TE OGH 1961/12/15 2Ob374/61

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Veröffentlicht am 15.12.1961
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Norm

Luftverkehrsgesetz §§19 ff
Luftverkehrsgesetz §§29a ff

Kopf

SZ 34/194

Spruch

Mangels einer gesetzlichen Sonderregelung kommen für die Haftung des Halters eines Luftfahrzeuges gegenüber einem Flugzeuginsassen, mit dem vom Halter kein Beförderungsvertrag abgeschlossen wurde, lediglich die allgemeinen Schadenersatzbestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Verschuldenshaftung zur Anwendung.

Entscheidung vom 15. Dezember 1961, 2 Ob 374/61.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der bei der klagenden Pensionsversicherungsanstalt pflichtversicherte Willibald M. sen. war am 1. Juni 1958 Insasse eines von Karl M. gesteuerten Flugzeuges. Dieses Flugzeug war vom Flugplatz Aspern aufgestiegen und stürzte über einem Seitenarm der Donau ab, wobei neben den anderen Insassen auch Willibald M. sen. den Tod fand. Die Klägerin erbringt an die Hinterbliebenen des genannten Versicherten Pflichtleistungen aus der Sozialversicherung und macht nunmehr gegen den Beklagten als Halter des verunglückten Luftfahrzeuges im Gründe der Legalzession des § 332 ASVG. Ersatzansprüche geltend.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten, der Klägerin als Ersatz für die von ihr an Hilda M. gewährte Witwenrente ab 1. Juni 1958 bis 1. Dezember 1998, längstens aber bis zur Wiederverehelichung, monatlich 479 S 37 g zu zahlen; das Mehrbegehren hinsichtlich der Witwenrente und auf Ersatz für die von der Klägerin an Willibald M. jun. gewährte Waisenrente wies das Erstgericht ab.

Den Berufungen beider Parteien gab das Berufungsgericht Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht auf, über die Berufungen neuerlich zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß ein Beförderungsvertrag zwischen dem Beklagten und Willibald M. sen. nicht bestanden habe, ist auf der Grundlage der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zwar beizupflichten, die von der Vorinstanz daraus gezogene Folgerung, daß die Haftung des Beklagten für den Insassen des Luftfahrzeuges Willibald M. sen. aus der Vorschrift des § 19 LuftVerkG. zu beurteilen sei, ist aber abzulehnen, wenn auch nicht aus den vom Rekurswerber geltend gemachten Gründen. Nach der Überschrift des ersten Unterabschnittes der Haftpflichtbestimmungen des LuftVerkG. wird in den §§ 19 bis 29 dieses Gesetzes die Haftung für Personen und Sachen, die nicht im Luftfahrzeug befördert werden, geregelt. Wenn in § 19 Abs. 1 Satz 2 LuftVerkG. bestimmt ist, daß für die Haftung aus dem Beförderungsvertrag ... die besonderen Vorschriften der §§ 29a ff. des Gesetzes gelten, dann kann daraus keineswegs mit den Vorinstanzen abgeleitet werden, daß für Insassen des Luftfahrzeuges ohne Beförderungsvertrag die Vorschriften des bezogenen ersten Unterabschnittes Anwendung fänden. Eine derartige Auslegung des LuftVerkG. in diesem Zweifelsfalle muß abgelehnt werden, weil die gegenteilige Absicht des Gesetzgebers bei der Novellierung der Haftungsbestimmungen des LuftVerkG. anläßlich der Erlassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 26. Jänner 1943, DRGBl. I S. 69, eindeutig aus der amtlichen Begründung zum erwähnten Änderungsgesetz hervorgeht (DJ. 1943 S. 123 f.). Darin ist zu § 19 Abs. 1 LuftVerkG. ausdrücklich dargelegt, daß die bisherige Haftung des Luftverkehrsgesetzes in Zukunft nur noch bei Schäden Anwendung finden solle, die durch den Flugbetrieb außerhalb des Luftfahrzeuges entstehen, d. h. wenn der Geschädigte am Flug selbst nicht teilnimmt oder die beschädigte Sache nicht in dem betreffenden Luftfahrzeug befördert wird. Im Zusammenhang mit der bezogenen Überschrift zum ersten Unterabschnitt der Haftpflichtbestimmungen des Luftverkehrsgesetzes ist also klargestellt, daß sich die Haftungsbestimmungen der §§ 19 bis 29 LuftVerkG. nur auf sogenannte Drittschäden beziehen. Diesbezüglich folgt der Oberste Gerichtshof der überzeugend begrundeten Auffassung von Meyer (Probleme des internationalen und nationalen Schadensersatzrechts der Luftfahrt - nach einem in Wien am 30. Mai 1961 gehaltenen Vortrag -, VersR. 1961 S. 265 ff., insbesondere S.

270) sowie von Wessels (ZLW. 1961 S. 173 ff.: "Das Verhältnis der §§ 33 ff. zu den §§ 44 ff. des Luftverkehrsgesetzes", welche Ausführungen bei der weitgehenden Übereinstimmung der Regelung der Haftpflichtbestimmungen des in der Deutschen Bundesrepublik geltenden Luftverkehrsgesetzes und der in Österreich geltenden diesbezüglichen Haftungsbestimmungen auch für Österreich Bedeutung haben); die gegenteilige Ansicht Geigels und anderer Autoren (vgl Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 10. Aufl. S. 676 f.), welcher die Vorinstanzen gefolgt sind, muß zufolge der Entstehungsgeschichte des maßgeblichen Vierten Änderungsgesetzes vom 26. Jänner 1943 abgelehnt werden. Ist also die diesbezügliche Beurteilung der Untergerichte unhaltbar, so kann doch auch nicht der Ansicht des Rekurswerbers beigepflichtet werden, wonach die Haftungsbestimmungen der §§ 29a ff. LuftVerkG. maßgeblich seien (den für die Anwendung des § 332 ASVG. erforderlichen Deckungsfonds negiert der Rekurswerber dabei auf Grund der Regelung des § 29g LuftVerkG., welche Frage vorliegendenfalls offen bleiben kann); denn mangels eines zwischen dem Beklagten und Willibald M. sen. gegebenen Beförderungsvertragsverhältnisses ist die Anwendung der für die Haftung aus dem Beförderungsvertrag geltenden Bestimmungen des 2. Unterabschnittes der Haftpflichtbestimmungen des Luftverkehrsgesetzes (§§ 29a ff. dieses Gesetzes) begrifflich ausgeschlossen. Mit den bezogenen Autoren Meyer und Wessels (a. a. O.) kommt der Oberste Gerichtshof vielmehr zum Ergebnis, daß mangels einer Sonderregelung für die Haftung des Beklagten gegenüber dem Insassen des Luftfahrzeuges Willibald M. sen. durch das Luftverkehrsgesetz die allgemeinen Haftungsbestimmungen des bürgerlichen Rechts zur Anwendung kommen (im gleichen Sinne hat das Oberlandesgericht Karlsruhe am 17. Februar 1961 in einem mit dem vorliegenden rechtlich ähnlichen Fall entschieden; vgl. ZLW. 1961 S. 311 ff.).

Es ist also zu prüfen, ob der Beklagte den Hinterbliebenen des Willibald M. sen. nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen (vgl. § 1327 ABGB.) schadenersatzpflichtig ist. Zu diesem Punkt liegen ausreichende Feststellungen des Erstgerichtes, die das Berufungsgericht gebilligt hat, vor. Nach diesen Sachverhaltsfeststellungen - und im übrigen schon nach dem Prozeßvorbringen der Klägerin - kommt aber eine Schadenersatzpflicht des Beklagten gegenüber den Hinterbliebenen des Verunglückten nach den Vorschriften des ABGB. aus den folgenden Erwägungen nicht in Betracht, so daß mangels eines Deckungsfonds der auf die Legalzession des § 332 ASVG. gestützte Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten schon dem Gründe nach zu verneinen ist; demgemäß bedarf es der vom Berufungsgericht angeordneten Verfahrensergänzung zur Höhe nicht, und die Sache ist im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens spruchreif.

Was nun die Frage der Haftung des Beklagten gegenüber den Hinterbliebenen des beim Flugzeugabsturz vom 1. Juni 1958 getöteten Willibald M. sen. nach den Bestimmungen des ABGB. im einzelnen betrifft, so müßte für die Bejahung derartiger Schadenersatzansprüche ein Verschulden des Beklagten gegeben sein. Nun hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen und des beiderseitigen Prozeßvorbringens der Parteien dargelegt, daß der Pilot Karl H. Mieter des Luftfahrzeugs war, dessen Halter der Beklagte war. Der Pilot Karl H. veranlaßte in seiner Eigenschaft als Mieter den Willibald M. sen. und eine weitere Person, den Flug mitzumachen. Der Beklagte hatte als Bestandgeber dem Karl H. gegenüber die Verpflichtung, daß sich das Luftfahrzeug in brauchbarem Zustand befinde und zum bedungenen Gebrauch geeignet sei. Dieser Verpflichtung war der Beklagte nachgekommen; die Untersuchung brachte lediglich eine fehlerhafte Bedienung des Fahrzeugs, nicht aber eine fehlerhafte Beschaffenheit als Unfallsursache zutage. Eine vertragliche Beziehung zwischen dem Beklagten und Willibald M. sen. als einem der Insassen des Luftfahrzeugs bestand nicht, so daß eine Haftung des Beklagten für das Verschulden des Piloten aus § 1313a ABGB. nicht in Betracht kommt. Aber auch unter sonstigen Gesichtspunkten ist eine Haftung des Beklagten gegenüber den Hinterbliebenen des Verunglückten nach den Bestimmungen des ABGB. abzulehnen (eine Haftung des Beklagten als Halters des Luftfahrzeugs scheidet nach den obigen Ausführungen aber deswegen aus, weil das Luftverkehrsgesetz nicht Anwendung findet). Denn es käme zwar - ähnlich wie beim Kraftfahrzeug - eine deliktische Haftung des Luftfahrzeughalters unabhängig von den Haftpflichtbestimmungen des Luftverkehrsgesetzes nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Verschuldenshaftung in Betracht, wenn der Beklagte das von ihm gehaltene Fahrzeug einem ersichtlich ungeeigneten Piloten in Miete überlassen hätte, weil durch den Betrieb des Fahrzeugs auf diese Weise die vom Mieter zugelassenen Insassen und darüber hinaus die Allgemeinheit hätten gefährdet werden können; eine derartige Haftung oder auch nur eine Haftung für den untüchtigen oder gefährlichen Besorgungsgehilfen ist aber nach den vorinstanzlichen Feststellungen abzulehnen, weil Karl H. den Zivilluftfahrerschein besaß, der ihn zur Führung des gecharterten Luftfahrzeugs berechtigte, und auch dargetan ist, daß Karl H. auf die Bedienung der speziellen Flugzeugart eingewiesen worden war. Ein Verschulden des Beklagten bei der mietweisen Überlassung des Luftfahrzeugs an Karl H. kommt also unter keinem Gesichtspunkt des ABGB. in Betracht, wie denn auch nicht einmal das Prozeßvorbringen der Klägerin ein Verschulden des Beklagten in dieser Hinsicht erkennen läßt.

Bei diesen Umständen fehlt es an einem für die Anwendung des § 332 ASVG. erforderlichen Deckungsfonds, so daß schon aus diesem Grund die Sache im Sinne der vollständigen Klagsabweisung spruchreif ist. Demnach hat es sich erübrigt, zu den weiteren Rekursausführungen Stellung zu nehmen. Daß die Hinterbliebenen des Willibald M. sen. aus der vom Beklagten abgeschlossenen Fluggast-Unfallversicherung Leistungen bezogen haben, ist für diese Erledigung bedeutungslos; ein Forderungsübergang aus der Legalzession des § 332 ASVG. setzt ja - abgesehen von den sonstigen Voraussetzungen - einen Ersatzanspruch des Sozialversicherten bzw. seiner Hinterbliebenen gegen den Schädiger voraus, der nach den obigen Ausführungen nicht gegeben ist; davon auseinanderzuhalten ist der Anspruch der Hinterbliebenen gegenüber dem privaten Unfallversicherer aus dem Versicherungsvertrag.

Aus diesen Erwägungen war dem Rekurse des Beklagten im Ergebnis Folge zu geben und dein Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Anmerkung

Z34194

Schlagworte

Haftung des Luftfahrzeughalters, Halter eines Luftfahrzeuges, Haftung gegenüber einem Insassen, Luftfahrzeughalter, Haftung gegenüber einem Insassen, Schadenersatz Haftung des Luftfahrzeughalters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1961:0020OB00374.61.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19611215_OGH0002_0020OB00374_6100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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