TE OGH 1962/1/18 5Ob8/62

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Veröffentlicht am 18.01.1962
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Norm

ABGB §901
ABGB §1487

Kopf

SZ 35/7

Spruch

Die Verjährungsfrist des § 1487 ABGB. zur Inanspruchnahme des Beschenkten wegen Verkürzung des Pflichtteils beginnt mit dem Tode des Schenkers.

§ 901 ABGB. Der Beweggrund kann auch stillschweigend zur Bedingung gemacht werden.

Entscheidung vom 18. Jänner 1962, 5 Ob 8/62.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Die am 6. März 1958 im Alter von 90 Jahren verstorbene Mutter der Streitteile Maria Sch. hat am 25. Oktober 1926 mit dem Beklagten in Notariatsaktform einen gültigen Schenkungsvertrag auf den Todesfall über ihre Liegenschaft in Klagenfurt und ihre Fahrnisse geschlossen, aber diese Schenkung in Punkt 3 des Notariatsaktes folgendermaßen beschränkt.

"Maria Sch. widmet hiemit zur Entfertigung ihrer Tochter (der nunmehrigen Klägerin) zur Abfindung deren Ansprüche an gesetzlichem Erbteil und Pflichtteil ein Erbsentfertigungskapital von 20.000 S und die Klägerin, die diesem Akte beitritt, nimmt die Widmung dieses Erbsentfertigungskapitals hiemit an und verzichtet hingegen auf ihr gesetzliches Erbrecht und Pflichtteilsrecht nach ihrer Mutter. Herr Sch. nimmt dies zur Kenntnis und verpflichtet sich demnach, obiges Erbsentfertigungskapital per 20.000 S nach dem Vortode seiner Mutter auszuzahlen, und zwar in drei gleichen Raten, deren erste in einem halben Jahr nach dem Ableben der Frau Maria Sch., die zweite und dritte Rate nach je einem Jahr nach dem Ableben der Frau Maria Sch. zu bezahlen ist. Im Punkte 6 des Vertrages wurde der Wert der geschenkten Liegenschaften samt Fahrnissen mit 60.000 S bestimmt und im Punkt 7 wurde festgelegt, daß die hier angeführten Geldbeträge sich in "Schilling Feingold" verstunden.

Da die Wertsicherungsklausel des Notariatsaktes unwirksam wurde, hat der Beklagte der Klägerin an Stelle des im Notariatsakt festgelegten Betrages von 20.000 S Feingold nur einen Betrag von 13.333 S bezahlt. Die Klägerin hat ein Haupt- und zwei Eventualbegehren erhoben. Das Hauptbegehren stützte sich auf die Behauptung, nach dem Parteiwillen bei Abschluß des notariellen Vertrages hätte sie als Erbsentfertigung einen Betrag zu erhalten gehabt, der einem Drittel und in der Folge sogar vier Neuntel des Gesamtvermögens der Mutter entsprechen würde. Die Eventualbegehren stützt sie darauf, sie habe im notariellen Vertrag auf das gesetzliche Erbrecht und Pflichtteilsrecht nach ihrer Mutter verzichtet, weil ihr nach dem Willen aller Parteien eine Erbsentfertigung in der Höhe von jeweils einem Drittel des Vermögens der Mutter zukommen sollte. Wenn der Beklagte dies nicht anerkennen wolle, entziehe er dem Notariatsakt die Grundlage, insoweit die Erbsentfertigung bzw. der Erbrechts- und Pflichtteilsverzicht der Klägerin betroffen sei. Es stunde ihr daher zu, zumindest das gesetzliche Erbrecht, auf jeden Fall aber die Ergänzung des Pflichtteiles, von dem Beklagten als Beschenkten zu begehren.

Unbestritten ist, daß der Beklagte nach seiner Mutter Vermögen im Werte von 710.000 S übernommen hat, obwohl die Erblasserin einen Teil der Liegenschaft an den Gatten der Klägerin um 15.000 S verkauft hatte.

Das Erstgericht nahm die Behauptung der Klägerin, daß ihr nach dem Parteiwillen bei Abschluß des Notariatsaktes zumindest 1/3 des Vermögens der Mutter zuzukommen habe, nicht als erwiesen an, hingegen nahm es als erwiesen an, daß die Mutter der Streitteile und die Klägerin ausdrücklich oder zumindest durch schlüssige Handlungen den Erbverzicht vertraglich beseitigt haben und der Beklagte dies zur Kenntnis genommen habe. Es stehe daher der Klägerin der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteiles zu, den das Erstgericht mit 177.500 S errechnete. Abzüglich des vom Beklagten bereits bezahlten Betrages von 13.333 S 33 g ergebe dies einen Betrag von 164.166 S 67 g.

Auch das Berufungsgericht nahm den Standpunkt ein, daß der Klägerin der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteiles zustunde, aber nicht deshalb, weil der Erbrechts- und Pflichtteilsverzicht einvernehmlich aufgehoben worden sei, was von den Parteien gar nicht behauptet worden sei, sondern deshalb, weil es selbstverständliche Voraussetzung für den Erbverzicht der Klägerin gewesen sei, daß ihr nach dem Tode ihrer Mutter mit dem wertgesicherten Entfertigungskapital von 20.000 S zumindest der ihr zustehende Pflichtteil zukommen sollte, zumal dieser Betrag damals ihren Pflichtteilsanspruch sogar überstiegen habe. Hier handle es sich um eine typische Vertragsvoraussetzung, die einem Geschäfte von der Art des geschlossenen stets zugrunde gelegt werde und die auch ohne ausdrückliche Parteienvereinbarung als Vertragsinhalt anzusehen sei. Diese typische Voraussetzung sei durch die Unwirksamkeit der Goldklauselvereinbarung in Wegfall gekommen. Die Klägerin sei daher an ihre Verzichtserklärung nicht mehr gebunden. Sie könne zwar deshalb keine Aufwertung des vereinbarten Abfindungsvertrages verlangen, wohl aber die Ergänzung des Pflichtteiles. Der vom Berufungsgericht teilweise abgeänderte Urteilsspruch lautet nun dahin, es bestehe das Klagebegehren mit dem Betrage von 164.166 S 67 g samt Zinsen zu Recht, die Gegenforderung des Beklagten von 400.000 S nicht zu Recht, die beklagte Partei sei schuldig, zur ergänzenden Befriedigung des Pflichtteilsanspruches für den Betrag von 164.166 S 67 g samt 4% Zinsen seit 18. April 1961 die Exekution in ihre Liegenschaft EZ. 16 Katastralgemeinde K. zu dulden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird in der Revision geltend gemacht, der Rechtssatz, daß im österreichischen Vertragsrecht die clausula rebus sic stantibus anzuwenden sei, wenn eine typische Voraussetzung des Vertrags weggefallen sei, grunde sich auf keine gesetzliche Bestimmung, sondern werde nur vereinzelt im Schrifttum, insbesondere von Gschnitzer propagiert. Die Unrichtigkeit der Behauptung, daß es sich hier um eine vereinzelte Lehrmeinung Gschnitzers handle, ergibt sich aber schon daraus, daß dieselbe Meinung schon in der ersten Auflage des Klang-Kommentars von Pisko (II/2 S. 351 ff.) vertreten wurde. Die Ausführungen Piskos wurden dann von Gschnitzer in der zweiten Auflage (IV S. 337 ff.) übernommen. Der Lehre von der Bedeutung des Wegfalls einer typischen Vertragsvoraussetzung liegt der Gedanke zugrunde, daß von den Vertragschließenden nicht erwartet werden kann, Selbstverständliches ausdrücklich im Vertrage zu erwähnen, daß also dieses Selbstverständliche auch ohne ausdrückliche Parteienvereinbarung als Vertragsinhalt angesehen werden kann (5 Ob 387/59 = JBl. 1960 S. 187). Die Frage, ob die Vertragsvoraussetzung, die im vorliegenden Fall weggefallen ist, wirklich eine typische war, kann aber diesmal dahingestellt bleiben, weil die Frage, ob eine weggefallene Vertragsvoraussetzung eine individuelle oder eine typische Voraussetzung war, dann ohne Bedeutung ist, wenn die Parteien den Fortbestand dieser Voraussetzung bei Vertragsabschluß zur Bedingung gemacht haben. Eine solche Vereinbarung kann - ungeachtet des Wortes "ausdrücklich" im § 901 ABGB. - auch stillschweigend getroffen werden (Gschnitzer a. a. O. S. 335, Pisko a. a. O. S. 350). Durch das Wort "ausdrücklich" im § 901 will das Gesetz nur die Folgerung gegen die Gültigkeit des Geschäftes aus dem Umstande allein ausschließen, daß eine Partei den sie bestimmenden Beweggrund bei oder vor Abschluß des Geschäftes mitgeteilt und die andere Partei gleichwohl das Geschäft abgeschlossen hat. Es muß, um eine konkludente Erhebung der Erwartungen der Parteien zur Bedingung annehmen zu können, ein besonderer zum Tatbestand der Äußerung des Beweggrundes oder Endzweckes hinzutretender Sachverhalt vorliegen; ein solcher Fall ist z. B. dann gegeben, wenn die Partei, die gar keinen Anlaß zu einer Schenkung hat, nur im Falle der Erreichung des angegebenen Endzweckes ein Entgelt für ihre Leistung erhält (Gschnitzer a. a. O. S. 328, 329, Pisko a. a. O. S. 341, 6 Ob 373/60, 6 Ob 198/61). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Klägerin hatte gar keinen Anlaß, unentgeltlich auf ihre Erb- und ihre Pflichtteilsrechte gegenüber ihrer Mutter zugunsten ihres Bruders, des Beklagten, zu verzichten. Sie tat es nur deshalb, weil ihr ein Betrag von 20.000 S wertgesichert zugesichert wurde, der im Notariatsakt ausdrücklich als Erbsentfertigungskapital bezeichnet wurde. Sie hat, wie im Notariatsakt festgehalten ist, die Widmung dieses Erbsentfertigungskapitales angenommen und "hingegen" auf ihr gesetzliches Erbrecht und Pflichtteilsrecht nach ihrer Mutter verzichtet. Der im Vertragstext klar zu Tage tretende Beweggrund des Erbverzichtes der Klägerin war also der, daß ihre Erb- und Pflichtteilsansprüche durch die Zahlung des wertgesicherten Betrages von 20.000 S abgegolten werden sollten. Da diese Vertragsvoraussetzung dadurch weggefallen ist, daß die Klägerin infolge der Währungsgesetzgebung nur Anspruch auf Bezahlung eines Betrages erheben kann, der zur Höhe ihres Pflichtteilsanspruches überhaupt in keinem Verhältnis steht, ist der Fall des ersten Satzes des § 901 ABGB. gegeben und die Klägerin ist an ihre Verzichtserklärung nicht gebunden.

Das bedeutet nicht, wie in der Revision darzutun versucht wird, eine Umgehung der Goldklauselverordnung. Der Klägerin soll ja nicht ihre Forderung von 20.000 S aufgewertet werden. Es ist daher auch verfehlt, wenn in der Revision ein Vergleich darüber angestellt wird zwischen dem von den Untergerichten der Klägerin zugesprochenen Betrag und dem Betrag, den sie bei Aufwertung ihrer Forderung zu bekommen hätte. Was der Klägerin von den Untergerichten zugesprochen wurde, ist das, worauf ihr nach dem Gesetze als Pflichtteilsberechtigte ein Anspruch zusteht, weil der Verzicht auf dieses Pflichtteilsrecht wegen Wegfalls der Voraussetzung, unter der er abgegeben wurde, unwirksam geworden ist. Zu Unrecht wird auch in der Revision geltend gemacht, es müßte dann auch ein vor 1939 abgeschlossener und damals den Bestimmungen des Mietengesetzes nicht unterliegender Mietvertrag heute noch aufhebbar sein, weil die Parteien den Mietvertrag nicht geschlossen hätten, wenn sie die Ausdehnung des Kündigungsschutzes vorausgesehen hätten. Hier liegt eine positive Gesetzesnorm vor, welche einem geschlossenen Vertrag einen neuen Inhalt gibt und die Aufhebung des Vertrages aus dem Grund, daß nun der Inhalt verändert ist, ausschließt. Auch durch die Goldklauselverordnung wurde zwar einem bestehenden Rechtsverhältnisse ein neuer Inhalt gegeben, indem eine mit Wertsicherungsklausel versehene Forderung auf den Nennwert herabgesetzt wurde. Auch hier kann das der Goldklauselverordnung unterliegende Rechtsverhältnis aus dem Gründe ihrer Erlassung nicht aufgehoben werden. Aber darum handelt es sich hier nicht, sondern um die Rückwirkung der durch die Goldklauselverordnung geschaffenen Veränderung der Sachlage auf ein anderes Rechtsgeschäft, nämlich auf einen Verzicht, der nur im Hinblick auf die zur Zeit seiner Abgabe bestehenden Sachlage abgegeben wurde.

Zu Unrecht wird in der Revision neuerlich Verjährung aus dem Gründe behauptet, weil die dreijährige Frist zur Anfechtung wegen Irrtums abgelaufen sei. Es handelt sich hier nicht um eine Anfechtung wegen Irrtums, sondern um die Unverbindlichkeit einer rechtsgeschäftlichen Erklärung wegen Wegfalles der Bedingung, unter der sie abgegeben wurde. Die Frist des § 1487 zur Inanspruchnahme des Beschenkten wegen Verkürzung des Pflichtteils beginnt mit dem Tode des Schenkers (Klang in Klang[2] VI S. 629).

Zu Unrecht wendet sich schließlich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht auf die Behauptung, die Klägerin hätte sich ein Heiratsgut mit dessen innerem Wert anrechnen lassen müssen, mit der Begründung nicht eingegangen ist, daß die Anrechnung erstmals im Berufungsverfahren begehrt wurde. Tatsächlich hat der Beklagte in I. Instanz niemals behauptet, daß die Klägerin ein Heiratsgut bekommen hat, sondern er hat im Gegenteil behauptet, daß der Kaufvertrag vom 8. Juli 1929, mit welchem dem damaligen Bräutigam der Klägerin von der Mutter der Streitteile ein Teil ihrer Liegenschaft verkauft und ein Teilbetrag des Kaufpreises von 4000 S der Klägerin als Heiratsgut ausgesetzt wurde, ein Scheinvertrag gewesen sei. Nun hat das Erstgericht zwar festgestellt, daß der Vertrag kein Scheinvertrag war und daß der Klägerin von Maria Sch. tatsächlich ein Heiratsgut von 4000 S bestellt wurde. Es hat aber nicht festgestellt, daß dieses Heiratsgut der Klägerin auch ausgezahlt wurde. Es wäre auch gar nicht auszuzahlen gewesen, weil in Punkt 5 b des Vertrages bestimmt war, daß, wenn die Dotierte den Käufer in der Folge ehelichen werde, die Forderung als ihr Heiratsgut in seinem Zahlungsversprechen bleiben solle. Geht man aber von den Feststellungen des Erstgerichtes aus, dann bestand eine solche Schuld des nachmaligen Ehemannes der Klägerin auf Bezahlung des Heiratsgutes auf Rechnung des Kaufpreises gar nicht mehr, weil der Ehemann der Klägerin bereits weit mehr gezahlt hat, als den vereinbarten Kaufpreis, nämlich außer der Bezahlung des Betrages von 15.000 S ein Darlehen der Maria Sch. im Betrage von 12.000 S getilgt und schließlich auch einen Betrag an die Stadtgemeinde zur Deckung der von ihr aufgewandten Reparaturen bezahlt hat. Für die Berücksichtigung des inneren Wertes eines der Klägerin bestellten Heiratsgutes als Anrechnungsposten im Sinne des § 788 ABGB. in diesem Prozeß fehlt daher jede Grundlage.

Anmerkung

Z35007

Schlagworte

Erbverzicht, Wegfall der Geschäftsgrundlage durch Geldentwertung, Pflichtteil, Ergänzung, Verjährung, Verjährung der Forderung auf Ergänzung des Pflichtteils, Vertragsgrundlage, Wegfall bei Erbverzichtsvertrag infolge, Geldentwertung, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Erbverzicht durch Geldentwertung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1962:0050OB00008.62.0118.000

Dokumentnummer

JJT_19620118_OGH0002_0050OB00008_6200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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