil des Erstgerichtes vom 30. März 1961 eingebrachte Berufung - die nur Nichtigkeit des Verfahrens geltend machte - als auch die Berufungsmitteilung der klagenden Partei zurück, weil das Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 KO. durch die Konkurseröffnung mit Wirkung vom 29. März 1961, 0 Uhr, unterbrochen sei und gemäß § 163 ZPO. daher jede von einer Partei während der Unterbrechung in Ansehung der anhängigen Streitsache vorgenommene Prozeßhandlung - somit auch die Einbringung der Berufung und der Berufungsmitteilung - der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Masseverwalters Folge, behob den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes und hob sohin aus Anlaß des Rekurses, das Versäumungsurteil des Erstgerichtes als nichtig auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Mangel der Verfügungsfähigkeit des Gemeinschuldners ist ebenso wie der Mangel der Prozeßfähigkeit gemäß § 6 Abs. 1 ZPO. in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen, und es hat gemäß §§ 7, 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO. das Gericht erster oder höherer Instanz, bei welchem die Rechtssache eben anhängig ist, die Nichtigkeit des von dem Mangel betroffenen Verfahrens durch Beschluß auszusprechen. Dieser Fall ist hier gegeben; denn da die Rechtswirkungen der Konkurseröffnung gemäß § 2 Abs. 1 KO. mit 0 Uhr des 29. März 1961 eintraten, war der Beklagte am 30. März 1961 - an welchem Tag das Versäumungsurteil erlassen wurde - gemäß § 1 KO. hinsichtlich des mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Anspruches nicht mehr verfügungsfähig. Schon deshalb ist das am 30. März 1961 gegen ihn gefällte Versäumungsurteil gemäß § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO. nichtig (s. in der Manzschen Ausgabe der ZPO. von Stagel - Michlmayr, 12. Aufl. S. 974 E. Nr. 2 zu § 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO.; auch 2 Ob 318/57, 2 Ob 70/58, 4 Ob 175/60 u. a.).

Daß das Verfahren ab 0 Uhr des 29. März 1961 gemäß § 7 Abs. 1 KO. unterbrochen war, kann die Nichtigkeit des trotz dieser Unterbrechung am 30. März 1961 gefällten Versäumungsurteiles nicht beseitigen. Die Bezugnahme auf diese Nichtigkeit in der Berufung des Masseverwalters ist auch entgegen der von der klagenden Partei in ihrer Berufungsmitteilung vertretenen Ansicht keineswegs eine unzulässige Neuerung, weil die Wirkungen der Konkurseröffnung gemäß § 2 Abs. 1 KO. objektiv mit dem Beginn des Tages, an dem das Konkursedikt an der Gerichtstafel des Konkursgerichtes angeschlagen wurde, also diesfalls mit 0 Uhr des 29. März 1961, eingetreten sind und daher zur Zeit der Erlassung des gegenständlichen Versäumungsurteiles - am 30. März 1961 - bereits eingetreten waren.

Ob und welche Rechtswirkungen den Prozeßhandlungen einer Partei während der Unterbrechung des Verfahrens gegenüber der anderen Partei im Sinne des vom Berufungsgericht herangezogenen § 163 Abs. 2 ZPO. zukommen, ist im vorliegenden Falle nicht entscheidungswesentlich.

Wenn auch die Unterbrechung des Verfahrens Prozeßhandlungen "in Ansehung der anhängigen Streitsache (§ 163 Abs. 2 ZPO.)", also solchen, die die Weiterführung des unterbrochenen Verfahrens zum Ziel haben, entgegensteht, so kann einer Partei, die sich durch eine trotz bereits erfolgter Verfahrensunterbrechung zu Unrecht erfolgte gerichtliche Entscheidung beschwert erachtet, doch nicht verwehrt werden, diese ihr zugestellte Entscheidung des Gerichtes anzufechten. Dies ist keine die Weiterführung des unterbrochenen Verfahrens "in Ansehung der anhängigen Streitsache" bezweckende Prozeßhandlung im Sinne des § 163 Abs. 2 ZPO.; das eingebrachte Rechtsmittel strebt im Gegenteil die Beseitigung einer infolge ungerechtfertigter Weiterführung des unterbrochenen Verfahrens gefällten gerichtlichen Entscheidung an. Der Masseverwalter war daher - abgesehen davon, daß während der Unterbrechung eingebrachte Rechtsmittel schon deshalb nicht zurückzuweisen sind, weil die Parteien auf die Wirkungen der Unterbrechung verzichten können (Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl. I S. 749 Anm. 7 zu § 163 ZPO.) -, da er gemäß § 83 Abs. 1 KO. die Masse betreffende Rechtsstreitigkeiten zu führen hat, zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen das gegen den Beklagten nach der Konkurseröffnung ergangene Versäumungsurteil jedenfalls formell legitimiert, so daß das Verfahren infolge seines zulässigen Rechtsmittels bei Gericht anhängig ist (vgl. § 7 Abs. 1 ZPO.) und daher auf die Nichtigkeit gemäß §§ 6, 7, 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO. von jedem Gericht erster oder höherer Instanz von Amts wegen Bedacht genommen werden muß. Deshalb hatte der Oberste Gerichtshof, bei welchem die Rechtssache infolge des zulässigen Rekurses des Masseverwalters gegen den angefochtenen Beschluß des Berufungsgerichtes derzeit anhängig ist, gemäß § 7 Abs. 1 ZPO. die Nichtigkeit des am 30. März 1961 ergangenen Versäumungsurteiles im Sinne der §§ 6, 477 Abs. 1 Z. 5 ZPO. selbst auszusprechen, nicht aber die Nichtigkeit des der Urteilsfällung vorangegangenen Verfahrens, weil sich dieses darin erschöpfte, daß auf Grund der am 14. März 1961, also vor Konkurseröffnung, eingebrachten Klage gleichfalls am 14. März 1961 die erste Tagsatzung ausgeschrieben wurde; dieses Verfahren wurde gemäß § 7 Abs. 1 KO. durch die Konkurseröffnung mit Wirkung vom 29. März 1961, 0 Uhr, unterbrochen.

Anmerkung

Z34124

Schlagworte

Gemeinschuldner Verfügungsunfähigkeit, Konkursverfahren Verfügungsunfähigkeit des Gemeinschuldners, Masseverwalter Anfechtung von Urteilen, Unterbrechung durch Konkurseröffnung, Rechtsmittel des Masseverwalters, Verfügungsunfähigkeit des Gemeinschuldners

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0060OB00236.61.0920.000

Dokumentnummer

JJT_19610920_OGH0002_0060OB00236_6100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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