TE OGH 1961/10/23 2Ob342/61

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Veröffentlicht am 23.10.1961
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Norm

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §336

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SZ 34/155

Spruch

Gemäß § 336 ASVG. geht nur ein vom Gericht rechtskräftig festgestellter Schmerzengeldanspruch bei der Befriedigung den Ersatzansprüchen der Versicherungsträger im Range vor.

Entscheidung vom 23. Oktober 1961, 2 Ob 342/61.

I. Instanz: Kreisgericht Steyr; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde der Kläger am 9. August 1958 bei einem Verkehrsunfall auf der Straße zwischen S. und G. so schwer verletzt, daß ihm der rechte Unterschenkel amputiert werden mußte. Der Unfall wurde vom Erstbeklagten als Lenker eines Lkws. verschuldet, der als Halter des Kraftfahrzeuges bei der W.- Versicherungsanstalt haftpflichtversichert ist. Diese Anstalt hat dem Kläger einen Teil des von ihm beanspruchten Schmerzengeldes von 80.000 S, nämlich 10.000 S, gezahlt und die restliche Haftpflichtversicherungssumme von 190.000 S bei Gericht hinterlegt. Erlagsgegner sind der Erstbeklagte, die zweit- und drittbeklagten Sozialversicherungsanstalten und die B.-Krankenkasse. Diese hat sich zur Unterfertigung einer Freigabeerklärung bereit erklärt und ist aus diesem Grund vom Kläger nicht belangt worden.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger die Verurteilung des Erstbeklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von 70.000 S (80.000 S minus gezahlter 10.000 S) und die Verurteilung der drei Beklagten zur Erteilung ihrer Zustimmung begehrt, daß ihm das zuerkannte Schmerzengeld aus dem Gerichtserlag ausgezahlt werde. Außerdem hat er die Feststellung begehrt, daß ihm der Erstbeklagte auch einen allfälligen zukünftigen Schaden aus dem Unfall zu ersetzen habe. Während des Verfahrens hat er seinen Schmerzengeldanspruch auf 40.000 S eingeschränkt und das Feststellungsbegehren zurückgezogen.

Der Erstbeklagte hat ein Mitverschulden des Klägers eingewendet und das Schmerzengeld auch der Höhe nach bestritten. Die übrigen Beklagten haben auch darauf verwiesen, daß nur ein gerichtlich festgestellter Schmerzengeldanspruch den Vorrang genieße. Bis zur Klageeinbringung sei aber ein solcher Anspruch des Klägers noch nicht gerichtlich festgestellt gewesen. Sie wären daher zu einer Freigabeerklärung nicht verpflichtet gewesen und hätten keinen Anlaß zur Klage gegeben.

Das Erstgericht erkannte den Erstbeklagten schuldig, dem Kläger ein Schmerzengeld von 25.000 S (d. s. 35.000 S abzüglich der bereits gezahlten 10.000 S) zu zahlen; das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Es erkannte auch sämtliche Beklagten schuldig, die Zustimmung zu erteilen, daß dem Kläger das zuerkannte Schmerzengeld aus dem Erlag ausgezahlt werde. Das Erstgericht nahm ein Mitverschulden des Klägers an dem Verkehrsunfall nicht an und erachtete ein Schmerzengeld von 35.000 S für angemessen. Es vertrat die Ansicht, § 336 ASVG. verlange nicht, daß der Schmerzengeldanspruch rechtskräftig festgestellt sein müsse. Die zweit- und drittbeklagten Parteien hätten das Klagebegehren mit einem Höchstbetrag anerkennen und nur hinsichtlich des überhöhten Schmerzengeldes Klageabweisung beantragen müssen. Auf diese Weise wären Kostenfolgen für den Kläger gemäß § 45 ZPO. eingetreten.

Gegen dieses Urteil haben die zweit- und drittbeklagten Parteien Berufungen erhoben. Bezüglich der Verurteilung des Erstbeklagten und der Abweisung des Mehrbegehrens ist das Urteil in Rechtskraft erwachsen.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil, soweit es nicht unangefochten geblieben war, dahin ab, daß das Klagebegehren gegenüber den zweit- und drittbeklagten Parteien abgewiesen wurde. Es vertrat die Ansicht, daß gemäß § 336 ASVG. nur ein rechtskräftig gerichtlich festgestelltes Schmerzengeld vor den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger den Vorrang genieße. Bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung sei der Schmerzengeldanspruch des Klägers noch nicht rechtskräftig festgestellt gewesen, weshalb die zweit- und drittbeklagten Parteien zur Zustimmung zur Ausfolgung des dem Kläger zuerkannten Schmerzengeldes aus dem Gerichtserlag nicht verpflichtet gewesen seien.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Mit der Rechtsrüge wendet sich der Kläger im wesentlichen gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Beklagten weder im Zeitpunkt der Klage noch zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung noch bei Urteilsfällung erster Instanz verpflichtet gewesen seien, ihre Zustimmung zur Auszahlung des Schmerzengeldes aus dem Gerichtserlag zu erteilen, weil dieser Anspruch des Klägers noch nicht rechtskräftig festgestellt worden sei. Der Kläger ist der Meinung, daß der maßgebliche Zeitpunkt die Urteilsfällung in erster Instanz sei. § 336 ASVG. verlange nicht, daß der Schmerzengeldanspruch rechtskräftig festgestellt sein müsse, um den Vorrang zu haben. Nur der Gesetzgeber, nicht aber das Gericht sei berechtigt, eine solche Ergänzung des Gesetzes vorzunehmen.

Diese Ausführungen sind nicht stichhältig.

Der Kläger hat das Begehren gestellt, die Beklagten schuldig zu erkennen, ihre Zustimmung zur Auszahlung des ihm zuerkannten Schmerzengeldes aus dem Gerichtserlag zu geben. Von einer quotenmäßigen Befriedigung des Anspruches des Klägers war keine Rede, und auch bezüglich der Deckung der Ansprüche der Parteien durch den Gerichtserlag sind keine Behauptungen aufgestellt worden, so daß darauf nicht einzugehen ist. Vielmehr steht, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, die Frage zur Entscheidung, ob der Kläger gegenüber den Beklagten einen Rechtsanspruch auf Zustimmung zur bevorzugten Befriedigung seines Schmerzengeldanspruches aus dem Gerichtserlag hatte. Diese Frage ist nur auf Grund des § 336 ASVG. zu beantworten. Diese Gesetzesstelle regelt den Fall der Konkurrenz von Ersatzansprüchen mehrerer Versicherungsträger aus einer Haftpflichtversicherungssumme. Auch im vorliegenden Fall ist dieser Betrag aus der Haftpflichtversicherung des Erstbeklagten bei Gericht hinterlegt worden, weil die gesamten Ansprüche der Erlagsgegner, zu denen auch die Beklagten gehören, die Versicherungssumme übersteigen.

Im § 336 ASVG. wird auch bestimmt, daß ein gerichtlich festgestellter Schmerzengeldanspruch hiebei, nämlich bei der Befriedigung der Ersatzforderungen, den Ersatzansprüchen der Versicherungsträger im Range vorgehe. Dies kann auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nur bedeuten, daß der Schmerzengeldanspruch vom Gericht rechtskräftig festgestellt sein müsse, um den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger bei der Befriedigung im Sinne der zitierten Gesetzesstelle vorauszugehen. Bei dieser Auffassung handelt es sich keineswegs um eine nur dem Gesetzgeber zustehende Gesetzesänderung, sondern um eine dem Gericht obliegende Gesetzesauslegung im Sinne des § 6 ABGB. Der Zweck dieser gesetzlichen Regelung kann nur der sein, die Höhe des Schmerzengeldes der Vereinbarung zwischen dem Haftpflichtversicherer und dem Geschädigten zu entziehen. Das Schmerzengeld soll vom Gericht im Verfahren zwischen dem Schädiger und dem Beschädigten festgestellt werden (s. auch Hütter, Probleme des Regreßrechtes der Sozialversicherungsträger, Soziale Sicherheit 1956 S. 208). Es ist so selbstverständlich, daß nur ein rechtskräftig festgestellter Schmerzengeldanspruch von Bedeutung sein kann, daß es der Gesetzgeber offensichtlich deshalb unterlassen hat, dies ausdrücklich anzuführen. Ein bloß in erster Instanz festgestelltes Schmerzengeld kann keine hinreichende Grundlage für eine Auseinandersetzung mit den Versicherungsträgern darstellen, zumal in zweiter und auch in dritter Instanz noch wesentliche Änderungen der erstgerichtlichen Entscheidung möglich wären. Bei dieser Sachlage hätte der Gesetzgeber vielmehr ausdrücklich anführen müssen, daß bereits ein noch nicht rechtskräftig festgestellter Schmerzengeldanspruch den anderen Ersatzansprüchen vorausgehe. Dies ist aber nicht geschehen.

Es ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, welchen Zeitpunkt man für die Prüfung des Begehrens des Klägers heranzieht, weil weder im Zeitpunkt der Einbringung der Klage noch bei Schluß der Verhandlung noch mit der Fällung des erstgerichtlichen Urteiles das Schmerzengeld rechtskräftig festgestellt gewesen ist. Das Begehren des Klägers entbehrt daher der gesetzlichen Grundlage.

Der Kläger hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er den unrichtigen Weg gewählt und die Erfüllung seines Anspruches von den Beklagten zu einem Zeitpunkt begehrt hat, in welchem ihm dieser noch nicht zugestanden ist. Die Ausführungen des Klägers in der Revision, daß die Beklagten mit dem von ihm angeregten Ruhen des Verfahrens nicht einverstanden gewesen seien und es ihm daher nicht zuzumuten sei, ihnen Kostenersatz zu leisten, sind für das Revisionsverfahren unbeachtlich, weil die Kostenentscheidungen der Untergerichte im Revisionsverfahren nicht anfechtbar sind.

Anmerkung

Z34155

Schlagworte

Ersatzansprüche, Konkurrenz nach § 336 ASVG., Konkurrenz von Ersatzansprüchen nach § 336 ASVG., Schmerzengeld, Vorrang nach § 336 ABVG., Sozialversicherung Vorrang des Schmerzengeldes nach § 336 ABVG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0020OB00342.61.1023.000

Dokumentnummer

JJT_19611023_OGH0002_0020OB00342_6100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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